Die juristische Presseschau vom 25. April 2017: Pläd­oyer der Ver­tei­di­gung / Straf­be­fehl für Spar­kassen-Prä­si­denten / Affe ohne Urhe­ber­schaft

25.04.2018

Am Verhandlungstag 419 beginnt im NSU-Prozess das Plädoyer der Verteidigung. Außerdem in der Presseschau: früherer Sparkassenchef akzeptiert Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung, PETA unterliegt bei Urheberschaft für Affen-Selfie.

Thema des Tages

OLG München – NSU: Hermann Borchert, der sogenannte Vertrauensanwalt Beate Zschäpes, hat am 419. Verhandlungstag im NSU-Prozess mit dem Plädoyer der Verteidigung begonnen. In einem mehr als zweistündigen Vortrag nahm der Anwalt dabei Stellung zur vorgeblich einseitigen Beweiswürdigung der Bundesanwaltschaft. Diese sei von der Absicht getragen, sämtliche Indizien zu Lasten seiner Mandantin auszulegen und sie dem "erstrebten Beweisergebnis" anzupassen. Die starke Persönlichkeit der Angeklagten stehe außer Frage, so Borchert. Hieraus zu schließen, sie hätte innerhalb des Trios eine dominierende Stellung eingenommen, sei "unsinnig". Soweit Zschäpe die Distanziertheit ihrer schriftlichen Aussage vorgeworfen werde, sei diese "auf die literarischen Fähigkeiten des Wahlverteidigers zurückzuführen". Eine Mittäterschaft scheide jedenfalls aus. Berichte zum Plädoyer, dem sich weitere, u.a. des "Altverteidiger"-Teams Zschäpes anschließen werden, bringen SZ (Annette Ramelsberger/Wiebke Ramm), taz (Dominik Baur/Konrad Litschko), zeit.de (Tom Sundermann), spiegel.de (Julia Jüttner) und FAZ (Karin Truscheit).

In einem Video von swr.de beschreibt die Journalistin Ina Krauß ihre Eindrücke vom Verhalten der Verteidiger Zschäpes und zur Dauer des Verfahrens.

In ihrem Kommentar begrüßt es Annette Ramelsberger (SZ) dass das Gericht gegenüber den fortgesetzten Unterbrechungsversuchen des plötzlich aktiv gewordenen Mitangeklagten André E. durchgegriffen hat. Schon längst sei ein historischer Prozess "zum juristischen Kleinkrieg verkommen". Dabei sei es an der Zeit, das Verfahren zu Ende zu bringen.

Rechtspolitik

Bund-Länder-Finanzen: Dem Hbl (Daniel Delhaes/Jan Hildebrand) liegt der Regierungsentwurf für eine umfassende Grundgesetzänderung im Bereich der Bund-Länder-Finanzen vor. Bei der in der nächsten Woche geplanten Kabinettsabstimmung über den Bundeshaushalt solle auch über diesen Entwurf beschlossen werden, nach dem sich der Bund stärker als bislang an den Kosten von Schulsanierungen, aber auch beim sozialen Wohnungsbau beteiligen wolle.

Musterfeststellungsklage: Nach Informationen des Hbl (Daniel Delhaes/Dietmar Neuerer) ist der für den heutigen Mittwoch geplante Kabinettsbeschluss zur Musterfeststellungsklage kurzfristig abgesagt worden. Eine Einigung über die noch offenen Punkte solle bis Anfang Mai erreicht werden. Inhalt und Regelungsgehalt der Klagevariante stellt die taz (Christian Rath) vor.

Elisabeth Winkelmeier-Becker: Im Interview mit lto.de (Hasso Suliak) erläutert die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, die Position der Union in Fragen der Einführung einer Musterfeststellungsklage, zur Reform des § 219a Strafgesetzbuch, zu Klärungsansprüchen gegenüber Facebook sowie zur Notwendigkeit prozessrechtlicher Änderungen, die der Verfahrensbeschleunigung dienen sollen.

