Die juristische Presseschau vom 21. Oktober 2020: Corona jetzt mit Par­la­ments­be­tei­li­gung? / Art. 3 GG ohne "Rasse"? / USA vs. Google

21.10.2020

Die Infektionszahlen steigen rasant, schlägt bei der Bekämpfung der zweiten Corona-Welle nun die Stunde der Parlamente? Die "Rasse" in Art. 3 GG soll sprachlich ersetzt werden und Google droht in den USA ein Kartellverfahren.

Thema des Tages

Corona – Parlamente: Zahlreiche Wortmeldungen fordern, Bundestag und Länderparlamente stärker als bislang bei anstehenden Beschlussfassungen zur Bekämpfung des Coronavirus einzubinden. zeit.de (Lenz Jacobsen) macht hierfür das "politische und juristische Chaos" zu den weitgehend gescheiterten Beherbergungsverboten sowie die Kritik an den vom Bundesgesundheitsministerium geplanten, erweiterten Sonderbefugnissen verantwortlich. Derweil hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) die Fraktionen in einem Schreiben aufgefordert, die Rolle des Parlaments als Gesetzgeber deutlich zu machen. Unter Bezugnahme auf Ideen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, der etwa einen Zustimmungsvorbehalt für erlassene Verordnungen vorgeschlagen hat, biete Schäuble seine Vermittlung bei deren Umsetzung an, so die FAZ (Peter Carstens/Eckart Lohse).

Für die Welt legt der Bundesvorsitzende der FDP, Christian Lindner, dar, dass "die Verwaltung allein" nicht "der Ort für das Abwägen zwischen Sicherheit und Freiheit" sei, die Exekutive "die Ordnung zu oft vor der Freiheit" sähe und also die Parlamente "als Anwalt der bürgerlichen Freiheit stärker in Erscheinung treten müssen". Im Feuilleton der FAZ werfen die Rechtsprofessoren Hans Michael Heinig und Christoph Möllers "einen kritischen Blick" auf die im Moment herrschende Aufgabenverteilung. Es sei unbestritten, dass Bundestag und Landtage "mehr regeln dürfen, als sie regeln". Dagegen werde die zuletzt zu beobachtende "erstarkende Rolle der Gerichte" zur institutionellen Kompensation für die schwache Rolle der Parlamente.

Im Leitartikel warnt Klaus Stratmann (Hbl) davor, den möglichen parlamentarischen Widerruf der bisherigen "Sonderrechte der Regierung" zur Pandemiebekämpfung leichtfertig zu beschließen. Über Präzisierungen bestimmter Formulierungen hinaus biete auch der Bundestag keine konkreten Formulierungen und verlasse sich – wie auch schon vor Corona – auf Entwürfe, die in Ministerien bzw. in von dort beauftragten "Anwaltskanzleien und Beratungsunternehmen" erarbeitet wurden. So entstehe schließlich eine "organisierte Verantwortungslosigkeit". Reinhard Müller (FAZ) erinnert, gleichfalls im Leitartikel, daran, dass es den Parlamenten als Gesetzgeber freistünde, aktiver aufzutreten. Solange man sich im Bundestag in der "Mehrheit als Kanzlerwahlverein, Mehrheitsbeschaffer und Personalreserve für die Regierung" verstehe, sei man aber nicht "das Herz der Demokratie".

Corona – Beschränkungen: Der Welt (Karsten Seibel) hat der frühere Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof mitgeteilt, dass er eine bundesweite Anordnung zur Schließung von Betrieben für "kompetenziell und sachlich nicht möglich" halte. Der im Text ebenfalls zitierte Rechtsprofessor Klaus Gärditz macht daneben auf gesteigerte Begründungsanforderungen für neuerliche Beschränkungen des öffentlichen Lebens aufmerksam. An eben diesen seien die jüngsten Beherbergungsverbote gescheitert.

Rechtspolitik

"Rasse" und Grundgesetz: Nach Informationen der SZ (Constanze von Bullion/Cerstin Gammelin) hat sich die Bundesregierung darauf verständigt, das Wort "Rasse" in Art. 3 Grundgesetz im Wege einer "sprachlichen Anpassung" zu streichen. Diese solle nicht zu einer Verengung des Schutzbereichs führen. Wolfgang Janisch (SZ) bezeichnet die Reform als "unnötig". Erforderlich seien hingegen "Gesetze zur handfesten Umsetzung des Diskriminierungsverbotes", wobei ein Verbot des "Racial Profiling" einen Anfang darstellen könnte.

beA: Die ab 2022 geltende aktive Nutzungspflicht für das besondere elektronische Anwaltspostfach soll nach einem Vorschlag der Bundestagsfraktion der Grünen erst drei Jahre später gelten. Als Grund würden schlechte Internetverbindungen in zahlreichen Regionen des Landes angeführt, berichtet LTO. Zudem habe sich die bisherige Nutzung als störanfällig erwiesen.

EU-Sanktionen: Die EU-Kommission will Menschenrechtsverletzungen in außereuropäischen Ländern künftig leichter sanktionieren können. Nach einem nun vorgestellten Vorschlag sollen gegenüber Verantwortlichen für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen Einreiseverbote verhängt und ihre Vermögenswerte eingefroren werden. Es sei aber fraglich, ob sich die Mitgliedstaaten darauf verständigen können, solche Sanktionen bereits mit qualifizierter Mehrheit in Kraft treten zu lassen, so der Bericht von LTO.

Justiz

BGH zur Fristwahrung: Anwaltliche Sorgfaltspflichten sind bei der fristwahrenden Sendung von Schriftsätzen erst dann erfüllt, wenn nach zunächst gescheiterten Fax-Sende-Versuchen auch alle weiteren Nummern des Gerichts rechtzeitig angewählt werden. Dies stellte der Bundesgerichtshof in einem Beschluss von Mitte September klar. Entscheidung und Fall stellt LTO vor.

BGH zu Unfallabrechnung: Erleidet der Eigentümer eines fast neuen Autos einen Unfallschaden, scheidet eine fiktive Abrechnung auf Neuwagenbasis aus. Die einzige Ausnahme von diesem Prinzip setzt die tatsächliche Anschaffung eines gleichwertigen Neuwagens voraus, so der Bundesgerichtshof in einem von LTO gemeldeten, nun veröffentlichten Urteil von Ende September.

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Im Verfahren zur Tötung von Walter Lübcke befasste sich das Oberlandesgericht Frankfurt mit dem gegen Stephan E. erhobenen Vorwurf des versuchten Mordes an einem irakischen Flüchtling. Sachverständige hätten Details zur Verletzung und den Ermittlungsergebnissen dargelegt, so LTO. Der als Nebenkläger beteiligte Geschädigte wird in der nächsten Woche aussagen.

OVG Greifswald zu Corona-Beherbergungsverbot: Eine Bestimmung der Corona-Lockerungsverordnung Mecklenburg-Vorpommern, nach der die Beherbergung nur mit Vorlage eines negativen Corona-Tests möglich ist, wurde durch einen Eilbeschluss des Oberverwaltungsgerichts Greifswald aufgehoben. Die Ungleichbehandlung von Beherbergungsgästen gegenüber Pendlern sei sachlich nicht gerechtfertigt, heißt es laut LTO.

LG Stuttgart – Cum-Ex-Entschädigung: Das Landgericht Stuttgart verhandelt am heutigen Mittwoch zur Schadensersatzforderung des Insolvenzverwalters der Maple Bank gegen das Wirtschaftsprüfungsunternehmen EY. Die Beklagte hätte bei ihren Beratungstätigkeiten für die Bank erkennen müssen, dass deren Cum-Ex-Geschäfte wegen drohender Steuernachforderungen die Existenz der Bank bedrohen, fasst die FAZ (Georg Giersbach/Susanne Preuß) die Klage zusammen. Weil der Fall an der bundesweit ersten Spezialkammer für Steuerberater- und Wirtschaftsprüferhaftung verhandelt werde, sei eine vergleichsweise Einigung der Parteien durchaus denkbar. In einem separaten Kommentar gibt Georg Giersberg (FAZ) zu bedenken, dass es die Pflicht eines Insolvenzverwalters sei, alle Rechte des insolventen Unternehmens "überall wahrzunehmen". Insofern eigne sich die Klageerhebung nicht für "schnelle Vorverurteilungen".

LG Augsburg – Tod eines Feuerwehrmanns: Zum Auftakt des Strafverfahrens zum Tod des Feuerwehrmanns Roland S. hat der am Landgericht Augsburg wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagte Halid S. eingeräumt, den Verstorbenen geschlagen zu haben. Vorangegangen war eine Auseinandersetzung, deren Hergang die Jugendkammer zu ermitteln hat, so spiegel.de (Jan Friedmann). Ein Urteil könnte bereits im November ergehen.

Recht in der Welt

USA – Google und Kartellrecht: Wegen des Vorwurfs des illegalen Ausnutzens einer marktbeherrschenden Stellung wollen das US-amerikanische Justizministerium und weitere elf Bundesstaaten eine Kartellklage gegen Google erheben. Google habe etwa wettbewerbswidrige Vereinbarungen geschlossen, um seine Suchmaschine zum Standard auf Mobiltelefonen zu machen, schreibt die FAZ (Roland Lindner) zu den erhobenen Vorwürfen. In seinem Bericht beschreibt das Hbl (Alexander Demling/Torsten Riecke) auch, wie US-Konzerne in den vergangenen 40 Jahren "von einem juristischen Laissez-faire-Regime", in dem sich Kartellmaßnahmen auf die "offensichtlichsten Fälle von Machtmissbrauch" beschränkten, profitiert hätten. Dabei würden Internet-Großkonzerne mittlerweile von allen Seiten des politischen Spektrums "kritisch beäugt ", so spiegel.de (Ines Zöttl) in einer Analyse. 

In einem separaten Kommentar bedauert dagegen Roland Lindner (FAZ), dass die "Tech-Giganten in Amerika" nun offenbar "zu politischen Spielbällen" würden. Die Diskussion um Marktmacht und Geschäftspraktiken betroffener Firmen sei zu wichtig, "um politisiert zu werden".

USA – Ruth Bader Ginsburg: Russell Miller (FAZ-Einspruch) würdigt die jüngst verstorbene Ruth Bader Ginsburg in einer ausführlichen, englischsprachigen Kolumne. Auch über ihren Einsatz für Gleichberechtigung hinaus habe die vormalige Richterin am US-Supreme Court Wesentliches zur Rechtsprechung beigetragen.

USA – Briefwahl: Der Supreme Court der USA hat eine im Bundesstaat Pennsylvania geltende Regel zur Briefwahl bestätigt. Damit ist es weiterhin möglich, bis zum Wahltag zur Post aufgegebene Stimmen noch bis zu drei Tagen nach der Wahl zu zählen. Dass die Entscheidung mit einem Patt von vier zu vier Stimmen erging, unterstreicht nach dem Bericht der SZ (Hubert Wetzel) die Bedeutung der Ernennung der Nachfolgerin der verstorbenen Ruth Bader Ginsburg.

Sonstiges

Corona – BRAK-Umfrage: LTO (Pia Lorenz) berichtet über die Ergebnisse einer zweiten Umfrage der Bundesrechtsanwaltskammer zu coronabedingten Auswirkungen auf die anwaltliche Arbeit. Die noch vor dem jüngsten Ansteigen der Infektionszahlen durchgeführte Umfrage belege, dass trotz zum Teil deutlicher Rückgänge bei den Mandatszahlen existenzbedrohende wirtschaftliche Einbußen eher nicht gemeldet würden. Im Vergleich zu der im April durchgeführten ersten Umfrage der BRAK seien viele Anwälte jedoch merkbar pessimistischer, was eine Überwindung der Pandemieauswirkungen angeht. In ihrer Stellungnahme habe die BRAK darauf gedrungen, Gerichte arbeitsfähig zu halten. Nur so könne dem Justizgewährungsanspruch entsprochen werden.

"Forum Recht": Das Direktorium des Rechtsstaats-Projekts "Forum Recht" hat seine Tätigkeit aufgenommen, LTO (Christian Rath) hat dessen Vorstellung besucht und gibt einen Überblick zum gegenwärtigen Planungsstand. Die Standorte in Karlsruhe und Leipzig stünden fest, darüber hinaus sei bei der inhaltlichen Ausgestaltung und dem letztendlichen Eröffnungstermin beider Häuser noch Vieles im Fluss.

Das Letzte

Timing: Einen unpassenden Zeitpunkt für ein wenig Entspannung wählte Jeffrey Toobin, ehemaliger Staatsanwalt und nach spiegel.de "einer der prominentesten Kommentatoren im US-Journalismus, wenn es um juristische Themen geht". Während einer Videokonferenz, bei der die Berichterstattung zur Präsidentschaftswahl besprochen werden sollte, wähnte sich Toobin in einer Pause unbeobachtet und begann zu masturbieren.

 

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. Oktober 2020: Corona jetzt mit Parlamentsbeteiligung? / Art. 3 GG ohne "Rasse"? / USA vs. Google . In: Legal Tribune Online, 21.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43161/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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