Dem oppositionellen Ex-Bürgermeister von Istanbul wird jetzt auch Spionage vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Julian Reichelt (Nius) wegen Volksverhetzung. In Paris sind zehn Personen wegen Cybermobbing angeklagt.
Thema des Tages
Türkei – Ekrem İmamoğlu: Die türkische Justiz hat einen weiteren Haftbefehl gegen den abgesetzten Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu (CHP) erlassen. Ihm wird nun auch Spionage vorgeworfen. Konkret habe er Daten türkischer Bürger:innen an Agenten von britischen und US-Geheimdiensten weitergereicht, damit diese ihm eine Wahlkampfstrategie für die (später gewonnene) Bürgermeisterwahl in Istanbul erstellen. Die Vorwürfe stützen sich auf die Aussage eines Mannes, der behauptet, britischer Agent zu sein. İmamoğlu sitzt bereits seit März wegen ebenso dubioser Korruptionsvorwürfe in Untersuchungshaft. Der neue Spionage-Vorwurf richtet sich neben İmamoğlu auch gegen den Chefredakteur des regierungskritischen TV-Senders Tele 1, Merdan Yanardağ, der nun ebenfalls in U-Haft sitzt. Der Sender wurde unter die Zwangsverwaltung eines regierungsfreundlichen Publizisten gestellt. Die türkische Regierung von Recep Tayyip Erdoğan (AKP) verweist auf die Unabhängigkeit der türkischen Justiz. Es berichten u.a. FAZ (Friederike Böge) und LTO.
Rechtspolitik
Meinungsfreiheit: Rechtsprofessorin Tatjana Hörnle kritisiert im Interview mit LTO (Max Kolter) die Tendenz, empörende Äußerungen strafrechtlich zu verbieten. Das Strafrecht sei nicht dazu da, Gefühle zu schützen. Das Kennzeichen-Verbot gem. § 86a StGB solle nicht angewandt werden, "wenn es erkennbar um Kritik an gegenwärtiger Politik" geht. Zur Verharmlosung des Holocaust durch NS-Vergleiche in § 130 StGB sagt Hörnle: "Warum stellen wir Bezüge zu Ereignissen unter Strafe, die weit in der Vergangenheit liegen?" Den Tatbestand der Beleidigung gem. § 185 StGB würde sie ändern in "wer einen anderen erheblich erniedrigt".
NS-Kennzeichen: Benjamin Stibi (welt.de) schlägt vor, § 86a StGB ("Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen") um eine Verordnungsermächtigung zu ergänzen, mit der die strafbaren Kennzeichen abschließend benannt werden. So werde das Bestimmtheitsgebot verwirklicht, das im Strafrecht besonders wichtig ist. Es genüge, die zehn wichtigsten und bekanntesten NS-Symbole aufzunehmen.
Wehrpflicht: Der Doktorand Severin Fuchs verteidigt auf dem Verfassungsblog Losverfahren gegen den Vorwurf der Willkür, weil beim Zufall ein subjektives, willensgesteuertes Element fehle. Dennoch sei eine Auswahl der Wehrpflichtigen per Los verfassungswidrig. Das Wesentlichkeitsprinzip verpflichte den Gesetzgeber, selbst Kriterien für die Auswahl festzulegen, statt die Auswahl dem Zufall zu überlassen.
Vermögensabschöpfung: Markus Zydra (SZ) begrüßt den Vorschlag von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), bei mutmaßlich kriminell erworbenem Vermögen eine Beweislastumkehr einzuführen. Italiens Guardia Finanza habe so die Mafia geschwächt und zur Finanzierung des Staates beigetragen. "Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, dass der Staat alles tut, um Kriminellen das Geld und damit ihre Macht zu nehmen."
Manipulation: Der US-Rechtsprofessor und Liberalismusforscher Cass Sunstein erläutert im Interview mit der SZ (Nils Althaus) seinen Vorschlag für ein "Recht, nicht manipuliert zu werden". Die Menschen wüssten in der Regel am besten, was gut für sie ist. Selbst wenn der Staat mit guten Absichten manipuliert, verschlechtere er höchstwahrscheinlich das Leben der Menschen.
Russland/Ukraine – Eingefrorene russische Vermögen: Rechtsanwalt Peter Gauweiler unterstützt in seiner Kolumne für die Welt das belgische Veto gegen den Plan der EU-Kommission, das eingefrorene russische Zentralbankvermögen für Hilfsprogramme zugunsten der Ukraine zu "aktivieren". Deutschland entgehe damit einer russischen Klage vor dem IGH. Beteiligten deutschen Regierungsvertreter:innen bleibe nun ein Strafverfahren wegen Untreue gem. § 266 StGB erspart.
Justiz
StA Berlin – Julian Reichelt/Volksverhetzung: Nach einer privaten Strafanzeige hat die Berliner Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Nius-Chefredakteur Julian Reichelt aufgenommen. Er hatte auf X über zwei Polizisten, denen Drogenhandel vorgeworfen wird, geschrieben: "Ahmet K. und Hakan A. sind Bundespolizisten. Wir werden in den nächsten Jahren erst die Unterwanderung und dann die Übernahme unserer Polizei erleben. Das passiert, wenn man dafür sorgen will, dass die Polizei 'bunter' wird. In zehn Jahren ist die Polizei in unseren Städten arabisch dominiert. Viel Spaß!" Reichert findet das Ermittlungsverfahren "furchterregend". spiegel.de berichtet.
BFH zu Ferienimmobilien: Bei der Frage, ob verlustbringende Ferienimmobilien mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden, kommt es nicht auf einzelne Jahre, sondern auf Zeiträume von drei bis fünf Jahren an, entschied der Bundesfinanzhof. Die Gewinnerzielungsabsicht ist Voraussetzung für die Verrechnung von Verlusten mit Gewinnen aus anderen Einnahmearten. Das HBl (Laura de la Motte) berichtet.
OVG SH zu Presseauskunft: LTO (Felix Zimmermann) hält die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holsteins, dass Presseauskünfte von Staatsanwaltschaften auf einem vorgängigen abwägenden Verwaltungsakt beruhen, für keine Gefährdung der Pressefreiheit. Auch bei dieser Konstruktion sei ein Eilverfahren gem. § 123 VwGO möglich. Die Annahme eines Verwaltungsakts bringe sogar Vorteile für Journalist:innen, etwa eine Begründungspflicht der Behörde und eine Pflicht, auf Rechtsmittel hinzuweisen.
VGH Bayern zu zweitem Reisepass: Wer bei einer Reise in den Iran Probleme befürchtet, weil er schon israelische Stempel im Reisepass hat, kann einen zweiten Reisepass verlangen, entschied der Verwaltungsgerichtshof Bayern. Dem Verbot eines zweiten Reisepasses stehe hier ein berechtigtes Interesse entgegen. beck-aktuell berichtet.
LG Tübingen zu Vergewaltigung eines Schwerverletzten: Das Landgericht Tübingen hat einen 30-jährigen Mann wegen schwerer Körperverletzung und Vergewaltigung eines anderen Mannes zu elf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Täter hatte das Opfer nach dem gemeinsamen Konsum von Alkohol und Marihuana aus dem Fenster in sieben Metern Höhe gestoßen. Anschließend vergewaltigte er den schwer verletzt vor dem Haus Liegenden in Anwesenheit von Passanten. spiegel.de berichtet.
AG München zu Anwaltskosten: Ein Gebrauchtwagenverkäufer, der aufgrund einer missverständlichen Email des Verkäufers verunsichert ist, muss nicht sofort einen Anwalt einschalten, sondern zunächst das Gespräch mit dem Verkäufer suchen. Dies entschied das Amtsgericht München laut LTO. Der Käufer bleibt nun auf den Anwaltskosten in Höhe von 1.500 Euro sitzen.
AG Aschaffenburg – Strafvereitelung durch Polizist: Vor dem Amtsgericht Aschaffenburg ist ein Polizist wegen Strafvereitelung im Amt angeklagt. Er hatte Wochen vor dem Messerangriff von Enamullah O. auf Kinder in Aschaffenburg kein Ermittlungsverfahren gegen O. eingeleitet, obwohl dieser nach Zeugenaussagen seine damalige Partnerin in einer Flüchtlingsunterkunft mit einem Messer angegriffen hatte. Am heutigen Dienstag soll das Urteil verkündet werden. Die SZ (Max Weinhold Hernandez) berichtet im Bayern-Teil über die Verhandlung.
GenStA Koblenz – Ahrtal-Hochwasser: Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hat 36 Beschwerden von Betroffenen und Opfer-Angehörigen des Ahrtal-Hochwassers zurückgewiesen. Die Beschwerden wollten erreichen, dass gegen den damaligen Landrat Jürgen Pföhler (CDU) doch noch strafrechtlich wegen fahrlässiger Tötung durch verspätete Warnhinweise ermittelt wird. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen 2024 eingestellt, weil sich nicht nachweisen lasse, dass eine rechtzeitige Warnung Leben gerettet hätte. In dieser Bewertung sah nun die GenStA Koblenz keine Rechtsfehler. swr.de (Kolja Schwartz) berichtet.
Recht in der Welt
Frankreich – Lügen über Brigitte Macron: Vor dem Pariser Strafgericht hat der Prozess gegen zehn Personen begonnen, denen Cybermobbing zulasten der französischen Präsidentengattin Brigitte Macron vorgeworfen wird. Im Kern wurden von den Angeklagten Gerüchte verbreitet, wonach Brigitte Macron eigentlich ein Mann oder jedenfalls transsexuell sei. Der Prozess ist auf zwei Tage angesetzt. Den Angeklagten drohen Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren. Die FAZ (Michaela Wiegel) berichtet.
Frankreich – Kronjuwelen: Nun befasst sich auch Anwalt Yves Georg auf LTO mit der Frage, ob die Erbeutung von Teilen der französischen Kronjuwelen ein Raub oder ein Diebstahl war. Der Autor kommt zum Schluss, dass nach deutschem Recht jedenfalls ein besonders schwerer Fall des Diebstahls verwirklicht war. Für die Annahme eines Raubs müssten die mitgeführten Trennschleifer drohend im Sinne einer Nötigung eingesetzt worden sein, was noch unklar ist.
Italien – Auslieferung wegen Nord-Stream-Sprengung: Ein Gericht in Bologna hat die Auslieferung des tatverdächtigen Ukrainers Serhij K. erneut gebilligt. Eine erste Billigung des Gerichts war später vom Kassationsgerichtshof wegen Verfahrensfehlern aufgehoben worden. Auch gegen den erneuten Beschluss wird eine Anrufung des Kassationsgerichtshofs erwartet. LTO berichtet.
Japan – Mord an Premier Abe: Am Bezirksgericht Nara beginnt an diesem Dienstag der Prozess gegen den Mann, der 2022 den damaligen japanischen Premierminister Shinzō Abe bei einem Wahlkampfauftritt mit einem selbst gebastelten Gewehr erschossen hat. Der Täter, ein Ex-Marinesoldat, gab als Motiv seinen Hass auf die südkoreanische Moon-Sekte (Vereinigungs-Kirche) an, die mit Abes Partei LDP eng zusammenarbeitete. Die Sekte habe seine Familie ausgeplündert und in die Armut getrieben. Das Urteil wird für den 19. Januar erwartet. Dem Täter droht die Todesstrafe. spiegel.de (Wieland Wagner) berichtet.
Juristische Ausbildung
Cold Case Lab: Rechtsprofessorin Anja Schiemann stellt im Interview mit beck-aktuell (Jannina Schäffer) das von ihr betreute Cold Case Lab an der Uni Köln vor. Es ist das erste Cold Case Lab an einer deutschen Jura-Fakultät. Studierende arbeiten dabei an einem echten ungelösten Kriminalfall, den sie von der Cold Case Unit der Kölner Polizei erhalten haben und erarbeiten eigene Ansätze, die sie dann den Ermittler:innen vorstellen. Nach zwei Semestern erhalten die Studierenden einen Schlüsselqualifikations-Schein.
Sonstiges
Me Too: Reinhard Müller (FAZ-Einspruch) listet zahlreiche Fälle falscher oder übertriebener Anschuldigungen im Zuge der Me Too-Bewegung auf und kommt zum Schluss: "MeToo, das wichtige Arbeit geleistet und bedeutende Erkenntnisse zutage gefördert hat, darf nicht zur Lüge werden." Der Text ist ein Vorabdruck aus Müllers Buch "Deutsche Dogmen".
Asyl/Familiennachzug: Obwohl den Behörden bereits 1.500 Härtefälle angezeigt wurden, hat noch keine subsidiär geschützte Person Angehörige im Weg des Familiennachzugs nach Deutschland holen können. Vor drei Monaten war eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, wonach der Familiennachzug zu subsidiär Geschützten für zwei Jahre ausgesetzt wird - außer in Härtefällen. beck-aktuell berichtet.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 28. Oktober 2025: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58472 (abgerufen am: 07.11.2025 )
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