Die juristische Presseschau vom 28. Februar 2012: Beg­renzte Par­la­ments­rechte – Bedrohte Staats­an­walt­schaft – Beweis­mittel Face­book

28.02.2012

Einen Tag nach der Verabschiedung des zweiten Rettungsschirms für Griechenland entscheidet das Bundesverfassungsgericht über den sogenannten Neuner-Ausschuss und die Haushaltsrechte des Parlaments. Ermittlern in der Causa Wulff sind Morddrohungen zugegangen, dazu Parteienfinanzierung, Anti-Folter-Konvention und wie man als Jurastudent heutzutage Drittmittel einwirbt.

Begrenzte Parlamentsrechte: In einem Vorabbericht zur heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stellt die SZ (Wolfgang Janisch) die Klage gegen den Neuner-Ausschuss noch einmal vor. Es geht darum, ob ein neunköpfiges Gremium des Bundestages eine ausreichende Legitimation für weitreichende finanzpolitische Maßnahmen hat und inwieweit Kompetenzen des Bundestages im Rahmen der Eurokrise eingeschränkt werden können. In seiner einstweiligen Verfügung im letzten Herbst, mit der die Arbeit des Neuner-Ausschusses vorläufig ausgesetzt wurde, habe das Gericht gewisse Sympathien für die Geheimhaltung wichtiger finanzpolitischer Maßnahmen erkennen lassen.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Vorratsdatenspeicherung: Konstantin von Notz (FTD), Bundestagsabgeordneter von Bündnis90/Die Grünen hält in einem Kommentar die pauschale Vorratsdatenspeicherung keineswegs für unverzichtbar. Die anlasslose verpflichtende Massenspeicherung von Verkehrsdaten der Telekommunikation stelle eine Abkehr vom zentralen Datenschutzgrundsatz der Zweckbindung dar. Ermittler hätten heute mehr technische Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung als je zuvor.

Anti-Folter-Komitee: In einem Interview mit der taz (Christian Rath) spricht die Juristin Daniela Cernko, die in Freiburg über die Wirkungsweise der Anti-Folter-Konvention promoviert, über die Arbeit des Anti-Folter-Komitees des Europarates. Neben konkreten Erfolgen wie die Abschaffung der Praxis, Häftlinge den Aufenthalt im Freien zu untersagen, werde durch den fachlichen Dialog mit den Institutionen vor Ort auch das Unrechtsbewusstsein geschärft.

Gestärkte Kinderrechte: handelsblatt.com weist kurz darauf hin, dass Familienministerin Schröder heute das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet. Damit hätten Kinder die Möglichkeit, ihre Rechte direkt bei der UN einzuklagen. Unklar sei allerdings, wie viele Staaten das Zusatzprotokoll ratifizierten.

Weitere Themen – Justiz

Eheverträge nachträglich modifizierbar: Auch ein lebenslanges Unterhaltsrecht, das in einem Ehevertrag vereinbart wurde, ist nachträglich modifizierbar. Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs stellt die FAZ (Reinhard Müller) auf ihrer Titelseite vor. Ein Unterhaltspflichtiger könne eine Modifikation verlangen, das seit 2008 geänderte Unterhaltsrecht könne zu einer "Störung der Geschäftsgrundlage" führen.

Wie lto.de weiß, strebe der Kläger eine Befristung der Zahlungspflicht an. Dies sei möglich, wenn der Anspruch "unbillig" geworden sei.

Verfassungsklage der Piraten: Die Piratenpartei hat gegen Regelungen der Parteienfinanzierung Verfassungsklage in Karlsruhe eingereicht. Das berichtet die taz (Christian Rath). Insbesondere wende sich die Klage gegen die Neuregelung der "absoluten Obergrenze". Eine Partei könne nicht mehr Staatsgelder erhalten als sie Spenden von privater Seite erhalten. Nach dem neuen Parteienfinanzierungsgesetz verfielen entsprechende Gelder nicht mehr, sondern würden auf andere Parteien verteilt. Es könne nicht sein, dass eine Stimme für die Piraten anderen Parteien finanziell zugute komme, wird Bernd Schlömer, Mitglied im Bundesvorstand der Piraten, zitiert.

BVerfG zum TKG: Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur teilweisen Verfassungswidrigkeit der Weitergabe von Telekommunikationsdaten durch Behörden und der damit notwendig gewordenen Modifizierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) befasst sich Richter am Oberlandesgericht Bamberg, Wolfgang Bär (lto.de). Bär sieht angesichts der Bestätigung der Regelungen der §§ 111 und 112 TKG nur geringfügigen Bedarf bei der Feinjustierung bestimmter Formulierungen und hält die Frist bis 2013 für den Gesetzgeber für völlig ausreichend.

Morddrohung gegen Wulff-Ermittler: focus.de (Fabian Mader) informiert über Morddrohungen gegen die Staatsanwaltschaft Hannover, die den Vorwurf der Vorteilsnahme gegen Christian Wulff untersucht. Die Ermittlungsbehörde sei äußerst ungehalten über einen entsprechenden Agenturbericht, da sie Nachahmungstäter befürchte. Im übrigen seien sowohl positive als auch negative Mails zur Ermittlungstätigkeit gegen Wulff eingegangen.

bild.de schreibt von "Hasspost" und "Fanpost", meint, die Ermittlungen nähmen mindestens noch sechs Monate in Anspruch und stellt den Leiter der Ermittlungen, Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer kurz vor.

