Die juristische Presseschau vom 21. September 2018: EGMR zu Abt­rei­bungs­kritik / Ditib wird Prüf­fall / Ver­fas­sungs­schutz muss Aus­kunft geben

21.09.2018

Der EGMR hat die Unterlassungs-Verfügungen deutscher Gerichte gegen einen Abtreibungsgegner bestätigt. Außerdem in der Presseschau: BfV erklärt Moscheeverein zum Prüffall und muss über Schredder-Verfahren nur wenig Auskunft gewähren.

Thema des Tages

EGMR zu Abtreibungskritik: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat vier Beschwerden des deutschen Abtreibungsgegners Klaus Günter Annen gegen deutsche Gerichtsurteile abgelehnt. Der Kläger hatte auf der Webseite www.babycaust.de und auf Flugblättern Abtreibungen mit Blick auf bestimmte Ärzte als "Kindsmord" bezeichnet und in Beziehung zum Holocaust gesetzt. Vier Ärzte hatten gegen Annen erfolgreich auf Unterlassung geklagt und einstweilige Verfügungen gegen ihn erwirkt. Dagegen ging der Abtreibungsgegner vor, war aber vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, woraufhin er vor den EGMR mit dem Argument zog, seine Äußerungen zielten nicht auf die Ärzte, sondern auf die deutsche Rechtslage. Er sah sich durch die gegen ihn erlassenen einstweiligen Verfügungen in seiner Meinungsfreiheit nach Art. 10 Europäische Menschenrechskonvention (EMRK) angegriffen. Der EGMR sah die Meinungsfreiheit jedoch nicht als verletzt an. Die drastischen Aussagen des Aktivisten im Zusammenhang mit einzelnen Ärzten hätten Hass und Aggression gegen die Mediziner auslösen können, sodass die einstweiligen Verfügungen gerechtfertigt gewesen seien. Die Urteile des EGMR sind noch nicht rechtskräftig. Es berichten die taz (Christian Rath), swr.de (Gigi Deppe) und lto.de.

Rechtspolitik

Maaßen: Auf verfassungsblog.de beleuchtet Heiko Sauer, Professor für Öffentliches Recht, warum in verfassungsrechtlicher Hinsicht die Ernennung eines Staatssekretärs nicht an eine Entscheidung des Kabinetts gebunden ist. Der akademische Rat Benedikt Beckermann untersucht auf juwiss.de, ob und wie die Kanzlerin aufgrund von Vorschriften des Grundgesetzes, des Beamtenrechts und der Geschäftsordnung der Bundesregierung über die Zukunft eines Beamten einer nachgeordneten Bundesbehörde entscheiden kann. Er kommt zu dem Schluss, dass Merkel den Verfassungsschutz-Präsidenten nicht hätte selbst entlassen können. Es sei ihr nur möglich gewesen, den Innenminister dazu anzuweisen, um im Weigerungsfall womöglich ihn zu entlassen.

Whistleblower: Der Bundesrat berät an diesem Freitag erstmals über die Vorlage zum geplanten Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Die taz (Christian Rath) legt dar, dass der Gesetzentwurf die Stellung von Whistleblowern stärke, nicht schwäche. Er bleibe auch nicht hinter der zugrunde liegenden EU-Richtlinie zurück.

Menschenrechte und Wirtschaft: Derzeit verhandelt der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen über ein Abkommen, das Staaten dazu verpflichten soll, entlang von internationalen Lieferketten die Menschenrechte gesetzlich zu schützen. Laut taz (Andreas Zumach) will allerdings die EU am Freitag den Verhandlungsprozess bei einer Sitzung in Genf mit formalen Einwänden aufhalten. Dahinter wird Kritik an dem Vorschlag vermutet, einen internationalen Gerichtshof und harte Sanktionen einzuführen.

Justiz

OVG NRW zu BfV-Auskunftspflichten: Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nur teilweise über das Disziplinarverfahren gegen den pseudonymen Beamten "Lothar Lingen" Auskunft geben muss, wie lto.de und zeit.de berichten. Ein Referatsleiter hatte nach Bekanntwerden des NSU einige Akten zu V-Leuten vernichtet, woraufhin ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wurde. Ein Journalist hatte auf Auskunft über das Disziplinarverfahren geklagt, das Verwaltungsgericht Köln gab der Klage weitestgehend statt. Das OVG änderte das Urteil in Teilen ab: So muss das BfV nicht über den konkreten Ausgang des Verfahrens berichten, allerdings zum Umfang der Ermittlungen und zu der Frage, ob der Beamte eigenmächtig handelte.

LG Berlin zu Raser-Fall: In einem neuen Raser-Fall hat das Landgericht Berlin den Angeklagten Djordje S. zu 13 Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt, womit es über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß von elf Jahren hinausging,. Der 34-Jährige war alkoholisiert vor der Polizei geflohen, hatte an einer Kreuzung eine rote Ampel überfahren und dabei eine 27-jährige Frau und ihre Tochter lebensgefährlich verletzt. Da der Täter andere Straftaten verdecken wollte, habe er ein Mordmerkmal verwirklicht. Das Gericht nahm Eventualvorsatz an, erkannte aber eine verminderte Schuldfähigkeit wegen des alkoholisierten Zustands. Der Mann war mehrfach vorbestraft und hätte abgeschoben werden sollen. Die Verteidigung plädierte auf fahrlässige Körperverletzung. Es berichten Tsp (Kerstin Gehrke), SZ und lto.de (Tim Korkala).

LG Baden-Baden – Missbrauch: Die Staatsanwaltschaft hat im Fall eines beschuldigten Schwimmlehrers, der Schwimmschülerinnen in rund 200 Fällen heimlich gefilmt und sexuell missbraucht haben soll, Sicherungsverwahrung beantragt. Dimitri T. hatte vor dem Landgericht Baden-Baden ein durch seinen Anwalt verlesenes Geständnis abgelegt und gleichzeitig behauptet, ein nicht genannter Dritter hätte ihn zu den Filmaufnahmen genötigt. Ein Urteil wird Ende Oktober erwartet. Es berichten SZ (Oliver Klasen) und FAZ (Rüdiger Soldt).

BVerfG – Beamtenbesoldung: Die FAZ (Constantin van Lijnden) schreibt, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen die Besoldung der nordrhein-westfälischen Landesbeamten der Gruppe A 7 für verfassungswidrig niedrig hält und die Frage daher dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt hat. Die ursprünglich acht Klagen richteten sich seit 2007 gegen Streichungen und Kürzungen von gewährten Jahressonderzahlungen.

BGH – Haftung von Sharehoster: Der Bundesgerichshof hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob und wie der Sharehosting-Dienst "uploaded" für durch Nutzer begangene Urheberrechtsverstöße haftbar ist. Der BGH möchte u.a. wissen, wie sich die Anonymität und das Vergütungsmodell von "uploaded" auf die Frage der Haftung auswirken und welche Bedeutung es hat, dass der Sharehoster von Urheberrechtsverletzungen auf der Plattform weiß, ohne gleichzeitig ein Inhaltsverzeichnis oder eine Suchfunktion bereitzuhalten. Es berichtet der Anwalt René Sandor auf FAZ-Einspruch.

AG München zu sexueller Belästigung: Wie das Amtsgericht München in dieser Woche mitteilte, wurde ein 38-jähriger Mann im Februar wegen sexueller Belästigung in zwei Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung, da der Mann sich einsichtig gezeigt und einer der Frauen eine Entschädigung gezahlt hatte. Er hatte auf dem Münchener Oktoberfest 2017 zwei Frauen von hinten in den Schritt gefasst. Karin Truscheit (FAZ) wertet die Entscheidung als Ergebnis des im letzten Jahr geänderten Sexualstrafrechts. So sei früher ein solches "Grapschen" als Beleidigung auf sexueller Grundlage eingeordnet worden, nun handle es sich um eine sexuelle Belästigung mit deutlich höherem Strafmaß und werde als Offizialdelikt von Amts wegen verfolgt.

LG Bielefeld – Dreifachmord von Hille: Vom zweiten Verhandlungstag vor dem Landgericht Bielefeld berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm). Den Angeklagten Jörg W., 51 Jahre, und Kevin R., 24 Jahre, droht lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes aus Habgier unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Jörg W. will sich in der Hauptverhandlung nicht äußern, wie seine Verteidiger am Donnerstag ankündigten. Er hatte im Rahmen der richterlichen Vernehmung widersprüchliche Angaben zu den Taten gemacht.

EuGH – Halal und Bio: In seinen Schlussanträgen führt der Generalanwalt Nils Wahl aus, dass Fleisch, das halal ist, also von geschächteten Tieren stammt, auch das europäische Bio-Siegel erhalten kann, da die Kennzeichnungsverordnung und die darauf beruhende Bezeichnung nichts zur Art und Weise der Schlachtung sagt, berichtet lto.de. Jedoch würde die Religionsfreiheit nicht beeinträchtigt, wenn eine gleichzeitige Zertifizierung als "halal" und "biologisch" nicht möglich wäre, da die Bezeichnung als solche nicht die Ausübung des religiösen Ritus betreffe.

BVerwG zu Dienstzeiten: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass Polizeibeamte, die bereits in Ausrüstung zum Dienst erscheinen und diese erst nach Dienstschluss wieder ablegen, keinen Zeitausgleich für die sogenannte Rüstzeit erhalten, so lto.de.

VW-Abgasskandal: wdr.de (Philip Raillon) erklärt, dass der VW-Konzern mit klagenden Kunden gerichtliche Vergleiche anstrebt, um für ihn negative ober- oder höchstrichterliche Entscheidungen zu vermeiden. Der Sender bezieht sich dabei auf einen Kundenanwalt, der Konzern bestreitet eine derartige Strategie.

Vollstreckungsdefizit: lto.de (Markus Sehl) betrachtet anlässlich eines Expertenpodiums des Deutschen Anwaltvereins (DAV) die Frage, ob es im Verhältnis von Verwaltungsgerichten und Verwaltung in der Bundesrepublik den Trend zu einem Vollstreckungsdefizit gibt, und hebt exemplarisch den Fall Sami A., die Durchsetzung von Fahrverboten in Bayern und den Fall um die Stadthalle von Wetzlar hervor. Zu Wort kommen die Teilnehmer des Podiums, u.a. Rechtsprofessor Winfried Kluth, DAV-Präsident Ulrich Schellenberg und der Anwalt Remo Klinger.

Recht in der Welt

Rumänien – Verfassungsänderung zur Ehe: Am 6. und 7. Oktober soll in Rumänien in einer Volksabstimmung über eine Änderung der Verfassung abgestimmt werden. Die SZ (Florian Hassel) berichtet, dass durch die Verfassungsänderung die Ehe als eine Verbindung zwischen Mann und Frau, und nicht, wie bisher, zwischen Ehegatten festgeschrieben werden soll. Die Änderung war 2015 durch konservative und kirchennahe Gruppen angeregt worden, wurde 2017 bereits durch das Unterhaus des Parlaments und am 11. September durch den Senat beschlossen. Die Verfassungsänderung muss, damit sie in Kraft tritt, durch die Volksabstimmung gebilligt werden.

Polen – Richterernennung: Polens Präsident Andrzej Duda hat laut lto.de zehn neue Richter am Obersten Gericht ernannt. Die Stellen waren zum Teil durch die umstrittenen Zwangspensionierungen frei geworden. Insgesamt sollen 44 von 120 Stellen neu besetzt werden.

China – Fürsorgepflicht: Ein Gericht in der Provinz Sichuan hat entschieden, dass die Vernachlässigung der eigenen Eltern als Verletzung der Fürsorgepflicht strafbar ist und verurteilte einen Mann zu einer zweijährigen Haftstrafe. Seit fünf Jahren besteht in China ein Gesetz, das dazu verpflichtet, sich um die eigenen Eltern zu kümmern, ohne jedoch bei Verletzung der Pflichten ein Strafmaß vorzusehen. Es berichtet die FAZ (Friederike Böge).

Sonstiges

Ditib: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat den Moscheeverein Ditib zum Prüffall erklärt und will damit untersuchen, ob der Verein verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, berichtet die SZ (Georg Mascolo/Ronen Steinke). Matthias Drobinski (SZ) weist darauf hin, dass die Belege dafür, "dass die Ditib gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung in Deutschland agitiert", dünn seien.

Hambacher Forst: Reinhard Müller (FAZ) kommentiert den gegenwärtigen Zustand zwischen Aktivisten und Behörden: "Je länger ein rechtloser Zustand andauert, desto eher wird er akzeptiert. Irgendwann wird er sogar zur Norm, kann jedenfalls geduldet werden." So hätten die Aktivisten bereits erreicht, als gleichberechtigte Partei im Konflikt mit der Staatsmacht wahrgenommen zu werden. Es gebe indes keinen rechtlichen Grund für die Aufrechterhaltung des jetzigen Zustands. focus.de (Axel Wolfsgruber) berichtet, dass Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sich bei Maybrit Illner im ZDF unter Berufung auf den Rechtsstaat vehement mit dem Argument gegen eine Rettung des Hambacher Forsts ausgesprochen habe, dass Gerichte die Rodung für möglich erklärt hätten.

Ermittlung im Darknet: lto.de (Hasso Suliak) interviewt Oberstaatsanwalt Andreas May, der als ein führender Ermittler in Darknet-Delikten gilt. May ist der Auffassung, dass die deutschen Ermittler es im europäischen Vergleich schwer haben, im Darknet Straftaten zu verfolgen und hält auch das materielle Strafrecht für "noch viel zu sehr an der analogen Welt ausgerichtet".

Presseakkreditierungen beim G-20-Gipfel: Auf netzpolitik.org wird über die Ergebnisse einer Untersuchung des Landesdatenschutzbeauftragen Baden-Württembergs berichtet. Diese hatte ergeben, dass der nachträgliche Entzug von Presse-Akkreditierungen beim Hamburger G-20-Gipfel zum Teil auf falschen, veralteten oder unbelegten Informationen beruhte, die bei INPOL gespeichert waren. Der Datenschutzbeauftragte moniert zudem, dass solche Vorgänge nachträglich schwer nachzuvollziehen seien und es an einer gesetzlichen Grundlage für den Grundrechtseingriff im Rahmen der sogenannten Zuverlässigkeitsprüfung fehlte. Es waren die Fälle von sechs baden-württembergischen Journalisten geprüft worden.

 

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lto/cc

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. September 2018: EGMR zu Abtreibungskritik / Ditib wird Prüffall / Verfassungsschutz muss Auskunft geben . In: Legal Tribune Online, 21.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31055/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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