Die juristische Presseschau vom 21. März 2018: beA-Sicher­heit durch Klage? / EGMR ver­ur­teilt Türkei / Fischer zu Raser-Ana­lyse

21.03.2018

Kann die BRAK durch eine Klage gezwungen werden, das beA sicher zu gestalten? Außerdem in der Presseschau: der EGMR verurteilt die Türkei, Nicolas Sarkozy in Gewahrsam und Thomas Fischer kritisiert Berichterstattung zum Raser-Urteil.

 

Thema des Tages

beA-Klage: Eine Gruppe prominenter Rechtsanwälte beabsichtigt, im Verbund mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte gegen die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) zu klagen, um eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung des "besonderen elektronischen Anwaltspostfachs" zu erreichen. Zu diesem Zweck sei ein Spendenaufruf gestartet worden, schreibt lto.de (Pia Lorenz). Der Bericht in FAZ-Einspruch (Constantin van Lijnden) zur Ankündigung klärt auch über die Funktionsweise der monierten Verschlüsselungskonstruktion auf. In den Worten von Rechtsanwalt Carsten R. Hoenig (kanzlei-hoenig.de) sollen "die Herrschaften der BRAK" durch eine gerichtliche Entscheidung dazu bewegt werden, "das zu tun, wozu sie eigentlich ohnehin verpflichtet wären: Das Vertrauen in die Verschwiegenheit der Rechtsanwälte zu sichern".

Rechtspolitik

Autonome Autos: Nach Bekanntwerden eines tödlichen Unfalls, in den ein autonom fahrendes Auto in den USA verwickelt war, fordert Heribert Prantl (SZ) in einem Kommentar europäische gesetzgeberische Aktivitäten. Die geltenden Haftungsregeln seien für das automatisierte Fahren unzureichend, die Lösung bestehe in der Einführung einer neuen Gefährdungshaftung der Hersteller. Diese würden es auch schon verstehen, entstehende Kosten auf die Käufer abzuwälzen.

Investitionsschutz: Der Rat der Europäischen Union hat nach Meldung von FAZ-Einspruch (Hendrik Kafsack) der EU-Kommission nun das Mandat erteilt, über die Schaffung eines multilateralen Gerichtshofs für Investitionsklagen zu verhandeln. Vorgesehen seien festangestellte Richter und eine Berufungsinstanz.

Digitalsteuer: Dem Hbl (Ruth Berschens) liegen Richtlinienentwürfe für eine europäische Digitalsteuer vor, die am heutigen Mittwoch von der EU-Kommission präsentiert werden. Der erste Entwurf schlage vor, Internetfirmen auch ohne Sitz in der EU steuerlich zu erfassen. Voraussetzung sei eine "signifikante digitale Präsenz", etwa durch eine bestimmte Anzahl von Nutzern. Der zweite Entwurf betreffe die Einführung einer digitalen Umsatzsteuer. Aufhänger seien hier Umsätze, die durch die Verwertung von Kundendaten erzielt werden.

Musterfeststellungsklage: Nach Bericht des Hbl (Dietmar Neuerer) äußern Unternehmen deutliche Kritik am vor allem von der neuen Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) betriebenen Projekt einer Musterfeststellungsklage für Verbraucher. Die Öffnung der Klageberechtigung für Private eröffne viele Missbrauchsrisiken, wird der Chefjustiziar des Deutschen Industrie- und Handelskammertags zitiert.

Befristete Arbeitsverträge: Eine Gruppe von Wissenschaftlern, unter ihnen der Jurist Matthias Goldmann, kritisiert in einem Gastbeitrag für den Forschung-und-Lehre-Teil der FAZ, dass auch die neue Regierung keine Veranlassung sieht, die Praxis befristeter Arbeitsverträge beim wissenschaftlichen Nachwuchs zu begrenzen. Durch entsprechende gesetzgeberische Hilfestellungen hätten Arbeitgeber "eine präzendenzlose Rechtssicherheit für Befristungen" erhalten und nutzten diese "weidlich" aus. Dagegen schaffe es kaum ein Wissenschaftler, nach Ausschöpfung des persönlichen Befristungsrahmens von zwölf Jahren in eine Festanstellung zu wechseln.

Nichtzulassungsbeschwerden: In einem Gastbeitrag für den Recht-und-Steuern-Teil der FAZ stellt Richter Benedikt Windau Alternativen zur diskutierten Anhebung der für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung einer zivilrechtlichen Revision erforderlichen Wertgrenze vor. "Systematisch sinnvoll" sei eine Abschaffung der Wertgrenze bei gleichzeitiger Personalaufstockung des Bundesgerichtshofs. Denkbar sei aber auch eine kleine Lösung, bei der die Wertgrenze wegfalle, sobald der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend mache. Bereits jetzt stütze sich ein Fünftel der erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerden auf eben diese Rechtsverletzung.

Justiz

EuGH zu Doppelbestrafungsverbot: Besonders herausragende Gemeinwohlinteressen können es rechtfertigen, wegen ein und derselben Tat sowohl straf- als verwaltungsrechtliche Sanktionen auszusprechen. Die hierdurch bewirkte Einschränkung des "ne bis in idem"-Grundsatzes sei nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, über die lto.de berichtet, hinzunehmen.

BGH zu Rasern: Die nun erfolgte Veröffentlichung der "Raser-Entscheidung" des Bundesgerichtshofs vom 1. März nimmt Bundesrichter a.D. Thomas Fischer auf meedia.de zum Anlass vertiefter Kritik an einer "sich überschlagenden 'Analysen'-Kultur, die Ergebnisse schon kommentiert, bevor sie sie kennt". Hierzu skizziert Fischer Grundlagen der nicht unproblematischen Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit, den mit der Revision erfolgreich gerügten konkreten und "leicht erkennbaren" Rechtsfehler des Landgerichts Berlin und diskutiert schließlich Beiträge der Rechtsprofessorin Elisa Hoven zu Fall, Verhandlung und Urteil.

BVerwG – Polizeikosten: Die Deutsche Fußball Liga hat Revision beim Bundesverwaltungsgericht gegen das Urteil des Oberverwaltungsgericht Bremen zur Kostentragungspflicht für Polizeieinsätze bei sogenannten Hochrisikospielen eingelegt. Dies meldet spiegel.de unter Verweis auf den bisherigen Verfahrensgang.

BAG – Abfindung: Das Bundesarbeitsgericht verhandelt am heutigen Mittwoch nach Bericht der SZ (Henrike Roßbach) zu einem "kuriosen" Abfindungsstreit. Der Kläger versuche, in den Unterinstanzen erfolglos, den von ihm unterschriebenen Aufhebungsvertrag anzufechten und berufe sich hierbei darauf, als Betriebsratsvorsitzender ungerechtfertigt besser behandelt worden zu sein als einfache Arbeitnehmer. Er habe dem fraglichen Vertrag nur zugestimmt, um nach Stalking-Vorwürfen aus dem Licht der Öffentlichkeit zu verschwinden. Die hierzu eingeleiteten Ermittlungen waren später eingestellt worden.

OLG München – NSU: In einem Kommentar zu der konstatierten Verschleppungstaktik der Anwälte des am Oberlandesgericht München angeklagten Ralf Wohlleben fordert Annette Ramelsberger (SZ) ein Eingreifen des Gesetzgebers. An diesem liege es, "die Dauerschleife" abseitiger Beweisanträge und nachfolgender Befangenheitsanträge zu unterbinden, durch die diese Verteidigung "mit den Mitteln des Rechtsstaats gegen den Rechtsstaat" kämpfe.

LAG Niedersachsen zu Salafisten: Aus Anlass der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen zur Unwirksamkeit der Kündigung eines Salafisten aus der vergangenen Woche stellt der FAZ-Einspruch (Marcus Jung) den Fall und die arbeitsrechtliche Problematik sogenannter Verdachtskündigungen vertieft dar. Das Bundesarbeitsgericht habe für Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes auch in deren außerdienstlichem Verhalten ein Mindestmaß an Verfassungstreue für notwendig erkannt. Die nun wohl vom Bundesarbeitsgericht zu treffende Klärung, inwiefern Gefährder am Arbeitsplatz geduldet werden müssen, werde frühestens im nächsten Jahr erfolgen.

AG Dresden zu Lutz Bachmann: Das Amtsgericht Dresden hat Lutz Bachmann wegen Volksverhetzung und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz im Wege eines Strafbefehls zu einer Geldstrafe verurteilt. Dies meldet die FAZ (Stefan Locke) unter Berufung auf einen Bericht der "Sächsischen Zeitung".

Recht in der Welt

EGMR zu türkischen Journalisten: Die nach dem gescheiterten Putschversuch gegen die Journalisten Hasan Altan und Şahin Alpay verhängte Untersuchungshaft ist nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte rechtswidrig. Zudem hätten beide entsprechend der Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts freigelassen werden müssen. Notstandsregelungen – auf die sich die türkische Regierung im Verfahren berief – sollten während einer Krise eine möglichst schnelle Rückkehr zu rechtsstaatlichen Standards erleichtern und nicht als Vorwand zur Einschränkung politischer Debatten benutzt werden.Über die Entscheidung berichten u.a. SZ (Wolfgang Janisch), Welt (Boris Kálnoky) und taz (Christian Rath). Nach dem Bericht von lto.de (Markus Sehl) ist es besonders bemerkenswert, dass der EGMR zwar am Grundsatz der nationalen Rechtswegerschöpfung als Zulässigkeitsvoraussetzung festhielt, gleichzeitig aber betonte, das türkische Rechtssystem weiter beobachten zu wollen.

Jürgen Gottschlich (taz) hält es in einem Kommentar für "skandalös", dass die europäischen Richter anderthalb Jahre benötigten, um auf den "Ausnahmezustand und Repressionswelle in der Türkei" zu reagieren. Dieser Ausnahmezustand betreffe auch die türkische Justiz, von der bestenfalls "eine Fassade des Rechts" zu erwarten sei.

Frankreich – Nicolas Sarkozy: Der frühere französische Präsident Nicolas Sarkozy ist in Polizeigewahrsam genommen worden und soll sich dort zu dem Verdacht äußern, er habe für seinen erfolgreichen Wahlkampf illegale Zahlungen des früheren libyschen Staatschefs Muammar al Gaddafi erhalten. Die Berichte von FAZ-Einspruch (Michaela Wiegel, Zusammenfassung auf faz.net) und taz (Rudolf Balmer/Mirco Keilberth) erinnern an bereits seit langem kursierende Gerüchte über libysche Einflussnahmen und die abrupte Kursänderung Sarkozys, der den Regimewechsel in Libyen maßgeblich beeinflusste. Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ) hält den Verdacht, Sarkozy habe Gaddafis Sturz und damit den "Ausgangspunkt einer ungeheuren internationalen humanitären Krise" angezettelt, um einen Hauptzeugen auszuschalten, "nach allem, was man in den vergangenen Jahren an Zynismus, Lügerei und Korruption erlebt hat", für vorstellbar.

Polen – Justizreform: Die polnische Regierung lehnt nach Meldung der SZ (Thomas Kirchner) die von der EU-Kommission geforderten Änderungen der umstrittenen Justizreform auch nach Verstreichen einer gesetzten Frist ab.

Schweiz – Wirtschaftsspionage: Nach Vorabmeldung von zeit.de hat die Staatsanwaltschaft Zürich Anklage wegen Wirtschaftsspionage und Verstoß gegen das Bankgeheimnis gegen drei Deutsche erhoben. Hintergrund seien die Auseinandersetzungen zwischen der Privatbank J. Safra Sarasin und dem Unternehmer Erwin Müller, der sich durch vermittelte Cum-Ex-Geschäfte falsch beraten sah.

Norwegen – Justizministerin: Die norwegische Justizministerin Sylvi Listhaug ist nach Kritik an ihrer Äußerung, der sozialdemokratischen Partei seien die Rechte von Terroristen wichtiger als die Sicherheit des Landes, zurückgetreten. Der amtierenden Minderheitsregierung ist damit ein geplantes Misstrauensvotum erspart geblieben, schreibt die taz (Reinhard Wolff).

Sonstiges

Notar: Im Gespräch mit Uwe Fischer versucht der FAZ-Einspruch (Marlene Grunert), Gründe für den ausbleibenden Nachwuchs im Notarberuf aufzuspüren. Der befragte Anwaltsnotar nennt ein mangelndes öffentliches Profil der notariellen Arbeit, wachsendes Verständnis für Work-Life-Balance und die abschreckende Wirkung der erforderlichen Fachprüfung als mögliche Gründe.

Grundrechte: Die SZ (Andreas Zielke) bespricht "Unsere Grundrechte – Welche wir haben, was sie bedeuten und wie wir sie schützen" aus der Feder des Juristen und Schriftstellers Georg M. Oswald als "interventionistische Staatsbürgerschulung".

Kryptowährungen: Rechtsanwalt Konstantin Filbinger untersucht auf lto.de, inwiefern Kryptowährungen als Geld im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs bzw. des Handelsgesetzbuchs zu verstehen sind. Für den FAZ-Einspruch werfen die Rechtsanwälte Alexander Lehnen und Anton Ostler einen Blick in "die verworrene Rechtslage". Der Gastbeitrag schlussfolgert, dass ein Kontoguthaben in Kryptowährung nicht als Geld im Rechtssinne angesehen werden könne, vielmehr ein Recht im Sinne von § 453 Bürgerliches Gesetzbuch anzusehen sei.

Das Letzte zum Schluss

Lebensnah: Gibt ein Gericht die Aussagen einer Nebenklägerin mit von ihr verwendeten, ursprünglich aus der englischen Sprache stammenden Begriffen wieder, verstößt dies nicht gegen § 184 GVG. Dies entschied ein von rechtslupe.de nicht benanntes Gericht. Die in Streit stehenden Begriffe lauteten "Blow-Job" und "Doggy-Style".

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. März 2018: beA-Sicherheit durch Klage? / EGMR verurteilt Türkei / Fischer zu Raser-Analyse . In: Legal Tribune Online, 21.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27571/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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