Das Landgericht Nürnberg-Fürth verurteilte Wolfgang P. zu einer lebenslangen Haftstrafe. Außerdem in der Presseschau: Die Staatsanwaltschaft durchsucht Freshfields-Büro wegen Cum-Ex-Mandat und Gefahren für türkische Journalisten.
Thema des Tages
LG Nürnberg-Fürth zu "Reichsbürger": Wegen Mordes und zweifachen versuchten Mordes hat das Landgericht Nürnberg-Fürth den mutmaßlichen "Reichsbürger" Wolfgang P. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Bei einem Polizeieinsatz, der zur behördlichen Sicherstellung von Waffen dienen sollte, hatte der Verurteilte einen SEK-Beamten getötet und zwei andere verletzt. Das Gericht sah die Mordmerkmale der Heimtücke und niedrigen Beweggründe als erfüllt an, so lto.de in einer ausführlichen Darstellung. P. habe seinen Angriff geplant. Der getötete Beamte habe sich durch die anwesenden Kollegen geschützt gefühlt und infolge fehlender eigener Bewaffnung dem Angriff auch nichts entgegensetzen können. Ein niedriger Beweggrund sei in der Ideologie der "Reichsbürger", der sich der Verurteilte zugehörig fühle, zu erkennen. Gerade letzterer Aspekt verleihe dem Urteil "Symbolkraft", so der Bericht von spiegel.de (Peter Maxwill). Nach jenem der FAZ (Karin Truscheit) habe sich die Missachtung der Bundesrepublik, ihrer Amtsträger und Rechtsordnung auch darin gezeigt, dass P. beim Eintreffen der Richter immer "beharrlich sitzen geblieben" sei.
Dass eine besondere Schwere der Schuld durch das Landgericht nicht festgestellt wurde, ist für Reinhard Müller (FAZ) der Beleg dafür, dass gerade kein "politisches" Urteil gefällt wurde. So sollte "allen Gesinnungsgenossen vor Augen" geführt sein, "dass sie schon im freiesten aller Reiche leben". Nach Heribert Prantl (SZ) ist Deutschland "so frei, dass es auch Spinner und ihre Spinnereien ertragen muss". Die Aufladung mit "Verschwörungsfanatismus, Neonazismus und Waffengeilheit" sei jedoch potenziell kriminell, insofern müssten auch Waffenscheine, die "Reichsbürgern" ausgestellt wurden, "umfassend" wieder eingezogen werden.
Rechtspolitik
Gemeinsames Europäisches Asylsystem: Die gegenwärtigen Diskussionen der designierten Regierungskoalition über die künftige Ausrichtung des Asylrechts hält Christoph Tometten auf lto.de für verfehlt. Der vormalige Referent im Büro des Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Grüne) legt dar, dass nach der in Aussicht stehenden Verabschiedung der gegenwärtig im Europäischen Parlament und im Europäischen Rat beratenen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bestehende nationale Spielräume in der Flüchtlingspolitik weitgehend ausgeschlossen seien, wobei sich die schwerwiegendsten Folgen aus der Neufassung der Dublin-Verordnung und der neuen Verfahrensordnung bei der Bearbeitung von Asylanträgen ergäben. Verbesserungen beim Flüchtlingsschutz brächten die Änderungen dagegen nur "marginal".
Familiennachzug: In einem Gastbeitrag für die SZ fordert Nils Muižnieks, Menschenrechtskommissar des Europarates, die künftige deutsche Regierung auf, die 2016 beschlossene weitgehende Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte wieder aufzuheben. Die Familie sei nicht nur grundrechtlich, sondern auch nach internationalen Menschensrechtsstandards schutzwürdig. Obwohl die Beschränkung wohl der Flüchtlingspolitik anderer europäischer Staaten entspreche, schadete sie "letztlich der deutschen Gesellschaft mehr, als dass sie ihr nutzen".
Bürgerrechte: In einem ausführlichen Gespräch mit netzpolitik.org (Constanze Kurz) und dem Netzaktivisten Frank Rieger äußert sich der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) zur bürgerrechtlichen Bilanz der Sicherheitsgesetzgebung der letzten Großen Koalition und seinen diesbezüglichen Erwartungen an die kommende Regierung.
Datenschutz: Die Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder haben einen Katalog mit "elf Grundforderungen" an die kommende Regierung vorgelegt. netzpolitik.org (Yannick Lebert) stellt die Forderungen vor, etwa zu Nachbesserungen beim Bundesdatenschutzgesetz.
E-Privacy-VO: Das Inkrafttreten der E-Privacy-Verordnung könnte sich nach dem Bericht von Stefan Hanloser (community.beck.de) noch bis zum Jahr 2019 verzögern. Grund sei eine entsprechende Stellungnahme des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments aus der vergangenen Woche.
Entsenderichtlinie: Die Arbeits- und Sozialminister der EU berieten in Luxemburg über mögliche Modelle für eine Reform der Entsenderichtlinie. Der Bericht der SZ (Thomas Kirchner) stellt die Modelle vor und prognostiziert, dass letztlich "ein Kompromiss stehen" werde, zwischen jenen, die heimische Arbeitsplätze schützen wollten, und jenen, die am profitablen Wettbewerb interessiert seien. Die Nachricht zu der in der Nacht auf den heutigen Dienstag gefundenen Verhandlungslösung verbreitet u.a. zeit.de.
Justiz
BVerfG – Zensus: Auf Klage der Stadtstaaten Berlin und Hamburg verhandelt das Bundesverfassungsgericht am heutigen Dienstag zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes für den Zensus 2011. Die Städte behaupten eine Benachteiligung durch die verwendete Stichprobenmethode, berichten swr.de (Gigi Deppe) und taz-Berlin (Christian Rath). Diese hätte etwa im Falle Berlins rechnerisch einen Einwohnerrückgang um 180.000 Menschen und demzufolge auch weniger Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich bewirkt.
OLG München – NSU: Am heutigen Dienstag wird das Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München fortgesetzt. Nach Entscheidungen über anhängige Befangenheitsanträge könnten die Plädoyers der Nebenklagevertreter beginnen, schreibt die SZ (Annette Ramelsberger/Wiebke Ramm).
LG Frankfurt/O. – Denkzettel? Das Landgericht Frankfurt an der Oder muss darüber entscheiden, ob zwei Frauen einem Mann, mit dem sie jeweils zuvor liiert waren, einen ungewöhnlichen "Denkzettel" verpasst haben, oder sich durch die Tat wegen Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht haben. Das Opfer wurde im März 2015 in einen brandenburgischen Wald verbracht und dort nach Prügel nackt ausgesetzt. Nach Darstellung einer Angeklagten sei eine Racheaktion für vorangegangene Gewalt aus dem Ruder gelaufen, so lto.de. Das Gericht habe aber in Rechtsgesprächen zwischen den Verfahrensbeteiligten klargestellt, dass es von der Angeklagten beschriebenen mysteriösen Helfern bei der Tat wenig Glauben schenke.
LG Stuttgart – Schlecker: Wie erwartet hat das Gericht im Verfahren gegen Anton Schlecker und seine Kinder das Verfahren zu einigen Vorwürfen vorläufig eingestellt. Eine Anfrage der Verteidigung, ob für den Hauptangeklagten eine Bewährungsstrafe in Betracht komme, habe das Landgericht Stuttgart nicht beantworten wollen, schreibt die FAZ (Oliver Schmale). Ein Urteil könnte Ende November ergehen.
GStA Frankfurt/M. – Freshfields: Büros am Frankfurter Standort der Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer wurden in der vergangenen Woche durch Ermittler der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main durchsucht. Die Maßnahme steht im Zusammenhang mit einem Gutachten, das Anwälte der Kanzlei zu sogenannten Cum-Ex-Geschäften erstellt haben, schreibt die FAZ (Marcus Jung). Der Bericht der SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott) geht auch auf das Wirken sogenannter Anwaltsfabriken wie Freshfields und "anderer großer Namen der Branche" in Großverfahren und privat geführten Ermittlungen oder in der Gesetzesproduktion ein.
Recht in der Welt
Türkei – Journalisten: Am heutigen Dienstag beginnt in Istanbul ein Verfahren gegen sechs Journalisten wegen der Veröffentlichung gehackter E-Mails des türkischen Energieministers Berat Albayrak, dem Schwiegersohn von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Den Fall und die Vorwürfe stellt die taz (Beyza Kural) vor. In einem weiteren Artikel macht die taz (Doris Akrap) darauf aufmerksam, dass ebenfalls heute die den türkischen Behörden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gesetzten Fristen für schriftliche Stellungnahmen im Fall der inhaftierten Cumhuriyet-Journalisten sowie Deniz Yücels ablaufen. Die anstehenden Entscheidungen des Gerichts würden sich über die konkreten Fälle hinaus auch mit der Lage der Pressefreiheit in der Türkei befassen müssen.
Türkei – Auslieferungsgesuche: Nach dem gescheiterten Putsch im vergangenen Jahr hat die Türkei in der Bundesrepublik die Auslieferung von 81 mutmaßlichen Straftätern beantragt. Nach einer Meldung der FAZ gab dies das Bundesjustizministerium auf Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion bekannt. Wie vielen der Anträge stattgegeben worden ist, sei nicht erfasst worden.
Sonstiges
BT-Hauptausschuss: Nach der vorletzten Bundestagswahl beschloss das Parlament die Einsetzung eines Hauptausschusses, um bis zur schließlich erfolgten Regierungsbildung handlungsfähig zu sein. Auch bis zum Abschluss der jetzigen Koalitionsverhandlungen könnte das am heutigen Dienstag zum ersten Mal zusammentretende Parlament über einen solchen Ausschuss beschließen. Der Promovend Simon Gelze unternimmt auf verfassungsblog.de eine vertiefte Darstellung der hiermit einhergehenden verfassungsrechtlichen Probleme.
Direkte Demokratie: In einem Gastbeitrag für das Hbl erinnert die frühere Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff daran, dass sich zwei der Parteien der mutmaßlich kommenden Regierungskoalition – CSU und Grüne – in ihren Wahlprogrammen für Volksabstimmungen auf Bundesebene ausgesprochen hatten. Von dieser Position abzurücken, nur weil die AfD ähnliche Positionen vertritt, wäre nicht "klug", gleichzeitig sollte man sich im Klaren sein, dass sich "globalisierungsrelevante internationale Politik und insbesondere die Europapolitik" dauerhaft nicht von etablierten direktdemokratischen Abstimmungen ausschließen ließen.
Europarat: In einer ausführlichen Reportage über den Europarat und dessen durch wachsende autoritäre Tendenzen in Europa beeinflusste Parlamentarische Versammlung weist die FAZ (Reinhard Veser) auf eine mögliche Premiere am morgigen Mittwoch hin. Auf Antrag des Generalsekretärs Thorbjørn Jagland werde über ein Verfahren zum Ausschluss Aserbaidschans entschieden, dem die Missachtung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorgeworfen wird. Die Entscheidung könnte mit Blick auf Russland von Bedeutung sein.
Legal Tech: Über die Legal-Tech-Tagung "Legal (R)evolution" in Frankfurt berichtet die FAZ (Marcus Jung). So habe unter anderem Rechtsanwalt Thomas Remmers als Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer auf Vor- und Nachteile von Plattformen hingewiesen.
IBA: Über die Jahreskonferenz der International Bar Association vom Anfang des Monats berichtet das Hbl (Torsten Riecke). Im australischen Sydney diskutierten mehr als 4.000 Juristen über die Herausforderungen, denen sich das Recht durch den Wandel der globalen Ordnung gegenübersieht.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 24. Oktober 2017: Lebenslang für "Reichsbürger" / Staatsanwaltschaft bei Freshfields / Journalismus in der Türkei . In: Legal Tribune Online, 24.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25187/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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