Der BGH verwirft die von Thomas Middelhoff eingelegte Revision. Ob er seine Haft antreten muss, ist fraglich. Außerdem in der Presseschau: Innenministerium bestätigt Trojaner-Einsatz und kein Referendariat für Rechtsextremen.
Thema des Tages
BGH zu Thomas Middelhoff: Im November 2014 verurteilte das Landgericht Essen den früheren Arcandor-Chef Thomas Middelhoff wegen Untreue in 27 Fällen und Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Nach einem jetzt bekannt gegebenen Beschluss aus der letzten Woche hat der Bundesgerichtshof die gegen die Verurteilung eingelegte Revision als unbegründet verworfen. Ob und wann Middelhoff die Strafe antreten wird, sei gegenwärtig noch unklar, schreibt die Welt (Carsten Dierig). Denn bestreiten die Verteidiger Middelhoffs die Haftfähigkeit ihres Mandanten, der sich während der Untersuchungshaft eine schwere Autoimmunkrankheit zugezogen haben soll. Die Entscheidung über den Haftantritt obliegt der Staatsanwaltschaft Bochum. Nach dem Bericht der FAZ (Joachim Jahn) ist der juristische Ärger für den Manager noch nicht ausgestanden. Zwar habe das Landgericht Essen eine Anklage wegen einer Sponsorenzahlung Middelhoffs an die Universität Oxford nicht zugelassen. Die Anklagebehörde habe hiergegen jedoch Beschwerde eingelegt. Ein weiteres Verfahren drohe allerdings wegen mutmaßlich von Middelhoff und anderen Arcandor-Vorständen veranlassten Bonus-Zahlungen.
Rechtspolitik
Bundestrojaner: Den vom Bundesinnenministerium bestätigten Einsatz sogenannter Trojaner zur Überwachung von Rechnern und Smartphones durch das Bundeskriminalamt kommentiert Günther Nonnenmacher (FAZ) als "zwiespältiges Instrument". Der "erhebliche Grundrechtseingriff" erinnere "mehr an Geheimdienstarbeit als an die klassische Strafverfolgung". Gleichzeitig dürfe nicht vergessen werden, dass den Staat eine Pflicht zur Gefahrenabwehr treffe. Grundrechtliche Bedenken sollte durch die notwendige richterliche Anordnung gewahrt sein. Dass dieses vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Erfordernis effektiven Grundrechtsschutz zu gewährleisten vermag, stellt Heribert Prantl (SZ) in Frage. Die Beweislast trage der Staat, er müsse "beweisen, dass es grundrechtskonforme Wanzen gibt". Christian Bommarius (BerlZ) bezweifelt dagegen vor allem den praktischen Nutzen der Methode. Statt Polizei und Justiz besser auszustatten arbeite der Bundesinnenminister offenbar nach der Losung: "Angriff ist die beste Verteidigung der Grundrechte".
Fremdenfeindlichkeit: Die nach den Vorfällen von Clausnitz von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) an die "schweigende Mehrheit" gestellte Forderung, eine "neue Kultur des Widerspruchs" gegenüber fremdenfeindlichen Ausschreitungen zu schaffen, kommentiert Reinhard Müller (FAZ) zurückhaltend. Denn lehne diese bürgerliche Mehrheit Gewalt ebenso ab wie die Bundesregierung. Im Gegensatz zu ihr sei sie aber nicht dafür verantwortlich, wenn der Staat "sein Gewaltmonopol offenbar nicht überall durchsetzen kann". Stefan Locke (FAZ) macht in einem Leitartikel für die Häufung derartiger Ausschreitungen gerade in Sachsen eine "Melange aus falschem Sachsenstolz, kollektiven Wegschauen und fehlenden Konsequenzen in der Zivilgesellschaft wie in der Politik" verantwortlich. Jahrzehntelang seien im Freistaat rechtsextreme Straftaten verharmlost oder verschwiegen worden. Auch aktuell bewiesen Ankläger und Gerichte keinen besonderen Ermittlungseifer gegenüber fremdenfeindlichen Übergriffen oder hetzerischen Aussagen auf Demonstrationen, so könnten sich fremdenfeindliche Täter "in weiten Teilen Sachsens ziemlich sicher fühlen."
Sexualstrafrecht: Aus Anlass der aktuellen Debatte über eine Verschärfung des Sexualstrafrechts fasst Rechtsanwalt Alexander Stevens auf lto.de die aktuelle Rechtslage zusammen und untersucht im Anschluss, inwiefern auch niederschwellige sexuelle Belästigungen pönalisiert werden könnten. Ein neues österreichisches Strafgesetz hierzu betrachtet der Autor wegen einer "schwammigen Gesetzesformulierung", die "ersichtlich mehr Auslegungsspielraum als Rechtssicherheit" biete, kritisch. In einem Rechtsstaat müsse "klar sein, welche Verhaltensweisen (noch) erlaubt sind und welche zur Strafbarkeit führen können".
Kosten des Atomausstiegs: Nach Bericht der Welt (Martin Greive/Daniel Wetzel) will die von der Bundesregierung eingesetzte Atomkommission die Kosten der Zwischen- und Endlagerung von Atommüll dem Bund übertragen. Im Gegenzug müssten sich betroffene Energieunternehmen mit bis zu 18 Milliarden Euro an einem staatlichen Sondervermögen, etwa einem öffentlich-rechtlichen Fonds beteiligen. Grundlage einer derartige Einigung wäre nach dem Kommissionsbericht allerdings auch "eine Beendigung der anhängigen Rechtsstreite der Betreiber mit den Ländern und dem Bund". Bereits für den 15. März ist eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht angesetzt. Klaus Stratmann (Hbl) hält nach den Vorschlägen ein "Ergebnis mit Augenmaß" für möglich. Die Kommission habe deutlich zu verstehen gegeben, dass sie den Unternehmen "eine reelle Überlebenschance" einzuräumen gedenkt.
Sicherheitsunternehmen: Nach zahlreichen Übergriffen von Sicherheitspersonal gegenüber Flüchtlingen plant die Bundesregierung eine Verschärfung von Bestimmungen für Sicherheitsunternehmen. Die von angestellten Wachleute sollen nach dem Entwurf künftig alle drei Jahre überprüft werden, schreibt die SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo). Leitendes Personal solle sich nach dem Entwurf einer verbindlichen Prüfung unterziehen.
Justiz
EuGH zu Inhaftierung von Asylbewerbern: Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Zulässigkeit einer Inhaftierung von Asylbewerbern unterzieht der wissenschaftliche Mitarbeiter Sebastian Leuschner (verfassungsblog.de) einer kritischen Würdigung. Problematisch sei vor allem der vom EuGH erneut aufgestellte Bezug zu einem aus Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu folgernden Grundrecht auf Sicherheit.
BVerfG zu Völkerrecht und Demokratie: Auch das Hbl (Donata Riedel) berichtet nun zu der in der vorvergangenen Woche veröffentlichten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Vorrang einfacher Bundesgesetze gegenüber völkerrechtlichen Verträgen. Im Beitrag zitierte Steuerrechtsexperten kritisierten den Beschluss wegen entstandener Rechtsunsicherheit für international agierende Unternehmen.
BFH zu Abschlagszahlungen: Unter Wirtschaftsprüfern herrscht nach Bericht der FAZ (Manfred Schäfers) große Unsicherheit über die Buchung von Gewinnrealisierungen bei Werkverträgen. Grund sei ein Urteil des Bundesfinanzhofs aus dem Mai 2014, nach dem auch Abschlagszahlungen vor Abnahme des gesamtes Werkes als steuerpflichtige Gewinne zu verbuchen seien. Wirtschaftsvertreter bestünden auf der Besonderheit dieser Entscheidung, bislang beharre das Bundesfinanzministerium jedoch auf der Anwendbarkeit für alle Werkverträge.
LVerfG Brbg zu AfD: Vor dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg ist die AfD am vergangenen Freitag mit dem Anliegen gescheitert, den von ihr bevorzugten Kandidaten in die Parlamentarische Kontrollkommission zu entsenden. Wie lto.de meldet, habe das Gericht dabei aber angemahnt, dass es zu keiner ungerechtfertigten Beeinträchtigung des Vorschlagsrechts der im Landtag vertretenen Partei kommen dürfe. Kandidaten müsse die Chance eingeräumt werden, durch einen "persönlichen und aktuellen Eindruck" bei anderen Fraktionen um Unterstützung werben zu können.
OLG München – Spionage: Im vor dem Oberlandesgericht München laufenden Verfahren gegen einen BND-Mitarbeiter, dem Geheimnisverrat zugunsten des CIA vorgeworfen wird, hat ein psychiatrisches Gutachten keinerlei Einschränkungen der Schuldfähigkeit des Angeklagten ergeben. Die SZ (Hans Holzhaider) berichtet.
OLG München – NSU: In einem Kommentar zum NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München bezeichnet Hannelore Crolly (Welt) es als "seltsam", "wie viele junge Menschen aus dem rechten Umfeld eines überraschenden Todes sterben, weil sie die braunen Gefilde hinter sich lassen wollten". Dass auch der mittlerweile fünfte derartige Todesfall von Ermittlern schnell als natürlicher beziehungsweise selbst gewollter Tod eingeordnet wurde, ließe an der Ernsthaftigkeit von Versprechungen einer "vollständigen und bedingungslosen" Aufklärung des NSU-Komplexes zweifeln.
LAG B-B zu Mitarbeiterüberwachung: Rechtsanwältin Constanze Grosch (Handelsblatt-Rechtsboard) bespricht nun auch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zur zulässigen Auswertung des Browserverlaufs eines gekündigten Arbeitnehmers. Für die erfolgte Zulassung der Revision sei auch die höchstrichterlich noch nicht entschiedene Frage einer Anwendbarkeit des Fernmeldegeheimnisses nach § 88 Telekommunikationsgesetz auf Arbeitgeber verantwortlich.
LG München I – Entführung: Wegen Entführung der Ehefrau eines Sparkassenmanagers muss sich ein 53-Jähriger vor dem Landgericht München I verantworten. Die bisherigen Prozesserkenntnisse haben nach Einschätzung der SZ (Christian Rost) eine reichlich dilettantische Tatausführung des Angeklagten belegt.
VG Minden zu Rechtsextremen: Auch im Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht Minden ist ein mehrfach vorbestrafter Rechtsextremer mit dem Anliegen gescheitert, sich die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst zu erstreiten. Nach Auffassung des Gerichts sei der Diplom-Jurist unwürdig und charakterlich nicht zur Aufnahme in einen Ausbildungsgang, der die Befähigung zum Richteramt vermittle, geeignet, meldet lto.de.
Bund-Länder-Streit: Vor dem Bundesverfassungsgericht sind bislang 23 Bund-Länder-Streitverfahren verhandelt worden. In neun dieser Fälle bestand eine parteipolitische (Teil-)Identität der jeweiligen Landes- und der Bundesregierung. Zu diesen Erkenntnissen gelangt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, über das die SZ (Robert Roßmann) berichtet.
Syndikusanwälte: Seit Jahresbeginn ist das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte in Kraft. Rechtsanwältin Susanne Reinemann (anwaltskommunikation.de) legt dar, warum auch unter diesem neuen Recht die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt für Altfälle, d.h. Anwälte, die ihre Zulassung nach dem alten Recht bekamen und die bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber tätig sind, zulässig ist.
Recht in der Welt
Frankreich – Dschungel: In einer Reportage über die Zustände im sogenannten Dschungel, einem Flüchtlingscamp in Calais, teilt die Welt (Thomas Kielinger) mit, dass Anwohner und Hilfsorganisationen eine einstweilige Verfügung gegen die bereits angeordnete Räumung des Lagers erreicht hätten. Am heutigen Dienstag wolle sich ein Richter vor Ort ein Bild von den Zuständen machen.
USA – Apple und Entschlüsselung: In der Auseinandersetzung zwischen US-amerikanischen Ermittlern und dem Apple-Konzern um die Entschlüsselung des Mobiltelefons eines der Attentäter von San Bernadino hat die Bundespolizei FBI ihre Forderung in einem Offenen Brief bekräftigt. Das FBI wolle keinen Generalschlüssel, zitiert die FAZ (Roland Lindner) aus dem Schreiben. Gleichzeitig werde anerkannt, dass die Forderung im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Privatsphäre stehe. Dieses aufzulösen, sei aber Aufgabe der Gesellschaft und nicht eines Unternehmens oder des FBIs. Das Hbl (Britta Weddeling) stellt "Staranwalt" Ted Olson vor, der von Apple verpflichtet wurde. Das "juristische Schwergewicht" sei unter anderem mit der Vertreung George W. Bushs bei dessen Auseinandersetzung um die Ergebnisse der US-amerikanischen Präsidentenwahl im Jahr 2000 bekannt geworden.
Sonstiges
TTIP: In einem Beitrag für lto.de untersucht Sebastian Roßner, wissenschaftlicher Mitarbeiter, welche Rechtsgrundlagen für die gegenwärtige, beschränkte Einsichtnahme von Bundestagsabgeordneten in Verhandlungsunterlagen zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP in Anschlag zu bringen sind. Der Autor schätzt ein, dass der Europäische Rat es 2013 versäumt habe, für eine angemessene Unterrichtung nationaler Parlamente und auch des Europaparlaments zu sorgen. Dieses Versäumnis lasse sich nun nur noch politisch, nicht jedoch juristisch ausgleichen.
Menschenrechtsbeauftragter: In einem Porträt des am gestrigen Montag zurückgetretenen Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Christoph Strässer (SPD), sinniert die taz (Tobias Schulze) über mögliche Gründe für den jetzigen Schritt. Neben dem offiziell angegebenen, der Doppelbelastung durch Amt und Abgeordneteneigenschaft, könne Strässers Biographie als sozialliberal geprägter Bürgerrechtler und seine jüngst formulierte Ablehnung des Asylpakets eine Rolle gespielt haben.
Das Letzte zum Schluss
Verschobene Prüfung: Was bisher wohl nur in der Fantasie zahlreicher gestresster Examenskandidaten existierte, wurde in Wien Wirklichkeit: Wie spiegel.de berichtet, bemächtigten sich Einbrecher des Inhalts eines Tresors einer Schule der Hauptstadt. Der beherbergte auch die Aufgaben des Zentral-Abiturs für eine Nachprüfung in Englisch. Die Prüflinge konnten sich aber nicht lange freuen, statt wie geplant um 9 Uhr wurde die Prüfung mit neuen Aufgaben um 14:30 Uhr gestartet.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. Februar 2016: Middelhoff-Urteil rechtskräftig / Bundestrojaner im Einsatz / Referendariat ohne Rechtsextremen . In: Legal Tribune Online, 23.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18503/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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