Zweiter Strafsenat BGH: Auf den Kommentar der Fachanwältin für Strafrecht Andrea Groß-Bölting zur Anhörung einiger Richter des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs (BGH) in Strafsachen vor dem Präsidium des Gerichts hat freundlicherweise ein Leser der Legalvoices hingewiesen. Groß-Bölting schreibt der Februar-Ausgabe von hrr-strafrecht.de, der Vorgang offenbare ein Rechtsverständnis oder eine Gedankenlosigkeit des BGH-Präsidiums, die beide erschreckend wirkten.

Lebenslänglich für Maskenmann: Das Landgericht Stade hat Martin N., den sogenannten "Maskenmann", wegen dreifachen Mordes und des sexuellen Missbrauchs zahlreicher weiterer Kinder zu lebenslanger Haft verbunden mit lebenslanger Sicherungsverwahrung verurteilt. Die SZ (Jens Schneider) schildert die bewegende Verlesung des Urteils durch den Vorsitzenden Berend Appelkamp.

spiegel.de (Gisela Friedrichsen) hält es für nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich, dass Martin N. jemals wieder in Freiheit gelangt und stellt den gebildeten und intelligenten Verurteilten, der als voll schuldfähig beurteilt worden war, und seine ausgeklügelten Taten noch einmal ausführlich vor.

Gen-Raps vor dem BVerwG: Die SZ (Daniela Kuhr) befasst sich mit einem Musterprozess vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig. Am Mittwoch gehe es um die Frage, ob bereits ausgesäter Raps, in dessen Saatgut nachträglich Spuren gentechnologischer Manipulation gefunden worden waren, auf dem Feld hatte vernichtet werden müssen. Der Kläger, ein Landwirt, habe die Pflanzen zerstört und das Feld umgepflügt, zur Klärung etwaiger Schadensersatzansprüche daneben geklagt und vor dem Oberverwaltungsgericht Karlsruhe recht bekommen. Da er die genetisch manipulierten Organismen nicht vorsätzlich ausgebracht habe, hätte es auch keiner Genehmigung bedurft. Der BUND befürchte, dass eine Bestätigung dieser Entscheidung ein Türöffner sein könne, um unkontrolliert genetisch manipuliertes Saatgut auszubringen.

Hartz IV vor dem BSG: In einem Vorabbericht erläutert die FAZ (Sven Astheimer) zwei anstehende Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel. Es gehe um den Vorwurf, der Bund habe seit 2005 Sozialversicherungszahlungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Höhe von 30 Milliarden Euro für Fördermaßnahmen im Rahmen von Hartz IV zweckentfremdet, obwohl dafür Bundesmittel hätten aufgewendet werden müssen. Das Gesetz über Hartz IV aus dem Jahr 2005 habe einen Aussteuerungsbetrag von bis zu 10.000 Euro vorgesehen, den die Arbeitsagentur zu zahlen hatte, wenn sie einen Arbeitslosen nicht vermitteln konnte und in Hartz IV überleitete. Einer der Kläger sei ein Arbeitnehmer, der seine Versicherungsbeiträge anteilig zum Aussteuerungsbetrag zurückverlangt. Seit 2008 heiße der Aussteuerungsbetrag Eingliederungsbeitrag, gegen diesen klagte ein hessisches Unternehmen, dessen Fall per Sprungrevision jetzt auch beim BSG liege. Im Falle des Obsiegens stünden der Bundesagentur für Arbeit bis zu vier Milliarden Euro mehr pro Jahr zur Verfügung.

Soziale Netzwerke als Beweismittel: Die FTD (René Martens) stellt den uneinheitlichen Umgang von Justiz und Ermittlungsbehörden mit sozialen Netzwerken vor. Während in Deutschland aus Datenschutzgründen die Fahndung via Facebook – eingestellte Filmclips von Überwachungskameras führten in Hamburg binnen eines Jahres zu acht Fahndungserfolgen – wieder ausgesetzt werden musste, habe in England ein Richter des High Court kürzlich zugestimmt, einem beschuldigten Börsenmakler ein gerichtliches Schreiben per Facebook zuzustellen.

Anwaltliche Schweigepflicht: Eine Amtsrichterin schreibt an eine Anwältin: "Durch die Mitteilung des Herrn S., das Mandatsverhältnis sei beendet worden, dürfte bereits konkludent die Entbindung von der Schweigepflicht erfolgt sein." Diese wüste Konstruktion nimmt Udo Vetter (lawblog.de) zum Anlaß, einige Anmerkungen zu den Grenzen und Tücken der anwaltlichen Schweigepflicht zu verlieren.

Das Letzte zum Schluss

Jurastudent sucht Sponsor: Ein Jurastudent aus Potsdam hat sich für die Verfertigung einer Seminarbeit zum Thema Medienkartellrecht als Teil der universitären Schwerpunktprüfung auf Sponsorensuche begeben. Seine Bitte nach Mitteln für "Fotokopien, Archiv- Leih- und Bearbeitungsgebühren, Verpflegungskosten, Portokosten und Ausgaben für Fachliteratur" im Gegenzug für die Rechte an der Arbeit trug er dem Professor für Informationsrecht und Rechtsinformatik in Münster Thomas Hoeren an. Hoeren dokumentiert das Schreiben auf blog.beck.de.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.)

lto/ro

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. Februar 2012: Begrenzte Parlamentsrechte – Bedrohte Staatsanwaltschaft – Beweismittel Facebook . In: Legal Tribune Online, 28.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5675/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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