Die juristische Presseschau vom 26. Juni 2019: Anklage gegen Rechts­ter­ro­risten / Schutz- und Treue­pflicht zur Rück­ho­lung? / Sea-Watch unter­liegt

26.06.2019

Der GBA klagt mutmaßliche Rechtsterroristen aus Chemnitz an. Außerdem in der Presseschau: Muss sich Deutschland um die Rückkehr deutscher IS-Kämpfer bemühen? Und ein von Sea-Watch beim EGMR gestellter Eilantrag wird zurückgewiesen.

Thema des Tages

GBA – "Revolution Chemnitz": Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat gegen acht im vergangenen Herbst in Chemnitz festgenommene Männer Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung erhoben. Die aus der Hooligan- und Skinhead-Szene stammenden Angeschuldigten sollen unter dem Namen "Revolution Chemnitz" u.a. geplant haben, durch Anschläge, für die Linke verantwortlich gemacht werden sollten, Unruhe zu stiften. So sollte im Verbund mit sympathisierenden Polizisten ein Umsturz in Gang gesetzt werden. Hintergründe der Pläne und ihre mutmaßliche Aufdeckung durch Ermittler beschreibt die SZ (Annette Ramelsberger u.a.) in ihrem Thema des Tages. Die taz (Konrad Litschko) schreibt, dass die Anklage beim Oberlandesgericht Dresden erhoben wurde. Die Verteidiger machten geltend, dass die sichergestellten Chatverläufe der Angeschuldigten die behauptete Absicht nicht belegten. In einem Hintergrundbericht nennt die SZ (Lena Kampf) andere Beispiele rechtsextremer Gruppen, die über Chats zusammengefunden haben und denen gemein ist, dass Ermittler erst durch Zufallsfunde auf Mobiltelefonen Betroffener auf sie aufmerksam wurden.

Rechtspolitik

Staatsbürgerschaft: Der Innenausschuss des Bundestages hat sich auf strengere Regeln für die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft verständigt, berichtet zeit.de. Unter anderem solle eine Einbürgerung von der "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" abhängig gemacht werden. Zudem solle Doppelstaatlern, die sich im Ausland an Aktionen einer "Terrormiliz" beteiligt haben, die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden. Der Entwurf werde dem Bundestag am morgigen Donnerstag vorgelegt.

Unternehmenssanktionen: Aus Anlass der für den morgigen Donnerstag geplanten Amtseinführung der neuen Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) erinnert der FAZ-Einspruch (Hendrik Wieduwilt) daran, dass das Ministerium sein Projekt für neue Unternehmenssanktionen so gut wie abgeschlossen hat. Während frühere Pläne für ein eigenständiges Unternehmensstrafrecht vom Tisch seien, sollen künftige Verfehlungen mit erheblich erhöhten Bußgeldern und der Aufnahme in ein spezielles Register geahndet werden.

Polizeigesetz MV: Das Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern steht vor einer umfassenden Neuregelung. Ein kritischer Beitrag von netzpolitik.org (Marie Bröckling) zählt Probleme der mit Befugniserweiterungen der Polizei einhergehenden Änderungen auf.

Beruf und Privatleben: Eine neue EU-Richtlinie soll sowohl die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern als auch die Möglichkeit verbessern, Angehörige zu pflegen. Die Rechtsanwältinnen Petra Hess und Lena Kern stellen auf lto.de Regelungen der Richtlinie vertieft vor und resümieren, dass der gesetzliche Änderungsbedarf in Deutschland gering ausfallen werde, weil bereits zahlreiche Regelungen existierten. Dies gelte wiederum nicht hinsichtlich eines Anspruchs auf flexible Arbeitszeit zum Zwecke der Betreuung und Pflege von Angehörigen.

Mietendeckel: Auch der Bund plant offenbar, die Mieten für bundeseigene Wohnungen zu begrenzen. Aus einem Haushaltsvermerk des Bundesfinanzministeriums gehe hervor, dass für betroffene Wohnungen eine Grenze von zehn Euro je Quadratmeter kalt festgelegt wird, schreibt die SZ (Cerstin Gammelin).

Aufzeichnungen von Strafprozessen: Die FDP-Fraktion im Bundestag hat nach Meldung der SZ (Wolfgang Janisch) über einen Gesetzentwurf beschlossen, nach dem vor Land- oder Oberlandesgerichten beginnende Strafprozesse in "Bild und Ton aufzuzeichnen" sind.

