Die juristische Presseschau vom 23. Dezember 2020: Rund­funk­bei­trag steigt zunächst nicht / Mehr Rechte für Betriebs­räte / Pläd­oyer im Lübcke-Ver­fahren

23.12.2020

ARD, ZDF und Deutschlandradio drangen mit ihren Eilanträgen zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags im neuen Jahr nicht durch. Der Arbeitsminister möchte Betriebsräte stärken und im Verfahren zum Mordfall Walter Lübcke plädierte die Anklage.

Thema des Tages

BVerfG zu Rundfunkbeitrag: Das Bundesverfassungsgericht hat die von ARD, ZDF und Deutschlandradio eingelegten Eilanträge mit dem Ziel, die angedachte Erhöhung zum nächsten Jahr auch ohne die fehlende Zustimmung des sachsen-anhaltinischen Landtags wirksam werden zu lassen, verworfen. Die Sender hätten nicht dargelegt, dass sie ohne die beantragte Erhöhung irreversible Schäden erleiden würden, berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Constantin van Lijnden) und spiegel.de (Anton Rainer). Eine Bewertung der Begründetheit der gleichzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerden sei vollkommen offen. tagesschau.de (Frank Bräutigam/Claudia Kornmeier) bringt eine Übersicht zu den wichtigsten Fragen der jetzigen Entscheidung und zum weiteren Ablauf.

Vor der Karlsruher Entscheidung analysierte LTO (Christian Rath) exemplarisch den Beschwerdeschriftsatz des ZDF. Der Sender argumentiere, dass Sachsen-Anhalt durch sein gesetzgeberisches Unterlassen die aus der Verfassung ableitbare Garantie funktionsgerechter Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie in Leitentscheidungen des Gerichts von 1994 und 2007 definiert, verletzt. Für die beantragte einstweilige Anordnung mit dem Ziel, den erhöhten Beitrag bereits ab Beginn des nächsten Jahres einziehen zu können, spreche die "offensichtliche Begründetheit" der Verfassungsbeschwerde aber auch eine Folgenabwägung. 

Rechtspolitik

Betriebsräte: Das von Hubertus Heil (SPD) geführte Bundesarbeitsministerium hat den Referentenentwurf eines "Betriebsrätestärkungsgesetzes" vorgelegt. Mit dem Gesetz soll die Bildung von Betriebsräten u.a. durch einen verbesserten Kündigungsschutz für jene, die Betriebsräte gründen wollen, erleichtert werden, schreiben Hbl (Frank Specht) und FAZ (Dietrich Creutzburg). Zudem sollten Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte in den Bereichen digitaler Wandel und Home Office erweitert werden.

In einem separaten Kommentar stellt Dietrich Creutzburg (FAZ) "kundige, konstruktive Arbeitnehmervertretungen" jenen gegenüber, die "Mitbestimmungsrechte zu Instrumenten ideologischer, destruktiver Kämpfe" machten. Ebenso zu unterscheiden sei zwischen dem Ansatz, Unternehmer für jede Investition in digitale Technologien zu einer Zustimmung des Betriebsrats zu verpflichten, und dem Versuch, "bornierten Arbeitgebern", die die Gründung von Betriebsräten mit allen Mitteln zu verhindern suchten, "Respekt vor dem Gesetz beizubringen".

Corona – Impfung: Wolfgang Janisch (SZ) bezeichnet es im Leitartikel als "vollkommen unverständlich", dass nicht der Bundestag die Reihenfolge der Impfberechtigten festgelegt hat. Angesichts eines "nun mal knappen" Impfstoffs sei eine "Impf-Reihenfolge" zwar nachvollziehbar, "jede Priorisierung der einen Gruppe" bedeute aber auch den wenigstens zeitweiligen "Ausschluss aller anderen". Eine derart weitreichende Entscheidung sei zwingend durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber zu treffen. Die jetzige "parlamentarische Fehlleistung" bewirke somit auch Rechtsunsicherheit – "man mag es nicht vorstellen", wenn ein Gericht die verordnete Priorisierung beanstanden würde.

Rechtsfragen im Zusammenhang mit der nun offenbar anstehenden Verteilung des Corona-Impfstoffs, möglichen Auswirkungen eines Immunitätsnachweises oder einer Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen behandelt der dieswöchige SWR RadioReportRecht (Klaus Hempel). 

BDS-Resolution: Die im Mai 2019 vom Bundestag verabschiedete Resolution zur sogenannten BDS-Bewegung entfaltet nach einer der SZ (Stefan Braun/Daniel Brössler) vorliegenden Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags keine rechtliche Bindungswirkung für andere Staatsorgane. Sie sei vielmehr eine "politische Meinungsäußerung", die etwa Kommunen nicht dazu verpflichten würde, die Nutzung von Räumlichkeiten durch die BDS-Bewegung zu unterbinden.

Asylrecht und Klimawandel: Die Welt (Ricarda Breyton) berichtet über Überlegungen innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion, klimawandelbedingte Umweltveränderungen als migrationspolitischen Fluchtgrund anzuerkennen. Dies bedeutete nichts weniger als eine Erweiterung des bisherigen Schutzsystems des deutschen Asylrechts oder auch der Genfer Flüchtlingskonvention, die beide von Verfolgung des Betreffenden durch einen menschlichen Akteur ausgehen.

eJustice: Mit der Einrichtung eines "besonderen elektronischen Bürger- und Organisationenpostfach (eBO)" will das Bundesjustizministerium auch Privaten, Unternehmen oder Sachverständigen die elektronische Teilnahme an Prozessen ermöglichen. Über den hierzu nun vorgelegten Referentenentwurf berichtet LTO.

EEG: In einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ prognostizieren die Rechtsanwälte Boris Scholtka und Sebastian Helmes, dass das jüngst verabschiedete Erneuerbare-Energien-Gesetz 2021 kaum "zu einer Abkühlung der hitzigen Diskussionen" über die Förderung alternativer Energiequellen führen werde. Trotz sinnvoller Einzelregelungen würden sowohl Erzeuger als auch Altanlagenbetreiber auch weiterhin Bedenken anmelden, "die nächste Novelle" stehe damit praktisch vor der Tür.

Justiz

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Im Verfahren zur Tötung Walter Lübckes hat die Bundesanwaltschaft vor dem Oberlandesgericht Frankfurt für eine lebenslange Freiheitsstrafe des Hauptangeklagten Stephan E. mit anschließender Sicherungsverwahrung plädiert. Die Anklagebehörde halte sowohl die Erschießung Lübckes als auch einen Mordversuch an einem irakischen Flüchtling für erwiesen, so zeit.de (Martin Steinhagen) und faz.net (Marlene Grunert). Den mitangeklagten Markus H. hält die Bundesanwaltschaft dagegen nur wegen Beihilfe zum Mord an Lübcke für schuldig. Am 12. Januar wird der Prozess mit den Schlussanträgen der Nebenklagenden fortgesetzt, gegen Ende des Monats soll ein Urteil verkündet werden. 

Nach einer Meldung der FAZ (Julian Staib) hat das Gericht bekanntgegeben, nach Abschluss der Beweisaufnahme die Verfahrensakte wie beantragt, dem Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zur Verfügung zu stellen. Wegen der Befürchtung der Zeugenbeeinflussung war dies gegen die Kritik des Parlaments zuvor verweigert worden.

BVerfG – Einheitliches EU-Patentgericht: Gegen die im November vom Bundestag verabschiedete gesetzliche Regelung zur Schaffung eines einheitlichen EU-Patentgerichts, zu der der Bundesrat in der vergangenen Woche seine Zustimmung erteilt hat, sind zwei Verfassungsbeschwerden eingegangen. Deren Begründung sei noch nicht bekannt, schreibt LTO und erinnert daran, dass ein wortgleiches Gesetz vom BVerfG bereits im vergangenen März gekippt wurde, weil zu wenig Abgeordnete an der Abstimmung teilnahmen.

