Die juristische Presseschau vom 23. bis 25. Juni 2012: ESM und Fiskalpakt – Ärzte und Korruption – Juristen und Smart-Drugs

25.06.2012

Die verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen um den Euro-Rettungsschirm ESM, den Fiskalpakt und die Zukunft Europas beherrscht die Wochenendpresse. Außerdem: transparente Provisionen, Kritik der Industrie am Leistungsschutzrecht, keine Korruption bei Ärzten, Juristen unter Drogen – und wie ein Angelhaken einem Dieb zum Verhängnis wurde.

ESM und Fiskalpakt: Die Samstags-SZ (Heribert Prantl) beschäftigt sich mit der anstehenden Überprüfung des Euro-Rettungsschirms ESM und des Fiskalpakts durch das Bundesverfassungsgericht und erwartet "eines der spektakulärsten Verfahren der deutschen Verfassungsgeschichte." Dabei müsse das Gericht, wolle es sich selbst treu bleiben, diesmal entscheiden, dass das Volk zu entscheiden hat. Kritisiert wird der Artikel von Max Steinbeis (verfassungsblog.de): Anders als von Prantl angedeutet, liege ein "Landesverrat" durch eine Zustimmung zum ESM völlig fern.

Die Montags-FAZ (Majid Sattar) erläutert, warum auch die Zustimmung zum ESM im Bundestag am Freitag eine Zweidrittelmehrheit erfordern könnte.

Bundesregierung und Verfassungsgericht: Der Spiegel (Dietmar Hipp/Ralf Neukirch) befasst sich derweil mit dem "zerrütteten" Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht. In dem Konflikt gehe es "um den Spielraum, den die Bundesregierung in der Euro-Krise hat" und "wie viel Europa das Grundgesetz zulässt". Manifestiert habe sich die Auseinandersetzung in der jüngsten Entscheidung des Gerichts zur Unterrichtung des Bundestags und seiner Bitte an den Bundespräsidenten, das Gesetz zu ESM und Fiskalpakt zunächst nicht zu unterzeichnen.

Mit den Hintergründen dieser "Entschleunigung" beschäftigt sich die Samstags-FAZ (Reinhard Müller). Das Blatt schildert Gerüchte, wonach die Bundesregierung plane, eine Eilentscheidung aus Karlsruhe durch die sofortige Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten faktisch wirkungslos zu machen. Auch die FR (Karl Doemens/Ursula Knapp) beschäftigt sich mit diesem Thema.

Kritisch sieht Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) die Tendenz des Bundesverfassungsgerichts, sich "zum Retter der Demokratie" zu stilisieren und den Eindruck zu erwecken, das Parlament verschlafe die Debatte – im Gegenteil werde die Regierungslinie von einer breiten parlamentarischen Mehrheit getragen.

Als "Integrator" stellt Reinhard Müller in einem weiteren Artikel in der Samstags-FAZ den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle vor. Dieser bemühe sich aktiv um politische und gesellschaftliche Akzeptanz der Gerichtsentscheidungen. Als "wichtigsten Gegenspieler der Regierung" porträtiert ihn hingegen spiegel.de (Severin Weiland).

Zukunft Europas: Im Interview mit dem Spiegel (Sven Böll/Konstantin von Hammerstein – Vorabmeldung auf spiegel.de) skizziert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble seine Gedanken zur Zukunft der Europäischen Union. Dabei geht er von einer weitergehenden Vergemeinschaftung mit einem direkt gewählten Präsidenten und einem gestärkten EU-Parlament aus – und früher oder später von einer Volksabstimmung darüber auch in der Bundesrepublik.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Versicherungsprovisionen: Der EU-Binnenmarktkommissar Michael Barnier strebt eine EU-Richtlinie an, die Versicherungsvermittler verpflichten soll, die Höhe ihrer Provisionen offenzulegen. Die Samstags-SZ (Daniela Kuhr) berichtet.

Leistungsschutzrecht: Auf scharfe Kritik des Industrieverbands BDI ist laut FTD (Bernhard Hübner) das von der Bundesregierung geplante Leistungsschutzrecht für Presseverlage gestoßen. Von dem Vorhaben seien zahlreiche übliche unternehmerische Kommunikationsformen betroffen.

In ihrem Leitartikel pflichtet die FTD dem BDI bei: Der Gesetzentwurf schaffe vor allem "neue Probleme, ohne alte wirklich zu lösen", weil er "außerordentlich schwammig und unpräzise formuliert" sei.

Thomas Stadler nimmt derweil auf internet-law.de ein den Gesetzentwurf stützendes Rechtsgutachten aus dem Umfeld des Springer-Verlags auseinander.

Frauenquote: Frauenquoten für Aufsichtsräte oder Vorstände wären ein "bedenklicher Fremdkörper im deutschen Aktienrecht". Zu diesem Ergebnis kommt nach einem Bericht der Montags-FAZ (Joachim Jahn) der Münchener Rechtswissenschaftlers Mathias Habersack im Hauptgutachten für den diesjährigen Deutschen Juristentag im September.

Bürgerbeteiligung: Mit Möglichkeiten und Grenzen von Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie setzt sich Jasper von Altenbockum in der Montags-FAZ auseinander. Bürgerbeteiligung könne komplexe Planungsverfahren nicht ersetzen und sei keine "Allzweckwaffe demokratischer Tugend". Vielmehr müssten Parlamente gegenüber der Exekutive gestärkt werden.

Weitere Themen – Justiz

Keine Ärztebestechung: Der Große Senat des Bundesgerichtshofs hat in einer Grundsatzentscheidung klargestellt, dass Geschenke an niedergelassene Ärzte für die Verschreibung bestimmter Medikamente keine Bestechung im Sinne des Strafgesetzbuches darstellen. Ärzte seien weder Amtsträger noch Beauftragte der Krankenkassen, so das Gericht laut Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) und Samstags-taz (Christian Rath). Die Bundestagsfraktion der SPD strebe nun eine Gesetzesänderung an.

Ein solches Vorhaben wird einem Bericht der FTD (Kai Beller) zufolge von der Bundesregierung hingegen abgelehnt. Auch Guido Bohsem (Samstags-SZ) plädiert unter Hinweis auf die Freiberuflichkeit für eine Anpassung der ärztlichen Berufsordnung.

EU-Sprachen: Darf eine Stellenausschreibung der EU die Beherrschung von Deutsch, Französisch oder Englisch als Zweitsprache zur Einstellungsvoraussetzung machen? Oder muss jede der 23 EU-Amtssprachen genügen? Damit hat sich auf eine Klage Italiens der Europäische Gerichtshof zu befassen. Die Generalanwältin will laut verfassungsblog.de (Max Steinbeis) in ihrer jetzt veröffentlichten Stellungnahme allerdings begründete Ausnahmen vom Prinzip der Vielsprachigkeit zulassen – auch zugunsten "faktisch als interne Arbeitssprachen" verwendeter Sprachen.

Parlamentsrecht: Zu Recht ausgeschlossen wurden sieben NPD-Abgeordnete aus dem sächsischen Landtag, die mit ihrer einheitlichen Thor-Steinar-Bekleidung gegen die "Ächtung" dieser Bekleidungsmarke zu protestieren. Dies verstoße ohne Rücksicht auf den Inhalt der Aussage aber offensichtlich gegen die parlamentarische Ordnung, so der Sächsische Verfassungsgerichtshof laut lto.de.

Schwimmunterricht: Bis zum Einsetzen der Pubertät bzw. dem zwölften Lebensjahr müssen Schülerinnen muslimischen Glaubens nicht aus religiösen Gründen vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht befreit werden, berichtet über die einstweilige Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bremen.

Anwalt wieder frei: Ein am vergangenen Dienstag wegen des Vorwurfs der Anstiftung zur Falschaussage noch im Gerichtssaal festgenommener Anwalt ist seit Freitag wieder auf freiem Fuß. Die inszenierte Festnahme kritisiert Udo Vetter (lawblog.de) als unverhältnismäßig: Sie komme einer öffentlichen Vorverurteilung gleich.

Neue Wulff-Ermittlungen: Die Staatsanwaltschaft Hannover prüft nach einem Bericht des Spiegel (Hubert Gude – Vorabmeldung auf spiegel.de) die Einleitung eines weiteren Ermittlungsverfahrens gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff. Dieser habe das Preisgeld für den ihm während seiner Amtszeit verliehenen Leo-Baeck-Preis nicht wie üblich gleich gespendet, sondern seinem Privatkonto gutschreiben lassen.

Steuerhinterziehung: Einem Bericht der Montags-SZ (Klaus Ott) zufolge ermittelt die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in Höhe von 600 Millionen Euro gegen insgesamt zwölf Verdächtige aus Deutschland, Russland und Zypern. Die Beschuldigten sollen von Frankfurt aus Geschäfte auf dem russischen Erdgasmarkt gemacht haben, ohne diese zu versteuern.

NSU-Kontrollkommission: Die Kontrollkommission des sächsischen Landtags hat ihren Abschlussbericht zu den NSU-Ermittlungen vorgelegt. Wie die FAZ (jbe) berichtet, kritisiert der Bericht vor allem die mangelnde Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz. Die Samstags-taz (Michael Bartsch) spricht von "systematischem Versagen".

Vorhandene Vorratsdaten: Am Beispiel eines mithilfe beim Mobilfunkanbieter gespeicherter Verbindungsdaten aufgeklärten Mordfalls erläutert die Montags-taz (Christian Rath), dass Mobilfunkdaten, anders als Internetzugangsdaten, trotz mangelnder Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung häufig noch für Ermittlungsbehörden verfügbar seien. Dies stoße bei Datenschützern auf Kritik – weswegen der Arbeitskreis Vorrat die Telefonfirmen bei der Bundesnetzagentur angezeigt habe.

