Die juristische Presseschau vom 26. April 2012: Verfassungswidrige Hartz IV-Sätze – einschüchternde Rockerkutten – dumme Verbrecher

26.04.2012

Am Berliner Sozialgericht sind 107 Kammern mit Hartz IV-Klagen beschäftigt. Eine von ihnen hält die neuen Hartz-IV-Sätze für verfassungswidrig und hat damit gehöriges Medienecho ausgelöst. Außerdem in der heutigen Presseschau: ein BVerfG-Beschluss zu Rockerkutten, das VG Dresden zur so genannten Extremismusklausel und eine schöne Aufzählung dilettantisch gescheiterter Überfälle.

SG Berlin zu Hartz IV: Die 55. Kammer des Sozialgerichts Berlin hält den neu berechneten Regelsatz für Hartz IV-Empfänger für zu niedrig. Damit sei das "Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums" verletzt. Nun soll das Bundesverfassungsgericht über die Neuregelung entscheiden. Es berichten unter anderem spiegel.de, taz (Eva Völpel) und bild.de (pro).

Weitere Themen – Rechtspolitik

Schengen: In einem gemeinsamen Gastbeitrag für die FAZ werben die EU-Justizkommissarin Viviane Reding und der Europaabgeordnete Manfred Weber für eine nur behutsame Weiterentwicklung des Schengen-Systems: "Demnach dürfen Grenzkontrollen nur im Ausnahmefall nach Prüfung und Genehmigung durch die Europäische Kommission vorgenommen werden." Den Friedrich/Sarkozy-Vorstoß lehnen sie ab. "Probleme an bestimmten Abschnitten der Außengrenzen einzelner Mitgliedstaaten können im vereinten Europa nicht mehr durch einseitige Maßnahmen einzelner Regierungen gelöst werden."

Visafreiheit für Türken: In einem Gastbeitrag für die SZ fordert der österreichische Soziologe Gerald Knaus, dass Türken möglichst bald ohne Visumzwang in die EU einreisen können sollen. Die derzeitige Politik laufe "den rechtlichen Verpflichtungen der EU zuwider und wird von immer mehr Gerichten in Frage gestellt", was er anhand zahlreicher Beispiele belegt.

Voßkuhle zu Föderalismus: Bei einem Festakt zum 60. Geburtstag des Landes Baden-Württemberg hat Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, den Bedeutungsverlust der Landtage kritisiert, berichtet die FAZ (Rüdiger Soldt).

Betreuungsgeld und Hartz IV: Die SZ (Robert Roßmann) und sueddeutsche.de (Barbara Galaktionow) beschreiben die Diskussion, ob es juristisch notwendig ist, das geplante Betreuungsgeld auf Hartz IV-Leistungen anzurechnen. Die CSU hält dies für zwingend, Sozialverbände bestreiten dies.

Weitere Themen – Justiz

BVerfG zu Rockerkutten: Das Bundesverfassungsgericht lehnte am Mittwoch die Verfassungsbeschwerde eines Mitglieds der Hell’s Angels gegen seine strafrechtliche Verurteilung ab. Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung sei nicht dadurch verletzt worden, dass Zuschauer ihre Rockerkutten ausziehen mussten, um Zeugen nicht einzuschüchtern. spiegel.de und der Verfassungsblog (Max Steinbeis) berichten.

BGH zu Diebstahl von Katzenfutter: Detlef Burhoff (Heymanns Strafrecht Online Blog) kritisiert ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem März, wonach 14 Monate Haft für den Diebstahl von Katzenfutter im Wert von 72,46 Euro vertretbar seien.

BFH zu Schenkungssteuer: Der Bundesfinanzhof hat im November 2011 entschieden, unter welchen Umständen Einzahlungen eines Ehegatten auf ein gemeinsames Konto der Eheleute im Todesfall Ansprüche des Fiskus wegen Schenkungssteuer auslösen. Der Rechtsanwalt Alexander Knauss stellt das Urteil in einem Beitrag für lto.de vor und begrüßt es als "konsequent und ausgewogen".

OVG Magdeburg zu Belagerungsdemos: Das Oberverwaltungsgericht von Sachsen-Anhalt entschied, dass die regelmäßigen Demonstrationen vor dem Wohnhaus von zwei Ex-Sicherungsverwahrten im Ort Insel zurecht verboten wurden. Der Versuch, die Männer durch psychischen Druck zu vertreiben, verletze deren Menschenwürde, meldet lto.de.

VG Dresden zu Extremismusklausel: Das Bundesfamilienministerium verlangt von Zuwendungsempfänger aus der Zivilgesellschaft ein Bekenntnis zur Demokratie, das auch für alle Kooperationspartner gelten soll. Das Verwaltungsgericht Dresden hat Teile der Demokratieerklärung nun für "zu unbestimmt" erklärt, berichtet zeit.de (Tilmann Steffen).

LG Essen zu Middelhoff: Das Landgericht Essen hat entschieden, dass der Ex-Arcandor-Manager Thomas Middelhoff beim Verkauf einer Karstadt-Immobilie in Wiesbaden seine Pflichten verletzt hat und daher dem Grunde nach zur Zahlung von Schadensersatz in die Insolvenzmasse verpflichtet ist, berichtet die FAZ (Joachim Jahn).

LG Karlsruhe zu Ex-Sicherungsverwahrten: Nachdem das Landgericht Karlsruhe vier Ex-Sicherungsverwahrten für die rechtswidrige nachträgliche Verlängerung der Verwahrung Schadensersatz zusprach, beschreibt focus.de (Nina Baumann) die Folgen und den weiteren Rechtsweg. bild.de (M. Kittelkau u.a.) stellt das Urteil in eine Reihe weiterer "Urteile, die uns fassungslos machen". Jasper von Altenbockum (FAZ) kommentiert: Es wäre "wirklich ungerecht", wenn am Ende das Land und nicht der Bund für den Schadensersatz aufkommen müsste.

Piratenklage in Berlin: Die Piraten-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus klagt beim Landesverfassungsgericht gegen die Geschäftsordnung des Parlaments. Ziel der Klage sei eine Stärkung der Rechte einzelner Abgeordneter, erläutert die FAZ (Mechthild Küpper). So solle auch ein einzelner Abgeordneter Gesetzentwurfe einbringen können.

Klage möglich gegen Vorratsdatenspeicherung: Ab heute kann die EU-Kommission Deutschland wegen Nichtumsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung beim Europäischen Gerichtshof verklagen. Die Badische Zeitung (Christian Rath) beschreibt die Optionen der EU-Kommission und des EuGH.

Tagung zu Litigation-PR: Der Medienberater Christopher Hauss beschreibt auf lto.de die Diskussionen auf dem Forum der Leipziger Public Relations Studenten, das unter dem Titel stand: "Wird die Justiz zum Spielball der modernen Mediengesellschaft?"

BverfG und Journalisten: Der langjährige Karlsruher Spiegel-Korrespondent Rolf Lamprecht sprach über Nähe und Distanz zwischen dem Bundesverfassungsgericht und den dortigen Justiz-Korrespondenten. Über die Veranstaltung berichtet die taz (Christian Rath) auf ihrer Medien-Seite.

Weitere Themen – Recht in der Welt

EU-Klage gegen Ungarn: Die EU-Kommission wird Ungarn wegen Vertragsverletzung vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen. Es geht dabei um die mangelhafte Unabhängigkeit der Justiz und des Datenschutzbeauftragten. Ein Verfahren wegen Eingriffen in die Unabhängigkeit der ungarischen Notenbank wurde dagegen eingestellt, berichtet unter anderem Die Welt (Stefanie Bolzen).

Charles Taylors Anwalt: Das UN-Sondergericht für Sierra Leone will heute in Den Haag sein Urteil über den ehemaligen Staatschef von Liberia verkünden. Aus diesem Anlass bringt die SZ (Stefan Klein) ein ausführliches Portrait von dessen Anwalt Courtenay Griffiths.

Das Letzte zum Schluss

Dumme Verbrecher: spiegel.de (Frank Patalong) bringt eine lange und sehr unterhaltsame Liste von dilettantischen Überfällen. Fazit: "Man muss nicht doof sein, um als Krimineller weltberühmt zu werden - aber es hilft."

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. April 2012: Verfassungswidrige Hartz IV-Sätze – einschüchternde Rockerkutten – dumme Verbrecher . In: Legal Tribune Online, 26.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6078/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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