Die juristische Presseschau vom 27. Juni 2012: Plädoyer für Verena Becker – Rüffel für Stefan Mappus – Berufsverbote für Insiderhandel

27.06.2012

Der Anwalt von Verena Becker hat im Verfahren vor dem OLG Stuttgart auf Freispruch plädiert. Außerdem in der Presseschau: Der Rechnungshof rügt Stefan Mappus für den Rückkauf von EnBW, Meinungen zum Beschneidungsurteil des LG Köln, Zeitarbeit, Störerhaftung bei offenen W-Lans, und warum Mercedes keine Rußpartikelfilter einbaut, um sauber zu bleiben.

Plädoyer für Verena Becker: Mit der Forderung nach Freispruch für ihre Mandantin hat die Verteidigung von Verena Becker ihr Plädoyer vor dem OLG Stuttgart beendet, berichtet die taz (Christian Rath, ausführlicher auf taz.de). Es sei nicht zu widerlegen, dass sie bei dem entscheidenden Planungstreffen zur Ermordung des früheren Generalbundesanwalts Siegfried Buback im Jahr 1977 früher gegangen sei. Auch habe sie in der RAF nur eine untergeordnete Rolle gespielt.

Laut bild.de hat Beckers Anwalt Walter Venedey bei seinen Ausführungen dem Sohn des Ermordeten, Michael Buback, "Flucht aus der Realität" vorgeworfen.

spiegel.de (Gisela Friedrichsen) meint, in den siebziger Jahren wäre es wohl zu einer Verurteilung gekommen, denn damals sei es auf den unwiderleglichen Nachweis jeder einzelnen Feststellung zum Tatvorwurf nicht angekommen. Heute, da es die RAF nicht mehr gebe, stünden wieder der Rechtsstaat und die Garantie eines fairen Verfahrens im Vordergrund.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Leistungsschutzgesetz: Auf ihrer Rechtseite befasst sich die FAZ (Georg Wallraf) mit dem Entwurf des Bundesjustizministeriums für ein Leistungsschutzgesetz für Presseverlage. Es sei fraglich, ob im Entwurf das zu schützende Rechtsgut hinreichend beschrieben sei, er biete aber die Grundlage für einen guten Kompromiss.

Sicherungsverwahrung in Hessen und Thüringen: Die Bundesländer Hessen und Thüringen wollen bei der Sicherungsverwahrung besonders gefährlicher Straftäter zukünftig zusammenarbeiten. Wie die FAZ (Thomas Holl) berichtet, verzichtet Hessen auf den Neubau für Sicherungsverwahrte in Schwalmstadt, stattdessen werde ein auf dem Gelände bereits bestehendes Gebäude umgebaut, in dem 62 Plätze für Sicherungsverwahrte vorgesehen seien.

Zeitarbeit: Die FAZ (Corinna Budras) stellt die Auffassung des an der Uni Passau tätigen Professors für Arbeitsrecht Frank Bayreuther vor, wonach es nicht zwingend sei, dass Menschen in Zeitarbeitsverhältnissen keine Möglichkeit zu einer Festanstellung hätten. Nach zwei Jahren ununterbrochener Beschäftigung im gleichen Betrieb könne es einen Anspruch auf dauerhafte Übernahme geben.

Kündigungsrecht: Mit einem neuen Vorstoß zur Änderung des Kündigungsschutzrechts befasst sich das Handelsblatt (Dietrich Creutzburg). Das vielgescholtene Zeitarbeitsrecht, das soeben überarbeitet worden sei, sei ein Indiz dafür, dass beim Kündigungsschutz Handlungsbedarf bestehe. Jetzt forderten CDU-Politiker und Arbeitgeberverbände eine "realitätstüchtigere" Regelung. Zur Vermeidung langwieriger Rechtsstreitigkeiten, insbesondere über Formfehler bei der erforderlichen Anhörung des Betriebsrats solle besser bei Abschluss eines Arbeitsvertrages eine Abfindung nebst einem Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage ermöglicht werden.

Dietrich Creutzburg (Handelsblatt) begrüßt die Initiative und fragt: "Kann es eigentlich vernünftig sein, laufend die Spaltung des Arbeitsmarkts in Stammbeschäftigte und Zeitarbeiter zu beklagen, wenn gleichzeitig ein unkalkulierbares Kündigungsrecht die Angst der Arbeitgeber vor dauerhaften Arbeitsverhältnissen maximiert?"

