Die juristische Presseschau vom 24. März 2021: Corona-Neue­rung "Ruhe­tage" / EuGH stärkt Flug­gast­rechte / Jura-Bib­lio­thek bleibt dicht

24.03.2021

Die jüngste Bund-Länder-Konferenz erfindet "Ruhetage" um Ostern. Doch was ist damit gemeint? EuGH gewährt flugverspätungsbedingte Entschädigungen auch bei Streiks. Das VG Berlin bleibt gegenüber literaturbedürftigen Examenskandidaten hart.

Thema des Tages

Corona – Ruhetage: Die Bund-Länder-Konferenz zur Corona-Bekämpfung legte Gründonnerstag und Karsamstag als sogenannte "Ruhetage" fest. Welche rechtlichen Konsequenzen diese gesetzlich nicht definierte Bezeichnung nach sich zieht, bleibe wohl der Umsetzung der Länder überlassen, so faz.net (Julia Löhr/Dietrich Creutzburg) und tagesschau.de (Christoph Kehlbach). Sich ergebende arbeitsrechtliche Fragen behandelt das Hbl (Frank Specht u.a.) in einer Übersicht, jedoch ohne definitive Antworten. Die Implikationen für am 1. April ablaufende Schriftsatz-Fristen behandelt anwaltsblatt.de (Denise Dahmen). Angesichts der Uneindeutigkeit der Beschluss-Formulierung sollte sich nicht "blind auf eine automatische Fristverlängerung verlassen" werden. Als "klügsten Weg" schlägt der Beitrag eine entsprechende Beantragung vor. Verhandlungstermine am Gründonnerstag würden wohl kurzfristig verschoben werden, auch hier wird zu einem Antrag geraten. Die Formulierung "erweiterte Ruhezeit" ist für Rechtsprofessor Steffen Augsburg ein "Kandidat für den Euphemismus des Jahres". Freiheitsbeschränkungen würden "als Urlaubszeit verkauft", so der Staatsrechtler in einem Interview mit der Welt (Sabine Menkens), in dem die jetzigen Beschlüsse als symbolische Aktivität ohne die erforderliche Überzeugungskraft bezeichnet werden.

Corona – Beschränkungen: Zu den bei der Bund-Länder-Konferenz weiterhin beschlossenen Reisebeschränkungen über die Ostertage meint Reinhard Müller (FAZ), dass "offenbar das Gespür für die Freiheit sowie für die Pflicht zur plausiblen Begründung ihrer Beschränkung verlorengegangen" sei. Angesichts der aktuellen Infektionssituation seien Einschränkungen wohl unverzichtbar. Sie wären gut begründbar, "wenn sie stringent und plausibel sind".

Corona – Impfpriorisierung: Im Interview mit spiegel.de (Dietmar Hipp) spricht Rechtsprofessorin Anna Leisner-Egensberger über die ab April geplante Möglichkeit einer Corona-Impfung auch durch Hausärzte. Die von der Bund-Länder-Konferenz dabei empfohlene flexible Anwendung der Impf-Verordnung mache die dort festgelegte Priorisierung hinfällig. Leisner-Egensberger begrüßt die flexible Anwendung, die noch in der Verordnung verankert werden müsse, weil sie auch die schnelle Impfung von Risikopatienten erlaubt, die bisher nicht in der höchsten Prioritätsstufe waren.

Corona – Betriebliche Tests: Dass die jüngsten Corona-Schutzbestimmungen keine Testpflicht für Beschäftigte zumindest solcher Unternehmen und Betriebe vorsehen, in denen Kundenkontakt herrscht und Home-Office keine Alternative darstellt, wird von den Rechtsanwälten Michaela Felisiak und Dominik Sorber auf LTO bedauert. Die Autoren diskutieren ausführlich andere Rechtsgrundlagen für die Durchführung von Corona-Schnelltests und beschreiben datenschutzrechtliche Vorgaben. Eine gesetzgeberische Nachbesserung im Wege der Ergänzung der Corona-Arbeitsschutzverordnung halten sie für unerlässlich.