Justiz

EuGH- und BGH-Entscheidungen: Der aktuelle SWR RadioReportRecht (Gigi Deppe/Bernd Wolf) befasst sich vertieft mit jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zur geplanten deutschen Pkw-Maut und des Bundesgerichtshofs zur Rückforderung von Geldgeschenken von ehemaligen Partnern eigener Kinder und den zulässigen Kosten von Banktransaktionen.

EuGH zu Pkw-Maut: In einem Schreiben an den Verkehrsausschuss des Bundestages hat das Verkehrsministerium Stellung zu den Kosten der gescheiterten Pkw-Maut genommen. Neben bereits ausgegebenen 50 Millionen Euro solle das finanzielle Risiko für den Bund so gering wie möglich gehalten werden. Die beteiligten Firmen zugegangenen Kündigungen beriefen sich daher auf verschiedene Gründe, unter anderem werde auch eine Schlechtleistung der Unternehmen behauptet, so SZ (Markus Balser), FAZ (Kerstin Schwenn) und Hbl (Daniel Delhaes) zu dem Bericht.

BGH zu Badeunfall: Über unerfreuliche Konsequenzen eines Urteils des Bundesgerichtshofs, der 2017 eine rheinland-pfälzische Gemeinde für den schweren Badeunfall einer Zwölfjährigen verantwortlich gemacht hatte, berichtet die SZ (Matthias Köpf/Olaf Przybilla). Zahlreiche bayerische Kommunen seien mittlerweile dazu übergegangen, Badestellen abzusperren oder vorhandene Installationen abzubauen, um sich nicht einer ähnlichen Gefahr auszusetzen.

BGH zu beA-Kosten: Ein nordrhein-westfälischer Rechtsanwalt ist mit dem Versuch gescheitert, die von der Rechtsanwaltskammer erhobene Sonderumlage zur Finanzierung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs anzufechten. Nach Meldung von lto.de hat der Bundesgerichtshof den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen eine entsprechende Entscheidung des Anwaltsgerichtshofes NRW verworfen.

BGH zu "Patentanwalt": Nur wer eine Zulassung als Patentanwalt hat, darf die entsprechende Berufsbezeichnung führen. Auch eine werbende Selbsteinschätzung dürfe nicht den Eindruck einer formell anerkannten Qualifikation erwecken. Dies stellte der Bundesgerichtshof in einer nun veröffentlichten Entscheidung von Ende April klar, über die lto.de berichtet.

BGH zu Urlaubsunfall: Macht ein Kläger Schadensersatz wegen eines im Urlaub erlittenen Unfalls geltend, muss er den Geschehensablauf darstellen. Die rechtliche Prüfung, ob ausländische Sicherheitsvorschriften verletzt wurden, obliegt aber dem Gericht. Dies stellte der Bundesgerichtshof laut lto.de klar und verwies die Sache wieder zurück an das Oberlandesgericht Celle.

BVerwG zu Gefährder-Abschiebung: Die Abschiebung eines vermeintlichen terroristischen Gefährders mit türkischer Staatsangehörigkeit ist vom Bundesverwaltungsgericht vorerst untersagt worden. Sie war vom niedersächsischen Innenministerium auf Grundlage des § 58a Aufenthaltsgesetz verfügt worden. Die Norm ermöglicht ein beschleunigtes Abschiebeverfahren bei mutmaßlichen Terrorgefährdern, erläutert die FAZ (Alexander Haneke). Die hierzu präsentierten Belege hätten das BVerwG jedoch nicht überzeugen können.

LG Koblenz zu Burg Rheinfels: Georg Friedrich Prinz von Preußen, erklärtes Oberhaupt des Hauses Hohenzollern und Ururenkel des letzten deutschen Kaisers, hat keinen Anspruch auf Rückgabe der Burg Rheinfels. Wie lto.de und FAZ (Julian Staib) berichten, wies das Landgericht Koblenz die Klage von Prinz von Preußen ab. Dieser habe geltend gemacht, dass die Verpachtung der Burgruine einem Verkauf entspreche. Dieser aber ist nach einer Rückauflassvormerkung untersagt. Das Gericht habe nun betont, dass die Burg als Kronfideikommiss ein gebundenes Sondervermögen der Familie Hohenzollern gewesen und nicht deren Privatvermögen zuzurechnen sei.

LG Leipzig – Staatsanwältin: Eine Oberstaatsanwältin wird am Landgericht Leipzig Rechtsbeugung und eine uneidliche Falschaussage vorgeworfen. Sie soll 2015 ein Verfahren gegen einen mutmaßlichen Drogendealer zu Unrecht eingestellt haben, um ihn als Kronzeugen für ein anderes Verfahren zu schützen. In ihrer jetzigen Einlassung bestritt die Angeklagte die Vorwürfe und machte unter anderem ihre damalige Überarbeitung verantwortlich, meldet die FAZ (Stefan Locke).

LG Freiburg – Gruppenvergewaltigung: Vor dem Start eines "Mammutprozesses" gegen elf überwiegend syrische Angeklagte, denen am Landgericht Freiburg eine gemeinschaftliche Vergewaltigung vorgeworfen wird, gibt swr.de (Christoph Kehlbach) einen Überblick zu den wichtigsten Fragen.

VG Berlin – IS-Unterstützer: Vor dem Verwaltungsgericht Berlin bemüht sich ein Vater darum, seinen Sohn, der sich als mutmaßlicher IS-Unterstützer in kurdischer Haft in Nordsyrien befindet, heimholen zu lassen. Hierzu soll die Bundesrepublik durch eine Klage verpflichtet werden, berichtet lto.de (Markus Sehl) und zitiert aus einer Erklärung der klägerischen Anwälte. Diese beriefen sich auf ein Schutz- und Treueverhältnis der Parteien, vom Bundesverfassungsgericht in seiner Staatsangehörigkeitsentscheidung von 1974 näher definiert. Der Beitrag nennt auch weitere vergleichbare Verfahren im In- und Ausland. Die Welt (Ibrahim Naber) berichtet ebenfalls über die Klage.

Recht in der Welt

EGMR – Sea-Watch: Die Hilfsorganisation Sea-Watch ist mit dem Versuch gescheitert, über eine Eilanordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Italien zu verpflichten, die sich auf einem Schiff von Sea-Watch befindlichen Flüchtlinge aufzunehmen. Das Gericht habe keine Eilbedürftigkeit erkannt, weil einige der Schiffsinsassen bereits an Land gehen durften und im Falle der übrigen kein "unmittelbares Risiko für irreparablen Schaden" bestehe, so zeit.de über die Entscheidung.

Großbritannien – Abtreibung: Über den ungewöhnlichen Fall einer geistig behinderten Britin, die zunächst gerichtlich dazu verpflichtet wurde, den von ihr getragenen Fötus abzutreiben, berichtet nun auch die SZ (Cathrin Kahlweit). Offenbar gebe es in der britischen Rechtsgeschichte keinen vergleichbaren Fall, dementsprechend habe die Berufungsinstanz die Entscheidung des Betreuungsgerichts unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention aufheben können.

Juristische Ausbildung

Referendare: In Mecklenburg-Vorpommern sind Rechtsreferendare seit Kurzem wieder Beamte auf Widerruf. Nach Mitteilung des Justizministeriums verzeichnet das Land seitdem einen Anstieg der Bewerber: In diesem Juni beginnen 23 Referendare ihren Vorbereitungsdienst, gegenüber 15 im vergangenen Jahr. lto.de berichtet.

Sonstiges

Genuss und Konsequenzen: Eine flüchtige Begegnung auf dem Weg zum Bahnhof nimmt Rechtsanwalt André Bohn auf lawblog.de zum Anlass eines Gastbeitrags, der sich mit der Reichweite des Festnahmerechts für Jedermann nach § 127 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) auseinandersetzt. Dem Autor war ein Jugendlicher begegnet, der "irgendetwas zum Rauchen in der Hand" hatte, dem olfaktorischen Eindruck zufolge habe es sich um einen Joint gehandelt.

Europarat: Über die Wiederaufnahme russischer Abgeordneter in die Parlamentarische Versammlung des Europarates berichten nun auch FAZ (Reinhard Veser) und taz (Barbara Oertel).

Die Kommentare von Reinhard Veser (FAZ), Barbara Oertel (taz) und Florian Hassel (SZ) beklagen jeweils, dass der Grund für die 2014 erfolgte Suspendierung der Abgeordneten nach wie vor bestehe und zweifeln daher an der Zukunftsfähigkeit des Europarates.

Das Letzte zum Schluss

Held des Alltags: Im Büro gibt es eher kein Hitzefrei mehr, dafür verkürzen die aktuell tropischen Temperaturen einigen Schülern ihren Arbeitstag. Wem sie dafür danken können, erklärt spiegel.de (Armin Himmelrath). Als preußischer Kultusminister verfügte der Verwaltungsjurist Robert Bosse im Jahr 1892 per Ministerialerlass die Verkürzung des Unterrichts "wenn das hundertteilige Thermometer um 10 Uhr vormittags im Schatten 25 Grad zeigt".

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. Juni 2019: Anklage gegen Rechtsterroristen / Schutz- und Treuepflicht zur Rückholung? / Sea-Watch unterliegt . In: Legal Tribune Online, 26.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36099/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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