Der polnische Präsident legt Veto gegen Teile der geplanten Justizreform ein. Außerdem in der Presseschau: In Istanbul beginnt das Verfahren gegen Cumhuriyet-Journalisten und was folgt aus den Enthüllungen zu einem möglichen Auto-Kartell?
Thema des Tages
Polen – Justizreform: Der polnische Präsident Andrzej Duda hat angekündigt, gegen zwei der drei umstrittenen Regierungsvorhaben zur Reform des Justizwesens sein Veto einzulegen, berichten unter anderem FAZ (Konrad Schuller/Michael Stabenow) und spiegel.de. Hiervon betroffen seien die geplante Entlassung der aktuellen Richter des Obersten Gerichts sowie die neue Zusammensetzung des Landesrichterrats. Weil das Gerichtswesen in Polen aber dringend geändert werden müsse, billigte der Präsident den dritten Teil der jüngst beschlossenen Reformen. Hierdurch wird dem Justizminister eine umfangreiche Befugnis zur Entlassung und Neuernennung sämtlicher Gerichtspräsidenten eingeräumt, beschreibt die taz (Gabriele Lesser).
Seite-Drei-Reportagen von SZ (Florian Hassel/Tim Neshitov) und FAZ (Konrad Schuller) befassen sich mit der Reaktion der durchaus heterogenen Protestbewegung sowie den möglichen Beweggründen des Präsidenten für die jetzige Entscheidung.
In einem Kommentar zum "politischen Wirbelsturm" beschreibt Tomasz Kurianowicz (zeit.de) den Werdegang des Präsidenten von einem Hinterbänkler, über den "Lakai, der alle Gesetze unterzeichnet", zu einem "großen Europäer", den vor allem erzürnt haben dürfte, dass die Regierung seine Änderungswünsche "komplett ignoriert hatte". Für Gabriele Lesser (taz) ist die Entscheidung Dudas dagegen auf ein "kühl kalkuliertes Risiko" zurückzuführen. Eine Unterschrift hätte seinen Ruf als Jurist "diskreditiert", das Verfassungsgericht des Landes sei dagegen nurmehr ein "Erfüllungsgehilfe" der Regierung. Nikolas Busse (FAZ) begrüßt im Leitartikel, dass die jetzige "Entwicklung von Polen selbst ausgeht" und fordert Zeit, damit im Land ein neuer Konsens über das Politik und Justiz gefunden werde. Florian Hassel (SZ) hält dagegen Misstrauen für weiterhin angebracht. Zwar sei es zu begrüßen, dass das Oberste Gericht demnächst in wichtigen Verfahren in bisheriger Besetzung entscheiden könne. Dagegen habe die jetzige Erklärung des Präsidenten die Einschätzung vermissen lassen, dass die vorläufig gescheiterten Vorhaben wegen Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit verfassungswidrig seien.
Rechtspolitik
Insolvenzverwalter: Das Hbl (Heike Anger) berichtet über die vom Verband der Insolvenzverwalter vorgebrachte Forderung, im Rahmen aktueller Bestrebungen zu einer Neugestaltung des Insolvenzrechts auf europäischer Ebene auch eine gesetzlich verankerte Berufsordnung für Insolvenzverwalter im nationalen Recht zu schaffen. Die Branche der Insolvenzverwalter sei sich über die Notwendigkeit von Berufsordnung und Kammer jedoch uneins.
Justiz
BVerfG zu BND-Überwachung: Über den Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts zu einer von der Gruppe "Reporter ohne Grenzen" eingelegten Verfassungsbeschwerde wegen behaupteter Ausspähung elektronischer Kommunikation durch den BND berichtet nun auch lto.de. Der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführer habe sich optimistisch gezeigt, dass die vom Gericht aufgezeigten Wege, "effektiven Rechtsschutz gegen heimliche Überwachungsmaßnahmen des BND" zu ermöglichen, in anderen, fachgerichtlich bereits anhängig gemachten Verfahren zum Erfolg führen würden.
OLG München – NSU: Vor Beginn der Plädoyers im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München porträtiert die FAZ (Karin Truscheit) Bundesanwalt Herbert Diemer, der den Schlussvortrag der Anklage beginnen wird.
LG Hamburg – G-20: Das Landgericht Hamburg hat den Haftbefehl gegen einen Mann bestätigt, der während der G-20-Ausschreitungen einen Polizeihubschrauber-Piloten mit einem Laserpointer geblendet haben soll. Für den Vorwurf des versuchten Mordes gebe es jedoch nach derzeitigem Ermittlungsstand keine ausreichenden Anhaltspunkte, melden FAZ (Frank Pergande) und spiegel.de.
VG Mainz zu Zwangsexmatrikulation: Die verspätete Zahlung des Semesterbeitrages führt auch dann zur Zwangsexmatrikulation eines Studenten, wenn sie auf einer verspäteten Zuleitung einer Aufwandsentschädigung beruht. Dies entschied nach Bericht von lto.de (Marcel Schneider) das Verwaltungsgericht Mainz. Die beklagte Universität sei nicht dazu verpflichtet, die Ursache verspäteter Zahlungen zu ergründen, weil allein der klagende Student für den rechtzeitigen Eingang des fraglichen Betrages verantwortlich sei.
Samenspende: Die Welt (Sabine Menkens) berichtet über gerichtliche Versuche von durch Samenspenden gezeugten Kindern, die Identität ihrer leiblichen Väter in Erfahrung zu bringen. In der letzten Woche habe das Landgericht München die Klage einer Frau abgewiesen, weil der beklagte Mediziner habe glaubhaft machen können, die Identität des fraglichen Spenders nicht gekannt zu haben. Das Landgericht Essen habe dagegen ebenfalls in der vergangenen Woche eine Klinik zur Auskunft gegenüber mehreren Klägern verurteilt. Ein Interessenverband betroffener Kinder bemängele, dass das im Mai vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Regelung des Rechts auf Abstammung keine rückwirkende Wirkung entfalte. Beklagte Kliniken würden zudem häufig behaupten, alte Unterlagen zu Samenspenden bereits vernichtet zu haben.
BAW – Linda W.: Die Bundesanwaltschaft hat nach Meldung von spiegel.de mitgeteilt, die Ermittlungen gegen die mutmaßliche Dschihadistin Linda W. übernommen zu haben. Nach dem Bericht der taz (Tobias Schulze/Konrad Litschko) könnte sich eine Überstellung des Mädchens in Ermangelung eines Auslieferungsabkommens mit dem Irak schwierig gestalten. In einem Kommentar plädiert Ronen Steinke (SZ) für Augenmaß im strafrechtlichen Umgang mit jugendlichen IS-Rückkehrern. Zwar gebe es "keinen anderen Weg, als sehr scharf hinzusehen" und hierbei alle rechtlich zulässigen Möglichkeiten einschließlich elektronischer Fußfesseln auszuschöpfen. Angesichts des jungen Alters sollte aber auch nicht außer Acht gelassen werden, dass für eine Rückkehr in ein "normales" Leben "die abgeschotteten Soziotope hinter Gefängnismauern der denkbar schlechteste Übungsort" seien.
Recht in der Welt
Türkei – Cumhuriyet: Berichte zur Eröffnung des Prozesses gegen Journalisten und Mitarbeiter der Zeitung Cumhuriyet in der Türkei bringen FAZ (Rainer Hermann), lto.de, SZ (Luisa Seeling) und Welt (Pinar Ögünc). Als Beleg für die angebliche terroristische Verschwörung der Angeklagten gelte deren Benutzung eines bestimmten Smartphone-Messenger-Dienstes. Es sei ausgemacht, dass die Zeitung den Unwillen des Präsidenten nach einer Enthüllungsstory über Waffenlieferungen nach Syrien auf sich gezogen habe. Die taz (Ali Celikkan) beschreibt die Auswirkungen der Ermittlungen und schließlichen Anklagen für die Zeitung. Nach dem Kommentar von Luisa Seeling (SZ) sind die gegen die Angeklagten erhobenen Vorwürfe "an Absurdität kaum zu überbieten". Dass "der fromme Verschwörer" und die säkulare Zeitung in der Vorstellungswelt der Anklage zusammengearbeitet haben sollen, belege nur, dass nun "das publizistische Flaggschiff des kemalistischen Lagers mundtot gemacht werden solle".
EU – Rechtsstaatsverfahren: Privatdozent Alexander Thiele untersucht auf verfassungsblog.de, unter welchen Voraussetzungen ein der Durchsetzung des in Art. 2 EU-Vertrag normierten Wertekanons dienendes Rechtsstaatsverfahren nach Art. 7 EUV gegen mehrere Mitgliedstaaten zugleich geführt werden könnte.
Ungarn – Richter: Rechtsanwalt Denes Lazar macht auf lto.de Wissens- und Einstellungsmängel der ungarischen Richterschaft für die bedrohte Rechtsstaatlichkeit im Lande verantwortlich. Zahlreiche alte Richter in leitenden Positionen hätten ihre juristische Ausbildung in kommunistischen Zeiten erhalten. Die dort erfahrenen Prägungen wirkten auch nach der Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen fort, sodass die Justiz bis heute zuvörderst bestrebt sei, Regierungspolitik durchzusetzen.
Vereinigtes Königreich – Behandlungsstopp: Vor dem für den heutigen Dienstag geplanten erneuten Entscheidung des britischen High Courts über den Behandlungsabbruch bei einem an einem seltenen Gendefekt leidenden Kleinkind haben dessen Eltern mitgeteilt, nicht mehr wie bislang eine weitere Behandlung erzwingen zu wollen. Es berichten SZ (Christina Berndt) und Welt (Stefanie Bolzen).
Sonstiges
Auto-Kartell: Offenbar ist der Daimler-Konzern VW mit einer Selbstanzeige bei den Wettbewerbsbehörden wegen möglicher Teilnahme an einem Kartell zuvorgekommen. Dies berichtet die SZ (Klaus Ott u.a.) exklusiv. Die Fallstricke des Kartellrechts und ihre besondere Bedeutung für den Automobilmarkt werden von der SZ (Wolfgang Janisch u.a.) erläutert. Die "Grenzen zulässiger Absprachen" zwischen Firmen sind auch Thema eines Interviews von zeit.de (Veronika Völlinger) mit Rechtsanwalt Philipp von Dietze.
Übersichten von SZ (Thomas Fromm/Wolfgang Janisch), spiegel.de (Florian Diekmann), focus.de (Antonia Schäfer) und taz (Christian Rath u.a.) erläutern Klagemöglichkeiten, den Ablauf eines Kartellverfahrens sowie die Höhe einer möglichen Strafe. Das Hbl (Ruth Berschens) stellt die für ihre harte Gangart bekannte EU-Wettbewerbs-Kommissarin Margrethe Vestager vor. In einem ausführlichen Interview mit dem Hbl (Stefan Menzel/Thomas Siegmund) nimmt der frühere Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) in seiner jetzigen Funktion als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie Stellung zu den Kartellvorwürfen und der Bereitschaft betroffener Hersteller, für die Folgen der Abgas-Affäre aufzukommen. In einem Kommentar hält Ingo Arzt (taz) fest, dass VW ähnlich wie die Deutsche Bank "too big to fail" ist. Diese Größe erlaube es der Firma und den anderen mutmaßlichen Kartellanten, zu denen auch die Bundesregierung zu zählen sei, eine verfehlte und tatsächlich auch gesundheitsgefährdende Geschäftspolitik zu Lasten von Verbrauchern fortzusetzen.
Das Letzte zum Schluss
Phenylethylamin-/Lurch-Orthografie: Staatsanwaltschaften und Gerichte klagen regelmäßig über Arbeitsüberlastung. Nicht anders erklärt werden kann ein von lawblog.de (Udo Vetter) berichteter Strafbefehl, in dem einem Angeklagten vorgeworfen wurde, "Amphitamin" besessen sowie unter dem Einfluss von "Amphitamin" am Verkehr teilgenommen zu haben.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 25. Juli 2017: Justizreform gestoppt / Cumhuriyet-Prozess eröffnet / Auto-Kartell enttarnt? . In: Legal Tribune Online, 25.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23591/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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