Die juristische Presseschau vom 7. Oktober 2025: Lehnt Deut­sch­land EU-Chat­kon­trolle weiter ab? / GBA zieht Mag­de­burg-Anschlag nicht an sich / Dok­to­randin ver­klagte Ghost­writer

07.10.2025

Heute entscheiden Dobrindt und Hubig über die deutsche Position zur Chatkontrolle. Dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt fehlt laut GBA der Staatsschutzbezug. Eine Doktorandin verklagte ihren Ghostwriter wegen Schlechtleistung.

Thema des Tages

Chatkontrolle: Am heutigen Dienstag wollen Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) über die deutsche Position zur geplanten EU-Chatkontrolle entscheiden. Am Mittwoch tagt in Brüssel der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV). Wenn sich dort eine Mehrheit für die Chatkontrolle abzeichnet, soll die Abstimmung im Rat der EU kommende Woche erfolgen. Für eine Mehrheit kommt es auf das Stimmverhalten Deutschlands an, das die Pläne bisher ablehnte. Die Chatkontrolle verpflichtet Internet-Plattformen, die Kommunikation ihrer Nutzer:innen vor der Verschlüsselung auf Kinderpornografie zu scannen. Der Juristische Dienst der EU-Staaten und zivilgesellschaftliche Organisationen halten das allgemeine Scannen der Chatkommunikation für unverhältnismäßig, weil es Verschlüsselung verletztlich mache. Außerdem bestehe die Gefahr, dass millionenfache Fehlalarme die Polizei lahmlegen. FAZ (Hanna Decker u.a.) und netzpolitik.org (Andre Meister) berichten.

Im Interview mit netzpolitik.org (Constanze Kurz) stellt sich Klaus Landefeld, Vorstand des IT-Branchenverbandes eco, ebenfalls gegen den Entwurf. Besser wäre es, "Maßnahmen zu ergreifen, die effektiv die Aufklärungsquote verbessern", statt "bereits überforderte Strafverfolgungsbehörden mit noch mehr Fällen zu überfordern." Auch der Deutsche Kinderschutzbund kritisiert laut netzpolitik.org (Markus Reuter) die Pläne, "weil sie tief in die Privatsphäre aller eingreifen". Laut netzpolitik.org (Markus Reuter) und spiegel.de warnen die Messenger-Dienste Signal, WhatsApp und Threema ebenfalls vor der Einführung der Chatkontrolle.

Rechtspolitik

Lieferketten und Menschenrechte: In den aktuellen Verhandlungen im EU-Parlament um die Entschärfung der EU-Lieferkettenrichtlinie noch vor Ende der Umsetzungsfrist will die Europäische Volkspartei die Verpflichtungen der Unternehmen deutlich abschwächen. So soll die Richtlinie nur noch ab 5.000 anstatt ab 1.000 Beschäftigten gelten. Die Unternehmen sollen sich nur noch um unmittelbare Zulieferer und nicht mehr um deren Vorlieferanten kümmern. Die Haftung der Unternehmen gegenüber geschädigten Beschäftigten soll gestrichen werden. Die taz (Hannes Koch) berichtet und schildert den Diskussionstand im EU-Parlament. Dort soll im Rechtsausschuss am 13. Oktober eine Zwischenentscheidung fallen.

Entgelttransparenz: Rechtsanwältin Sabine Wahl stellt im Expertenforum Arbeitsrecht die Berichtspflichten für Unternehmen ab 100 Arbeitnehmer:innen nach der neuen Entgelttransparenzrichtlinie dar. Obgleich Deutschland die Richtlinie noch nicht umgesetzt hat, sollten Unternehmen bereits jetzt aktiv werden, um den ab 2026 geltenden Pflichten nachzukommen.

Heimliche Nacktaufnahmen: Anlässlich der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Leipzig, das Strafverfahren gegen einen Mann einzustellen, der zwei Frauen in der Sauna filmte, weil es sich bei der Sauna nicht um einen besonders geschützten Raum im Sinne des § 201a StGB handle, untersucht LTO (Hasso Suliak) etwaige Schutzlücken. Während Professorin Elisa Hoven dafür plädiert, unbefugte Aufnahmen nackter Körper unabhängig vom Ort der Aufnahme zu kriminalisieren, sieht der Deutsche Anwaltverein (DAV) keinen Handlungsbedarf. "Unanständiges oder moralisch verwerfliches Verhalten ist nicht per se strafbar", so Jenny Lederer, Mitglied des DAV-Strafrechtsausschusses. Das Bundesjustizministerium prüft derzeit, wie Strafbarkeitslücken bei bildbasierter sexualisierter Gewalt geschlossen werden könnten.

Internationalisierung der Justiz: Der Amtsrichter Maximilian von Möllendorff befasst sich auf LTO mit den Neuerungen des zum 1. April in Kraft getretenen Justizstandort-Stärkungsgesetzes. Er weist darauf hin, dass Amtsgerichte zwar "als einzige Instanz von vorneherein nicht" in die Internationalisierungsbemühungen des Gesetzes einbezogen wurden, das bislang geltende Recht jedoch einige Möglichkeiten biete, in einer anderen Sprache als Deutsch zu verhandeln. Einzelne Amtsgerichte in "Großstädten mit einem erhöhten Aufkommen englischsprachiger Fälle" sollten erwägen, englischsprachige Abteilungen nach dem Vorbild der Commercial Chambers einzuführen.

Justiz

LG Magdeburg – Angriff auf Magdeburger Weihnachtsmarkt: Nach Vorlage durch das Landgericht Magdeburg lehnte die Bundesanwaltschaft nun zum zweiten Mal den Staatsschutzcharakter des Angriffs auf Besucher:innen des Magdeburger Weihnachtsmarktes ab. Der Täter, der Ex-Muslim Taleb Al-Abdulmohsen, habe die “Amokfahrt aus persönlicher Frustration” begangen, sich jedoch nicht gegen die Verfassung, den Bestand des Staates oder gegen die innere und äußere staatliche Sicherheit gerichtet. Das Landgericht Magdeburg wird frühestens ab dem 13. Oktober über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden. Es berichten LTO, spiegel.de, zeit.de und bild.de (Sascha Wimmer).

LG Lüneburg – Mangel bei Ghostwriting: Das Landgericht Lüneburg verhandelte über die Klage einer Doktorandin gegen ihren Ghostwriter, den sie für insgesamt 16.900 Euro damit beauftragt hatte, wesentliche Teile ihrer Dissertation fertigzustellen. Da sie mit dem Resultat nicht zufrieden war, zog sie vor Gericht. Die Richterin muss nun u.a. prüfen, ob der Vertrag sittenwidrig war. Bei beidseitiger Kenntnis der Sittenwidrigkeit verbleibt das bereits überwiesene Honorar gemäß § 817 BGB beim Empfänger. Die Urteilsverkündung ist für den 11. November angesetzt. taz-nord (Nadine Conti) und bild.de (Thomas Knoop) berichten.

EuGH zu ne bis in idem: Rechtsprofessorin Anne Schneider stellt auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 11. September vor, in der das Luxemburger Gericht den europarechtlichen ne bis in idem-Grundsatz konkretisierte. Dieser gehe "weit über nationale 'ne bis in idem'-Grundsätze hinaus und kann in bestimmten Fällen die extraterritoriale Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaats untergraben". In dem zugrundeliegenden Fall verbot der EuGH Spanien die Anklage einer ETA-Terroristin wegen der Begehung terroristischer Straftaten, weil sie in Frankreich bereits eine Haftstrafe wegen der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung verbüßt hatte.

BGH und BVerfG zu Anom-Chatdaten: Nun kritisiert auch Rechtsanwalt Jens Ferner auf beck-aktuell ausführlich die deutschen Gerichtsentscheidungen, die die Beweisverwertung der Anom-Chatdaten erlaubten. Ferner fragt, wie "man sich überhaupt noch verteidigen können soll, wenn die formalen Grundlagen der Beweiserhebung einer Kontrolle überhaupt nicht mehr zugänglich sind". Außerdem verweist er auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Verwertung von Encrochat-Daten, wonach solche Informationen nicht zu berücksichtigen seien, "zu denen weder die Anklage noch die Verteidigung sachgerecht Stellung nehmen können".

BGH zu Computerbetrug: Wer sich den Zugang zu einer EC-Karte nebst PIN erschwindelt und damit 20.000 Euro abhebt, macht sich nicht wegen Computerbetrugs nach § 263a StGB strafbar. Es fehle an einer "unbefugten" Nutzung im Sinne des § 263a StGB, wenn Karte und PIN mit Wissen des Inhabers erlangt wurden – selbst wenn dies auf einer Täuschung beruht. Die "betrugsspezifische Auslegung" des Computerbetruges erfordert, dass ein Datenverarbeitungsvorgang durch die "unbefugte" Verwendung von Daten beeinflusst wird. Damit hob der Bundesgerichtshof eine entsprechende Verurteilung durch das Landgericht Hamburg auf, wie beck-aktuell schreibt.

OLG Stuttgart zu Lidl Plus-App: Nachdem der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) Ende September vor dem Oberlandesgericht Stuttgart mit seiner Unterlassungsklage gegen Lidl unterlag, legte er nun vor dem Bundesgerichtshof Revision ein. Der vzbv ist der Auffassung, dass die "Lidl Plus"-App nicht als kostenlos beworben werden darf, weil Verbraucher:innen mit der Preisgabe persönlicher Daten zahlen. focus.de berichtet.

LSG Hessen zu Prozesskosten und Sozialhilfe: Ein 72-jähriger Sozialhilfeempfänger, der seine Wohnung wegen einer Eigenbedarfskündigung räumen muss, bekommt die von ihm gezahlten Prozesskosten in Höhe von 1.270 Euro auch dann nicht vom Sozialhilfeträger erstattet, wenn der Sozialhilfeträger später die Kosten für eine neue Wohnung des Sozialhilfeempfängers übernimmt. Prozesskosten gehören grundsätzlich nicht zu den erstattungsfähigen angemessenen Unterkunftskosten, so das Landessozialgericht Hessen. LTO berichtet.

SG Oldenburg zu Sturz bei Gassi-Runde: Wer ehrenamtlich mit Hunden eines Tierheims Gassi geht und dabei stürzt, ist im Rahmen einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit vom Versicherungsschutz der Berufsgenossenschaft erfasst. Nach Auffassung des Sozialgerichts Oldenburg erfüllt das Gassi-Gehen im Rahmen eines Ehrenamts alle Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses, weil die Frau hinsichtlich der Zeiten an Weisungen des Tierheims gebunden war und das für eine artgerechte Haltung erforderliche Ausführen der Hunde für das Tierheim einen wirtschaftlichen Wert habe. LTO berichtet.

BVerfG: Nun rezensiert auch Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz in der FAZ das Buch der ehemaligen Verfassungsrichterin Susanne Baer “Rote Linien. Wie das Bundesverfassungsgericht die Demokratie schützt”: "Wo Fragen von Funktion und Legitimation des Bundesverfassungsgerichts erläutert werden, bewegt
sich Baer changierend zwischen fachlicher Institutionenanalyse und Volksbildung." In Farbtiefe und Detailreichtum sei das Buch "einzigartig und auch für ein Fachpublikum wertvoll". 

Recht in der Welt

IStGH/Sudan – Ex-Milizenchef Abd-Al-Rahman: Der Internationale Strafgerichtshof hat den sudanesischen Ex-Milizenchef Ali Muhammad Ali Abd-Al-Rahman wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 31 Fällen schuldig gesprochen. Er sei "gnadenloser" Befehlshaber der von der sudanesischen Regierung unterstützten Janjaweed-Miliz gewesen, die von 2003 bis 2006 die Ermordung von etwa 300.000 Menschen in der Darfur-Region zu verantworten hatte. Das Strafmaß legt der IStGH zu einem späteren Zeitpunkt fest. Es berichten taz (Dominic Johnson), LTO, spiegel.de und zeit.de.

IGH – Streikrecht: Die Internationale Arbeitsorganisation der UN hat den Internationalen Gerichtshof mit einem Rechtsgutachten beauftragt, das feststellen soll, ob das Streikrecht unter die Konvention der Vereinigungsfreiheit von 1948 (IAO‐Konvention Nr. 87) fällt und damit besonders geschützt ist. Deutschland unterstützt diese Auffassung und erhofft sich eine Bekräftigung durch den IGH; Arbeitgeberverbände stellen den besonderen Schutz hingegen in Frage. Obgleich ein Rechtsgutachten des IGH nicht verbindlich ist, ist es wegweisend für Gerichtsentscheidungen. FAZ (Katja Gelinksy) und LTO berichten.

Israel – Hilfsschiffe für Gaza: Auf dem JuWissBlog analysiert die Doktorandin Lea Köhne, dass Deutschland grundsätzlich zum Schutz der deutschen Aktivist:innen der Flotille verpflichtet ist. Der aus der "staatsbürgerschaftlichen Beziehung" folgende "besondere Schutzauftrag" Deutschlands ende "nicht an der deutschen Grenze". Die "Schutzgewährung im Konsularrecht" wird darüber hinaus “gerade nicht durch ein etwaiges 'Mitverschulden' eingeschränkt”. Wenngleich Deutschland ein weiter Ermessensspielraum in der Wahl der Mittel zustehe, erscheine es "untunlich, sich lediglich auf Mahnungen und Hinweise zu beschränken."

USA – Nationalgarde in Portland und Chicago: Nachdem eine US-Bundesrichterin vorläufig den Einsatz der Nationalgarde in Portland stoppte, stellte sie klar, dass auch die in Kalifornien stationierte Nationalgarde nicht nach Portland verlegt werden dürfe. Parallel klagten die Stadt Chicago und der US-Bundesstaat Illinois gegen einen Plan der Trump-Administration zur Entsendung der Nationalgarde. Ein US-Bundesrichter wies die Klage inzwischen vorläufig zurück. Es berichten Welt, spiegel.de, LTO, beck-aktuell und focus.de.

Großbritannien –  Cum-Ex/Solo Capital: Wie die FAZ (Marcus Jung) schreibt, hat ein Londoner Gericht letzte Woche die Cum-Ex-Milliardenklage der dänischen Steuer- und Zollbehörde gegen den Hedgefonds Solo Capital abgewiesen, weil die Behörde nicht nachweisen konnte, durch konkrete Falschaussagen in die Irre geführt worden zu sein. Die dänische Behörde kündigte an, Berufung einzulegen.

Juristische Ausbildung

Engagement im Jura-Studium: LTO-Karriere (Sabine Olschner) spricht mit drei Jurastudierenden, die sich während des Studiums ehrenamtlich engagieren, über die Vorteile des Ehrenamts. Nils Wolters von der Refugee Law Clinic Köln betont den Wert praktischer Erfahrung und meint, dass er das Jurastudium ohne sein Ehrenamt vielleicht abgebrochen hätte. Nadine Hirth, Präsidentin der European Law Students’ Association (Elsa), hat durch ihr Ehrenamt gelernt, "im Team zu arbeiten und Aufgaben zu delegieren", und gleichzeitig ein großes Netzwerk aufgebaut.

Sonstiges

Nato-Bündnisfall: Auf beck-aktuell stellt Christian Richter, Senior Research Fellow des German Institute für Defence and Strategic Studies, klar, dass die russischen Drohnen im NATO-Luftraum noch nicht den Grad und den Effekt der militärischen Gewalt erreicht haben, so dass die Voraussetzungen des Bündnisfalls nach Art. 5 des NATO-Vertrags noch nicht erfüllt sind.

Arbeitgeber-Anwalt: Der Rechtsanwalt Alexander Birkhahn schildert im Gespräch mit spiegel.de (Florian Gontek), wie er im Auftrag von Arbeitgebern die Kündigung von Beschäftigten abwickelt und welche Tricks er dabei nutzt. 

 

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LTO/lh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. Oktober 2025: . In: Legal Tribune Online, 07.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58316 (abgerufen am: 07.11.2025 )

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