Im Herbst 2011 befand sich Deutschland im Terror-Ausnahmezustand. Nun stellt sich heraus: Die Bedrohungslage hatte ein nun angeklagter Islamist frei erfunden. Außerdem in der Presseschau: Gesetzentwurf zur Datenhehlerei, Berlin will Demos abfilmen, Arbeitsagenturen müssen Durchwahlen herausgeben – und warum zu viel Kontrolle vor Wohnungsdurchsuchungen bewahren kann.
Bundesanwaltschaft – Anklage wegen Terror-Täuschung: Die große Terrorwarnung im Herbst 2011 beruhte wohl auf einer Täuschung. Laut taz (Wolf Schmidt) hatte der nun wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vortäuschen von Straftaten von der Bundesanwaltschaft angeklagte Wuppertaler Emrah E. die befürchteten Anschläge frei erfunden.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Datenhehlerei: Hessen hat im Auftrag der Justizministerkonferenz einen Gesetzentwurf zur Strafbarkeit von "Datenhehlerei", also dem Handel mit widerrechtlich erlangten digitalen Daten, erarbeitet. Datenhehlerei soll mit bis zu fünf Jahren Haft bedroht werden. Der Informationsrechtler Markus Schröder kritisiert den Entwurf auf lto.de als überflüssig und unbestimmt. Insbesondere existiere die behauptete "Strafbarkeitslücke" gar nicht. Daneben zieht er die "geradezu bizarre" Ausnahme für staatliche Datendeals in Zweifel, die der Entwurf vorsieht.
Spendenstückelei: Die taz (Tobias Schulze) berichtet über die verbreitete Praxis, umfangreiche Parteispenden zur Verhinderung ihrer sofortigen Veröffentlichung (ab 50.000 Euro) zu stückeln. Diese Rechtslage sei von der Antikorruptionsgruppe Greco des Europarats schon wiederholt kritisiert worden; trotz eines vorliegenden Gesetzentwurfs der Grünen halte die Regierung aber an der bisherigen Regelung fest.
Fünf-Prozent-Hürde: Angesichts der hohen Zahl von "Leihstimmen" für die FDP bei den Wahlen in Niedersachsen spricht sich Gereon Asmuth (taz) für eine Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde aus. Die Regelung verzerre das Wahlergebnis, weil Bürger dazu verleitet würden, eine "Partei zweiter Wahl" zu wählen.
Demo-Überwachung: Der Berliner Senat plant, in das Versammlungsgesetz eine Grundlage für die anlasslose Videoüberwachung von Demonstrationen aufzunehmen. Die taz (Sebastian Puschner) berichtet im Berlin-Teil.
Medienvielfalt: Eine Beratergruppe der EU-Kommission, der auch Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) angehört, empfiehlt eine strengere Überwachung der Medienvielfalt durch nationale Medienräte, die Europäische Grundrechteagentur und das Europäische Parlament. Ziel solle die Wahrung von Pluralismus und Qualität im Mediensektor sein, berichtet die FAZ (Nikolas Busse).
Zukunft Europas: In einem Interview nimmt der Bielefelder Rechtswissenschaftler Franz C. Mayer auf verfassungsblog.de (Max Steinbeis) Stellung zur Debatte um die Zukunft Europas und der damit verbundenen Aufmerksamkeitskonjunktur. Trotz dynamischer Diskussionen 2011 und 2012 befürchtet er – auch angesichts der "deutschen Vollbremsung" vor dem Jahreswechsel – ein erneutes Abflauen der Thematik und wenig Raum für progressive Entwicklungen.
Leistungsschutzrecht: Auf internet-law.de veröffentlicht Thomas Stadler seine für den Rechtsausschuss des Bundestages erstellte kritische Stellungnahme zum geplanten Leistungsschutzrecht. Er hält es für "zweifelhaft, ob das geplante Leistungsschutzrecht mit europarechtlichen, völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist."
Weitere Themen – Justiz
VG Leipzig zum Anspruch auf Durchwahl: Die Arbeitsagenturen müssen zukünftig auf Anfrage die telefonische Durchwahl ihrer Mitarbeiter herausgeben. Das hat nach einem Bericht der SZ (Thomas Öchsner) das Verwaltungsgericht Leipzig auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes entschieden. Der Informationsanspruch der Bürger habe Vorrang vor dem Organisationskonzept der Behörde.
AG München zur Aufhebung erschwindelter PKH: Bereits gewährte Prozesskostenhilfe kann rückwirkend aufgehoben werden, wenn der Antrag aufgrund vorgetäuschter tatsächlicher Angaben bewilligt wurde, die die Erfolgsaussichten des Prozesses betreffen. lto.de berichtet knapp.
LAG Berlin-Brandenburg zu Leiharbeit: Auf dem Handelsblatt-Rechtsboard beschäftigt sich die Rechtsanwältin Lioba Grünberg mit dem Leiharbeits-Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg von Anfang Januar. Dabei hatte das Gericht festgestellt, dass bei dauerhafter Beschäftigung einer Leiharbeitskraft ein normales Arbeitsverhältnis zum Entleiher entstehe. Eine andere Kammer desselben Gerichts sei im Oktober noch zu einem anderen Ergebnis gekommen. Nun sei die Revision zum Bundesarbeitsgericht abzuwarten.
StA Frankfurt – keine Maschinenpistolen: Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hat Vorwürfe zurückgewiesen, bei der Durchsuchung der Konzernzentrale der Deutschen Bank unverhältnismäßig vorgegangen zu sein. So seien, anders als vom Co-Vorstandsvorsitzenden Jürgen Fitschen dargestellt, die Beamten weder vermummt noch mit Maschinenpistolen ausgerüstet gewesen. Die FAZ (Joachim Jahn) berichtet.
Prozesse gegen "Geldmacher": Die SZ (Klaus Ott) gibt anlässlich der Inhaftierung des Ex-TV-Börsenexperten Markus Frick einen Überblick über Ermittlungen, Prozesse und Urteile gegen Kapitalanlagebetrüger und erläutert das "immer wieder gleiche Spiel", mit dem die Anleger übers Ohr gehauen werden. In einem aktuellen Verfahren ermittle die Münchner Staatsanwaltschaft gegen mehr als 30 Beschuldigte.
Auf die Ermittlungen gegen den in Untersuchungshaft sitzenden Frick konzentriert sich die knappe Meldung der FR.
LG Berlin – Technoviking: netzpolitik.org (Leonhard Dobusch) beschäftigt sich mit den urheberrechtlichen Fragen, die hinter dem in der letzten Woche vor dem Landgericht Berlin begonnenen Urheberrechtsprozess rund um ein auf dem Online-Videoportal Youtube veröffentlichtes Remix des "Technoviking Internet-Meme" stehen.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Indien – Beginn des Vergewaltigungsprozesses: Am Montag hat in Neu Delhi der Prozess gegen die mutmaßlichen Vergewaltiger einer an ihren Verletzungen mittlerweile verstorbenen indischen Studentin begonnen. Das Verfahren findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wie zeit.de berichtet, fordern die Eltern des Opfers die Todesstrafe für die Täter.
Sonstiges
Schützenhilfe für Schavan: Die "Allianz der Wissenschaftsorganisationen" stellt sich in einer Pressemitteilung hinsichtlich des an der Universität Düsseldorf anhängigen Promotionsprüfungsverfahren hinter Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU). Dieses Vorgehen kritisiert der Rechtswissenschaftler Joachim Wieland auf lto.de formal wie inhaltlich: Zum einen sei die Allianz von der Ministerin finanziell abhängig. Zum anderen verkenne sie den Prüfungsmaßstab, da die von der Allianz ins Feld geführten DFG-Förderrichtlinien den Entzug einer Promotion nicht regelten.
Die widerstreitenden Positionen zur Entziehung des Doktortitels dokumentiert anlässlich der am heutigen Dienstag stattfindenden Sitzung des Fakultätsrats der Universität Düsseldorf zeit.de (Volker Rieble/Ludger Honnefelder).
Das Letzte zum Schluss
Untergegangene Folgemaßnahmen: Wer zu viel kontrolliert, verkontrolliert sich auch mal: lawblog.de (Udo Vetter) zitiert genüsslich einen Polizeibericht, nach dem trotz des Auffindens "krümelartiger Substanzen" bei einer mobilen Großkontrolle eine erkennungsdienstliche Behandlung und eine Wohnungsdurchsuchung "untergegangen" seien – aufgrund weiterer Kontrollen und des Wechsels der kontrollierenden Beamten. Die hatten wohl einfach zu viel zu tun.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. Januar 2013: Terrorgefahr nur vorgetäuscht – Datenhehlerei bald strafbar(er) – Arbeitssuchende haben Anspruch auf Durchwahl . In: Legal Tribune Online, 22.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8010/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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