BVerfG – Corona/Triage: Im Interview mit der taz (Manuela Heim) erklärt die als Richterin am Amtsgericht Trier tätige Nancy Poser die Beweggründe ihrer Verfassungsbeschwerde, mit der sie den Bundestag verpflichten lassen will, die Prinzipien der sogenannten Triage in der Notfallmedizin selbst zu regeln und nicht den Leitlinien von medizinischen Fachgesellschaften zu überlassen.

BVerfG 2020: In einem Rückblick auf das zu Ende gehende Jahr erinnert LTO (Markus Sehl) an die personellen Veränderungen beim Bundesverfassungsgericht und fasst daneben fünf wegweisende Karlsruher Entscheidungen (Suizidhilfe, EZB, BND, Neutralitätsgebot, Bestandsdaten) zusammen.

BGH zu bayerischem V-Mann: Nach Bericht von LTO hat der Bundesgerichtshof die Freisprüche zweier hochrangiger bayerischer Kriminalbeamter wegen Strafvereitelung im Amt bestätigt. Die Vorinstanz habe nachvollziehbar dargelegt, dass die Polizisten davon ausgehen durften, dass der von ihnen gelenkte V-Mann bei einem Einsatz in der Rockerszene straffrei bliebe. Wegen einer widersprüchlichen Beweiswürdigung bezüglich der ebenfalls möglichen falschen uneidlichen Aussage der Beamten wurde die Sache jedoch insoweit zurückverwiesen.

KG Berlin – Ibiza-Video: Das Berliner Kammergericht hat nach Bericht der taz (Konrad Litschko) mitgeteilt, dass die Generalstaatsanwaltschaft derzeit über eine Vorabbewilligung zur Auslieferung des mutmaßlichen Drahtziehers des sogenannten Ibiza-Videos, Julian H., berate. Eine etwaige Entscheidung hierüber verbleibe in jedem Fall dem Gericht. H.s. Rechtsanwalt Johannes Eisenberg halte die im Europäischen Haftbefehl gegen seinen Mandanten zusammengetragenen Vorwürfe für vorgeschoben. In ihrem Medien-Teil schreibt die FAZ (Michael Hanfeld), dass nach einer unabhängigen Entscheidung des KG die "Zeit" auch weiterhin von früheren Ermittlungen gegen H. in anderen Angelegenheiten berichten dürfe. Es bestehe ein öffentliches Interesse an seinen persönlichen Hintergründen, da er mit dem Video einen großen Skandal ausgelöst habe.

OLG Braunschweig – Diesel-MFK/Verbraucherzentrale Südtirol: Auch die italienische Verbraucherzentrale Südtirol betreibt nun eine Musterfeststellungsklage in Sachen Abgas-Affäre gegen VW. Über die Zulassung durch das Oberlandesgericht Braunschweig berichtet spiegel.de.

Betriebsschließungsversicherungen vor Gericht: Die SZ (Friederike Krieger) berichtet über den Versuch zahlreicher Gastronomen, im Frühjahr abgeschlossene Vergleiche mit Versicherungen für unwirksam erklären zu lassen. Angesichts der unklaren Rechtslage während des ersten Lockdowns hätten sich die Betroffenen mit ihren Versicherungen auf Abschlagszahlungen aus sogenannten Betriebsschließungspolicen verständigt. Dieser sogenannte bayerische Kompromiss werde nun mit Klagen angefochten, nachdem einige Gerichte geurteilt hätten, dass Versicherungsnehmer einen vollen Anspruch aus abgeschlossenen Versicherungen hätten.

Recht in der Welt

EGMR – Türkei/Demirtas: Die türkische Republik muss den ehemaligen Vorsitzenden der Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtas, unmittelbar aus der Haft entlassen. Dies entschied nach Berichten von taz (Christian Rath) und LTO die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die Inhaftierung Demirtas habe den Zweck verfolgt, Pluralismus und die Freiheit der politischen Debatte zu unterdrücken. Sie habe dabei das Recht auf freie Meinungsäußerung des Politikers und dessen Recht auf Freiheit verletzt.

Ungarn ­– Rechtsstaat: Assistenzprofessor Csaba Györy untersucht auf dem Verfassungsblog die sich auch beim jüngst erzielten Kompromiss zum sogenannten EU-Rechtsstaatsmechanismus zu beobachtende "zahme deutsche Reaktion auf die Eskapaden der ungarischen Regierung". Tatsächlich habe sich "die deutsche Regierung, und vor allem die deutsche Wirtschaft" längst mit dem autoritären Regime Viktor Orbans arrangiert, dies blende "der perpetuierte Empörungsloop über das ungarische Regime in deutschen Feuilletons und Polit-Talkshows" aus. Vor allem Autobauer machten, unbeschadet von lokaler Korruption und Nepotismus glänzende Geschäfte in Ungarn und hätten dabei – anders als in Russland – auch nicht eine plötzliche Enteignung zu fürchten. Der Rechtsstaat in Ungarn funktioniere, allerdings nur für Auserwählte wie ausländische Investoren. Menschenrechts-NGOs hätten sich demgegenüber anderen Regeln zu unterwerfen.

Österreich – Arbeitslosigkeits-Algorithmus: Das österreichische Bundesverwaltungsgericht hat einen Bescheid der Datenschutzbehörde aufgehoben, durch den der Einsatz eines Algorithmus zur Berechnung der Jobchancen Arbeitssuchender verboten wurde. Nach Einschätzung des Gerichts verstoße der vom österreichischen Arbeitsmarktservice (AMS) geplante Algorithmus nicht gegen Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung, weil nicht feststehe, dass letztliche Entscheidungen der AMS ausschließlich auf einer automatisierten Entscheidungen beruhen, so netzpolitik.org (Chris Köver).

Norwegen – Ölbohrungen: Auch der Oberste Gerichtshof hat dem Versuch verschiedener norwegischer Umweltaktivisten, umstrittene Ölbohrungen in der Arktis zu unterbinden, eine Absage erteilt. Aus der Bestimmung der Landesverfassung, nach der das Volk ein Recht auf eine gesunde Umwelt habe, könne ein von den Klägern erwünschter Anspruch nicht abgeleitet werden, so LTO über die Urteilsverkündung. Die unterlegenen Organisationen hätten sich eine klimafreundlichere Auslegung und damit auch einen internationalen Präzedenzfall erhofft. Reinhard Wolff (taz) schreibt in einem Kommentar, dass eine Mehrheit der norwegischen Bevölkerung die "Ölsuche im Barentsmeer" ablehne. Bei den Parlamentswahlen im nächsten Jahr müssten die Parteien dem Land erklären, wie sie es "auf das Ende des Ölzeitalters vorbereiten wollen". Die Debatte hierzu hat mit dem jetzigen Urteil erst begonnen.

Sonstiges

Justizvollzug: Rechtsprofessorin Elisa Hoven setzt sich im FAZ-Einspruch mit den Thesen Thomas Gallis auseinander, der als früherer Leiter einer Justizvollzugsanstalt in seinem Buch "Weggesperrt" für Alternativen zum gegenwärtigen Strafvollzug plädiert. Zwar sei die Freiheitsstrafe "als Institution alternativlos", so die Autorin, "alternative Sanktionen und eine grundlegende Verbesserung des Strafvollzugs" aber ein sinnvoller, wenn auch unpopulärer Diskussionsgegenstand.

Das Letzte zum Schluss

Haltet den Dieb! Der in der Schweiz residierende Fußball-Weltverband FIFA ist nicht unbedingt für die allerhöchste Integrität in Geldangelegenheiten bekannt, weil es den Funktionären aber nun aufgefallen ist, dass das 2016 eröffnete FIFA-Museum Verluste in Millionenhöhe einspielt, geht es ans Eingemachte: Sowohl bild.de als auch zeit.de berichten, dass der Verband nun eine Strafanzeige gegen seinen früheren Boss Joseph Blatter erstattet hat. Der noch bis zum nächsten Jahr von allen Fußballaktivitäten gesperrte Blatter soll so für Projektkosten von 500 Millionen Franken verantwortlich gemacht werden.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage. 

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. Dezember 2020: Rundfunkbeitrag steigt zunächst nicht / Mehr Rechte für Betriebsräte / Plädoyer im Lübcke-Verfahren . In: Legal Tribune Online, 23.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43818/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen