Die Kritik an der Entscheidung des OLG München, die Presseplätze im NSU-Verfahren im "Windhundverfahren" zu verteilen, bleibt heftig. Die bayerische Justizministerin erinnert an die Unabhängigkeit der Gerichte und will das GVG klarstellen. Außerdem in der Presseschau: Stiller Karfreitag, Korruption beim Sponsoring und millionenteurer Wein.
Platzvergabe im NSU-Prozess: Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München zur Akkreditierung von Journalisten im NSU-Prozess sieht sich weiterhin teilweiser heftiger Kritik ausgesetzt.
Die Entscheidung sei "so peinlich wie dumpf", kommentiert Rüdiger Scheidges (Handelsblatt). Niemand in der "sturen" bayerischen Justiz habe die internationale Dimension des Verfahrens erkannt. Celal Özcan (taz), Chefredakteur der Europa-Ausgabe der türkischen Tageszeitung Hürriyet, bezweifelt in einem Gastkommentar die Transparenz des Auswahlverfahrens und fragt, was passiert wäre, wenn deutsche Pressevertreter 2007 nicht zum Verfahren gegen den des sexuellen Missbrauchs angeklagten Marco W. zugelassen worden wären. In der FAZ (Helene Bubrowski) nehmen prominente Strafrechtler zu der Frage Stellung, ob eine gerichtsinterne Übertragung des Prozessgeschehens nach den Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes zulässig wäre. Rechtsprofessor Claus Roxin bejaht dies: Dies sei "eine Vergrößerung des Gerichtssaales mit den Mitteln der Technik" und so "als ob man eine Schiebetür zu einem anderen Zimmer öffnet." Rechtsprofessor Christian von Coelln hält ein derartiges Vorgehen dagegen für rechtswidrig. Auch das Grundrecht der Pressefreiheit eröffne keinen Anspruch auf eine Übertragung.
Die SZ (Heribert Prantl) interviewt die bayerische Justizministerin Merk (CSU). Sie konzediert, dass es ein "vehementes öffentliches Informationsinteresse" gerade türkischer Medien gebe und äußert Verständnis dafür, dass diese Frage zu großen Diskussionen führe. Das OLG München habe sich jedoch "in aller Unabhängigkeit" für die jetzige Lösung, für die es "gute Gründe" gebe, entschieden. Der Ansicht, dass nach dem GVG zwar öffentliche, nicht jedoch gerichtsinterne Übertragungen verboten seien, hält sie entgegen, dass eine "gewichtige Meinung, vielleicht die herrschende" dies anders sehe. Die Ministerin sieht an diesem Punkt jedoch rechtspolitischen Handlungsbedarf. Die Zulässigkeit derartiger Videoübertragungen müsse "eindeutig und unmissverständlich geregelt werden."
Auf lto.de entwirft Rechtsanwalt Martin W. Huff mögliche Alternativen zum gewählten "Windhundverfahren" und konstatiert, dass ein beim Bundesverfassungsgericht zu stellender Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, sich einen Platz im Saal zu erzwingen, "gute" Chancen hätte.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Europäisches Asylrecht: Die jahrelange Arbeit der EU an einem neuen europäischen Asylrecht steht einem Bericht der FAZ (Nikolas Busse) zufolge vor dem Abschluss. Der zwischen der Kommission, dem Ministerrat und dem europäischen Parlament erzielte Kompromiss sehe u.a. einen verstärkten Schutz für unbegleitete Minderjährige sowie die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Asylverfahren grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten zu bearbeiten, vor. Gleichzeitig werde den Polizeibehörden unter bestimmten Voraussetzungen der Zugriff auf die europäische Fingerabdruckdatei für Asylbewerber gestattet. Die Innenkommissarin Malmström wird mit den Worten zitiert, Asylverfahren würden künftig "fairer, schneller und besser" entschieden.
Stiller Karfreitag: Der morgige Karfreitag gilt nach den Feiertagsgesetzen der Länder als so genannter stiller Feiertag. Veranstaltungen im öffentlichen Raum sind besonderen Einschränkungen unterworfen. Die taz (Anja Krüger) informiert über Beispiele und Versuche von atheistischen Verbänden, die geltende Rechtslage zu ändern. Eine Bochumer Initiative etwa scheiterte mit ihrem Plan, morgen "Das Leben des Brian" öffentlich zu zeigen.
Pascal Beucker (taz) sieht in seinem "Ora et salta" überschriebenen Kommentar durch die Regelungen das weltanschaulich neutrale Selbstverständnis des Staates verletzt. Bei allen länderspezifischen Unterschieden sei den Karfreitagsregelungen gleich, dass sie die persönliche Freiheit von Andersgläubigen oder nicht religiösen Menschen "massiv" einschränke.
Datenschutzbericht: Im gestern vorgestellten Jahresbericht des Berliner Datenschutzbeauftragten Dix wird die Häufigkeit von Funkzellenabfragen kritisiert. Die taz-Berlin (Sebastian Heiser) berichtet, dass die Strafverfolgungsbehörden eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der Maßnahme ebenso wie eine Benachrichtigung der Betroffenen regelmäßig unterließen. In einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft sei die gesetzliche Vorgabe, die Abfrage als Ultima Ratio einzusetzen, als "praxisfern" bezeichnet worden.https://netzpolitik.org/2013/berliner-datenschutz-beauftragter-fordert-starke-eu-datenschutzverordnung-mit-mehr-nutzereinwilligung-und-klaren-regeln/
Benjamin Bergemann (netzpolitik.org) referiert Vorschläge des Datenschutzbeauftragten zur Verbesserung zur EU-Datenschutzverordnung. Diese seien "praxisnah", "sehr lesenswert" und widersprächen der "Mär vom alternativlosen Ende des Grundrechts auf Datenschutz."
Effiziente Justiz: Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und Justizkommissarin Viviane Reding legte erstmalig ein sogenanntes Justizbarometer, eine vergleichende Übersicht über die Effizienz der Rechtsprechung in Handels-, Verwaltungs- und Justizfragen, vor, berichtet die SZ (Javier Caceres) in ihrem Wirtschaftsteil. Nach ihrer Darstellung ließe sich ein Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Schwierigkeiten "bestimmter Länder" und der mangelhaften Effizienz ihrer Rechtssysteme erkennen. Die Bundesrepublik zähle dabei nicht zu ihren "Sorgenkindern". Eine Ausweitung der Studie, etwa durch Einbeziehung der Strafjustiz, sei denkbar.
Weitere Themen - Justiz
BAG zum kirchlichen Arbeitsrecht: Die FAZ (Reinhard Bingener) stellt die nun veröffentlichten Gründe eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom vergangenen November vor. Das Gericht hatte entschieden, dass Kirchen in ihren Einrichtungen Streiks unter bestimmten Voraussetzungen ausschließen können. Die konkrete Ausgestaltung des so genannten Dritten Weges, nachdem Tarife in einer paritätisch besetzten arbeitsrechtlichen Kommission ausgehandelt werden müssen, sei weiterhin offen.
Nds. OVG zu Disziplinarmaßnahme: Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Aberkennung des Ruhegehalts eines Hauptkommissars der Bundespolizei, der etwa 400 Kinderpornos auf seinem Privat-Rechner gespeichert hatte, rechtmäßig erfolgte. Dies meldet lto.de.
LG Stuttgart – Bestechung durch Fußballsponsoring: Das Landgericht Stuttgart hat die Eröffnung des Hauptverfahrens um zweifelhafte Sponsorenverträge zugunsten des Bundesligaklubs VfL Wolfsburg beschlossen, berichtet die SZ (Klaus Ott) in ihrem Wirtschaftsteil. Angeklagt wegen Bestechung und Bestechlichkeit sind zwei Führungskräfte von VW sowie ehemalige Mitarbeiter einer Telekom-Tochter. Diese Firma soll zu einem Sponsorenvertrag zugunsten des VW-Werksklubs gedrängt worden sein, indem der Autobauer ein Ende seiner geschäftlichen Beziehungen angedroht habe. Das Verfahren behandle die "Grundsatzfrage", inwieweit Sport und Wirtschaft miteinander verquickt werden dürfen.
Stuttgart 21-Anklage: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat Anklage gegen zwei Polizisten wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt erhoben. Dies berichtet lto.de. Im Rahmen der Proteste gegen den geplanten Großbahnhof in Stuttgart im Herbst 2010 hätten die Beamten Kollegen nicht davon abgehalten, entgegen einer dienstlichen Anweisung den Strahl eines Wasserwerfers auf Demonstranten zu richten.
Mollath-Interview: In ihrem Bayern-Teil führt die SZ (Olaf Przybilla) ein Telefon-Interview mit dem nach wie vor in der geschlossenen Psychiatrie einsitzenden Gustl Mollath. Er schildert seinen bedrückenden Alltag und meint, dass sein Gerichtsurteil wie ein "Gebetbuch" seine Einweisung vorgezeichnet habe. Die Staatsanwaltschaft hätte entscheidende Bestandteile seiner Einlassung ausgeblendet, dies beweise, dass das Rechtssystem in seinem Fall versagt habe.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Frankreich – Brustimplantate: Ein Gericht in Marseille hat einem Bericht der taz (Rudolf Balmer) zufolge entschieden, dass eine präventive Entfernung von mit Industriesilikon gefüllten Brustimplantaten nicht zwingend notwendig gewesen ist. Frauen, die den Eingriff aus Angst um potentielle Gesundheitsschädigungen vornahmen, blieben demnach auf den Kosten sitzen. Der die Interessen von 2.800 Betroffenen vertretende Rechtsanwalt habe Berufung eingelegt.
