Das BVerfG erklärte den Soli für noch verfassungsgemäß und klärte Grundfragen der Ergänzungsabgabe. Worauf konnte sich Schwarz-Rot in der Justiz- und Kriminalpolitik bereits einigen? War Online-Hetze für den Tod einer Ärztin verantwortlich?
Thema des Tages
BVerfG zu Solidaritätszuschlag: Der sogenannte Soli ist immer noch verfassungsgemäß. Das Bundesverfassungsgericht lehnte eine Verfassungsbeschwerde von sechs ehemaligen FDP-Abgeordneten um Christian Dürr ab. Der wiedervereinigungsbedingte finanzielle Mehrbedarf des Bundes sei nicht evident entfallen. Dass seit 2021 nur noch Besserverdienende den Soli bezahlen, verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz, weil das Sozialstaatsprinzip ein soziales Steuerrecht fordere. Im Maßstabsteil klärte das Gericht grundlegende Fragen von Ergänzungsabgaben. Der Bund habe ein Wahlrecht zwischen Einführung einer Ergänzungsabgabe und Erhöhung zB der Einkommensteuer. Ergänzungsabgaben müssen nicht befristet werden, der Bund müsse aber eine konkrete Aufgabe benennen, die seinen Mehrbedarf verursacht. Wenn die Aufgabe beendet ist, dürfe auch die Ergänzungsabgabe nicht mehr erhoben werden. Der Bund trage eine diesbezügliche "Beobachtungsobliegenheit". Die Umwidmung einer Ergänzungsabgabe für neue Aufgaben soll nur auf neuer gesetzlicher Grundlage möglich sein. Richterin Astrid Wallrabenstein kritisierte in einem Sondervotum, das Gericht habe seine Kompetenzen überschritten und Ergänzungsabgaben zu sehr erschwert. Mit der Entscheidung kann die kommende Koalition somit auch weiterhin mit jährlichen Einnahmen in Höhe von knapp 13 Milliarden Euro rechnen. Berichte und Analysen bringen u.a. SZ (Wolfgang Janisch/Claus Hulverscheidt), FAZ (Katja Gelinsky/Manfred Schäfers), LTO (Christian Rath), spiegel.de (Dietmar Hipp), Tsp (Jost Müller-Neuhof), Hbl (Heike Anger u.a.), tagesschau.de (Klaus Hempel) und zdf.de (Karl Anton Gensicke/Daniel Heymann).
Manfred Schäfers (FAZ) erinnert daran, dass der Soli auch in Zeiten steuerlicher Überschüsse erhoben wurde. Angesichts des Namens der Abgabe sei es auch widersinnig, sie lediglich bei Spitzenverdienenden zu erheben. Wenn das Ziel Umverteilung heiße, sei diese eher über eine Reform der Einkommensteuer zu erreichen. Jost Müller-Neuhof (Tsp) begrüßt in seinem Kommentar, dass sich das Gericht "zurückgenommen" habe. Zwar lasse sich trefflich darüber streiten, ob ein "Aufbau Ost" auch im vierten Jahrzehnt "noch immer eine Sondersteuer rechtfertigen kann." Der Ort, dies zu tun, sei jedoch der Bundestag. Reinhard Müller (FAZ) betont, dem Gesetzgeber müsse klar sein, "dass Karlsruhe auf alles schaut", auch wie die soeben geänderte Finanzverfassung gehandhabt wird.
Rechtspolitik
Koalitionsverhandlungen: Ab dem morgigen Freitag trifft sich die 19-köpfige Hauptverhandlungsgruppe von CDU, CSU und SPD, um den Koalitionsvertrag fertig zu stellen. Seit dem 13. März hatten 16 thematische Arbeitsgruppen Vorschläge erarbeitet Übersichten zu den bereits erzielten Einigungen sowie den noch offenen Fragen bringen FAZ (Lukas Fuhr), spiegel.de (Paul-Anton Krüger u.a.), zeit.de (Tilman Steffen u.a.) und beck-aktuell.
