Kein Bundespräsident mehr, dafür aber auch nicht verurteilt. Christian Wulff hat sich nicht strafbar gemacht. Außerdem in der Presseschau: Nachlese zum Drei-Prozent-Klausel-Urteil des BVerfG, das BVerwG bestätigt Streikverbot für Lehrer und will doch eine Änderung, Breuer will zahlen, Homosexualität und Recht in den USA und Regeln für Narren und Närrinnen.
Thema des Tages
Christian Wulff: Das Landgericht Hannover hat den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) vom Vorwurf der Vorteilsannahme freigesprochen. Auch sein mitangeklagter Freund, der Filmproduzent David Groenewold hat sich nicht wegen Vorteilsgewährung strafbar gemacht, wegen einer falschen eidesstattlichen Versicherung wurde er aber verwarnt. Es berichten die SZ (Marc Widmann), Robert von Lucius (FAZ), taz (Teresa Havlicek) und Welt (Ulrich Exner). Um einer noch möglichen Revision keine Gründe zu liefern, habe das Gericht vor der Urteilsverkündung erneut die Beweisaufnahme eröffnet, hierbei die Äußerungen der Staatsanwaltschaft aus dem Plädoyer beraten und schließlich verworfen. Der Vorsitzende Richter Frank Rosenow habe zur Begründung ausgeführt, dass die Beweiskette der Staatsanwaltschaft keinesfalls ausreichend gewesen sei, es wäre zudem auch nicht glaubhaft, dass sich ein Ministerpräsident "Peanuts" kaufen und sich "so dilettantisch" habe korrumpieren lasse.
Dass Wulff zudem eine Entschädigung für die durch die Durchsuchung seines Hauses erlittenen Belastungen zugesprochen bekam, greift die SZ (Annette Ramelsberger) am Beginn einer Seite Drei-Reportage zu Urteil und Verfahren auf. "Normalerweise bekommt man Entschädigung vom Staat, wenn die Tür zu Bruch geht bei der Durchsuchung oder das Sofa aufgeschlitzt wird." Obwohl die gesamte Affäre die Ehre Wulffs beschädigt habe, sei es ihm gelungen, sich während des Prozesses als verhindertes Staatsoberhaupt zu inszenieren. Diese Taktik habe auch beim Richter verfangen, der Wulff nach kurzer Zeit "wie eine Respektsperson, der man nicht zu nahe treten will" behandelt habe. Dabei gerieten Ungereimtheiten über selektive Erinnerungen vieler Zeugen schnell in Vergessenheit. Seine "schwierigsten Stunden" habe der Freigesprochene dagegen im Parallelprozess seines früheren Sprechers Olaf Glaeseker erlebt.
Ralf Wiegand (SZ) bedauert in seinem Kommentar, dass es dem Urteil nicht gelungen sei "eine Grenzziehung zwischen erlaubtem Netzwerken und unerlaubtem Gemauschel" zu vollziehen. In seiner Verfahrenszusammenfassung äußert Rechtsanwalt Sascha Böttner (strafrecht-bundesweit.de) den Wunsch nach nichtöffentlichen Vorermittlungen in Korruptionsfällen von Prominenten. Wenn – wie hier – ein Freispruch zu erwarten sei, bedeute doch häufig die Öffentlichkeit von Ermittlungen eine nachhaltige Rufschädigung.
Rechtspolitik
Freihandelsabkommen: Ein der FAZ (Henrike Roßbach) vorliegender Vermerk an Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) referiert schwerwiegende Bedenken gegen den Abschluss eines europäisch-amerikanischen Freihandels- und Investitionsabkommens. In dem Papier würden vor allem höhere EU-Standards beim Umwelt- und Verbraucherschutz, die Zulassung von Chemikalien, Pflanzenschutzmitteln und Nahrungszusätzen sowie die Vereinbarung von Schiedsklauseln genannt. Das Papier solle der Positionierung des Ministeriums gegenüber dem federführenden Wirtschaftsministerium unter der Leitung von Sigmar Gabriel (SPD) dienen.
Public-Viewing: Die taz-Berlin (Sascha Frischmuth) berichtet über Pläne des Bundesumweltministeriums, eine Public-Viewing-Ordnung erlassen zu wollen. Weil die Spiele der kommenden Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland zum Teil spätabends stattfinden, müssten Bestimmungen zum nächtlichen Lärmschutz ausgesetzt werden.
Justiz
EuGH zu Asylbewerbern: Asylbewerbern muss ab Antragstellung eine Unterkunft oder zumindest staatliche finanzielle Unterstützung für die Anmietung einer Wohnung gewährt werden, entschied der Europäische Gerichtshof nach einer Meldung von FR-Online.
BVerfG zu Drei-Prozent-Klausel: Das Urteil des Bundesverfassungsgericht zur Drei-Prozent-Klausel bei der anstehenden Europawahl und die diesbezüglichen Reaktionen analysieren Rechtsprofessorin Sophie-Charlotte Lenski (verfassungsblog.de) und der Rechtswissenschaftler Niels Petersen (juwiss.de). Die FAZ (Thomas Thiel) befragt den Soziologen Ulrich Beck zur Legitimation des Gerichts, einem möglichen Motiv für das Urteil, seinen Auswirkungen auf die politische Landschaft in Deutschland und Europa und dem von ihm initiierten Aufruf von Künstlern und Intellektuellen, "Wählt Europa!".
BVerfG – NPD-Verbot: Die Welt (Thorsten Jungholt und andere) schreibt über die Auswirkungen des Wahlurteils des Bundesverfassungsgerichts für das ebenfalls beim Gericht anhängige NPD-Verbotsverfahren. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner sähen als Konsequenz aus dem Urteil Bundestag und Bundesregierung in der Pflicht, sich dem Verbotsantrag anzuschließen.
BVerwG zum Streikverbot: Beamtete Lehrer dürfen weiterhin nicht streiken, entschied das Bundesverwaltungsgericht und bestätigte damit eine Disziplinarstrafe gegen eine Lehrerin, die sich an Warnstreiks beteiligt hatte. Nach Ansicht des Gerichts sei das Streikverbot ein wesentlicher Bestandteil des Beamtenrechts, schreibt die SZ (ojo/jan/de) und erläutert den hinter dem entschieden Fall stehenden größeren Konflikt. Vor fünf Jahren habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Einschränkungen des Streikrechts nur für solche Berufsgruppen als zulässig erklärt, die dem staatlichen Kernbereich, d.h. den Streitkräften, der Polizei oder der Staatsverwaltung angehörten. In diesem, vom Bundesverwaltungsgericht bemerkten Widerspruch zwischen deutschem Recht und Europäischer Menschenrechtskonvention erkennt Christian Rolfs (blog.beck.de) einen Auftrag an den Gesetzgeber, das Streikrecht im Sinne der verfassungsrechtlich gebotenen Fortentwicklung des Beamtenrechts zu regeln.
Wolfgang Janisch (SZ) hält dies für eine "kluge Entscheidung." Denn zu einer derart "grundstürzenden Änderung" sei nur ein Parlament berufen. Lehrer müssten dabei nicht zwangsläufig gewinnen, das Streikrecht "müsste durch Einbußen bei der Bezahlung erkauft werden."FAZ (Reinhard Müller) und taz (Christian Rath) berichten ebenfalls.
OLG München – NSU-Prozess: SZ (Tanjev Schultz) und spiegel.de berichten über den Zeugenauftritt von Mandy S. im Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Münchner Oberlandesgericht. Die Friseurin habe die Übergabe einer Krankenkassenkarte an die Angeklagte kurz nach deren Untertauchen im Jahr 1998 bestätigt, weitere Kontakte zu dem NSU-Trio aber bestritten.
LG München zu GEMA vs. Youtube: Rechtsanwalt Ralf Kitzberger erklärt für lto.de den Hintergrund des bereits länger zwischen der Verwertungsgesellschaft GEMA und dem Videoportal Youtube andauernden Rechtsstreits und die jüngste diesbezügliche Entscheidung des Landgerichts München I. Dass das Gericht die bislang von Youtube verwendeten Sperrtafeln für rechtswidrig befand, hält der Autor für richtig, weil durch sie der Eindruck vermittelt worden sei, dass Videos wegen unterbliebener Rechteeinräumung nicht zu sehen waren.
VG Berlin zu Ferienwohnungen: Nach einem Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Berlin ist die gewerbliche Vermietung von Wohnungen an wechselnde Feriengäste zumindest in einem reinen Wohngebiet nicht zulässig. Dies meldet die FAZ (Mechthild Küpper).
Deutsche Bank ./. Kirch: Im Nachgang des millionenschweren Vergleichs zwischen der Deutschen Bank und den Erben Leo Kirchs ist der frühere Chef des Geldhauses, Rolf-Ernst Breuer, offenbar bereit, sich mit einem Teil seines Privatvermögens an den Kosten seines früheren Arbeitgebers zu beteiligen. Breuer wolle drei Millionen Euro zurückzahlen, schreiben FAZ (Joachim Jahn/Markus Frühauf) und Handelsblatt (Laura de la Motte/Peter Köhler, Zusammenfassung), die Einigung müsste aber von den Aktionären der Bank bestätigt werden.
