Die juristische Presseschau vom 23. Mai 2018: Wer hat Angst vor der DSGVO? / Dro­hende Gefahr in Bayern / Frei­heit für Puig­de­mont

23.05.2018

Ab dem kommenden Freitag ist die Datenschutz-Grundverordnung anwendbar. Grund zur Sorge? Außerdem in der Presseschau: Das neue bayerische PAG bleibt umstritten und Carles Puigdemont ist weiterhin auf freiem Fuß.

 

Thema des Tages

DSGVO: Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) hat gegenüber der FAZ (Peter Carstens) vor "professionellen Abmahnern" gewarnt, die sich Unsicherheiten über die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zunutze machen könnten. Die SZ (Eva Wolfangel) beschreibt, wie Facebook vor dem Stichtag 25. Mai, ab diesem Tag sind die Regelungen der DSGVO anwendbar, seine Nutzer mit irreführenden Formulierungen zu den von der Verordnung geforderten informierten, freiwilligen und eindeutigen Einwilligungen zu bewegen suche. Offenbar lasse es der Konzern auf gerichtliche Auseinandersetzungen ankommen.

In einem ausführlichen Gastbeitrag für netzpolitik.org setzt sich der Richter Malte Engeler mit der Kritik an der DSGVO auseinander. Jenseits inhaltlicher Fragen konzentriere sich diese vor allem auf Sanktionsmöglichkeiten durch Bußgelder und schade damit dem eigentlichen Ziel, dem Datenschutz. Rechtsanwalt Niko Härting warnt in einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch vor überzogenen Erwartungen an die DSGVO. Zahlreiche Datenschutzbehörden arbeiteten nach wie vor mit Papierakten, dies verdeutliche den dort zu betreibenden Aufwand bei der Bearbeitung neuer Meldepflichten. Die künftige Enttäuschung von Datenschutzaktivisten sei absehbar, hierfür verantwortlich seien jedoch nicht Datenschutzbeamte, sondern "naive und realitätsblinde Politiker", die völlig überzogene Erwartungen geschürt hätten. Im Forschung-und-Lehre-Teil der FAZ stellt Rechtsprofessor Rolf Schwartmann die Auswirkungen der neuen Bestimmungen für Hochschulen dar.

Die Auswirkungen der DSGVO für kleine Betriebe und den Mittelstand habe man in Brüssel "nicht recht im Blick gehabt", kommentiert Reinhard Müller (FAZ). Über ihnen hänge nun "die Drohung hohen Bußgeldern" wie ein Damoklesschwert. Jannis Brühl (SZ) dagegen begrüßt die DSGVO als den "besten Schutzschirm für die Privatsphäre von Bürgern, den es je gab". Wenn Datenschutz im 21. Jahrhundert "ein ernst zu nehmender Grundwert" sei, dann sei dies zuvörderst ein europäisches Verdienst.

Rechtspolitik

Transparenz der Parteienfinanzierung: netzpolitik.org (Arne Semsrott) mutmaßt, dass ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom April, nach dem der Bundestag auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) Prüfberichte zu Parteienfinanzen öffentlich machen muss, eine baldige gesetzliche Änderung der Anspruchsgrundlage oder auch des Parteiengesetzes nach sich ziehen könnte. Schon 2013 habe die Parlamentsmehrheit eine Änderung der Bundeshaushaltsordnung beschlossen, nachdem das Bundesverwaltungsgericht auf deren Grundlage eine Offenlegung der Prüfberichte zu den Fraktionsfinanzen angeordnet hatte.

Verjährung bei Prüfungsbetrug: Vor fünf Jahren verständigten sich die Fakultätentage aller Hochschulfächer und der Hochschulverband der Universitätsprofessoren auf eine "Verankerung einer Verjährungsfrist" zur Sanktionierung von Prüfungsbetrug in den Promotionsordnungen. Nur wenige Fakultäten hätten jedoch die Empfehlung umgesetzt, konstatiert lto.de (Horst Horstkotte). Erst eine einheitliche Regelung würde dagegen die "anscheinend im X-Beliebigen gründenden Fakultätsentscheidungen", die der Autor beispielhaft benennt, beenden helfen.

Bayerisches PAG: Ein Überblick des Juristen Dominick Klauck (juwiss.de) nennt die wesentlichen Aspekte der jüngst beschlossenen Reform des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes und deren verfassungsrechtliche Problematik. Im FAZ-Einspruch schreibt Richter John Philipp Thurn, dass sich Bayern durch den nun allgegenwärtigen Begriff der "drohenden Gefahr" auf dem "Weg zu einem hyperpräventiven Gefahrenverhinderungsrecht" befinde: letztlich entscheide die Polizei selbst, wann eine drohende Gefahr als Eingriffsvoraussetzung vorliege. Derweil analysiert die FAZ (Alexander Haneke), dass die recht weit fortgeschrittenen Novellierungen der Landespolizeigesetze in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit ihren Erweiterungen der Präventivhaft und der Öffnung des polizeilichen Gefahrenbegriffs dem bayerischen Gesetz "gar nicht so unähnlich sind". Immerhin reizten die Vorhaben, anders als in Bayern, den durch das Bundesverfassungsgericht eröffneten Raum "nicht bis an die Grenzen aus" und fassten die Vorschriften auch möglichst eng.

Asylrecht: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch macht Rechtsprofessor Daniel Thym Vorschläge, um die "Achillesferse der Migrationspolitik", den Rechtsschutz, effektiver gestalten zu können und gleichzeitig den Vollzug einer Ausreisepflicht zu verbessern. "Schnellere und zuverlässige Gerichtsverfahren" erforderten eine verbesserte personelle und administrative Ausstattung von Verwaltungsgerichten, aber auch "Nachjustierungen" beim Verfahrensrecht. Zudem würde eine unabhängige Verfahrensberatung von Antragstellern sowohl dem Flüchtlingsschutz als auch "der Schlagkräftigkeit des Gesamtsystems" dienen.

Kinderrechte: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch nennt Katja Mast, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gründe für die explizite Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz. Der Koalitionsvertrag der jetzigen Regierung sehe vor, dass eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern spätestens im kommenden Jahr einen Entwurf vorlege.

Drogendelinquenz: Ronen Steinke (SZ) stellt in einem Kommentar den Vorrang von Strafe gegenüber der Hilfe beim staatlichen Umgang mit Drogensucht in Frage. Zwar seien staatliche Fürsorge und Hilfe gegenüber Sucht angezeigt, fraglich aber der Einsatz von Polizei und Justiz, der das Elend Süchtiger oft noch verschlimmere. "Solange die Konsumenten andere in Ruhe lassen, geschieht kein Unrecht, das einer Strafe würdig wäre." Dies müsste dem Selbstverständnis eines liberalen Staates entsprechen.

Justiz

EuGH zu "Mövenpick-Steuer": Nach Darstellung des Hbl (Martin Greive/Volker Votsmeier) könnte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu einem niederländischen Umsatzsteuerfall negative Auswirkungen auf den reduzierten Umsatzsteuersatz für Übernachtungsleistungen im Hotelgewerbe haben, die nach der Wahl 2009 eingeführte sogenannte "Mövenpick-Steuer". Im entschiedenen Fall sei die unterschiedliche Besteuerung bestimmter Einzelkomponenten einer an sich einheitlichen Leistung als unzulässig bezeichnet worden, allerdings auch wegen einer fehlenden gesetzlichen Grundlage.

BGH zu AGB: Im Recht-und-Steuern-Teil der FAZ schreibt Justitiar Manuel Schauer über Urteile des Bundesgerichtshofs vom Juli und Oktober des vergangenen Jahres, in denen die Vereinbarung eines Bearbeitungsentgelts für Bankdarlehen an Unternehmen untersagt sowie der praktische Wert einer Bürgschaft als Sicherungsmittel für Bauprojekte weiter reduziert worden war. Die Entscheidungen belegen nach Ansicht des Autors die Notwendigkeit der im Koalitionsvertrag vereinbarten Prüfung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Verträge zwischen Unternehmern. Hierbei müsse die Vertragsfreiheit gestärkt werden.

OLG Schleswig zu Carles Puigdemont: Das Oberlandesgericht Schleswig hat einen Antrag der Generalstaatsanwaltschaft abgelehnt, den katalanischen Separatistenführer Carles Puigdemont erneut in Auslieferungshaft zu nehmen. Auch die von spanischen Behörden übermittelten Unterlagen und Videoaufnahmen hätten keine "neu hervorgetretenen Umstände" belegt, die eine Vollziehung des Haftbefehls rechtfertigten, so die FAZ (Hans-Christian Rößler u.a.) über die Gerichtsentscheidung, über die auch die taz (Christian Rath) und spiegel.de (Claus Hecking) berichten.

LG Frankfurt/M. zu Cum-Ex-Schadensersatz: Das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) berichtet ausführlich zu einem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main, das am 25. April die Société Générale-Bank zur Zahlung von knapp 23 Millionen Euro an die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) verurteilte. Die Summe entspricht der Steuernachforderung, der sich die Helaba seitens des örtlichen Finanzamt wegen unrechtmäßiger Steuererstattungen durch sogenannte Cum-Ex-Deals gegenübersieht. Das Gericht habe nun entschieden, dass die Beklagte als sogenannte Depotbank die bei Aktientransaktionen anfallende Kapitalertragsteuer hätte abführen müssen. Es stehe zu erwarten, dass sich weitere Landesbanken mit Schadensersatzforderungen an ihre Depotbanken wenden werden. In einem weiteren Beitrag gibt das Hbl einen Überblick zu den strafrechtlichen Konsequenzen der Cum-Ex-Deals. Beim Landgericht Wiesbaden werde derzeit über die Zulassung einer Anklage gegen Aktienhändler und den Steueranwalt Hanno Berger beraten, das Landgericht Bonn habe derweil eine auf das Thema spezialisierte Große Strafkammer eingerichtet.

LG Berlin – Investitionsschutz: Vor dem Landgericht Berlin verklagen die thailändischen Betreiber einer kostenpflichtigen Autobahn in Bangkok die Bundesrepublik auf bis zu 50 Millionen Euro Schadensersatz. Die Kläger machten geltend, dass der Bund ihr Eigentum nur unzureichend gegen einen Insolvenzverwalter schütze, schreibt die FAZ (Marcus Jung). Der Bau der Autobahn wurde unter anderem durch den mittlerweile insolventen Walter-Bau-Konzern bewerkstelligt. Dessen Insolvenzverwalter habe in der Zwischenzeit ein obsiegendes Schiedsurteil wegen der Verletzung von Investorenrechten erwirkt.

LG Stuttgart – Heckler & Koch: Aufgrund des laufenden Verfahrens gegen Mitarbeiter des Waffenherstellers Heckler & Koch vor dem Landgericht Stuttgart wegen illegaler Waffenlieferungen nach Mexiko ist dem früheren Geschäftsführer offenbar ein weiteres Strafverfahren erspart geblieben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart habe ihre Ermittlungen wegen des Verdachts der Bestechung von Amtsträgern eingestellt, weil die denkbare Strafe gegenüber der aus dem jetzigen Verfahren drohenden nicht beachtlich ins Gewicht falle. Dies berichtet die SZ (Stefan Mayr/Klaus Ott). Ein weiterer Beitrag der SZ (Klaus Ott) beschreibt die geltende Rechtslage bei Parteispenden und mögliche Schlupflöcher.

LG Düsseldorf – Wehrhahn-Attentat: Die SZ (Joachim Käppner) fasst die Erkenntnisse des Verfahrens zum Anschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn zusammen. In der vergangenen Woche hob das Landgericht Düsseldorf den Haftbefehl gegen den Angeklagten wegen fehlendem dringendem Tatverdacht auf.

LG Hagen – Altena: Zu Beginn des Verfahrens zum Messerangriff von Altena vor dem Landgericht Hagen ließ der wegen versuchten Mordes an Bürgermeister Andreas Hollstein (CDU) Angeklagte von seinem Verteidiger eine Erklärung verlesen. In dieser stellte er eine persönliche Notsituation dar, ausländerfeindliche Motive für die Tat habe er bestritten, schreibt die Welt (Kristian Frigelj).

LG Duisburg – Loveparade: Zu Beginn seiner Zeugenvernehmung im Loveparade-Verfahren hat sich der Unternehmer Rainer Schaller bei den Opfern und deren Angehörigen entschuldigt und eine moralische Verantwortung für das Unglück im Jahr 2010 eingeräumt. Die SZ (Benedikt Müller) berichtet.

LG Aschaffenburg – Mordversuch: Vor dem Landgericht Aschaffenburg muss sich ein Mann wegen eines 30 Jahre zurückliegenden Mordversuchs verantworten. Der Angeklagte habe erst vor kurzem durch neuerliche DNA-Analysen identifiziert werden können, schreibt die SZ (Olaf Przybilla). Vor Gericht habe er nun gestanden, sein damaliges Opfer vergewaltigt zu haben. Über die Aussage der Geschädigten berichtet auch bild.de (Jörg Völkerling).

Recht in der Welt

EGMR – Türkei: Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind derzeit mehrere Verfahren zu in der Türkei inhaftierten kurdischen Politikern, unter ihnen der Vorsitzende der HDP-Partei, Selahattin Demirtaş, anhängig. Nach Darstellung der SZ (Wolfgang Janisch/Christiane Schlötzer) kann mit Urteilen noch vor dem Termin der türkischen Präsidentschaftswahl am 24. Juni nicht gerechnet werden. Das Gericht wolle sich unter keinen Umständen dem Vorwurf politischer Einflussnahme aussetzen.

Juristische Ausbildung

Pflichtstoff NS-Unrecht: Der FAZ-Einspruch (Marlene Grunert) geht erneut auf die von Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) auf einer Veranstaltung in Berlin vorgetragene Forderung ein, die Auseinandersetzung von Jurastudenten mit nationalsozialistischem Unrecht zu vertiefen. Eine Änderung der gesetzlichen Voraussetzungen sei vorstellbar, dagegen stehe der didaktische Wert einer Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus in Frage, worauf Rechtsprofessor Hubert Rottleuthner in Berlin aufmerksam gemacht habe. Vielversprechender sei ihm zufolge dagegen eine kritische Reflexion mit der steten Konformität der Justiz.

Sonstiges

Iran-Abkommen: In einer Kolumne für den FAZ-Einspruch macht Rechtsprofessor Volker Rieble geltend, dass US-Präsident Donald Trump bei seiner sogenannten Aufkündigung des Iran-Abkommens im Rahmen des rechtlich Zulässigen gehandelt habe. Das fragliche Abkommen sei kein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag gewesen und im Übrigen vom US-amerikanischen Senat auch nicht ratifiziert worden. Die Entscheidung, eine Verhaltensabstimmung nicht weiter verfolgen zu wollen, sei "gutes Recht" der USA. Die hiesige Kritik, auch von Seiten der Kanzlerin, entspreche einem neuen Politikstil, bei dem eine nüchtern-rationale Analyse durch "gefühlte Gerechtigkeit" ersetzt werde.

Abtreibungsrecht: Die taz (Anja Maier) wirft einen kritischen Blick auf die geltende Rechtslage bei Abtreibungen.

Das Letzte zum Schluss

Streitwert: Die hierzulande üblichen Warnungen vor einer Klageindustrie könnten durch die von justillon.de (Jannina Schäffer) gemeldete Klage eines der Erfinder der Spidermann-Comicfigur neue Nahrung bekommen. Weil er sich durch den mit einer Firma abgeschlossenen Vertrag zur Übertragung der Rechte an seiner Schöpfung übervorteilt fühlte, verklagte Stan Lee das Unternehmen kurzerhand auf eine Milliarde Dollar.

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. Mai 2018: Wer hat Angst vor der DSGVO? / Drohende Gefahr in Bayern / Freiheit für Puigdemont . In: Legal Tribune Online, 23.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28745/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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