ICTY-Urteil: Das Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien hat einer Meldung von spiegel.de zufolge den früheren Innenminister der bosnischen Serben und eine Untergebenen zu jeweils 22 Jahren Haft wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.
Großbritannien – Hassprediger: Ein Gericht in London hat einen Abschiebestopp gegenüber einem jordanischen sogenannten Hassprediger mit der Begründung verfügt, dass ihm in seiner Heimat ein rechtsstaatlich unzureichendes Verfahren drohe, meldet die FAZ (Jochen Buchsteiner). Die Abschiebung habe die britische Innenministerin beantragt.
USA – Abtreibungsgesetz: FR.de meldet, dass im US-Bundesstaat North Dakota das strengste Abtreibungsgesetz des Landes erlassen wurde. Es verbiete einen Eingriff, sobald der Herzschlag des Fötus gehört werden könne, also rund sechs Wochen nach der Empfängnis. Ausnahmen, etwa in Vergewaltigungsfällen, seien nicht vorgesehen. Der Gouverneur des Bundesstaates hoffe dem Vernehmen nach, in einem zu erwartenden Verfahren vor dem Supreme Court der USA das 1973 höchstrichterlich etablierte Recht auf Abtreibung zu Fall bringen zu bringen.
Sonstiges
Ermittlungs-Outsourcing: Rechtsprofessor Hans Theile nimmt in einem Gespräch mit lto.de (Claudia Kornmeier) zum Problem der staatsanwaltschaftlichen Verwendung privater Gutachten Stellung. Die Ende Februar von der Leipziger Staatsanwaltschaft erhobene Anklage gegen ehemalige Vorstände der mittlerweile abgewickelten SachsenLB stützte sich dem Vernehmen nach auf ein Gutachten von Partnern einer Großkanzlei. Der Anklagebehörde stehe es grundsätzlich frei, sich externen Sachverstandes zu bedienen. Die Vorabklärung von Rechtsfragen durch einen Anwalt sei jedoch "problematisch", weil die diesbezügliche Kompetenz zumindest in Wirtschaftsabteilungen der Staatsanwaltschaft ohnehin vorhanden sein sollte. Grundsätzlich sei seit einigen Jahren das Phänomen verstärkter Kooperation von staatlichen und privaten Ermittlern aus Anwaltskanzleien zu beobachten. Der rechtswissenschaftliche Diskurs über diese "ganz tiefsitzende Strukturverschiebung", praktiziert etwa im Rahmen der Ermittlungen um Korruptionsvorwürfe bei Siemens, befinde sich derzeit noch im Fluss. Das "Nebeneinander" unterschiedlicher Ermittlungen berge u.a. die Gefahr einer massiven Entwertung des Schweigerechts im Strafprozess.
Korruption: Die SZ (Roman Deininger/Max Hägler) bringt ein längeres Gespräch mit der ehemaligen Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt und Ex-FBI-Chef Louis Freeh zum Thema Korruption im Geschäftsverkehr. Nach der vom US-Justizministerium gegen Daimler verhängten Millionenstrafe wegen Schmiergeldzahlungen wurden beide für den Auto-Konzern tätig, Hohmann-Dennhardt als Vorstandsmitglied, Freeh als externer Monitor. Sie bescheinigen dem Autobauer einen "Kulturwandel" hin zu Regelkomformität auch in Hochrisikoländern und betonen, dass die sogenannte Compliance auch ökonomisch nützlich sei. Nach Hohmann-Dennhardt bedeutet Bestechung, dass Unternehmen wie Menschen sich das Recht kaufen müssten. Wer nichts hätte, würde zum Verlierer. "Das zerstört Gesellschaften."
Das Letzte zum Schluss
Teurer Wein: Eine Gerichtsposse der teuren Art schildert das Handelsblatt aus New York. Der Milliardär und Weinsammler William Koch ersteigerte bei einer Auktion vor mehreren Jahren 36 Flaschen Wein zu einem Preis von 500.000 Dollar. Die Flaschen erwiesen sich jedoch nicht - wie angepriesen – als aus napoleonischer Zeit stammend. Trotz Händler-Angebot, den Schaden zu ersetzen, zog Koch vor Gericht. Dort werde immer noch verhandelt, während sich die Anwalts- und Gerichtskosten mittlerweile auf 14 Millionen Dollar summiert hätten. Dem Milliardär gehe es nach Worten seiner Anwälte um die "Integrität des Marktes für auserlesene Weine".
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. März 2013: Platzvergabe in der Kritik - Stiller Karfreitag - Kriminelles Sponsoring . In: Legal Tribune Online, 28.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8429/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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