§ 219a StGB: In einem Bericht zu unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Regierungskoalition bezüglich der Reform von § 219a Strafgesetzbuch stellt die FAZ (Heike Schmoll/Eckart Lohse) auch die Positionen der Oppositionsfraktionen FDP, Grüne und Linke sowie jene des Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, dar.

PsychKHG Bayern: Die Bayerische Staatsregierung hat sich nach Bericht u.a. der FAZ (Timo Frasch) entschlossen, ihren Entwurf eines Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes zu entschärfen. So solle etwa auf die ursprünglich geplante Unterbringungsdatei verzichtet werden.

Polizeigesetz Bayern: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch erinnert Oliver Braun, Mitarbeiter der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, daran, dass die aktuelle Kritik an dem Entwurf der Novelle des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes ebenso wie der Anlass dieser Kritik historische Vorbilder aufweise. Stünde heute die Formel der "drohenden Gefahr", bei der die Polizei tätig werden könne, in der Kritik, habe der "Hauptstreitpunkt" beim ersten Entwurf des Gesetzes im Jahr 1953 im dort vorgesehenen Eingriffsrecht  bei Handlungen bestanden, "durch die die Verfassung verletzt oder bedroht" werde. Diese Generalklausel sei  erst nach intensiven Beratungen und Verhandlungen im Folgejahr "in abgeschwächter Form" verabschiedet worden.

Künstliche Intelligenz: Die EU-Kommission will am heutigen Mittwoch bekanntgeben, welche Maßnahmen im Bereich "Künstlicher Intelligenz" ergriffen werden sollen. Nach dem Bericht des FAZ-Einspruchs (Corinna Budras/Marcus Jung) sollen hierbei zum einen Forschungsvorhaben unterstützt, zum anderen auch eine angemessene Regulierung und Transparenz sichergestellt werden.

Justiz

EuGH – Fehmarnbelt-Tunnel: Auf Klage der Fährgesellschaft Scandlines und unter Beiladung des Naturschutzbundes verhandelt am morgigen Donnerstag der Europäische Gerichtshof zur Frage der beihilferechtlichen Zulässigkeit einer Bewilligung öffentlicher Mittel für den geplanten Fehmarnbelt-Tunnel. Vorhaben und Kritik stellt die taz-Nord (Sven-Michael Veit) vor.

KG Berlin – entführter Geschäftsmann: Am Berliner Kammergericht hat der Prozess gegen den Vietnamesen Long N.H. begonnen, dem geheimdienstliche Agententätigkeit und Beteiligung am erpresserischen Menschenraub zum Schaden des Geschäftsmanns Trịnh Xuân Thanh vorgeworden wird. Über die Eröffnung berichtet die taz (Marina Mai).

LG Hamburg – Alice Weidel: Am kommenden Freitag befindet das Landgericht Hamburg über einen gegen Facebook gerichteten Antrag der Bundestagsabgeordneten Alice Weidel (AfD), die Verbreitung eines beleidigenden Posts in Deutschland zu unterlassen. Fall und Rechtsproblem stellt lto.de (Pia Lorenz) vor.

LG München I – Siegfried Mauser: Seit dem vergangen November muss sich Siegfried Mauser, der frühere Präsident der Hochschule für Musik und Theater München, vor dem Landgericht München I wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung verantworten. Der Angeklagte ist bereits in zwei weiteren, noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren mit vergleichbaren Vorwürfen einmal verurteilt und einmal freigesprochen worden, erläutert die FAZ (Patrick Bahners). Im jetzigen Verfahren habe der Vertreter des Kanzlers der Hochschule in seiner Zeugenvernehmung wort- und detailreich seine Beobachtungen des Verhaltens des Angeklagten wiedergegeben.

GStA Schleswig – Carles Puigdemont: Nach Bericht der FAZ (Helene Bubrowski/Hans-Christian Rößler) prüft die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig weiterhin, ob sie eine Auslieferung von Carles Puigdemont beantragen wird. Hierzu würden auch weiterhin Informationen über die Finanzierung des einseitig erklärten Unabhängigkeitsreferendums eingeholt.

AG München – Georg Fahrenschon: Zwei Tage vor Beginn der Hauptverhandlung am Amtsgericht München hat der frühere Sparkassen-Präsident und bayerische Ex-Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) einen Strafbefehl über 140 Tagessätze wegen Steuerhinterziehung akzeptiert. Nach Verständigung mit Gericht und Staatsanwaltschaft sei der ursprüngliche Strafbefehl über 180 Tagessätze reduziert worden, schreiben SZ (Meike Schreiber/Stephan Radomsky) und Hbl (Volker Votsmeier/Frank Drost). Der Bericht der FAZ (Hanno Mussler/Marcus Jung) mutmaßt, dass die verspätet eingereichten Steuererklärungen des vormaligen Sparkassen-Verbandsfunktionärs auf Verstimmungen mit seinem damaligen Steuerberater zurückzuführen seien.

Recht in der Welt

EuGH zu subsidiärem Schutz: Die bloße Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustands eines früheren Folteropfers rechtfertigt es nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs nicht, einem Drittstaatsangehörigen subsidiären Schutz zu gewähren. Bei einer nicht angemessenen Behandlung im Heimatland komme jedoch wegen der Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ein Abschiebungsverbot in Frage. Über das auf Vorlage des britischen Supreme Courts ergangene Urteil berichtet lto.de (Tanja Podolski).

Italien – "Juventa": Das in Sizilien festgesetzte Schiff "Juventa" der Hilfsorganisation "Jugend rettet" wird nicht freigegeben. Das italienische Kassationsgericht bestätigte damit eine unterinstanzliche Entscheidung. Die betroffenen Aktivisten kritisierten, dass trotz der Festsetzung schon im August des vergangenen Jahres eine Anklage gegen Helfer wegen Beihilfe zur illegalen Einreise weiterhin nicht vorliege, so die taz (Malene Gürgen).

Irland – Apple: Der Technologiekonzern Apple wird nach Mitteilung des irischen Finanzministers in den kommenden Monaten 13 Milliarden Euro auf ein Treuhandkonto überweisen. Hierdurch solle einer Anordnung der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Folge geleistet werden, nach der der Betrag als unrechtmäßige Beihilfe einzuordnen ist, erklärt die SZ (Björn Finke). Über die Rechtmäßigkeit der Steuernachforderung müsse noch der Europäische Gerichtshof befinden.

USA – Affen-Selfie: Die juristische Auseinandersetzung um das Urheberrecht an einem Selfie des im indonesischen Urwald lebenden Schopfmakaken Naruto ist mit einer Niederlage der Tierrechteorganisation PETA vorläufig beendet. Nachdem ein Berufungsgericht in San Francisco/USA unlängst bereits den Vergleich zwischen der als "enger Freund" des Tiers auftretenden Organisation und dem Inhaber der Kamera, mit der das Bild angefertigt wurde, aufhob, entschied es nun, dass Affen keinen Status besäßen, der sie zu Urheberrechtsklagen ermächtigte, so u.a. die SZ. Eine gesetzliche Grundlage dafür, im Namen von Tieren vor Gericht aufzutreten, existiere gleichfalls nicht.

Sonstiges

Thomas Fischer: In seiner Kolumne zu Aktuellem aus der Welt des Rechts behandelt Bundesrichter a.D. Thomas Fischer (meedia.de) ein FAS-Porträt der Präsidentin des Bundesgerichtshof, Bettina Limperg, die rechtspolitische Rückkehr des Polizeigewerkschaftlers Rainer Wendt sowie die Forderung von Rechtsprofessorin Tatjana Hörnle, die gängige Dichotomie von Vorsatz oder Fahrlässigkeit abzuschaffen.