Recht in der Welt
Österreich – Justizminister: Als Strafverteidiger hat der österreichische Justizminister Wolfgang Brandstetter den früheren Schwiegersohn des kasachischen Diktators Nasarbajew vertreten, als der in Österreich lebte. Die Verbindung ist nun in das Visier der Wiener Staatsanwaltschaft geraten. Wie die SZ (C. Kahlweit/B. Obermayer/K. Ott) schreibt, ersucht die Anklagebehörde um Rechtshilfe in Liechtenstein. Dort solle der Minister als "eine Art Aufseher" für eine der Geldwäsche verdächtige Stiftung des früheren Schwiegersohns tätig gewesen sein.
Spanien – Rückzahlung: Spanische Regionalregierungen müssen nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs etwa 13 Milliarden Euro zurückzahlen, weil sie jahrelang zu Unrecht indirekte Steuern auf Mineralöle erhoben haben. Zu der praktischen Umsetzung der Rückzahlung an betroffene Verbraucher und Unternehmen habe sich das Gericht nicht geäußert, schreibt die SZ (Javier Caceres).
USA – Homosexualität: Ein Gericht in Texas/USA hat ein in der Verfassung normiertes Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe für unvereinbar mit dem Bundesrecht erklärt. Im Bundesstaat Arizona hat derweil die Gouverneurin bekanntgegeben, ein Gesetz, dass Geschäftsleuten erlaubt hätte, unter Verweis auf religiöse Überzeugungen Kunden abweisen zu können, nicht in Kraft setzen zu wollen. Die FAZ (Andreas Ross) berichtet und prognostiziert, dass die zahlreichen Gesetzes- und Verfassungsvorhaben auf lokaler Ebene letztlich das Oberste Gericht des Landes zur Beantwortung der Frage zwingen würde, ob die Bundesstaaten das Recht hätten, die Ehe zu definieren. Auch die taz (Bernd Pickert) berichtet über Urteil und Gesetz.
Das vorläufig gescheiterte Gesetz in Arizona, nach allgemeiner Ansicht darauf angelegt, die Diskriminierung von Homosexuellen aus religiösen Gründen zu erlauben, kommentiert Nicolas Richter (SZ) als Teil eines kulturellen Konfliktes, den die christliche Rechte immer deutlicher zu verlieren scheine. Dies würde jener Teil der Republikanischen Partei, der kein Interesse "an Ideologie" habe, auch erkennen.
USA – Überwachung: Die US-amerikanische Regierung hat bei einem Fisa-Gericht, einem geheim arbeitenden Spruchkörper zur Überwachung der Auslandsgeheimdienste, beantragt, Telefondaten von Staatsbürgern über die fünfjährige Speicherfrist hinaus aufzuheben. Die Daten seien nach diesem Antrag Beweismittel in mehreren von Bürgerrechtlern angestrengten Verfahren gegen Überwachungsprogramme der NSA, schreibt die FAZ (Andreas Ross) unter Bezug auf einen Bericht des Wall Street Journals.
Südafrika – Pistorius: Einen ausführlichen Vorbericht zu dem am Montag in Pretoria/Südafrika beginnenden Mordprozess gegen liefert die taz (Martina Schwikowski).
Sonstiges
Steuerhinterziehung: In einem Gastbeitrag dokumentiert die FAZ einen Vortrag von Elisabeth von Dorrien, Leiterin der Steuerstrafsachenstelle im Finanzamt Koblenz, zu rechtsphilosophischen Aspekten der Steuerhinterziehung. Deren über prominente Beispiele hinaus weitverbreitete Praxis gefährde die Akzeptanz von Recht auch in anderen Bereichen, andererseits entspreche es ökonomischen Denken, legal bestehende Schlupflöcher zu nutzen.
Das Letzte zum Schluss
Karneval: Alle Jahre wieder: Das Rheinland feiert sich und den Karneval. Das auch in der fünften Jahreszeit nicht sämtliche Regeln außer Kraft gesetzt sind, belegt diese Urteilszusammenstellung von Detleff Burhoff (strafrecht.jurion.de). Besondere Beachtung dürfte der Hinweis verdienen, dass Weiberfastnacht, Rosenmontag und Karnevalsdienstag keine gesetzlichen Feiertage sind. Auch die Welt (Berrit Gräber) erinnert daran, dass der Spaß manchmal aufhört und lässt für diese These mehrere Experten zu Wort kommen. So sei weder "wildes Pieseln" noch sexuelle Nötigung erlaubt. Dafür aber Autofahren mit Maske, so sie denn eine freie Sicht ermöglicht.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. Februar 2014: Wulff freigesprochen – BVerwG zum Streikrecht – Breuer beteiligt sich . In: Legal Tribune Online, 28.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11190/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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