Justiz: LTO (Markus Sehl) liegt das finale Abstimmungspapier der für Justizpolitik zuständigen Arbeitsgruppe vor. Union und SPD verständigen sich auf zwölf Seiten auf eine "moderne Justiz". In den Ländern sollen mit 300 Millionen Euro aus dem Bund 3.000 neue Stellen geschaffen werden. Für die Digitalisierung der Justiz sieht das Papier insgesamt 400 Millionen Euro vor. Gerichtliche Verfahren sollen beschleunigt werden, die Verfahrensdauern sollen sinken. Für die Modernisierung der Zivilprozessordnung soll auf Vorarbeiten der Reformkommission "Zivilprozess der Zukunft" zurückgegriffen werden. Auch das Strafprozessrecht und die Verwaltungsgerichtsordnung sollen reformiert werden. Durch eine "deutliche Erhöhung" des Zuständigkeitsstreitwerts sollen die Amtsgerichte gestärkt werden.
Strafverfolgung: LTO (Hasso Suliak) analysiert den kriminalpolitischen Teil der 20-seitigen Ergebnisse der Arbeitsgruppe "Innen, Recht, Migration und Integration." Geplant ist eine "Sicherheitsoffensive", zu der eine "verhältnismäßige und europa- und verfassungsrechtskonforme" Vorratsdatenspeicherung gehört, bei der auch KI-Tools zum Einsatz kommen. "Risikopotentiale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten" sollen früher erkannt werden. Für eine effektive Strafverfolgung und zügige Verfahren soll die Strafprozessordnung grundlegend überarbeitet werden, wozu auch eine Erweiterung der Straftatenkataloge bei Überwachungsmaßnahmen gehöre. Das materielle Strafrecht soll verschlankt werden. Eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens ist aber ausdrücklich nicht vorgesehen. Keine Einigung konnte bei der Rücknahme der Cannabis-(Teil-)Legalisierung und der Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs erzielt werden.
Informationsfreiheit: netzpolitik.org (Markus Reuter) berichtet, dass die Union in ihrem Verhandlungspapier die Außerkraftsetzung des Informationsfreiheitsgesetzes fordert. Dies sei insofern bemerkenswert, als Verhandlungsführer der betreffenden Arbeitsgruppe Philipp Amthor (CDU) ist, dessen Lobbyskandal erst dank des Gesetzes aufgeklärt werden konnte.
Streik: Im Auftrag des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall haben die Rechtsprofessoren Richard Giesen und Clemens Höpfner einen Gesetzentwurf erarbeitet, der Verhandlungsabläufe eines Arbeitskampfes stärker als bisher strukturieren und festen Regeln unterwerfen will. Der Entwurf gebe Arbeitgebern das Recht, eine Schlichtung einzuleiten, vor deren Durchführung lediglich zweistündige Warnstreiks zulässig wären. Die FAZ (Dietrich Creutzburg) berichtet.
Justiz
BVerwG zu BDS-Resolution: Als schlichte Meinungsäußerung ist die 2019 beschlossene Bundestagsresolution über den antisemitischen Charakter der BDS-Bewegung eine verfassungsrechtliche Streitigkeit. Das Bundesverwaltungsgericht wies daher eine Klage Palästina-solidarischer Aktivist:innen gegen die Resolution als unzulässig ab. Gegen resolutionsbedingte Nachteile, etwa bei der Vergabe öffentlicher Räume, müsse der Verwaltungsrechtsweg im konkreten Fall beschritten werden. LTO (Max Kolter) berichtet.
BGH zu Missbrauch beim Schlafwandeln: LTO (Joschka Buchholz) schreibt vertieft über die bereits Mitte Januar am Bundesgerichtshof erfolgte Aufhebung der Verurteilung eines früheren Staatsanwalts wegen Vergewaltigung seines minderjährigen Sohnes. Der BGH warf dem Landgericht Lübeck eine lückenhafte Beweiswürdigung zur Frage vor, ob der Angeklagte schon früher unter Sexsomnia litt. Es sei nicht ausreichend begründet worden, warum eine frühere Partnerin des Angeklagten 15 Jahre, nachdem er sie verlassen hatte, zu seinen Gunsten falsch aussagen sollte.
BGH zu fiktiven Reparaturkosten: Den Geschädigten eines Verkehrsunfalls trifft keine Verpflichtung, der Versicherung des Schädigers die tatsächlichen Kosten einer durchgeführten Reparatur offenzulegen. Maßstab des zu leistenden Geldersatzes sei auch weiterhin ein Schadensgutachten, so der Bundesgerichtshof in einem nun veröffentlichten Urteil von Ende Januar. Insofern von diesem Grundsatz in einem Urteil des gleichen Senats aus dem Jahr 2013 abgewichen wurde, beruhte dies auf dem dortigen Verweis auf eine kostengünstigere Alternativwerkstatt. Es berichtet beck-aktuell.