Rechtspolitik

Sexueller Missbrauch: Die geplante Verschärfung des Strafgesetzbuchs im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern soll am morgigen Donnerstag im Bundestag beschlossen werden. Dabei nehmen die Rechtspolitiker der Koalition Abstand von der ursprünglich geplanten Einführung der Begrifflichkeit "sexualisierte Gewalt gegen Kinder" und halten am Begriff "sexueller Missbrauch" fest. Im übrigen sei jedoch die in der Expertenanhörung vom Dezember geäußerte Kritik weitgehend folgenlos verhallt, konstatiert LTO (Hasso Suliak) anhand zahlreicher Beispiele. Gegenüber der Entwurfsfassung seien vielmehr weitere Strafschärfungen beschlossen worden. Es berichtet auch die taz (Christian Rath)

Anwaltliches Berufsrecht: In einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ plädiert Thomas Gasteyer als Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins dafür, bei der anstehenden Reform der Bundesrechtsanwaltsordnung "mehr Möglichkeiten für die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu schaffen". Um der Anwaltschaft die Bewährung im "modernen Wettbewerb" anhand des jeweiligen Mandantenbedarfs zu ermöglichen, seien weitgehende Kooperationen erforderlich. Die vom Bundesrat hierzu angedachte Beschränkung auf verkammerte Berufe biete dies nicht und verstoße im Übrigen auch gegen das Grundgesetz.

Lieferketten und Menschenrechte: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch setzt sich Rechtsprofessor Kai Ambos vertieft mit der Kritik am geplanten Lieferkettengesetz auseinander. Deren Urheber böten keine nützlichen Alternativen und übersähen, dass die als Compliance beschönigte unternehmerische Selbstregulierung "aufgrund der Erfahrung der letzten Jahrzehnte" als wirkungslos anzusehen sei.

Justiz

EuGH zu Fluggastrechten: Streiks zur Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten stellen als "Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit" von Fluggesellschaften keine außergewöhnlichen Umstände dar, urteilte der Europäische Gerichtshof in einem von swr.de (Klaus Hempel) und LTO berichteten schwedischen Fall. Fallen also streikbedingt Flüge aus, kann dies zu Entschädigungsansprüchen betroffener Kunden führen.

BVerfG – EU-Aufbaufonds: Dem Vorhaben eines "Bündnis Bürgerwille", mit einer einstweilige Anordnung die Ausfertigung des noch vor der Bundestagsabstimmung stehenden Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetzes (ERatG) zu verhindern, räumt Rechtsanwalt Matthias Kottmann im Verfassungsblog keine großen Chancen ein. Die anerkannten Ausnahmen vom Prinzip, Verfassungsbeschwerden oder Eilanträge gegen Gesetze nur nach deren Verkündung zuzulassen, ließen sich auf das ERatG nicht übertragen.

BVerfG – Drohnenangriffe: Gegen das im November ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur – verneinten – Verantwortlichkeit der Bundesrepublik zum Schutz vor US-Drohnenangriffen, die über den Luftwaffenstützpunkt Ramstein gesteuert werden, ist Verfassungsbeschwerde erhoben worden. Die jemenitischen Beschwerdeführer machten eine Verpflichtung der Bundesregierung zum Lebensschutz geltend, berichtet LTO.

BGH zu Urteils-Formfehler: Wegen einer fehlenden Unterschrift hat der Bundesgerichtshof Ende Januar die langjährige Verurteilung eines Drogenhändlers aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Augsburg zurückverwiesen. Wie LTO berichtet, hatte das LG den Mann nach wochenlanger Verhandlung verurteilt. Die schriftliche Urteilsbegründung sei jedoch nur von der Beisitzerin unterschrieben worden, weil die Vorsitzende Richterin nach Prozessende an das Oberlandesgericht München wechselte. Diesen Umstand hatte die Beisitzerin zwar korrekt vermerkt, diesen Vermerk allerdings fehlerhaft nicht noch einmal gesondert unterschrieben.*

OLG Hamburg zu Encrochat-Hack: In einem Beschluss hat das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg ausgeführt, dass Erkenntnisse auf Grundlage des sogenannten Encrochat-Hacks französischer Behörden auch dann keinem Verwertungsverbot unterlägen, wenn "das Vorgehen … teilweise als nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatswidrig begriffen werden würde". Rechtsanwalt Andre Bohn kritisiert im lawblog diese Rechtsauffassung. Mit ihr ließe sich auch der "Grundsatz aufstellen, dass es gar keine Beweisverwertungsverbote (mehr) in Deutschland" gäbe. Die Rechtsprechung beziehe bei der Abwägung ohnehin die Schwere des im Raum stehenden Vorwurfes mit ein und sehe auch in der Ziehung von Früchten vom verbotenen Baum kein Problem.

OLG Koblenz – Folter in Syrien: Im Verfahren zu staatlicher Folter in Syrien hat das Oberlandesgericht Koblenz die Anklage gegen den Hauptangeklagten Anwar R. um den Vorwurf des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erweitert. Damit werde nun auch sexualisierte Gewalt als systematisches Verbrechen in den Fokus der Verhandlung gerückt, schreibt nun auch die taz (Sabine am Orde).