GWB I – Wunschzettel Bundeskartellamt: Rechtsanwalt Rolf Hempel (blog.beck.de) verweist auf die Stellungnahme des Bundeskartellamts im Zusammenhang mit der bevorstehenden 8. Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Beim Punkt "Rechtsnachfolge in die Bußgeldhaftung" gehe der Vorschlag des Bundesjustizministeriums (BMJ)den Wettbewerbshütern nicht weit genug, Nachbesserungen seien auch bei der Missbrauchsaufsicht im Wasser- und Fernwärmebereich nötig, bei der das Bundeskartellamt gegen die Anbieter vorgehen wolle, die öffentlich-rechtliche Gebühren verlangten.

GWB II – Fusionskontrolle bei Krankenkassen: Wie Rechtsanwalt Carsten Grave (blog.handelsblatt.com) erläutert, ist im Gesetzentwurf des BMJ zur 8. Novellierung vorgesehen, die Regelungen des GWB über die Zusammenschlusskontrolle bei der freiwilligen Vereinigung von Krankenkassen entsprechend anwendbar zu machen (§ 172a SGB V n. F.). Zudem werde die Anwendbarkeit kartellrechtlicher Vorschriften über das Verhältnis der Krankenkassen zu den Leistungserbringern, die bisher in § 69 SGB V geregelt war, auf das Verhältnis der Krankenkassen untereinander und das Verhältnis zu den Versicherten ausgedehnt (§ 4 Abs. 3 SGB V n. F.). Bisher seien nur die Leistungserbringer (Ärzte, Krankenhäuser) dem Kartellrecht unterworfen gewesen, jetzt solle dies auch gegenüber den Krankenkassen durchsetzbar sein.

Digitale Gesellschaft zur Störerhaftung: Markus Beckedahl (netzpolitik.org) stellt den Gesetzentwurf der Digitalen Gesellschaft zur Entkriminalisierung von Mini-Providern vor. Privatpersonen, die ein offenes W-Lan betrieben, sollten von Strafverfolgung ebenso freigestellt werden wie die kommerziellen Betreiber von Internet-Cafés.

Gegen Scharia-Gerichte in Bayern: Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) will gegen so genannte islamische Scharia-Gerichte vorgehen, berichtet welt.de (Peter Issig) Vor allem im zivil- und familienrechtlichen Bereich komme diesen Gerichten eine wichtige Rolle zu, die in ihren Entscheidungen die Freiheit junger muslimischer Frauen einschränkten. Über die Häufigkeit derartiger Entscheidungen gebe es allerdings keine Angaben. Im Moment gehe es darum, aufzuklären und das Vertrauen in das Rechtssystem bei Migranten zu stärken.

EU-Patentgericht nach Paris: Laut Handelsblatt (Thomas Ludwig) ist als neuer Sitz des Europäischen Patentgerichts Paris vorgesehen. Mitbewerber München gehe leer aus.

Weitere Themen – Justiz

Rüffel für Stefan Mappus: Nach Ansicht des Landesrechnungshofes Baden-Württemberg handelt es sich bei dem Rückkauf des Stromversorgers EnBW durch die Initiative des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus um den schwerstmöglichen haushaltsrechtlichen Verstoß. Dies berichtet das Handelsblatt (Martin-Werner Buchenau, Sönke Iwersen, Jan Keuchel). In einem 80-seitigen Bericht hätten die Kontrolleure praktisch jede von Mappus aufgestellte Behauptung zurückgewiesen. Insbesondere sei auch keine Risikoabschätzung vorgenommen worden. Jetzt drohe ein Strafverfahren.

zeit.de (Rüdiger Bäßler) untersucht die Rolle des Bankers Dirk Notheis. Der mittlerweile entlassene Mitarbeiter von Morgan Stanley habe Mappus ebenso wie Henri Proglio, dem Chef der verkaufenden Électricité de France (EdF), per E-Mail detaillierte Vorgaben gemacht, wie der Deal abzuwickeln sei.

Jörg Eigendorf (welt.de) zieht die Werthaltigkeit der Entscheidung des Rechnungshofes in Zweifel, "der sich nie mit so komplexen Übernahmen befasst hat". Zwar habe Mappus Fehler gemacht, aber niemand würdige, dass er bereit gewesen sei, für das Land ein hohes Risiko einzugehen. Es müsse diskutiert werden, inwieweit das Parlament bei einer geheim zu haltenden Übernahme einer börsennotierten Aktiengesellschaft "eingespannt" werden könne.

