Die juristische Presseschau vom 22. Juni 2012: BVerfG stoppt Gauck – EU-Parlament blockiert Acta – Assange hängt fest

22.06.2012

Zum zweiten Mal in dieser Woche sorgt das Bundesverfassungsgericht für mächtig Wirbel in der Bundespolitik. Es fordert den Bundespräsidenten auf, Fiskalpakt und Euro-Rettungsschirm vorerst nicht zu unterzeichnen. Außerdem in der Presseschau: Acta vor dem Aus, Breivik droht die Zwangseinweisung, Assanges Flucht vor seiner Auslieferung und ein Sänger, der sich eidesstattlich erklären muss.

BVerfG zum Euro-Rettungsschirm: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat den Bundespräsidenten Joachim Gauck ausdrücklich darum gebeten, die Gesetzespakete zum Fiskalpakt und zum Euro-Rettungsschirm ESM nicht so frühzeitig wie geplant zu unterzeichnen. Damit soll dem BVerfG mehr Zeit für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit verbleiben, berichten die SZ (Heribert Prantl)  und spiegel.de (Severin Weiland/Annett Meiritz). Lto.de (Claudia Kornmeier/Pia Lorenz) führt dazu ein Interview mit dem Rechtsprofessor Michael Sachs.

Heribert Prantl (SZ) kommentiert, die Richter seien "lange geduldig" gewesen und hätten "dem Grundgesetz so viel Europa entnommen, wie nur irgend möglich war." Ihr Wohlwollen ende aber, "wenn beim Bau die Demokratie zu Schüttmaterial" werde: "Diese Gefahr ist nun akut." Max Steinbeis (verfassungsblog.de) sieht den "den Bundespräsidenten ohne Not in die Situation gebracht, als bloßer Befehlsempfänger Karlsruhes da-stehen zu müssen." Jasper von Altenbockum (FAZ) weist darauf hin, dass es nicht das erste Mal sei, dass in der "staatsrechtlichen Arena" nicht der Bundestag, sondern das Verfassungsgericht das letzte Wort habe. In einem Gastbeitrag für die FAZ setzt sich der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio mit dem Thema auseinander.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Acta vor dem Aus: Wie das Handelsblatt (Thomas Ludwig) berichtet, hat sich der Handelsausschuss des EU-Parlaments klar dafür ausgesprochen, dem hoch umstrittenen internationalen Urheberrechtsschutzabkommen Acta die Zustimmung zu verweigern. Das Votum des Ausschusses gelte als richtungsweisend für die Entscheidung des Europaparlaments am 4. Juli. Die FTD kommentiert, das Scheitern von Acta sei vor allem eine "Blamage für die EU".

Weitere Themen - Justiz

BGH zu Brechmittel-Urteilen: Der Rechtswissenschaftler Helmut Pollähne kommentiert auf lto.de die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum so genannten "Bremer Brechmittel-Skandal". Hintergrund: Zum zweiten Mal hat der BGH ein Urteil des Bremer Landgerichts aufgehoben, das einen Polizeiarzt freigesprochen hatte.

BVerfG zu Asylleistungen: Die Überprüfung des Asylbewerberleistungsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht analysiert Matthias Lehnert für lto.de. Er geht davon aus, dass die Karlsruher Richter das Gesetz für verfassungswidrig erklären werden: "Die Legislative kann und darf keine zwei Standards für die Menschwürde schaffen."

SächsVerfGH zu Ladenöffnungszeiten: Der Sächsische Verfassungsgerichtshof sieht keinen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich garantierten Schutz der Sonn- und Feiertage, wenn Läden aus besonderem Anlass an maximal vier Sonntagen im Jahr öffnen. Videotheken dürften jeden Sonntag betrieben werden, für Autowaschanlagen gelte dies jedoch nicht. Das berichtet lto.de.

BVerfG zum Atomausstieg: Das Handelsblatt (Wolfgang Reuter) beschäftigt sich ausführlich mit der Klage des Energiekonzerns RWE vor dem BVerfG. Das Karlsruher Gericht muss sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die per Gesetz zugesagten Reststrommengen an sich schon einen Vermögenswert darstellen, den die Verfassung schützt.

BAG zu ver.di-Warnstreik: Das Handelsblatt-Rechtsboard (Paul Melot de Beauregard) erläutert das Urteil des Bundesarbeitsgerichts, wonach ver.di wegen des Aufrufs zu einem rechtswidrigen Warnstreik zum Schadensersatz verurteilt wurde. Es werde an dem Urteil einmal mehr deutlich, dass das derzeitige Arbeitskampfrecht "durch große Bewegungen und damit auch Unsicherheiten geprägt sei."

LG Hamburg zu Patentstreit: Wie lto.de meldet, hat die Siemenstochter Osram vor dem Hamburger Landgericht einen Patentstreit um LED-Technologie gewonnen.

OLG Koblenz zu Kita-Aufsichtspflicht: Das Oberlandesgericht Koblenz hat entschieden, dass die Stadt Bitburg für den Schaden aufkommen muss, den Kinder in einer Tagesstätte an einem nah geparkten Auto verursacht hatten. Nach Ansicht des Gerichts verletzten die Erzieherinnen ihre Aufsichtspflicht. In einem solchen Fall der Amtshaftung habe grundsätzlich die Kommune zu beweisen, dass die Erzieher ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen seien, berichtet lto.de.

NSU: Die taz (Wolf Schmidt) berichtet von der erst kürzlich bekannt gewordenen "Operation Rennsteig", in deren Rahmen von 1997 bis 2003 die Thüringer Neonaziszene beobachtet wurde. Nach Informationen der taz soll auch der bayerische Verfassungsschutz zumindest zeitweise beteiligt gewesen sein.

Compliance-Anwälte: Im Handelsblatt (Dieter Fockenbrock/Sönke Iwersen) findet sich eine mehrseitige Wochenendbeilage zum Berufsfeld der Compliance-Anwälte. Die ausführliche Reportage beschäftigt sich mit dem Einfluss von Compliance-Spezialisten in Unternehmen. In einem Interview warnt der frühere Justizsenator und Staatsrechtler Rupert Scholz vor einer "Über-Verrechtlichung" der Wirtschaft und erläutert, warum Compliance "nicht mehr Recht, sondern mehr Rechtsunsicherheit" produziere.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Norwegen - Breivik-Prozess: Im Prozess gegen den norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik hat die Staatsanwaltschaft am Donnerstag dafür plädiert, den Angeklagten wegen begründeter Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit in einer psychiatrischen Anstalt unterzubringen. Es berichten ausführlich die FAZ (Friedrich Schmidt) und die FR (Hannes Gamillscheg). Warum es sich im Vorfeld des NSU-Prozesses "gerade in Deutschland" lohne, auf diesen Prozess zu schauen, kommentiert Annette Ramelsberger (SZ).

USA - Doppelmord: Die FAZ (Christiane Heil) berichtet von dem Prozess gegen den Deutschen Jens Söring, der 1990 von einem amerikanischen Gericht wegen Doppelmordes zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt wurde. Söring kämpft um eine Haftüberstellung nach Deutschland.

Assange-Auslieferung: In London ist der Wikileaks-Gründer Julian Assange in die Botschaft Ecuadors geflüchtet, um sich der drohenden Auslieferung nach Schweden zu entziehen. Die FTD (Friederike Böge) erläutert die völkerrechtlichen Aspekte seiner Botschaftsflucht und spekuliert: "Wenn er Pech hat, wird es Jahre dauern, bis er die Botschaft von Ecuador wieder verlässt."

Das Letzte zum Schluss

Sänger oder Straftäter: Blog.beck (Hans-Otto Burschel) bringt knapp einen Auszug aus eine eidesstattlichen Versicherung in einem Gewaltschutzverfahren. Danach erklärte ein umtriebige Sänger, der mehrfach im Hausflur ein Lied mit dem Text "Du lebst ja immer noch, Du altes Arschloch" gesungen hatte, dass sich dieses Lied nicht auf die Antragsteller bezogen habe – es handele sich um ein Lied von einer Musikkassette seiner verstorbenen Mutter mit Partyliedern:  "Ich hatte die Kassette meiner Mutter zum 75. Geburtstag geschenkt."

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/lp

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 22. Juni 2012: BVerfG stoppt Gauck – EU-Parlament blockiert Acta – Assange hängt fest . In: Legal Tribune Online, 22.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6450/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen