Der Prozess zum Messerangriff von Solingen begann mit einem Geständnis des Angeklagten. Hessens Justizminister plädiert für eine grundlegende Neugestaltung von Strafprozessen. VG Karlsruhe will wieder über syrische Asylanträge entscheiden.
Thema des Tages
OLG Düsseldorf – Messermorde von Solingen: Der wegen dreifachen Mordes und mehrfachen Mordversuches auf dem Solinger Stadtfest angeklagte Syrer Issa al Hasan hat in einer von seiner Verteidigung verlesenen Erklärung die Tat eingeräumt und zugleich sein Bedauern und sein Verständnis für die Verhängung einer lebenslangen Haftstrafe ausgedrückt. Über sein Verhältnis zum IS wollte er sich hingegen nicht äußern. Gegenüber einem psychologischem Gutachter hatte al Hasan noch angegeben, durch einen unbekannten Chatpartner im Sinne des IS instrumentalisiert worden zu sein. Die Urteilsverkündung soll im September stattfinden. Über den ersten Verhandlungstag berichten u.a. SZ (Lena Kampf/Christian Wernicke), FAZ (Reiner Burger), zdf.de (Charlotte Greipl), beck-aktuell und zeit.de (Nina Monecke). LTO (Tanja Podolski) erinnert in ihrem vertieften Bericht auch an die der Tat im vergangenen August folgenden rechtsextremen Anfeindungen der Asyl-Anwältin des Angeklagten.
Rechtspolitik
Strafprozess: In einem Gastbeitrag für den Staat und Recht-Teil der FAZ fordert Christian Heinz (CDU), hessischer Minister der Justiz und für den Rechtsstaat, eine grundlegende Überarbeitung strafprozessualer Prinzipien. Wolle man gewandelten Bedürfnissen auch in Zeiten knapper öffentlicher Kassen entsprechen, müsse man auch "Grundsätze zur Disposition" stellen. Der Minister führt als Beispiel den Unmittelbarkeitsgrundsatz an, auf dessen Grundlage oftmals vollständige Akten verlesen werden müssen.
KI und Urheberrecht: Gleichfalls im Staat und Recht-Teil der FAZ meldet der nordrhein-westfälische Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) Reformbedarf beim Urheberrecht an. Angesichts der rasch fortschreitenden Möglichkeiten von KI-Tools müsse das Urheberrecht innovationsoffen gestaltet werden und gleichsam "die Interessen der Urheber" wahren.
Rente/Justiz: Der jüngst von Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) unterbreitete Vorschlag, Beamte, Abgeordnete und Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen, hätte auch für zahlreiche in der Justiz Tätige Auswirkungen. Maximilian Amos (beck-aktuell) sammelt – eher zurückhaltende – Stimmen und bemerkt, dass haushaltsentlastende Wirkungen kaum zu erwarten wären, da die unmittelbaren finanziellen Einbußen Betroffener durch Besoldungsanhebungen auszugleichen wären.
Verfassungskonnexität: Die neue Koalition hat sich im Koalitionsvertrag der Verfassungskonnexität verschrieben, nach der Umsetzungskosten der vom Bund verabschiedeten Gesetze grundsätzlich auch vom Bund getragen bzw. betroffene Länder und Gemeinden entsprechend entlastet werden sollen. Eine entsprechende grundgesetzliche Klarstellung – etwa nach dem Vorbild der nordrhein-westfälischen Landesverfassung – fände derzeit nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit, gleichwohl drängen die Länder auf konkrete Schritte zur Umsetzung der Idee, so die FAZ (Timo Steppat/Reiner Burger).
Einbürgerungen: An diesem Mittwoch will die Bundesregierung einen Gesetzentwurf beschließen, mit dem die von der Ampelkoalition eingeführten "Turbo-Einbürgerungen" wieder abgeschafft werden. Im Leitartikel verteidigt Reinhard Müller (FAZ) dies als "Rückkehr zur Normalität", die erforderlich geworden sei, weil "jahrelang eine globale Einladungspolitik betrieben" wurde. "Angesicht des weiterhin großen Migrationsproblems" müsse eine Einbürgerung wieder "am Ende eines Integrationsprozesses" stehen.
