Die juristische Presseschau vom 28. August 2019: Pharma-Dealer ver­ur­teilt / Volks­ver­het­zendes Polizei-Rund­sch­reiben? / E-Sport kein Sport

28.08.2019

Ein US-amerikanisches Gericht verurteilt einen Pharmakonzern wegen Verantwortung für Opioid-Epidemie. Außerdem in der heutigen Presseschau: Anwalt zu Anzeige wegen Polizei-Rundschreiben und Rechtsgutachten zum Sportcharakter des E-Sports.

Thema des Tages

USA – Opioide: Ein Gericht im US-Bundesstaat Oklahoma hat den Pharma-Konzern Johnson & Johnson zu einer Geldstrafe von 572 Millionen Dollar verurteilt. Die Summe entspricht den errechneten Kosten, die der Bundesstaat während eines Jahres für den Umgang mit der Opioid-Sucht aufbringen muss, erläutert die SZ (Alan Cassidy/Elisabeth Dostert). Das Unternehmen habe laut Urteilsbegründung die Risiken der von ihm vertriebenen opioidhaltigen Schmerzmittel durch "falsche und irreführende Werbekampagnen" verschleiert und so die nun grassierende Epidemie befeuert. Ihm sei daher ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung vorzuwerfen. Zwei weitere, ursprünglich ebenfalls angeklagte Unternehmen waren zuvor durch Vergleichszahlungen einer Verurteilung zuvorgekommen. Im Land sind weitere Verfahren anhängig. Berichte zur Entscheidung bringen auch FAZ (Roland Lindner) und taz (Dorothea Hahn).

Das Verhalten der Pharmakonzerne beschreibt Katharina Kort (Hbl) in einem Kommentar als "Profitgier in Reinstform". Daher sei es nun richtig, sie an den gesellschaftlichen Kosten der grassierenden Schmerzmittelsucht zu beteiligen. Andreas Ross (FAZ) meint dagegen im Leitartikel, dass die USA "nur auf dem Rechtsweg" nicht "aus dem Morast finden" würden. Die weitverbreitete Neigung von "Zahnärzten oder Orthopäden, vor lauter Kundenorientierung jedem Patienten totale Schmerzfreiheit" zu versprechen, belege die Reparaturbedürftigkeit des dortigen Gesundheitssystems. In der Einschätzung von Bernd Pickert (taz) signalisiert das Urteil dagegen: "Weiter so – man kommt davon". Denn gegenüber einer "der größten gesundheitspolitischen Katastrophen der Neuzeit" in den USA mute die ausgeurteilte Summe gering an. Dem mexikanischen Drogenbaron "El Chapo" sei neben seiner lebenslänglichen Haftstrafe auch noch die Zahlung von 11,2 Milliarden Dollar auferlegt worden.

Rechtspolitik

Mietendeckel: lto.de stellt vertieft Regelungen der jüngst vorgestellten Eckpunkte zu einem Berliner Mietendeckel dar und gibt auch politische Reaktionen wieder. Das Hbl (Matthias Streit) bringt auch einen Überblick zu möglichen Konsequenzen und befürchtet vor allem fatale Folgen für "Anleger, die für den Ruhestand gespart haben" und zu diesem Zweck Wohneigentum erworben hatten.

DNA-Analyse: Ein aktueller Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums sieht eine Ausweitung der strafprozessualen DNA-Analyse vor. In einem Gastbeitrag für lto.de zeigt sich Mark A. Zöllner, Rechtsprofessor, skeptisch gegenüber dem tatsächlichen Nutzen einer solchen Befugniserweiterung. Sichergestellte DNA-Proben könnten Merkmale wie Augen- oder Haarfarbe immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bestimmen und dies auch nur, wenn die vorhandene Einzelspur in ausreichender Menge vorliege. Auch diese Erkenntnisse griffen allerdings in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, gerechtfertigt werden könnte dies also auch nur bei Fällen schwerer Kriminalität.

Hassreden: Durch verschiedene Maßnahmen will eine rheinland-pfälzische Bundesratsinitiative der vorwiegend aus rechtsextremen Kreisen stammenden Hassreden und -propaganda im Internet Herr werden. Die bei einem "Sicherheitsgespräch" unter dem Vorsitz von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) vorgestellten Pläne, etwa zur Tatbestandserweiterung der üblen Nachrede, aber auch einer Bündelung ermittlerischer Kapazitäten, beschreibt lto.de.

Medizinprodukte: Ein weiterer Gesetzentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium sieht erweiterte Eingriffsbefugnisse des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vor. Die Behörde soll nach einem der SZ (Katrin Langhans/Kristiana Ludwig) vorliegenden Entwurf künftig in eigener Verantwortung gefährliche Produkte wie z.B. Herzschrittmacher vom Markt nehmen können. 
Katrin Langhans (SZ) begrüßt das Vorhaben in einem separaten Kommentar. Patienten hätten "ein Recht darauf, dass der Staat sie schützt". Dies könne nur geschehen, wenn die Behörde die ihr zugedachten Kompetenzen auch entschlossen nutze.

Justiz

BVerfG zu Mietpreisbremse: Mit seinen Beschlüssen zur alten Fassung der Mietpreisbremse hat es sich das Bundesverfassungsgericht "zu einfach gemacht und dadurch einer kontraproduktiven Entwicklung und Polarisierung Vorschub geleistet", schreibt Rechtsanwältin Birgit Spießhofer in einem Kommentar auf FAZ-Einspruch. Die vom Gericht mitgeteilte "kursorische Begründung" habe wesentliche Aspekte der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Eigentumsgrundrecht unberücksichtigt gelassen. Auch wäre eine Befassung mit "faktischen und politischen Gegebenheiten und Verantwortlichkeiten" wünschenswert gewesen.

BGH zu Streupflicht: Dem Betreiber eines Kundenparkplatzes obliegt es innerhalb seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nicht, bei Glättebildung auch die markierten Parkflächen zu streuen. Die Streupflicht solle nur "wirkliche Gefahren" beseitigen, nicht aber bloßen Unbequemlichkeiten vorbeugen, urteilte der Bundesgerichtshof in einer nun veröffentlichten Entscheidung von Anfang Juli. Die klagende Supermarktkundin blieb mit ihrem Schadensersatzanliegen wegen eines Sturzes wie schon in den Vorinstanzen erfolglos, berichtet lto.de.

BVerwG – indymedia: Aus Anlass der beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Klage gegen das auf Vereinsrecht gestützte Verbot des Portals "linksunten.indymedia" stellt in einem ausführlichen Gastbeitrag die am Verfahren beteiligte Rechtsanwältin Angela Furmaniak auf netzpolitik.org neben den Hintergründen des Verbots auch ihre rechtliche Einschätzung zum Fall dar. Das BVerwG hatte jüngst einen Verhandlungstermin aus organisatorischen Gründen verschoben, ein neuer Termin sei womöglich erst im nächsten Jahr zu erwarten.

OLG Düsseldorf zu Facebook: Zum jüngsten Eilbeschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf, der die Plattform Facebook von der Pflicht zur Befolgung einer Anordnung des Bundeskartellamtes befreit hat, sammelt die FAZ (Marcus Jung) Stellungnahmen von Juristen ein. Die im Beitrag zitierten Experten zeigen sich angetan vom "Mut zum Präzedenzfall", den das Bundesamt bewiesen habe, meinen aber auch, dass das Wettbewerbsrecht keine gute Handhabe gegen die Datensammelwut von Facebook biete.

LG Frankfurt/M. - Irina A.: Über den Prozessauftakt zum Mordfall Irina A. am Landgericht Frankfurt/M. berichten FAZ (Sebastian Eder) und spiegel.de (Julia Jüttner). Der angeklagte Gastronom habe in einer ausführlichen Erklärung einen von der Anklageschrift erheblich abweichenden Geschehensablauf dargelegt und eine Tötung seiner Geschäftspartnerin entschieden bestritten.

LG Frankenthal zu BASF-Explosion: Wegen fahrlässiger Tötung hat das Landgericht Frankenthal einen Schlosser zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Für das Gericht stand fest, dass der Mann bei Wartungsarbeiten im Hafengelände des Chemiekonzerns BASF vor knappen drei Jahren unabsichtlich eine Gasleitung beschädigt hatte, schreibt die FAZ (Bernd Freytag). Bei den nachfolgenden Explosionen starben fünf Menschen.

StA Leipzig - Polizei-Rundschreiben: In einem Rundschreiben hat die Leipziger Polizeidirektion Hoteliers der Stadt aufgefordert, den Einzug rumänischer Staatsbürger in ihren Häusern während der Dauer eines Musik-Festivals zu melden. Das wohl wegen der Vermutung erhöhter Taschendiebstähle verfasste Schreiben nahm ein Rechtsanwalt zum Anlass einer Anzeige wegen Volksverhetzung, gegenüber lto.de (Maximilian Amos) äußert er sich zu seiner Motivation, der Rechtslage und seiner Vermutung zum weiteren Fortgang der Sache. Der Bericht lässt im Weiteren auch den Leiter des Direktionsbüros der Leipziger Polizei zu Wort kommen.