LAG Düsseldorf zu Kündigungsgrund Rassismus: Vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf ist ein schwerbehinderter Facharbeiter mit seiner Kündigungsschutzklage unterlegen. Nach spiegel.de habe es nach rassistischen Äußerungen des Mannes, der sich wegen seiner gesundheitlichen Einschränkungen für "unkündbar" gehalten habe, auch keiner Abmahnung bedurft.

LG München I zu Raser: Wegen Mordes und vierfachen Mordversuchs hat das Landgericht München I einen 35-Jährigen verurteilt, der im November 2019 auf der Flucht vor der ihn wegen eines Verkehrsvergehens verfolgenden Polizei einen 14-Jährigen überfuhr. Der Tod des Jungen sei durch mehrere tragische Kleinigkeiten begünstigt worden, schreibt die FAZ (Karin Truscheit) über die mündliche Urteilsverkündung. Entscheidend sei jedoch das Verhalten des Angeklagten gewesen.

Recht in der Welt

Österreich – Ernst August: Der wegen der österreichischen Adelsaufhebung als "Herr Hannover" titulierte Ernst August Prinz von Hannover ist vom Landesgericht Wels u.a. wegen körperlicher Übergriffe auf Polizisten zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Zusätzlich darf das Oberhaupt der vormaligen Welfen-Dynastie in den nächsten drei Jahren nicht an seinem bisherigen Wohnsitz in Oberösterreich leben. Die FAZ (Stephan Löwenstein) berichtet.

Polen – ZDF-Film: In der polnischen Berufungsinstanz sind die Macher des ZDF-Mehrteilers "Unsere Mütter, unsere Väter" in Polen nur noch zu einer Entschuldigung (aber nicht mehr zu Schadensersatz) verurteilt worden. Im Film sei der falsche Eindruck erweckt worden, in der sogenannten Heimatarmee hätten antisemitische Einstellungen überwogen, schreibt spiegel.de über das Urteil. Geklagt hatte ein Veteran der Heimatarmee.

USA – VW-Zulieferer: Ein US-amerikanisches Gericht in Detroit hat die wegen wettbewerbswidriger Praktiken des VW-Konzerns erhobene Klage des ehemaligen Zulieferers Prevent abgewiesen. Als Fortsetzung einer rechtlichen Auseinandersetzung in Deutschland sollte der zwischen europäischen Firmen schwelende Streit in Deutschland verhandelt werden, schreibt spiegel.de über die auf Antrag von VW ergangene Entscheidung.

USA – Bayer: Nach Informationen der taz (Jost Maurin) hat der Bayer-Konzern seine Absicht aufgegeben, gegen ein Schadensersatzurteil wegen des glyphosathaltigen Pflanzenschutzmittels RoundUp Rechtsmittel zum US-Supreme Court einzulegen. Ein an Krebs erkrankter Platzwart könne sich damit auf gute 20 Millionen Dollar freuen, in einer ersten Entscheidung waren ihm noch 300 Millionen Dollar zugesprochen worden.

Juristische Ausbildung

VG Berlin zu Jura-Bibliothek: Das Verwaltungsgericht Berlin hat den Antrag dreier Examenskandidaten abgewiesen, ihnen den Zugang zur coronabedingt geschlossenen rechtswissenschaftlichen Bibliothek der Humboldt-Universität zu ermöglichen. Die Studierenden könnten sich die für die Prüfungsvorbereitung notwendige Literatur selbst kaufen, ausleihen oder das erweiterte Online-Angebot der Bibliothek nutzen, so LTO-Karriere zum Beschluss.

Sonstiges

Sportrecht: Richterliche oder anwaltliche Tätigkeiten im Sportrecht bieten die Chance zur Teilnahme an einem Wachstumsmarkt. LTO-Karriere (Benjamin Scholz) beschreibt die zeitintensive Arbeit eines der bekanntesten deutschen Sportrechtsanwälte, Christoph Schickhardt, und stellt auch die Sportgerichtsbarkeit dar.

Fahrrad/E-Bike: Mit der Corona-Krise hat das umweltfreundliche Fahrradfahren, auch elektrisch unterstützt, einen Boom erlebt. Rechtliches zur Fortbewegung auf zwei Rädern behandelt der SWR RadioReportRecht (Bernd Wolf).

*Fehler in der Darstellung korrigiert, Red. tap 24.03.2021, 11.21h

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. März 2021: Corona-Neuerung "Ruhetage" / EuGH stärkt Fluggastrechte / Jura-Bibliothek bleibt dicht . In: Legal Tribune Online, 24.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44572/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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