Kreuz: Das Vorhaben der Bayerischen Staatsregierung, in den Eingangsbereichen jeder Behörde des Landes ein Kreuz als "sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland" aufhängen zu lassen, bringt Reinhard Müller (FAZ) im Leitartikel in einen Zusammenhang mit der Aktion "Berlin trägt Kippa". Um einer Anfeindung wegen des Tragens von religiösen Symbolen zu begegnen, bedürfe es "der Durchsetzung des Rechts" und Bildung. Dabei sei gut, wenn gleichzeitig die "die Wurzeln dieses Landes herausgestellt werden, wie das im toleranten Bayern schon jetzt geschieht."

Palandt: Der FAZ-Einspruch (Marlene Grunert) wirft einen Blick auf die von einer studentischen Initiative ausgehende Diskussion zur Umbenennung des Palandt-Kommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch und beleuchtet hierbei auch die nationalsozialistische Karriere Otto Palandts und dessen "maßgeblichen Einfluss auf die damalige Juristenausbildung".

Freiheit: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch räsonnieren die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Phil Hackemann, stellvertretender Vorsitzender der Jungen Liberalen, über den "Wert unserer Freiheit" im Angesicht stetig neuer staatlicher Überwachungsmaßnahmen, gegen die sich im Gegensatz zu früheren Zeiten kein wahrnehmbarer Protest mehr rege. Der Umfang und die Manipulationsmöglichkeiten der seit Anfang des Jahres möglichen Online-Durchsuchung scheine "bisher niemanden zu kümmern". Dabei sei die bewusste Ausnutzung von Sicherheitslücken bestehender Computerprogramme "gefährlich für uns alle". Die Autoren wünschen daher einen regelrechten "Befreiungsschlag weg vom Überwachungsstaat".

Presserecht: Aus Anlass der Stellungnahme eines Kanzleramtsbeamten, der dargelegt hatte, dass es einen aus der Verfassung abzuleitenden Informationsanspruch für Pressevertreter nicht gebe, beschreibt der FAZ-Einspruch (Helene Bubrowski) die geltende Rechtslage anhand höchstrichterlicher Entscheidungen. Das vom Bundesverwaltungsgericht 2013 angemahnte Bundesgesetz zu Auskunftsansprüchen gegenüber Bundesbehörden existiere nach wie vor nicht. Pressevertreter müssten sich also in derartigen Fällen auf das Informationsfreiheitsgesetz berufen. Bei dieser Praxis würde jedoch, ebenso wie beim Rückgriff auf das Auskunftsniveau nach den Landespressegesetzen, nicht den durch Art. 5 Grundgesetz verbürgten besonderen Bedürfnissen der Presse Rechnung getragen.

Südkreuz-Versuch: Eine auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes erfolgte Anfrage von netzpolitik.org (Constanze Kurz) zu konkreten Zwischenergebnissen des am Berliner Bahnhof Südkreuz durchgeführten Versuchs zu einem biometrischen Gesichtserkennungssystem ist mit einem Verweis auf eine frühere Presseerklärung beantwortet worden.

Facebook-Standards: Facebook hat vormals interne "Gemeinschaftsstandards", d.h. Regeln, nach denen Inhalte unterdrückt werden, veröffentlicht. Nach dem Eindruck der FAZ (Hendrik Wieduwilt) dürfte dies auf den jüngsten politischen Druck zurückzuführen sein. Zu diesem gehöre auch eine für den heutigen Mittwoch von Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) angekündigte "Digital Charta", nach der unter anderem die Kriterien automatisierter Entscheidungen offengelegt werden sollten.

Das Letzte zum Schluss

Zuständigkeitsfrage eigener Art: Die Polizei im baden-württembergischen Bühl rückte nach einem abgebrochenen Telefonat zu einem Einsatz aus und traf an der ermittelten Adresse einen Jungen an, der offenbar aus Verzweiflung über seine Hausaufgaben die 110 gewählt hatte. Weder taz noch justillon.de wissen, ob die Beamten bei der Lösung behilflich sein konnten.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 25. April 2017: Plädoyer der Verteidigung / Strafbefehl für Sparkassen-Präsidenten / Affe ohne Urheberschaft . In: Legal Tribune Online, 25.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28261/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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