Die juristische Presseschau vom 27. September 2018: BAG zu Ver­zugs­pau­schale / Nina Dethloff gegen Wech­sel­mo­dell / BGH gegen fal­sche Gut­achten

27.09.2018

Bundesarbeitsgericht verweigert Arbeitnehmern eine Pauschale, wenn Unternehmen mit dem Lohn in Verzug sind. Außerdem in der Presseschau: Dethloff setzt auf Kindeswohl bei Betreuungsregeln, Justizopfer bekommt Schmerzensgeld von Gutachterin.

Thema des Tages

BAG zu Verzugspauschale für Arbeitgeber: Arbeitnehmer können von ihrem Arbeitgeber, wenn dieser mit der Vergütungszahlung im Verzug ist, nicht die in § 288 Abs. 5 BGB geregelte Verzugspauschale in Höhe von 40 Euro fordern. Das entschied jetzt das Bundesarbeitsgericht und klärte damit einen Streit, der schwelte, seit der Gesetzgeber die Verzugspauschale 2014 eingeführt hatte. Das BAG berief sich auf § 12a Arbeitsgerichtsgesetz, wonach in der ersten Instanz die Erstattung der Anwaltskosten ausgeschlossen ist. Dies müsse auch für die Verzugspauschale gelten. Es berichten der Anwalt Felix Diehl auf lto.de, lawblog.de (Udo Vetter) und community.blog.de (Markus Stoffels).

Rechtspolitik

DJT  Habersack im Interview: Zum Beginn des Juristentags interviewt lto.de (Tanja Podolski) den DJT-Präsidenten Matthias Habersack. Um den Rechtsstaat zu verteidigen, müssten Juristen sich "immer wieder um eine sachliche und nüchterne Debattenkultur bemühen". In der Ausbildung müssten Juristen für die Verantwortung des rechtsanwendenden Menschen sensibilisiert werden.

DJT  Pakt für den Rechtsstaat: Die SZ (Wolfgang Janisch) schildert die beim DJT zu hörende Auffassung aus Länderkreisen, dass der Pakt für den Rechtsstaat, mit dem im schwarz-roten Koalitionsvertrag 2000 neue Richterstellen versprochen wurden, derzeit tot ist. Die Länder monieren, dass es bisher keine Zusage des Bundes für einen finanziellen Ausgleich gebe. Nächste Gelegenheit für einen Deal sei die Ministerpräsidentenkonferenz Anfang Dezember. Bei der DJT-Eröffnung bezeichnete BVerfG-Präsident Andreas Voßkuhle den Pakt für den Rechtsstaat als Schritt in die richtige Richtung. Er schlug zudem einen bundesweiten "Tag der Gerichte" vor.

DJT  Wechselmodell: Rechtsprofessorin Nina Dethloff spricht sich im Interview mit lto.de (Hasso Suliak) gegen die verbindliche Einführung des Wechselmodells bei der Kinderbetreuung nach Trennung der Eltern aus. Entscheidend müsse das Kindeswohl sein. Doch auch das bisher maßgebliche Residenzmodell werde der Lebenswirklichkeit nicht mehr gerecht.

Organspende: Die von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgeschlagene doppelte Widerspruchslösung für Organspenden wäre verfassungskonform. Zu diesem Schluss kommt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sina Nienhaus auf juwiss.de. Zwar mache sich der Staat hier die Bequemlichkeit der Bürger zunutze. Angesichts der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter sei dies jedoch zulässig.

Volksverhetzung: Das Bundesjustizministerium will die durch eine BGH-Entscheidung von 2016 entstandene "Anwendungslücke" schließen, wonach eine aus dem Ausland via Internet begangene Volksverhetzung in Deutschland nicht strafbar ist, so lto.de (Hasso Suliak). Das Ministerium folgt damit einer Aufforderung der Justizministerkonferenz. Das Projekt sei jedoch komplex, weil zugleich der Medienbegriff in § 11 Strafgesetzbuch novelliert werden soll.

Justiz

BGH zu falschem Gutachten: Ein Pflegevater, der von seinem Pflegekind zu Unrecht des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde, kann von einer psychologischen Gutachterin, die die Aussage des Mädchens grob fahrlässig als glaubwürdig einstufte, Schmerzensgeld in Höhe von 60.000 Euro verlangen. Ein entsprechendes Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken bestätigte jetzt der Bundesgerichtshof, berichtet die Welt (Gisela Friedrichsen), die auch die Prozessgeschichte darstellt.

OLG Stuttgart zum urheberrechtlichen Fairnessausgleich: Der Chefkameramann des Spielfilms "Das Boot", Jost Vacano, muss von den ARD-Anstalten zusätzlich zu seinem bisherigen Honorar in Höhe von 104.000 Euro weitere 315.000 Euro Fairnessausgleich erhalten. Das entschied das Oberlandesgericht Stuttgart und wendete damit wegen des großen ökonomischen Erfolges des Spielfilms § 32a Urheberrechtsgesetz an. Das OLG ließ allerdings die Revision zum BGH zu, berichtet lto.de.

OLG Frankfurt/M. zu Kuwait Airlines: Nachdem das Oberlandesgericht Frankfurt/Main am Dienstag einem jüdischen Fluggast, der von Kuwait Airlines nicht befördert wurde, die Entschädigung verweigerte, fordert der Zentralrat der Juden ein Landeverbot für die Fluggesellschaft, so zeit.de.

OLG Düsseldorf zu Colonia Dignidad-Mitglied: Peter Burghardt (SZ) kritisiert ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf, wonach der frühere Sektenarzt Hartmut Hopp eine fünfjährige chilenische Haftstrafe wegen sexuellen Missbrauchs in Deutschland nicht verbüßen muss. Der Umgang der Justiz mit der Sekte erinnere an die zögerliche Aufarbeitung von Verbrechern der Nazizeit. Besonders empörend sei, dass der Sektenspitze auch "sozial- und gesundheitsfürsorgliche" Intentionen unterstellt wurden.

OVG Münster zu Sami A.: Die SZ (Georg Mascolo) schildert den Stand der staatlichen Überlegungen zu der vom Oberverwaltungsgericht Münster im August verfügten Rückholung des rechtswidrig nach Tunesien abgeschobenen Islamisten Sami A. Zum einen versuche Innenminister Horst Seehofer (CSU) Tunesien immer noch zu der von deutschen Gerichten verlangten diplomatischen Zusicherung zu überreden, dass A. in Tunesien menschenwürdig behandelt wird. Zum anderen wird überlegt, A. im Falle einer Rückkehr nach Deutschland gemäß § 58a Aufenthaltsgesetz als Gefährder abzuschieben. Dann wäre das Bundesverwaltungsgericht zuständig und nicht die NRW-Justiz.

EuGH  Rundfunkbeitrag: Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof hat in einem vom Landgericht Tübingen vorgelegten Fall keine europarechtlichen Bedenken gegen den seit 2013 geltenden Rundfunkbeitrag, der an der Wohnung und nicht mehr am Empfangsgerät anknüpft. Es handele sich nicht um die Umgestaltung einer Beihilfe, die der EU-Kommission hätte mitgeteilt werden müssen, so lto.deMichael Hanfeld (FAZ) kritisiert den Generalanwalt. Er argumentiere genauso oberflächlich wie die deutschen Verwaltungsgerichte und das Bundesverfassungsgericht.

LG Regensburg  Korruption: Die SZ (Andreas Glas/Annette Ramelsberger) berichtet in einer Seite 3-Reportage vom Auftakt des Korruptionsprozesses des Landgerichts Regensburg gegen den Ex-Oberbürgermeister von Regensburg Joachim Wolbergs (SPD) und den Bauunternehmer Volker Tretzel. Während Wolbergs verbittert gegen alle wüte, verlasse sich Tretzel auf viele hervorragende Anwälte und ihre Gutachten und darauf, dass sein Unternehmen weiter gut verdiene. community.beck.de (Henning Ernst Müller) nimmt den Fall zum Anlass, an einen ähnlichen Prozess in Wuppertal und die dazugehörigen Urteile des BGH (Kremendahl I und II) zu erinnern.

LG Köln  Stadtarchiv: Im Prozess um den Einsturz des Kölner Stadtarchivs hat die Staatsanwaltschaft für drei Angeklagte Bewährungsstrafen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen gefordert. Die Bauleitung und Bauaufsicht sei "schwach, unaufmerksam und inkonsequent gewesen", berichtet die FAZ (Christine Scharrenbroich).

Recht in der Welt

Indien  Biometrie-Datenbank: Das Oberste Gericht Indiens hat die Klage von Datenschützern gegen das Aadhaar-Projekt abgelehnt, mit dem biometrische Daten aller Bürger gesammelt werden, um zum Beispiel Betrug bei Sozialleistungen zu verhindern. Es berichten lto.de und netzpolitik.org (Leon Kaiser).

EGMR  Pushbacks in Mellila: Die große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verhandelte über die Zulässigkeit von sofortigen Rückschiebungen nach Marokko, wenn afrikanische Migranten und Flüchtlinge die Zaunanlage in der Enklave Melilla überwinden. Die siebenköpfige Kammer hatte darin Ende 2017 eine unzulässige Massenausweisung gesehen, Spanien legte Rechtsmittel ein. Es berichten die SZ (Wolfgang Janisch) und taz.de (Christian Rath).

USA  Bill Cosby: Zum Haftantritt des wegen sexueller Nötigung verurteilten US-Entertainers Bill Cosby zeichnet spiegel.de (Nina Rehfeld) nach, warum es so lange dauerte, bis die Justiz den Anschuldigungen nachging.

Sonstiges

Weimar: Ex-Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio analysiert in der FAZ das Scheitern der Weimarer Republik. Die Weimarer Verfassung wäre eigentlich wehrhafter gewesen als das Grundgesetz. Sie konnte sich aber nicht bewähren, weil mit Hindenburg die falsche Person zum Reichspräsidenten gewählt wurde und weil die Ablehnung der Demokratie damals hegemonial wurde.

EU-Zivilprozessrecht: Rechtsprofessor Burkhard Hess erinnert in der FAZ daran, dass vor 50 Jahren das Brüsseler Übereinkommen über die Zuständigkeit der Gerichte und die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen geschlossen wurde. Es habe den Rahmen für die "Urteilsfreizügigkeit" geschaffen. Der Erfolg beruhe vor allem auf der Rechtsprechung des EuGH.

Familiengeld und Hartz IV: Das neue eingeführte bayerische Familiengeld wird in Teilen Bayerns nicht auf Hartz IV-Leistungen angerechnet, nämlich dort, wo Hartz IV von Optionskommunen ohne Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit administriert wird. Die "Spaltung des Sozialstaats" in Bayern und die dahinterliegenden sozialrechtlichen Argumentationen schildert die FAZ (Dietrich Creutzberg).

Leiharbeit: Der Anwalt Werner Thienemann schildert auf efarbeitsrecht.net Möglichkeiten zum längerfristigen Einsatz von Leiharbeitern. Anlass ist, dass die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes am 1. April 2017 in Kraft trat und jetzt die damit verbundene 18-monatige Höchstüberlassungsfrist erstmals erreicht wird.


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lto/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. September 2018: BAG zu Verzugspauschale / Nina Dethloff gegen Wechselmodell / BGH gegen falsche Gutachten . In: Legal Tribune Online, 27.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31169/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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