KG Berlin zu Schöffenrechten: Schöffen und Schöffinnen haben keinen Anspruch, eine Abschrift des von ihnen mitverantworteten Strafurteils zu erhalten. Dies stellte das Berliner Kammergericht in einem nun veröffentlichten Beschluss aus dem vergangenen Juni klar. Das Schöffenamt ende mit der Urteilsverkündung. Nach diesem Zeitpunkt gelte für Herausgabebegehren der § 475 Strafprozessordnung, der ein berechtigtes Interesse voraussetzt. beck-aktuell berichtet.
OLG Frankfurt/M. - Cum-Cum: Über die bereits im Dezember erfolgte und veröffentlichte Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/M., eine Steuerhinterziehungs-Anklage im Zusammenhang sogenannter Cum-Cum-Steuermanipulationen zuzulassen, berichten nun auch SZ (Markus Zydra/Meike Schreiber) und FAZ (Marcus Jung).
Marcus Jung (FAZ) begrüßt diese Entwicklung in einem separaten Kommentar ausdrücklich. Staatsanwaltschaften und Steuerfahndung verdienten mehr Unterstützung bei der strafrechtlichen Verfolgung des "großen Bruders" vom Cum-Ex.
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Im Strafverfahren gegen den früheren Wirecard-CEO Markus Braun beschrieb ein als Gutachter und Zeuge geladener Mitarbeiter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) dem Landgericht München I die Aktienmarktrelevanz der Scheingeschäfte von Wirecard. Ohne diese hätte das mittlerweile insolvente Unternehmen bereits 2017 Verluste in Millionenhöhe mitteilen müssen, so der Zeuge. Es berichtet LTO.
LG Nürnberg-Fürth zu Werbung mit Klimaneutralität/Adidas: Nach Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth darf Adidas nicht mehr mit einer Aussage über Klimaneutralität werben. Die vom Sportartikelhersteller verwendete Behauptung lasse nicht ohne Weiteres erkennen, auf welchem Wege Adidas sein Ziel erreichen möchte. Über die Entscheidung berichtet beck-aktuell.
LG Kaiserslautern – Tötung nach sexueller Belästigung: Wegen Körperverletzung mit Todesfolge ist eine 20-jährige Amerikanerin am Landgericht Kaiserslautern angeklagt. Die Frau hat im vergangenen Sommer im örtlichen Hauptbahnhof einen Eritreer erstochen, der ihr an den Po gegriffen hatte. Die Videoaufnahmen des Bahnhofs lassen keinen eindeutigen Schluss auf den tatsächlichen Geschehensablauf zu, so die SZ (Kathrin Müller-Lancé).
LG Berlin II zu Persönlichkeitsrechten einer AfD-Mitarbeiterin: Anfang des Monats wies das Landgericht Berlin II die Unterlassungsklage einer AfD-Referentin ab, die sich durch die Berichterstattung der Welt über Spionage-Ermittlungen im Umfeld Maximilian Krahs (AfD) in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sah. Der beanstandete Artikel reihe unstreitige Tatsachen aneinander und überlasse Schlussfolgerungen der Leserschaft, so das LG laut beck-aktuell. Die rechtlichen Maßstäbe der Verdachtsberichterstattung seien damit nicht einschlägig.
VG Berlin zu richterlicher Altersgrenze: Am Verwaltungsgericht Berlin ist ein Richter mit einem Eilantrag abgewiesen worden, mit dem er seine Weiterbeschäftigung über die Vollendung seines 65. Lebensjahres hinaus erreichen wollte. Eine erst seit Dezember in Kraft befindliche Neuregelung des Berliner Richtergesetzes verlängert die richterliche Dienstzeit bis zur Vollendung des 67. Lebensjahres, sieht aber eine Ausnahme für jene vor, die vor dem 1. Januar 1961 geboren wurden. Hiervon abzuweichen, bedürfe einer – nicht vorhandenen – gesetzlichen Regelung, so das VG nun laut LTO.
GBA – Brigade N´Hamedu: Wegen des Verdachts der Gründung bzw. Mitgliedschaft in einer inländischen terroristischen Vereinigung hat der Generalbundesanwalt Ermittlungen gegen 17 Eritreer aufgenommen und bundesweit Razzien durchführen lassen. Die Beschuldigten sollen Mitglieder der "Brigade N´Hamedu" sein, einer eritreischen Oppositionsgruppe, die u.a. für Ausschreitungen gegen vermeintlich regierungsfreundliche Eritrea-Festivals in den vergangenen Sommern verantwortlich sein soll. FAZ (Marlene Grunert/Timo Steppat) und LTO berichten.