Bestätigungsschreiben: Die jüngsten Urteil des Oberlandesgerichts Köln und des Landgerichts Bonn zu unerwünschten Bestätigungsschreiben sind Thema eines Beitrags des Rechtsanwalts Sascha Vander auf lto.de, der in solchen Fällen die Einführung eines Textformzwangs erwartet.

Kunst & Modedesign: Modedesigner sind keine "Künstler" und haben deswegen auch keinen Zugang zur staatlich geförderten Künstlersozialversicherung, so das Bundessozialgericht. Auf lto.de setzt sich der Sozialrechtler Reimund Schmidt-De Caluwe mit der Entscheidung kritisch auseinander.

Studentischer Pro-Rektor: Worauf die Rostocker Universität ursprünglich stolz war, ist jetzt ein Fall für die Arbeitsgerichtsbarkeit geworden: Der Student Heiko Marski war als Pro-Rektor für studentische Angelegenheiten Mitglied der Uni-Leitung – sollte dafür aber nur 800 Euro erhalten. Dies hielt er für keine angemessene Bezahlung für seine Tätigkeit und zog vor das Arbeitsgericht. Es berichtet die Montags-SZ (Ralf Steinbacher) auf ihrer "Schule und Hochschule"-Seite.

Tankstellenkartell: Das Bundeskartellamt schaltet in seinem Missbrauchsverfahren gegen die großen Mineralölkonzerne nun das Oberlandesgericht Düsseldorf ein. Conoco-Phillips, Betreiber der Jet-Tankstellen, habe Auskünfte über sein Preisverfahren verweigert, berichtet die Montags-FAZ (Helmut Bünder).

Gesellschafter-Stimmrecht: Der Rechtsanwalt Horst Gräzer erläutert auf dem Handelsblatt Rechtsboard ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das dem Gesellschafter-Geschäftsführer sein Stimmrecht aberkennt, wenn über die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen einen Mitgesellschafter entschieden wird und er selbst unter dem Verdacht der Mittäterschaft steht.

Weitere Themen – Recht in der Welt

SNCF und Holocaust: Dem französischen Eisenbahnunternehmen SNCF könnten Millionenklagen von Holocaust-Opfern aus den USA ins Haus stehen. Wie der Spiegel berichtet, wird im US-Senat ein Gesetz vorbereitet, das Entschädigungsansprüche von Überlebenden gegenüber am Holocaust beteiligten Bahnunternehmen vorsieht.

Breivik-Prozess: Über das Plädoyer der Verteidigung im Prozess gegen den Attentäter Anders Behring Breivik berichtet spiegel.de (Gerald Traufetter/Espen A. Eik). Das Plädoyer habe Freispruch wegen Notwehr oder eine milde Strafe gefordert – und auf die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten bestanden.

Georg Paul Hefty spricht sich in der Samstags-FAZ dagegen für eine potentiell lebenslange Einweisung in die Psychiatrie aus. Nur so könne das Gericht der Tat gerecht werden – im Falle einer Verurteilung müsse Breivik nach höchstens 20 Jahren aus der Haft entlassen werden.

Sonstiges

Grundrechte-Report: Scharf kritisiert der Bonner Rechtswissenschaftler Christian Hillgruber in der Montags-FAZ den "Grundrechte-Report" von 2012. Der Bericht über Grund- und Menschenrechtsverletzungen in Deutschland wird jährlich von Bürgerrechtsorganisationen herausgegeben. Die diesjährige Ausgabe verzerre durch Skandalisierung die tatsächlichen Gegebenheiten, und erweise dem Grundrechtsschutz einen "Bärendienst".

"Smart Drugs": Der Konsum von Ritalin und Modafinil im juristischen Arbeitsumfeld ist Gegenstand eines Beitrags von Constantin Baron van Lijnden auf lto.de. Die so genannten Smart Drugs dienten zur Steigerung von Konzentrationsfähigkeit und Arbeitswillen; ihre Verbreitung habe in den letzten Jahren zugenommen.

Das Letzte zum Schluss

Verflixter Angelhaken: Wenn man schon ein Angelset stehlen will, sollte man wenigstens darauf achten, dass der Haken nicht am Tatort zurückbleibt – sonst erleichtert die abgespulte Angelschnur die Aufklärung des Falles möglicherweise ungemein. Die Geschichte dieses und anderer "dämlicher Diebe" erzählt Heymanns Strafrecht Online Blog (Detlef Burhoff).

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. bis 25. Juni 2012: ESM und Fiskalpakt – Ärzte und Korruption – Juristen und Smart-Drugs . In: Legal Tribune Online, 25.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6460/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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