Die juristische Presseschau vom 28. Juni 2012: Startschuss für Euro-Verfassungsklagen – Gribkowsky verurteilt – Aufregung um Beschneidung

28.06.2012

Noch ist über das Vertragswerk zur Euro-Rettung gar nicht abgestimmt worden, die Klagen dagegen liegen aber schon bereit und sorgen für große Aufregung. Außerdem in der Presseschau: Die Geschichte des Betreuungsgeldes, mehr Reaktionen auf das Beschneidungs-Urteil, der IGH soll die Schuld am Klimawandel klären und teure Sonderangebote bei taktischen Geständnissen.

BVerfG zu ESM/Fiskalpakt: Dem Bundesverfassungsgericht, so die SZ (Heribert Prantl), läge bereits die "Ankündigung" von Verfassungsklagen vor - inklusive der kompletten Schriftsätze. Der Staatsrechtler Dietrich Murswiek, Vertreter von Peter Gauweiler, einem der potentiellen Kläger, erläutert, die offizielle Klage inklusive des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung solle Freitag "innerhalb einer Minute nach Feststellung des Abstimmungsergebnisses" eingereicht werden, um eine Ausfertigung durch den Bundespräsidenten zu verhindern.

Das Handelsblatt (H. Anger/M. Inacker/T. Sigmund) spricht mit Gauweiler über die Hintergründe seiner anstehende Verfassungsbeschwerde und fasst separat (Heike Anger) die verfassungsrechtlichen Bedenken der Kläger zusammen: Einschränkung der No-Bail-Out- Klausel, Verletzung nationaler Souveränität und keine Austrittsmöglichkeit.

Im Interview mit focus.de (Martina Fietz) gibt der Staatsrechtlehr Christian Hillgruber seine Einschätzung zum Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts ab, den Bundespräsidenten zu bitten, mit der Unterzeichnung der Gesetzes zu ESM/Fiskalpakt zu warten: "verständlich und verfassungsgemäß".

Heribert Prantl (SZ) kommentiert zur anstehenden Entscheidung, Karlsruhe müsse "sich selbst übertreffen", um Euro und Demokratie in Einklang zu bringen. Die Spannung sei heute noch größer als im Jahr 1973, als das Gericht über den deutsch-deutschen Grundlagenvertrag zu entscheiden hatte.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Betreuungsgeld: Anlässlich des zweiten Versuchs, den Entwurf zum Betreuungsgeld in erster Lesung in den Bundestag einzubringen, liefert die SZ (Jan Heidtmann) "eine Chronik" unter dem Titel "Sinfonie des Unsinns".

Vergütungstarife für Speichermedien: Für lto.de kommentiert Rechtsanwalt Christian Frank die kommenden Preissteigerungen von bis zu 1.850 Prozent für die urheberrechtliche Vergütung bei USB-Sticks und Speicherkarten, nachdem die Verwertungsgesellschaften für private Überspielungsrechte, Wort und Bild-Kunst neue Tarife gesetzt hätten.

Weitere Themen – Justiz

EGMR zu Jagdrecht: Wer ein Grundstück von unter 75 Hektar hat, ist laut Bundesjagdgesetz automatisch Mitglied der Jagdgenossenschaft und kann als Folge das Jagen Dritter auf seinem Grundstück dulden müssen. Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte entschied nun, die Duldungspflicht verletze die konventionsrechtliche Eigentumsfreiheit. Dies meldet lto.de.

LG München verurteilt Gribkowsky: Der ehemalige BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky ist wegen Bestechlichkeit, Untreue und Steuerhinterziehung vom Landgericht München zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden, meldet u.a. spiegel.de.

Die SZ (Klaus Ott) schildert noch einmal die Hintergründe um den Verkauf von Bank-Anteilen an der Formel 1 und glaubt, die Entscheidung könne auch Formel 1 Chef Bernie Ecclestone "in Bedrängnis" bringen. Gribkowsky habe dargelegt, von Ecclestone Schmiergelder in Millionenhöhe erhalten zu haben.

Die FTD (Gerhard Hegemann) meint, dieses Urteil in einem "der größten Wirtschaftsprozesse" lege die "Grundlage für eine mögliche Anklage" Ecclestones. Staatsanwaltschaft und Verteidigung prüften derzeit eine mögliche Revision.

Beschneidungs-Urteil: Das umstrittene Urteil des Landgerichts Köln zur Strafbarkeit der Beschneidung kleiner Jungen aus religiösen Gründen kommentiert Max Steinbeis (verfassungsblog.de) aus rechtspolitischer Sicht: Wozu kriminalisiert das Gericht ein bislang "sozial vollkommen akzeptiertes Verhalten"? Raffiniert sei, dass durch den Freispruch wegen unvermeidbaren Verbotsirrtums kein Rechtsmittel eingelegt werden könne.
Ebefalls auf dem Verfassungsblog kommentiert Rechtsprofessor Hans Michael Heinig das Urteil: "Juristisch und rechtsethisch fragwürdig".

Mit der Beschneidung solle bis zum 14. Jahr gewartet werden, meint Matthias Ruch (FTD). Das Recht auf körperliche Unversehrtheit überwiege das zur freien Religionsausübung. Am Ende werde das Bundesverfassungsgericht die Frage aber entscheiden müssen.

Wie es zur Anklage des beschneidenden Arztes kam, wie Amtsgericht und Landgericht entschieden und warum die letzte Entscheidung "große Rechtsunsicherheit" verursache, erläutert die taz (Christian Rath).

Die FAZ (S. Löwenstein/M. Sattar/R. Bingener) berichtet über die von Seiten des Zentralrats der Muslime, aus der evangelischen und katholischen Kirche sowie der Politik geäußerte massive Kritik. Bundestagspräsident Lammert meint, das "letzte Wort" sei noch nicht gesprochen.

Strafe für Microsoft: Die von der EU gegen Microsoft verhängte Geldbuße in dreistelliger Millionenhöhe wegen der Nichtbefolgung einer Kommissions-Anordnung zu überhöhten Lizenzgebühren hat das Europäischen Gericht bestätigt und die Forderung lediglich um 39 Millionen Euro gekürzt, meldet das Handelsblatt (Jens Koenen).

Porsche-Prozess: Vor dem Braunschweiger Landgericht hat der erste Schadenersatzprozess von Investoren gegen Porsche im Zusammenhang mit dem Versuch, den Konkurrenten VW zu übernehmen, begonnen. Die FTD (Heimo Fischer) berichtet über die Schwierigkeiten der Kläger, darzulegen, inwiefern das Vorgehen von Porsche ihnen einen Schaden verursacht hat.
Die FAZ (Joachim Jahn) befasst sich ebenfalls mit dem "Milliardenprozess".

IStGH-Richter Kaul: Unter anderem über das Verhältnis des Internationalen Strafgerichtshof zum Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und die Zulässigkeit von Präventivschlägen spricht mit der SZ (Nicolas Richter) der deutschen Richter am Gerichtshof Hans-Peter Kaul. Zum ehemaligen Chefankläger Luis Moreno-Ocampo meint Kaul, er habe sein Büro "wie ein argentinischer Großgrundbesitzer" geführt.

Fall Lolita: Nach dem Freispruch des ehemaligen Geliebten der 1982 getöteten Lolita durch das Landgericht Trier in der vorvergangenen Woche widmet die Zeit (Nadine Ahr) der Geschichte ein Dossier und erzählt "eine Geschichte von Recht und Gerechtigkeit".

Weitere Themen – Recht in der Welt

Völkerrecht und Erderwärmung: Mit der Frage, ob die Beauftragung des Internationalen Gerichtshofs durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen, ein Rechtsgutachten zur Frage der "Verantwortlichkeit der Staaten für die Folgen des Klimawandels" zu erstellen,  sinnvoll sei, befassen sich auf der Staat und Recht-Seite der FAZ Rechtsprofessor Andreas Zimmermann und wissenschaftliche Mitarbeiterin Jelena Bäumler.

Sonstiges

Forensische Psychiater: In einem Beitrag aus ihrem Berufs-Spezial über Psychiater stellt die Zeit (Olaf Tarmas) den forensischen Psychiater vor und seine Arbeit mit Straftätern sowie im Maßregelvollzug. Dabei sähe sich dieser oft einer negativen öffentlichen Meinung ausgesetzt.

Das Letzte zum Schluss

taz und Sarrazzin: Wie spiegel.de (Felix Beyer/Thorsten Dörting) meldet, prüft der Anwalt von Thilo Sarrazzin eine Klage gegen die taz, nachdem die Zeitung es abgelehnt hat, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Hintergrund: Die taz hatte auf ihrer Satire- und Humorseite über Sarrazzin geschrieben, er würde "inzwischen von Journalisten benutzt wie eine alte Hure (…)".

Geständnis-Taktik: Über die Folgen eines taktischen Geständnisses in der Berufungsinstanz für Entlastungszeugen aus der ersten Instanz, die nur durch eine besonnene Sitzungsvertreterin und Jugendrichterin abgewendet wurden, berichtet Werner Siebers auf dem Blog Strafprozesse und andere Ungereimtheiten.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in den Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dc

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. Juni 2012: Startschuss für Euro-Verfassungsklagen – Gribkowsky verurteilt – Aufregung um Beschneidung . In: Legal Tribune Online, 28.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6486/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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