LG Köln zur Beschneidung: Das Urteil des Landgerichts Köln, das die Beschneidung von kleinen Kindern als strafbare Körperverletzung eingestuft hat, findet ein breites Echo. Die FAZ (Reiner Burger) beschäftigt sich auch mit dem in den USA und England vorgebrachten medizinischen Argument, Beschneidung trage zur Krebsvorsorge bei. Ein vom Gericht bestellter Gutachter hatte festgestellt, es gebe in Mitteleuropa keine Notwendigkeit, aus gesundheitlichen Gründen generell Beschneidungen vorzunehmen.

Die FTD (Anieke Bohn) stellt die Kritik des Zentralrats der Juden in Deutschland an der Entscheidung dar. Matthias Drobinski (SZ) meint, bliebe das Urteil maßgeblich, müssten verdeckte Ermittler in Synagogen und Moscheen eingesetzt werden. Er vermutet, das Bundesverfassungsgericht werde zu einem späteren Zeitpunkt der Auffassung des Zentralrats folgen.

Der Passauer Juraprofessor Holm Putzke (lto.de) begrüßt das Urteil als mutige Entscheidung und lobt die "mustergültige Auseinandersetzung" der Strafkammer mit dem aktuellen Diskussionsstand. Auch Georg Paul Hefty (FAZ) begrüßt die Entscheidung. Der Rechtsstaat müsse Kinder vor den Entscheidungen ihrer Eltern schützen, auch wenn diese religiös motiviert seien.

BGH weist Lehman-Opfer ab: Erneut haben Anleger, die durch die Pleite von Lehman Brothers geschädigt wurden, vor dem Bundesgerichtshof einen Rückschlag erlitten.  Wie die FAZ (Joachim Jahn) berichtet, hob das Oberste Gericht für Zivilsachen vier Entscheidungen von unteren Instanzen auf, die Anlegern einen Schadenersatz zugesprochen hatten. Die Commerzbank, von der die Kläger Lehman-Zertifikate erworben hatten, sei nicht verpflichtet gewesen, die Kunden über ihre eigenen Gewinne aufzuklären.

Porträt Andreas Voßkuhle: zeit.de (Jost Müller-Neuhof) bringt ein Porträt von Andreas Voßkuhle, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Der "Entschleuniger" sehe sein Richteramt als gestalterische Aufgabe an und habe das Angebot, Bundespräsident zu werden, abgelehnt, weil er wisse, dass er Präsident des mächtigsten Verfassungsgerichts Europas sei.

Weitere Themen – Recht in der Welt

England - Berufsverbote für Insiderhandel: 71 Mitarbeiter von Banken seien zwischen Mai 2010 und April 2011 von der britischen Bankenaufsicht Financial Services Authority (FSA) mit zum Teil mehrjährigen Berufsverboten belegt worden, berichtet die SZ (Andreas Oldag) in ihrem Wirtschaftsteil. Regelmäßig komme es auch zu mehrjährigen Haftstrafen und Schadensersatzzahlungen in Millionenhöhe. FSA-Chef Lord Turner habe erklärt, die Zeit der "light touch"-Regulierung, bei der man es mit leichter Hand öfter bei Ermahnungen belassen habe, sei vorbei.

Das Letzte zum Schluss

Sauber ohne Rußpartikelfilter: Im Sportteil der SZ (Thomas Fromm / Max Hägler / Klaus Ott) gibt es eine erste Einschätzung, wie das Geständnis von Gerhard Gribkowsky, von Bernie Ecclestone bestochen worden zu sein, das Engagement von Mercedes in der Formel 1 beeinflussen werde. "Wir machen keine Geschäfte mit Straftätern", wird ein Konzernsprecher zitiert. Wenn sich Ecclestone nicht zurückziehe, dann wohl der Autohersteller, der sich strikt an seine neuen "Standards of Business Conduct" halten wolle.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.)

lto/ro

(Hinweis für Journalisten)
https://www.lto.de/index.php?id=459

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. Juni 2012: Plädoyer für Verena Becker – Rüffel für Stefan Mappus – Berufsverbote für Insiderhandel . In: Legal Tribune Online, 27.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6478/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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