Recht in der Welt

EGMR – Russland: Die russische Föderation muss nach Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte den Hinterbliebenen des 2009 in einem Gefängnis verstorbenen regierungskritischen Anwalts Sergej Magnitski eine Entschädigung zahlen. Wie lto.de schreibt, sei nach Einschätzung des EGMR die medizinische Versorgung während der Untersuchungshaft des posthum wegen Steuerflucht Verurteilten unzureichend gewesen. Der Bericht der Welt (Pavel Lokshin) geht auch auf die politischen Zerwürfnisse zwischen Russland und den USA infolge des Todes Magnitskis ein.

Österreich – Kuh-Attacke: Die Ansprüche der Hinterbliebenen einer durch eine Kuh-Herde zu Tode gekommenen deutschen Wanderin wurden vom Oberlandesgericht Innsbruck gegenüber der Entscheidung der Vorinstanz um die Hälfte gekürzt. Grund sei eine hälftige Mitschuld der Toten, schreibt lto.de.

Sonstiges

E-Sport: Der sogenannte E-Sport ist kein Sport. Zu diesem für die Besteuerung und die Zuerkennung der Gemeinnützigkeit relevanten Ergebnis kommt ein im Auftrag des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) vom früheren Richter am Bundesfinanzhof Peter Fischer erstelltes Rechtsgutachten. Entscheidend seien "Anforderungen an die Körperlichkeit", zitieren lto.de und FAZ (Sebastian Reuter) aus dem Gutachten. Diese würden bei der Beschäftigung mit einer Konsole nicht vorliegen. Die bislang vom DOSB vertretene Unterscheidung von Simulationen "echter" Sportarten wie beim Fußballspiel FIFA einer- und anderseits E-Gaming, zu dem Spiele wie "Counter Strike" oder "League of Legends" gezählt wurden, sei nach den Feststellungen des Gutachtens "rechtlich nicht belastbar".

Abschiebehaft: Der SWR RadioReportRecht (Gigi Deppe) spricht mit dem Träger des diesjährigen Menschenrechtspreises von PRO ASYL. Der Rechtsanwalt vertritt vorwiegend Rechtsschutzangelegenheiten von Abschiebehäftlingen und weist in diesem Bereich eine beeindruckende Erfolgsbilanz auf.

Ferdinand Piech: Neben einer ausführlichen Würdigung des am Sonntag verstorbenen früheren VW-Vorstandsvorsitzenden Ferdinand Piech geht das Hbl (Martin Murphy/Stefan Menzel) auch auf dessen Rolle im Diesel-Skandal ein. Dessen gegenüber Ermittlern der Staatsanwaltschaft Braunschweig getätigte Aussage, er hätte bereits im Februar 2015 von den US-Ermittlungen zur Sache erfahren und in den darauffolgenden Monaten auch die wichtigsten Aufsichtsräte, unter ihnen den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) informiert, stehe "im Raum, auch wenn die Ermittler ihr zumindest in diesem Punkt keine größere Bedeutung zugemessen haben".

Ökologische Intervention: Die FAZ (Helene Bubrowski) untersucht vor dem Hintergrund der Waldbrände im Amazonas die Chancen einer internationalen ökologischen Intervention. Wegen der staatlichen Souveränität als "Grundelement der völkerrechtlichen Ordnung" seien diese eher gering einzustufen, ein immerhin denkbares Eingreifen auf Grundlage von Kapitel VII UN-Charta dürfte an den Kräfteverhältnissen im Sicherheitsrat scheitern. So blieben wohl nur nichtmilitärische Formen der Einmischung, etwa durch Wirtschaftssanktionen oder bloßen politischen Druck.

Das Letzte zum Schluss

Social Media: Von einem ungewöhnlichen Twitter-Trend weiß lto.de zu berichten: Wer sich über die vermeintliche Verköstigung in der bei Berlin gelegenen JVA Heidering informieren will, kann dies über den Twitter-Account "Gefängniscuisine" tun. Unter Hashtags wie "#foodporn" werden dort Bilder eher armselig erscheinender Mahlzeiten gepostet. Den Insassen ist der Besitz von Smartphones untersagt.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
  

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. August 2019: Pharma-Dealer verurteilt / Volksverhetzendes Polizei-Rundschreiben? / E-Sport kein Sport . In: Legal Tribune Online, 28.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37285/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen