Israel hat laut IGH seine Pflichten als Besatzungsmacht in Gaza verletzt. Darf LinkedIn impfkritische Postings löschen, weil sie WHO-Leitlinien widersprechen? OLG Frankfurt/M. weist Klageerzwingungsanträge wegen Morden von Hanau ab.
Thema des Tages
IGH/Israel – Hilfe in Gaza: Israel ist als Besatzungsmacht völkerrechtlich verpflichtet, die grundlegende Versorgung der Bevölkerung im Gaza-Streifen zu gewährleisten. Hunger darf nicht als Kriegswaffe eingesetzt werden, wie der Internationale Gerichtshof in einem von der UN-Generalversammlung im Dezember 2024 beauftragten Gutachten erläuterte. Wenn Israel seiner Pflicht nicht nachkomme, müsse es wenigstens die Hilfe anderer Staaten oder von Hilfsorganisationen zulassen. Dafür, dass das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge UNRWA ein Instrument der Hamas sei, habe Israel keine ausreichenden Belege vorgelegt. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Finn Hohenschwert/Christian Meier), spiegel.de, beck-aktuell und zeit.de.
Christian Rath (taz) begrüßt das IGH-Gutachten als "einen international anerkannten Maßstab, an dem sich dann alle orientieren können, die das Völkerrecht noch respektieren". Die fehlende rechtliche Verbindlichkeit solcher Gutachten sei nicht der Hauptgrund für deren beschränkte Wirksamkeit, da Israel "auch verbindliche IGH-Richtersprüche zu Gaza ignoriert hat".
Rechtspolitik
Jumiko – Vergewaltigungsvideos: Wer Bild- oder Videomaterial von Vergewaltigungen besitzt oder teilt, soll sich nach eiem Vorschlag von Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) künftig strafbar machen. Eine entsprechende Beschlussvorlage für die am 7. November tagende Justizministerkonferenz liegt LTO (Hasso Suliak) vor. Strafbarkeitslücken bestünden, weil § 184a StGB nur das Verbreiten an einen unbestimmten Personenkreis kriminalisiert und § 201a StGB oder § 33 Kunsturhebergesetz nur greifen, wenn die Person zu erkennen ist.
Lieferketten und Menschenrechte: Das EU-Parlament lehnte in einer geheimen Abstimmung mit 318 zu 309 Stimmen und 34 Enthaltungen eine Abschwächung der Lieferkettenrichtlinie ab. Die Änderung sah u.a. vor, dass die Regelungen zur Lieferkettensorgfalt erst für Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeiter:innen gelten sollen. Eine Absprache zwischen der konservativen EVP-Fraktion und der sozialdemokratischen Fraktion hätte eigentlich eine Mehrheit für das so genannte Omnibus I-Paket gesichert, doch haben wohl viele Sozialdemokrat:innen anders abgestimmt. Am 13. November wird das EU-Parlament erneut über den Vorschlag abstimmen. FAZ (Werner Mussler) und taz (Leila van Rinsum) berichten.
Auf dem Verfassungsblog stellen Markus Kaltenborn und Ricarda Rahn, Rechtsprofessor und Doktorandin, die Änderungsvorschläge dar und ordnen sie ein. So folge aus dem völkerrechtlichen Rückschrittsverbot, dass nicht "hinter den einmal erlangten menschenrechtlichen Schutzstandard" zurückgefallen werden darf. Die geplante Lockerung der zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen könnte den "effektiven Rechtsschutz für Betroffene" sowie die "Rechtssicherheit" für Unternehmen beschränken.
Cannabis: Im Interview mit beck-aktuell (Joachim Jahn) fasst Sebastian Sobota, stellvertretender Direktor der Kriminologischen Zentralstelle, die Erkenntnisse des ersten Evaluationsberichts zur Cannabis-Teillegalisierung zusammen. Sobota hält es "für sinnvoll", den legalen Erwerb in Fachgeschäften zu ermöglichen. Das Konsumcannabisgesetz ermögliche die "einzelfallbezogene Genehmigung eines kommerziellen Vertriebs zu wissenschaftlichen Zwecken".
Streitwert: Die Bundesregierung will die Streitwertgrenze für Berufungen und Beschwerden von derzeit 600 Euro auf 1.000 Euro anheben. Damit soll die Grenze der Inflation angepasst werden, die Zahl der Rechtsmittelverfahren verringert werden und die Verfahrensdauer verkürzt werden. Das Bundeskabinett hat eine Formulierungshilfe des Bundesjustizministeriums beschlossen, die im parlamentarischen Verfahren gemeinsam mit der geplanten Erhöhung der Zuständigkeitsstreitwerte bei den Amtsgerichten beraten werden soll. beck-aktuell berichtet.
Justiz
BVerfG – LinkedIn/WHO-Klausel: LTO (Christian Rath) liegt die Verfassungsbeschwerde des Immobilienunternehmers Jörg K. vor, mit der er die Verletzung seiner Meinungsfreiheit im sozialen Netzwerk LinkedIn rügt. LinkedIn hatte 2022 drei impfkritische Postings von K. gelöscht und sein Profil gesperrt mit der Begründung, K. habe entgegen der "Community-Richtlinien" Inhalte gepostet, die WHO-Leitlinien widersprächen. Zweitinstanzlich bestätigte das Kammergericht die "Community-Richtlinien" von LinkedIn als nicht zu beanstandende AGB. Die von Rechtsprofessor Dietrich Murswiek vertretene Verfassungsbeschwerde moniert, das KG habe die Meinungsfreiheit von K. "im Kern" verletzt, als es die WHO-Klausel der LinkedIn-AGB akzeptierte. Diese verhindere “Machtkritik”. Die Klausel sei auch nicht geeignet, erforderlich und angemessen, um Desinformation zu verhindern. LinkedIn müsse zumindest den Nachweis zulassen, dass WHO-Richtlinien von falschen Tatsachen ausgehen.
OLG Frankfurt/M. zu Morde von Hanau: Mit Beschlüssen vom 16. Oktober verwarf das Oberlandesgericht Frankfurt/M. mehrere Anträge auf gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren als unzulässig. Die Eltern des beim Hanau-Attentat getöteten Hamza Kurtović strebten Ermittlungsverfahren an gegen den Barbetreiber, dessen Hintertür verschlossen war und daher gegebenenfalls die Flucht erschwerte, und gegen Verantwortliche des unzureichend ausgestatteten polizeilichen Notrufsystems. Das Gericht sah jedoch in der 700 Seiten langen Antragsschrift weder Ermittlungsfehler der Staatsanwaltschaft noch "Anhaltspunkte, die für eine nicht überzeugende oder zweifelhafte Beweiswürdigung oder Bewertung der zur Anklageerhebung erforderlichen Verurteilungswahrscheinlichkeit sprechen könnten". Es berichten FAZ (Elena Zompi) und beck-aktuell.
BVerfG – kirchliches Arbeitsrecht/Egenberger: Anlässlich der für den heutigen Donnerstag angekündigten Veröffentlichung der Entscheidung im Fall Vera Egenbeger gibt nun auch LTO (Tanja Podolski) einen Überblick über die bisherigen Gerichtsentscheidungen zur Frage, ob die Diakonie die Einstellung von Egenberger ablehnen durfte, weil Egenberger aus der Kirche ausgetreten war. Die Diakonie hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt, nachdem sie in letzter Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht nach einer Vorlage zum Europäischen Gerichtshof verloren hatte. Sie sieht sich in ihrem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art 137 II WRV verletzt.
BGH zu Geschäftsverteilung: Das Oberlandesgericht Karlsruhe verletzte das Gebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, indem es kurzfristig interne Zuständigkeiten per Präsidiumsbeschluss änderte, entschied der Bundesgerichtshof. Zuständigkeiten müssen grundsätzlich im Vorhinein abstrakt-generell durch einen Geschäftsverteilungsplan festgelegt werden, damit die Justiz vor etwaigen manipulativen Eingriffen geschützt ist. Damit gab der BGH der Revision der Beklagten statt, weil das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt war. beck-aktuell berichtet.
BAG – Equal Pay: Nun bringt auch die taz (Patricia Hecht) einen Vorbericht zur heutigen Verhandlung und Entscheidung am Bundesarbeitsgericht über die Revision einer Daimler-Abteilungsleiterin, die das gleiche Gehalt wie ein männlicher Kollege bekommen möchte. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg sprach ihr lediglich die Differenz des Mediangehalts von Frauen zu Männern zu. Sarah Lincoln, die Anwältin der Klägerin, betont, dass der Arbeitgeber den Lohn vollständig angleichen müsse, wenn er keine objektiven Kriterien für die Differenz nennen könne.
StGH Hessen zu Corona-U-Ausschuss: Der hessische Staatsgerichtshof wies eine Klage der AfD gegen den vom hessischen Landtag beschränkten Untersuchungsumfang eines Corona-Untersuchungsausschusses weitestgehend ab. Statt der von der AfD beantragten 43 Fragen hatte der hessische Landtag nur sieben Fragen für den Untersuchungsausschuss zugelassen. Der StGH gab dem Landtag weitgehend recht, allerdings hätte er vier weitere Fragen zulassen müssen. Die restlichen Fragen durfte der Landtag ablehnen, weil sie nicht in seinen Kompetenzbereich fielen oder kein öffentliches Interesse an der Aufklärung des Untersuchungsgegenstandes bestand. Die FAZ (Ewald Hetrodt) berichtet.
OLG Dresden zu Zwickauer Stadtlauf: Stößt ein Läufer im Rahmen eines innerstädtischen Laufwettbewerbs mit einer Spaziergängerin zusammen, haftet er nicht persönlich. Teilnehmende eines Lauf-Events dürfen sich grundsätzlich darauf verlassen, dass die Veranstalter:innen ausreichend Sicherheitsvorkehrungen getroffen haben. Nach diesem Hinweis des Oberlandesgerichts Dresden ließ sich der veranstaltende Sportverein auf einen Vergleich mit der Klägerin ein, die sich infolge eines Zusammenstoßes mit einem Läufer beim Sturz das Handgelenk gebrochen hatte. Die Veranstalter:innen hätten ein Absperrband anbringen und zwei statt nur einen Ordner an der Kreuzung abstellen müssen, wie es die Genehmigung der Stadt für den Lauf vorgab. LTO berichtet.
OLG Stuttgart zu Google-Rezension einer Anwaltskanzlei: Nun schreibt auch LTO über die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart, wonach die negative Google-Rezension einer Kanzlei durch einen ehemaligen Mandanten nicht gelöscht werden muss, weil die Meinungsfreiheit des Mandanten gegenüber dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Kanzlei überwiege. Auch scharfe Kritik müsse erlaubt sein, "sogar ohne dass diese belegt werden muss", so die Urteilsbegründung.
LG Hannover – Mord an Algerierin: Wie spiegel.de berichtet, hat die Staatsanwaltschaft Hannover Anklage wegen Mordes gegen Alexander K. erhoben. Er hat bereits gestanden, seine 26-jährige Nachbarin Rahma A. im Treppenhaus mit einem Messer getötet zu haben. Ein rassistisches Motiv sah die Staatsanwaltschaft nicht, allerdings nahm sie die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe an.
LG Koblenz – Cum-Ex/North Channel Bank: Laut FAZ (Marcus Jung) wird das Landgericht Koblenz ab Ende Januar 2026 die Anklagen gegen sechs Beschuldigte wegen banden- und gewerbsmäßiger Geldwäsche im Zusammenhang mit Cum-Ex-Manipulationen der ehemaligen Mainzer North Channel Bank verhandeln. Die illegalen Geschäfte sollen zulasten des belgischen und des dänischen Fiskus erfolgt sein.
LG Frankfurt/M. – Cum-Ex/GAP Fund: Vor dem Landgericht Frankfurt/M. startete nun der Prozess gegen zwei Fondsmanager, die an Cum-Ex-Manipulationen beteiligt waren, wegen derer es insgesamt zu einem Schaden in Höhe von 2,5 Millionen Euro kam. Das Hbl (Volker Votsmeier) konnte Einsicht in die Ermittlungsakten nehmen, die zeigen, dass die beiden Angeklagten Teil einer "bandenähnlichen" Struktur gewesen sein sollen.
LG Berlin II – Dehm vs. Wagenknecht: Der ehemalige Linken-Abgeordnete Diether Dehm hat Sahra Wagenknecht vor dem Landgericht Berlin II auf Unterlassung der Äußerung verklagt, Dehm sei "unzurechnungsfähig, unzuverlässig und nicht vertrauenswürdig". Wagenknecht bestreitet die Äußerungen. Sie brach 2023 mit ihrem ehemaligen politischen Verbündeten Dehm. Am 29. Oktober soll das Urteil verkündet werden. taz.de (Pascal Beucker), spiegel.de (Linda Tutmann) und zeit.de (Lisa Caspari) berichten.
LG Traunstein – Tod von Hanna Wörndl: Das Landgericht Traunstein befasste sich mit den Äußerungen der Zeugin Verena R., bei der der Angeklagte Sebastian T. Täterwissen offenbart haben soll, bevor dies medial bekannt wurde. Durch die Aussagen der Zeugin bei der Polizei war T. einst in Verdacht geraten. Die Vorsitzende Richterin Heike Will versuchte nun herauszufinden, warum die Polizei Unstimmigkeiten in der Zeugenaussage nicht nachgegangen war. Eine damals vernehmende Polizeibeamtin räumte Versäumnisse ein. Die SZ (Benedikt Warmbrunn) berichtet.
LG Erfurt – Missbrauch von Schülerin: Ein Gymnasiallehrer ist angeklagt, eine Schülerin von 2016 bis 2020 insgesamt 84 Mal sexuell missbraucht zu haben. Der Lehrer gestand die Taten, u.a. ungeschützten Geschlechtsverkehr mit dem damals 13-jährigen Mädchen. Das Mädchen hatte sich hilfesuchend an einen Vertrauenslehrer gewandt, der mit ihm dann aber jugendpornografische Bilder austauschte. Der Vertrauenslehrer wurde separat angeklagt, er hatte auch andere Schülerinnen missbraucht und vergewaltigt. spiegel.de berichtet.
Recht in der Welt
USA – KI in der anwaltlichen Praxis: beck-aktuell (Jannina Schäfer) stellt eine Studie aus den USA vor, die zu dem Ergebnis kam, dass spezialisierte Legal-KI-Tools bei typischen Aufgaben aus dem Kanzleialltag besser abschnitten als eine Vergleichsgruppe von Anwält:innen. Hinsichtlich aller drei Kriterien, Genauigkeit, Belegbarkeit und Angemessenheit, sei die KI besser gewesen. Die Anwält:innen schnitten nur bei Fragen besser ab, die Kontextverständnis und menschliches Urteilsvermögen erforderten.
USA – Anwaltszulassung: Auf beck-aktuell schildert Rouget Frederic Henschel, Partner einer US-Kanzlei, dass einige US-Staaten Alternativen zur Anwaltszulassung neben dem Bar Exam schaffen. Bei dem US-amerikanischen Staatsexamen fallen regelmäßig 20 bis 50 Prozent der Kandidat:innen durch.
Sonstiges
Junganwält:innen: Die FAZ (Marcus Jung) stellt eine Analyse des Juve-Karrieremagazins "Azur" vor, der zufolge 44 Prozent der Associates in internationalen Großkanzleien bis zum Sommer kommenden Jahres die Stelle wechseln wollen. Bei US-Kanzleien zeigte sich jede fünfte Junganwält:in enttäuscht über das mangelnde Engagement des Arbeitgebers gegen den Abbau des Rechtsstaates.
Das Letzte zum Schluss
Löwe gesichtet: Obgleich das Sommerloch wieder vorbei ist, entdeckte eine Spaziergängerin am Samstagabend in den Büschen des Frankfurter Bonifatiusparks eine tierähnliche Gestalt, die einer Raubkatze ähnelte. Die herbeigerufene Polizei erkannte nach kurzer Annäherung einen Löwen – der allerdings aus Plüsch war. Sie nahmen das Tier kurzfristig mit auf die Wache, wie die FAZ (Bernhard Biener) schreibt.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 23. Oktober 2025: . In: Legal Tribune Online, 23.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58448 (abgerufen am: 07.11.2025 )
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