Der ICTY verkündet heute das Urteil gegen Ratko Mladić. Außerdem in der Presseschau: Kommunen verlieren vor dem BVerfG und können sich trotzdem freuen, der VerfGH NRW kassiert die Sperrklausel bei Kommunalwahlen und Strafe für Mankini.
Thema des Tages
ICTY – Ratko Mladić: Nach fünfjähriger Verfahrensdauer verkündet der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) am heutigen Mittwoch in Den Haag sein Urteil gegen Ratko Mladić. Dem bosnischen Serben werden in elf Anklagepunkten Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Der Bericht der SZ (Peter Münch) erinnert daran, dass sich Mladić nach dem Ende des Bosnien-Konflikts 16 Jahre einer Verhaftung entziehen konnte. Vor Gericht habe er sich bisweilen "bizarre Auftritte" erlaubt. Die Welt (Boris Kalnoky) geht in ihrem Bericht auch auf die Bilanz des ICTY ein. 161 Anklagen stünden 83 Schuld- und 19 Freisprüchen gegenüber. Problematisch sei die mangelnde Befriedung durch das Tribunal; so würden Kriegsverbrecher auch weiterhin in ihrer jeweiligen Bevölkerungsgruppe als Helden verehrt.
In einer Reportage beschreibt die taz (Erich Rathfelder) die fortgesetzte Spaltung der bosniakischen und der serbischen Landeshälfte Bosnien-Herzegowinas. Nach dem Abkommen von Dayton besitzen Vertriebene zwar das Recht zur Heimkehr und Inbesitznahme ihres Eigentums. In der Praxis nähmen dieses Recht jedoch nur wenige wahr.
Die SZ (Ronen Steinke) interviewt Serge Brammertz, der seit 2008 Chefankläger der Tribunals ist. Der Belgier spricht über die Bilanz des Tribunals und den ihm gegenüber erhobenen Vorwurf der Serbienfeindlichkeit.
Rechtspolitik
Minderheitsregierung/Neuwahlen: Die taz (Martin Reeh u.a.) bringt eine Übersicht zu den wichtigsten Aspekten einer denkbaren Minderheitsregierung, die Welt (Claudia Ehrenstein/Robin Alexander) eine solche zur Handlungsfähigkeit von Parlament, Regierung und Bundesrat. In der FAZ (Stefan Tomik, ausführlicher auf faz.net) werden die Kosten möglicher Neuwahlen beziffert. Marc Beise (SZ) beschreibt im Leitartikel Chancen einer Minderheitsregierung. Die grundgesetzlich "zwar ungeliebte, aber zulässige Regierungsform" bedeute vor allem eine Aufwertung des Bundestags. Durch die Notwendigkeit, im Parlament für Mehrheiten werben zu müssen, könnte sich eine "neue, bessere Debattenkultur" entwickeln. In einem Gastbeitrag für zeit.de erklärt Philipp Gassert, Geschichtsprofessor, die historischen Gründe dafür, "warum das Grundgesetz von vorgezogenen Neuwahlen nichts hält."
NetzDG: In einem Gastbeitrag für den Wirtschafts-Teil der FAZ bezeichnet Rechtsanwalt Roger Mann das Netzwerkdurchsetzungsgesetz als "ordnungspolitisch bedenklich – aber nicht sinnlos". Ausreichend wäre auch eine Verpflichtung für die Dienste-Anbieter gewesen, inländische Zustellungsbevollmächtigte zu bestellen und Betroffenen ein Auskunftsrecht in solchen Fällen einzuräumen, in denen der Anbieter nicht haftet.
Justiz
EuGH – Auslieferung: Nach Einschätzung des Generalanwalts Yves Bot ist die Auslieferung von Unionsbürgern aus Deutschland in die USA rechtens. Denn würden die Verletzungen des Diskriminierungsverbots und der Freizügigkeit durch die ansonsten drohende Straflosigkeit Betroffener gerechtfertigt. Über das beim Europäischen Gerichtshof anhängige Verfahren schreibt lto.de (Tanja Podolski).
EuGH – "Fack Ju Göhte": Auch die Welt (Hannelore Crolly) berichtet nun über den beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Streit über die Eintragungsfähigkeit der Wortmarke "Fack Ju Göhte".
BVerfG zu Kita-Gesetz S-A: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Übertragung der Zuständigkeit für die Kita-Planung von den Kommunen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Sachsen-Anhalt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. In der Niederlage der Klägerinnen stecke allerdings "ein messbarer Erfolg für die Kommunen", so die SZ (Wolfgang Janisch). Denn sei ihnen nunmehr ein direktes Klagerecht in Karlsruhe eingeräumt worden. Auch im Übrigen habe sich das Gericht als "starker Freund" der Gemeinden erwiesen. In der Urteilsverkündung sei es als "Substanz der praktizierten Demokratie" bezeichnet worden, dass der Staat den Kommunen die zur Erfüllung ihrer Pflichten erforderlichen Mittel zur Verfügung stelle.
Diese Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung durch das Gericht beschreibt auch der Kommentar von Reinhard Müller (FAZ). Deutschland wurzele "in der örtlichen Gemeinschaft, die ihre Angelegenheiten selbst regelt". Hierfür bräuchten die Kommunen "Mittel, keine Bevormundung".
BGH zu Urlaubsmängeln: Mängel bei einer gebuchten Hotelunterkunft sind auch dann schadensersatzpflichtig, wenn sie nur einen kleinen Teil des Gesamturlaubs betreffen. In einem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatten mehrere Mängel in den ersten Tagen eines Urlaubs bestanden, erst dann konnte die betroffene Familie in ein mangelfreies Zimmer umziehen, berichtet die FAZ (Hendrik Wieduwilt). Der Bericht von bild.de erklärt auch, wie Verbraucher bei mangelhaften Urlaubsleistungen ihre Rechte durchsetzen können.
BGH zu Unfall auf Fluggastbrücke: Das Ausrutschen auf einer feuchten Fluggastbrücke kann Schadensersatzansprüche gegen die Fluggesellschaft begründen. Denn bezwecke die einschlägige EU-Verordnung den Schutz von Reisegästen im Flugverkehr, wozu auch das Ein- und Aussteigen in Flugzeuge gehöre. Dies entschied nach Meldung der FAZ (Hendrik Wieduwilt) der Bundesgerichtshof.
BAG – Leiharbeitnehmer: Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Verfahren zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Massenentlassungsanzeige dem Europäischen Gerichtshofs mehrere Fragen zur Anwendung einiger Bestimmungen der Massenentlassungsrichtlinie vorgelegt. Dies meldet community.beck (Markus Stoffels).
VerfGH NRW zu Sperrklausel: Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen hat die erst im letzten Jahr durch eine Verfassungsänderung eingeführte Sperrklausel bei Kommunalwahlen als grundgesetzwidrig aufgehoben. In der mündlichen Verhandlung sei kein einziges konkretes Beispiel für eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit lokaler Vertretungen durch zu viele Parteien und Gruppen genannt worden, schreibt die SZ (Christian Wernicke). Lediglich abstrakte Gefahren rechtfertigten aber nicht den hier vorliegenden Verstoß gegen die Wahlgleichheit. lto.de (Tanja Podolski) interviewt den am Verfahren beteiligten Rechtsanwalt Robert Hotstegs zu Inhalt und Hintergrund von Klage und Entscheidung und deren möglichen Verarbeitung in juristischen Klausuren und Hausarbeiten. Sperrklauseln in Flächenstaaten dürften "nun vom Tisch sein", so das Fazit des Anwalt.
OVG S-H – Aldi Nord: Ab dem morgigen Donnerstag wird vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht der familiäre Streit zweier Familienzweige des Aldi Nord Konzerns ausgetragen. Anlass bietet eine beantragte Satzungsänderung in einer der von Unternehmensgründer Theo Albrecht eingerichteten Stiftung. spiegel.de (Alexander Preker) berichtet ausführlich.
OLG München – NSU: Das Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München wurde mit den Plädoyers der Nebenkläger fortgesetzt. Einzelheiten berichten FAZ (Karin Truscheit) und taz (Konrad Litschko).
LG Mannheim zu Zinswetten: Das Landgericht Mannheim hat die frühere Pforzheimer Oberbürgermeisterin Christel Augenstein (FDP) wegen Untreue zu einer auf Bewährung ausgesetzten Haftstrafe verurteilt. Durch die von ihr und der ebenfalls verurteilten Kämmerin initiierten Zinswetten auf Kosten der Stadt habe sie einen massiven Pflichtverstoß begangen, schreibt die FAZ (Marcus Jung) über die Urteilsverkündung. Die taz (Christian Rath) geht auch auf die fraglichen Geschäfte selbst und deren Entdeckung ein. Nach dem separaten Kommentar von Marcus Jung (FAZ) ist das Urteil "eine Mahnung für alle Stadtspitzen, die ihren Haushalt mit komplexen Finanzgeschäften zu frisieren versuchen".
VG Köln – Braunkohleabbau: Der Bund für Umwelt und Naturschutz klagt vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen Genehmigungen zum Braunkohleabbau unter einem als Hambacher Forst bekannten Waldstück. Richterliche Vergleichsangebote zu alternativen Abbauorten habe der beklagte RWE-Konzern abgelehnt, so die SZ (Benedikt Müller). Das Urteil werde am kommenden Freitag erwartet.
AG Gießen – Schwangerschaftsabbruch: Aus Anlass der am kommenden Freitag am Amtsgericht Gießen stattfindenden Strafverhandlung gegen eine Ärztin wegen verbotener Werbung für Schwangerschaftsabbrüche stellt Rechtsprofessorin Ulrike Lembke auf lto.de Inhalt und Geschichte des sogenannten Werbeverbots sowie die verfassungsgerichtlichen Leitentscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch dar. Deren "Absolutheit" führe zu Wertungswidersprüchen gegenüber den §§ 218ff. Strafgesetzbuch, die es verdienten, im jetzigen Strafverfahren thematisiert zu werden.
AG Hamburg – G20-Ausschreitungen: Die "bisher höchste Strafe" wegen der Beteiligung an den G20-Ausschreitung in Hamburg ist nun gegen einen 28-Jährigen verhängt worden. Der geständige und vorbestrafte Mann wurde zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt, meldet focus.de.
Recht in der Welt
EuGH zu Aufenthaltsrecht: Die aus der letzten Woche stammende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Aufenthaltsrecht eines Drittstaaten-Ehemanns einer spanisch-britischen Bürgerin nimmt der Habilitand Roman Lehner auf verfassungsblog.de zum Anlass einer vertieften Darstellung der Rechtsproblematik.
USA – Tabakkonzerne: Mehrere große Tabakkonzerne weisen ab dem kommenden Sonntag im US-amerikanischen Fernsehen in Werbespots auf die Gefahren von Zigaretten hin. Diese für ein volles Jahr geplanten "Richtigstellungen" seien Teil eines Vergleichs, durch den die betroffenen Firmen Strafzahlungen in Milliardenhöhe abwenden wollen, schreibt die SZ (Claus Hulverscheidt).
USA – AT&T/Time Warner: Die geplante Fusion der Konzerne AT&T und Time Warner ist nach einer vom US-Justizministerium erhobenen Klage gefährdet. Die Berichte von FAZ (Roland Lindner, Kurzfassung auf faz.net) und taz (Wilfried Urbe) mutmaßen, dass bei der jetzigen Entscheidung die bekannte Abneigung des Präsidenten gegen den zu Time Warner gehörenden Nachrichtenkanal CNN eine Rolle gespielt habe.
China – Anwalt: Der chinesische Rechtsanwalt Jiang Tianyong, bekannt etwa durch die Vertretung des Künstlers Ai Weiwei, ist wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Jiang war geständig, berichten taz (Sven Hansen) und FAZ (Petra Kolonko) und habe auch den Verzicht auf eine Berufung erklärt.
Sonstiges
Neue Verwaltungsrechtswissenschaft: Die FAZ (Florian Meinel) schreibt in ihrem Geisteswissenschaften-Teil über einen "Frontalangriff" auf die unter anderem vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, mitbegründete Neue Verwaltungsrechtswissenschaft. In einem aktuellen Beitrag der Zeitschrift "Die Verwaltung" beschreibe der Rechtsprofessor Klaus-Ferdinand Gärditz die weitgehende Wirkungslosigkeit der vermeintlichen Reformagenda. Zudem sei nach Gärditz das Projekt entgegen seines progressiven Anspruchs tatsächlich "konservierend-vergangenheitsbezogen, partiell mit restaurativen Zügen".
Strategische Rechtskommunikation: lto.de (Pia Lorenz) berichtet vom "Rechtskommunikationsgipfel", der am vergangenen Freitag in Berlin stattfand. Namhafte Medienrechtler wie der Anwalt Christian Schertz stellten ihre Strategien zur Verhinderung oder Steuerung von Berichterstattung dar.
Thomas Rauscher: Die Universität Leipzig prüft nach fragwürdigen Tweets des Rechtsprofessors Thomas Rauscher dienstrechtliche Schritte. Über den mittlerweile in einer Initiative gebündelten Protest gegen den Zivilrechtler schreibt die taz (Helke Ellersiek).
Flüchtlingspolitik: In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der FAZ beschreibt Rechtsprofessor Reinhard Merkel die deutsche Flüchtlingspolitik der vergangenen Jahre als "moralisches Desaster".
Das Letzte zum Schluss
Leicht bekleidet: Der Kinofilm "Borat" hat nicht zuletzt wegen des von Hauptdarsteller Sacha Baron Cohen getragenen Mankinis einen bleibenden Eindruck hinterlassen. In Borats vermeintlicher Heimat Kasachstan wurde jetzt sechs Tschechen ein Bußgeld auferlegt, weil sie nur mit einem eben solchen Mankini durch die Hauptstadt Astana spazierten. Ihr Trost: Nach dem Bericht von bild.de hat der britische Komiker nun angeboten, die Geldbuße zu übernehmen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. November 2017: Urteil gegen Mladić / Niederlage mit Erfolg vor dem BVerfG / Keine Sperrklausel in NRW . In: Legal Tribune Online, 22.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25639/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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