Mutterschutz/Fehlgeburten: Ab dem nächsten Monat haben Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, auch bei einem Abgang ab der 13. Schwangerschaftswoche einen Anspruch auf Krankschreibung. Die SZ (Karin Janker) schildert in einer Seite Drei-Reportage, wie Natascha Sagorski mit einer Petition diese Ende Januar verabschiedete Gesetzesänderung auf den Weg brachte.
Justiz
VG Karlsruhe zu Asylverfahren von Syrer:innen: Die aktuelle Lage in Syrien ist nicht mehr derart unübersichtlich, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Asylanträge zurückstellen kann. Dies entschied das Verwaltungsgericht Karlsruhe nach Klage eines syrischen Asylbewerbers, der vor seiner Bescheidung aber zunächst noch angehört werden muss. Dem BAMF stünden etliche Erkenntnismittel über die Lage im Land zur Verfügung, etwa auch der im eigenen Haus erstellte Länderreport, so das VG laut LTO. Ob die Entscheidung über den konkret entschiedenen Fall hinaus eine Präzedenzwirkung entfalte, bleibe abzuwarten.
BVerfG zu Dieselskandal/Thermofenster: Als unzulässig hat das Bundesverfassungsgericht eine von Mercedes-Benz erhobene Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu Schadensersatzansprüchen von Diesel-Käufern mit sogenannten Thermofenstern abgewiesen. Weil die zugrundeliegende BGH-Entscheidung im Juni 2023 die Sache lediglich zurückverwiesen hatte, fehle es bereits an der erforderlichen Beschwer. Darüber hinaus sei nicht hinreichend dargelegt worden, inwiefern die beanstandete Einrichtung eines BGH-Hilfssenats für Dieselklagen das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt habe. beck-aktuell berichtet.
OLG München zu unverpixeltem Sylt-Video: Das Oberlandesgericht München hat in der Berufung ein landgerichtliches Urteil bestätigt, nach dem das sogenannte Sylt-Video nicht unverpixelt verbreitet werden darf. Das LG München habe rechtsfehlerfrei erkannt, dass die identifizierende Darstellung der erfolgreichen Klägerin deren Persönlichkeitsrecht verletzt, so LTO über den Beschluss aus der vergangenen Woche.
OLG Frankfurt/M. - Folter in Syrien: Die Anklage hält den gegen den syrischen Arzt Alaa M. am Oberlandesgericht Frankfurt/M. erhobenen Vorwurf der Verbrechen gegen die Menschlichkeit für weitgehend erwiesen. Am 186. Verhandlungstag plädierte sie daher für eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Sein Urteil will das OLG am 16. Juni verkünden, so die FAZ (Eva Schläfer) in einer Zusammenfassung des Verfahrens.
OLG Frankfurt/M. zu Gerichtskosten: Der Generalbundesanwalt ist nicht für die Beitreibung von Gerichtskosten zuständig, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. im April per Beschluss, dies sei Aufgabe der Gerichtskasse. Konkret ging es um die Eintragung einer Zwangshypothek in Höhe von 180.000 Euro zur Durchsetzung der Gerichtskosten gegen den verurteilten rechtsextremistischen Mörder Stephan Ernst. Diese Hypothek müsse wegen des Verfahrensfehlers nun durch einen sogenannten Amtswiderspruch ergänzt werden. Das OLG ließ die Revision zum BGH zu, weil die Praxis bisher von einer Antragsbefugnis des Generalbundesanwalts ausgegangen war. LTO berichtet.
LAG Köln zu Kündigung eines Rechtsanwalts: In einem Ende April verkündeten Urteil entsprach das Landesarbeitsgericht Köln zwei Kündigungsschutzklagen eines Rechtsanwalts. Dessen beklagte Arbeitgeberin hätte ihm zunächst eine Änderungskündigung androhen und aussprechen müssen. Eine zudem ausgesprochene Kündigung aus wichtigem Grund wegen untersagter Konkurrenztätigkeit schied wegen fehlender tatsächlicher Voraussetzungen aus. beck-aktuell berichtet.
LG Hamburg zu Nutzungsausfallschaden: Das Landgericht Hamburg urteilte laut beck-aktuell in der vergangenen Woche, dass der unfallbedingte Ausfall eines Donkervoort-Roadsters im Wert von knapp 250.000 Euro jedenfalls dann nicht entschädigt werden muss, wenn dem Unfallgeschädigten auch andere Fahrzeuge zur Verfügung stehen. Der unterlegene Kläger muss sich daher auch mit der Nutzung seines BMW Z3 oder eines arbeitgeberseitig zur Verfügung gestellten 3er-BMW begnügen.
LG Berlin I – Vergewaltigung: Marvin S., dem am Landgericht Berlin I die Vergewaltigung einer von ihm unter Drogen gesetzten jungen Frau vorgeworfen wird, hat sich in einer schriftlichen Einlassung erstmals zu den Tatvorwürfen geäußert. In seiner Stellungnahme behauptete er, vom "sturzbetrunkenen" Zustand der Geschädigten nichts mitbekommen und mit ihr einvernehmlich Sex gehabt zu haben. Im Verfahren seien zwei weitere Verhandlungstage angesetzt, schreibt die taz (Patricia Hecht). Das Gericht habe zudem mitgeteilt, dass inzwischen zwei weitere Anklagen gegen S. erhoben wurden, weil auf beschlagnahmtem Videomaterial die Vergewaltigung von zwei weiteren betäubten Frauen zu sehen sei.
LG Ulm – Mord aus Mordlust: Wegen Mordes ist eine 25-jährige Frau am Landgericht Ulm angeklagt. Dass sie einen Mann erdrosselte und erstach, mit dem sie sich zu einem bezahlten Sex-Date verabredet hatte, dürfte angesichts der Beweislage unstreitig sein, so die SZ (Max Ferstl). Hinsichtlich der Schuldfähigkeit der Angeklagten bestünden jedoch Zweifel. Die Angeklagte wollte mit der Tat und weiteren Morden als Serienmörderin bekannt werden.
LG Hildesheim – Charles Smethurst: Am Landgericht Hildesheim ist der "Immobilien-Guru" Charles Smethurst wegen vielfachen Betruges angeklagt. Die Geschädigten des von ihm als Chef der German Property Group betriebenen Schneeballsystems sollen Verluste von rund eineinhalb Milliarden Euro erlitten haben. Nach der Anklageverlesung informierte das Gericht über eine erzielte Verständigung, nach der Smethurst eine Höchststrafe von sieben Jahren und drei Monaten zu erwarten habe. Über diese überraschende Entwicklung schreibt das Hbl (Volker Votsmeier) und legt zudem die schillernde Geschäftskarriere des Angeklagten dar.
LG Stuttgart zu Tötung eines Pflegekinds: Die SZ (Hans Holzhaider) erinnert in der Reihe "Akteneinsicht" an die 1999 erfolgte Verurteilung eines Ehepaars wegen Mordes und Misshandlung Schutzbefohlener zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Das Paar hatte neben eigenen Kindern Pflegekinder aufgenommen und diese im Zuge familiärer Probleme fortschreitend vernachlässigt, woraufhin ein fünfjähriger Junge verhungerte.
LG Lübeck zu Videoverhandlung: Die gerichtliche Ablehnung eines Antrags auf Durchführung einer Videoverhandlung ist nach § 128a Abs. 7 Satz 1 Zivilprozessordnung unanfechtbar. Eine Lübecker Anwältin versuchte es dennoch und bekam vom Landgericht Lübeck Mitte Mai persönlich die Gerichtskosten auferlegt. Es berichtet beck-aktuell.