DIHK-Schiedsgerichtshof: beck-aktuell (Tobias Freudenberg) spricht mit Stephan Wernicke, Chefjustiziar der Deutschen Industrie- und Handelskammer, über die Gründung des Schiedsgerichtshofs durch die DIHK, das dortige Verfahren sowie den Stellenwert einer Schiedsgerichtsbarkeit für den Wirtschafts- und Rechtsstandort Deutschland.
Recht in der Welt
Österreich – Bedrohung von Ärztin Kellermayr: Weil er durch unzählige beschimpfende und drohenden Nachrichten, u.a. die Ankündigung eines "Tribunals", den 2022 begangenen Selbstmord der österreichischen Impfärztin Lisa-Maria Kellermayr mitverursacht haben soll, ist ein 61-jähriger Deutscher am Landesgericht Wels wegen gefährlicher Drohung angeklagt. In einem von seiner Verteidigung verlesenen Statement gab der Angeklagte zu, die ihm zugeschriebenen Nachrichten an Kellermayr verfasst zu haben, bestritt jedoch gleichzeitig, das diese für den Tod der Ärztin verantwortlich sein sollen. Ihm sei nie deutlich geworden, dass sie sich bedroht fühlte. Die Verteidigung wies auf psychische Probleme der Verstorbenen und frühere Selbstmordversuche hin. SZ (Verena Mayer), FAZ (Stephan Löwenstein) und Welt (Per Hinrichs) berichten.
Frankreich – Marine Le Pen: Vor dem für den 31. März geplanten Urteil fasst die Zeit (Matthias Krupa) das Strafverfahren gegen Marine Le Pen zusammen. Dass die Oppositionspolitikerin wegen des Vorwurfs der Veruntreuung öffentlicher Gelder für schuldig befunden werde, sei "sehr wahrscheinlich." Spannend sei aber, ob Le Pen das passive Wahlrecht aberkannt wird. Dass der Strafausspruch bereits vor Ablauf von Rechtsmittelfristen vollstreckt wird, sei im Strafrecht des Landes "nicht ungewöhnlich."
Norwegen – Gjert Ingebrigtsen: Wegen psychischer und physischer Misshandlung zweier seiner Kinder ist in Norwegen der Leichtathletiktrainer Gjert Ingebrigtsen angeklagt. Einer der Betroffenen ist der zweifache Olympiasieger Jakob Ingebrigtsen. Auch deshalb gebe es zur Zeit in Norwegen "kaum ein anderes Thema" als den Prozess über gewalttätige Übergriffe des ehrgeizigen Vaters, schreibt spiegel.de (Jan Göbel).
USA – Einreise: Das Hbl (Felix Holtermann) befragt die in New York praktizierende Anwältin Susanne Heubel über verschärfte Einreisekontrollen in den USA. Die im Einwanderungsrecht tätige Heubel geht davon aus, dass Beamten der Anweisung unterliegen, Einwanderungsgesetze streng auszulegen und rät, etwa den Greenpeace-Mitgliedsausweis daheim zu lassen.
Juristische Ausbildung
Unternehmensgründung in Studium und Referendariat: Bereits während des rechtswissenschaftlichen Studiums oder dem juristischen Vorbereitungsdienst wagen sich manche an die Gründung des eigenen Unternehmens. beck-aktuell (Jannina Schäffer) beschreibt erfolgreiche Beispiele und benennt auch die typischen Herausforderungen.
Das Letzte zum Schluss
Beitragsschuldner? Der Rundfunkbeitrag ist nicht an die tatsächliche Inanspruchnahme öffentlich-rechtlicher Medien gebunden. Gleichwohl hat sich der Beitragsservice in dem von spiegel.de berichteten Fall offensichtlich vertan: eine Zahlungsaufforderung erreichte in München den Jagdhund Urax. Dessen Frauchen konnte der Behörde glaubhaft versichern, dass ihr treuer Begleiter weder eine Firma ist noch eine Betriebsstätte betreibt.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
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Die juristische Presseschau vom 27. März 2025: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56881 (abgerufen am: 18.05.2025 )
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