AG Bernau zu Kokstaxis: Amtsrichter Thomas Melzer schreibt in seiner Zeit-Serie "Meine Urteile" über vier Verhandlungen gegen Fahrer sogenannter Kokstaxis. Trotz eines engagierten Polizei-Zeugen und einsichtiger Angeklagter scheine das Geschäft keinerlei Nachwuchssorgen zu haben.
GBA – Folter in Syrien: Wegen Folterungen im berüchtigten Al-Khatib-Gefängnis ist der Syrer Fahad A. in Pirmasens festgenommen worden. Der Generalbundesanwalt wirft dem früheren Gefängniswärter zudem Tötungen in mindestens 70 Fällen vor. Es berichtet tagesschau.de (Philip Raillon).
Recht in der Welt
EU/Ungarn: Bei seinem ersten Auftritt im EU-Ministerrat brachte der neue Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Gunther Krichbaum (CDU), einen Stimmrechtsentzug zulasten Ungarns ins Gespräch. Die deutliche Kritik an rechtsstaats- und unionsrechtswidrigen Akten in Ungarn entspreche der neuen Regierungslinie, schreibt die FAZ (Thomas Gutschker). Einer niederländischen Erklärung mit Kritik am Umgang mit sexuellen Minderheiten in Ungarn hätten sich bislang 20 Mitgliedstaaten angeschlossen. Dies könnte neuen Schwung in das bereits seit 2018 laufende Rechtsstaatsverfahren bringen.
Israel - Krieg in Gaza: Nachdem Kanzler Friedrich Merz (CDU) erstmals von Völkerrechtsbrüchen Israels in Gaza sprach, analysiert Rechtsprofessor Christoph Safferling im Interview mit spiegel.de (Fancesco Collini), welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden könnten. Zum einen sehe nun wohl auch Merz ein, dass der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nicht ignoriert werden kann. Zum anderen müsse Deutschland bei weiteren Waffenlieferungen nach Israel über vertragliche Zusicherungen sicherstellen, dass diese Waffen nicht zu Völkerrechtsbrüchen benutzt werden.
IStGH/Israel – Verhalten Deutschlands: Ronen Steinke (SZ) kritisiert die Idee, dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu für einen Besuch in Deutschland freies Geleit zuzusagen, als "orbanesk". Auch wenn sich über die "juristische Qualität" des vom Internationalen Strafgerichtshof erlassenen Haftbefehls und insbesondere dessen Zuständigkeit streiten lasse, stehe die rechtliche Verpflichtung Deutschlands außer Frage. Wer dies ignoriere, "möge von der ‘regelbasierten Ordnung’ für immer schweigen."
Frankreich – Missbrauchsarzt Joel Le Scouarnec: Der französische Strafprozess gegen den Arzt Joel Le Scouarnec steht vor dem Abschluss. Wie schon während des Verfahrens entschuldigte sich der Mediziner in seinem letztzten Wort bei allen Geschädigten und bestätigte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Die SZ (Oliver Meiler) berichtet.
USA – Abschiebung von Kilmar Abrego Garcia: Die Zeit (Amrai Coen) rekonstruiert den Fall Kilmar Abrego Garcias, der in den USA ohne Gerichtsverfahren als vermeintliches Gang-Mitglied in seine salvadorianische Heimat abgeschoben wurde. Für den US-Präsidenten und seine Administration dürfte der Fall mittlerweile "ein Gradmesser" sein, inwiefern exekutive Entscheidungen einer gerichtlichen Prüfung unterliegen.
Sonstiges
Grillen: Der ab der kommenden Woche als ARD-Radioreport Recht laufende SWR-RadioReportRecht (Klaus Hempel) befasst sich in der letzten Sendung unter altem Namen mit mietrechtlichen Aspekten des heimischen Grillens und erläutert zudem auch den soeben ergangenen Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg, durch den ein gegen das vorwiegende vegetarische Schulessenangebot gerichteter Antrag verworfen wurde.
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Am Freitag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
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Die juristische Presseschau vom 28. Mai 2025: . In: Legal Tribune Online, 28.05.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57298 (abgerufen am: 18.06.2025 )
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