Trotz der Eilentscheidung des VG Berlin will Innenminister Dobrindt an Zurückweisungen festhalten. Auch Alice Weidel zeigt reihenweise Kritiker:innen an. NRW will Ursachen der Geschlechterunterschiede bei Pflichtfachprüfungen erforschen.
Thema des Tages
VG Berlin zu Asyl/Zurückweisungen an der Grenze: Die Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen ist rechtswidrig, entschied das Verwaltungsgericht Berlin in einem Eilverfahren. Geklagt hatten drei Somalier:innen, die trotz Asylgesuchs an der deutschen Grenze von der Bundespolizei nach Polen zurückgeschickt wurden. Das VG Berlin gab ihnen nun recht und stellte klar, dass § 18 AsylG, der Zurückweisungen bei Einreisen aus sicheren Drittstaaten erlaubt, durch vorrangiges EU-Recht verdrängt wird. Gemäß der Dublin-III-Verordnung muss Deutschland ein Dublin-Verfahren durchführen, um den EU-Mitgliedstaat zu ermitteln, der für das Asylverfahren der Somalier:innen zuständig ist. Auch die von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) angeführte Notlage nach Art. 72 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union liege nicht vor, weil "weder vorgetragen noch sonst ersichtlich" sei, dass eine Situation bestehe, "die für die deutschen Behörden nicht zu bewältigen wäre". Es berichten SZ (Markus Balser), taz (Christian Rath), LTO (Max Kolter), zdf.de (Daniel Heymann/Svenja Kantelhardt), spiegel.de (Paul-Anton Krüger/Dietmar Hipp) und bild.de (Isabel Herwig/Nikolaus Harbusch).
Derweil hat Innenminister Dobrindt erklärt, die Zurückweisungen fortsetzen zu wollen. Es handele sich bei den Beschlüssen nur um "Einzelfallentscheidungen" im Eilverfahren. Die Bundespolizei werde ihre Position im Hauptsacheverfahren dezidierter begründen. faz.net (Marlene Grunert/Mona Jaeger), Tsp (Stefanie Witte/Jost Müller-Neuhof), spiegel.de und zeit.de berichten.
Rechtspolitik
Asyl/Sichere Herkunftsstaaten: Am Mittwoch will das Kabinett einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen, der die Einstufung sogenannter "sicherer Herkunftsstaaten" erleichtern soll. Um eine mögliche Blockade im Bundesrat durch die Landesregierungen mit grüner Beteiligung zu vermeiden, möchte die Bundesregierung die Liste der "sicheren Herkunftsstaaten" künftig per Rechtsverordnung erweitern können. Die Einstufung solcher Staaten schreibt eine widerlegbare Vermutung fest, dass Schutzsuchende nicht verfolgt sind und verkürzt dadurch manche Verfahrensrechte. LTO und zeit.de berichten.
AfD ohne Parteienfinanzierung: Jost Müller-Neuhof (Tsp) spricht sich dafür aus, anstelle eines Parteienverbots von der in Art. 21 Abs. 3 GG kodifizierten Möglichkeit Gebrauch zu machen, den Ausschluss der AfD von der Parteienfinanzierung beim Bundesverfassungsgericht zu beantragen. Letztes Jahr bekam die AfD 13 Millionen Euro Steuergelder, dieses Jahr dürfte die Summe deutlich höher ausfallen. Mit dem Ausschluss von der Parteienfinanzierung würde sich der "Souverän souverän präsentieren, statt durch seine Staatsorgane mit einem Parteiverbotsverfahren mehr als zehn Millionen Wählern den Krieg zu erklären."
Seuchen: Die FAZ (Finn Hohenschwert) bespricht das Buch "Gesetzgebung im Gesundheitsnotstand" der Juristin Martina Preiß. Darin schlägt sie u.a die Einführung eines Art. 80b GG vor, wonach der Bundestag bei Ausbruch einer Pandemie einen Gesundheitsnotstand feststellen kann und dies Regeln entsperre, die bereits als “Vorratsgesetzgebung” beschlossen wurden. Außerdem soll der Bundestag den Ländern verbindliche Leitlinien vorgeben können, die sie beim Erlass ihrer jeweiligen Rechtsverordnungen berücksichtigen müssen.
Prostitution: Anlässlich des gestrigen 50. "Internationalen Hurentags" stellten Sexarbeiterinnen einen Reformentwurf vor. Demnach soll das Prostitutionsschutzgesetz aufgehoben sowie die Meldepflicht und die als stigmatisierend empfundene verpflichtende Gesundheitsberatung beendet werden. Ferner fordern sie u.a. die vollständige Entkriminalisierung der einvernehmlichen Sexarbeit von Erwachsenen, einen Zugang zu arbeitsrechtlicher Absicherung sowie zur Gesundheitsversorgung, wie die taz-berlin (Lilly Schröder) schreibt.
Jumiko – Erweiterte DNA-Analyse: Gegenüber spiegel.de (Severin Weiland) kritisiert die Abgeordnete Lena Gumnior (Grüne) den von Bayern und Baden-Württemberg bei der Justizministerkonferenz eingebrachten Antrag, die DNA-Analyse auf die "biogeografische Herkunft" auszuweiten. Die Analyse "hält rassistische Stereotype aufrecht und hat nichts mit evidenzbasierter Kriminalitätspolitik zu tun", so Gumnior. Auch netzpolitik.org (Anna Biselli) weist auf einen nur geringen Mehrwert bei der Kriminalitätsbekämpfung hin. In einer Gesellschaft mit "vielfältigen Migrations- und Herkunftshistorien von Personen dürften sich klar gelagerte Fälle mit verwertbaren Ergebnissen in Grenzen halten".
DAT - Anwaltschaft: Im Vorfeld des Deutschen Anwaltstags, der diese Woche unter dem Motto "Rechtsstaatlichkeit stärken, Freiheit bewahren" in Berlin stattfindet, betont Katja Gelinsky (FAZ) die unternehmerische Freiheit von Anwält:innen, die auch in der Rechtsstaatsdebatte zu kurz komme und häufig negativ konnotiert sei. Sie plädiert: "Der Rechtsstaat braucht ausgewogene und wirksame Regeln, aber keine Überregulierung."
Justiz
Politikerbeleidigung/Weidel: Obwohl die AfD öffentlich die Abschaffung der Politikerbeleidigung nach § 188 StGB fordert und Politiker:innen anderer Parteien für ihre entsprechenden Strafanzeigen kritisiert, hat die AfD selbst etwa 300 Anzeigen gegen beleidigende Aussagen im Netz erstattet. Laut einer Recherche von t-online.de (Lars Wienand) geht ein Großteil der Anzeigen auf Alice Weidel zurück, die sich gegen die Bezeichnung als "Nazi-Schlampe" wehrt.
BGH zu Betreuung Demenzkranker: Da für die Erforderlichkeit einer Betreuung nicht allein die subjektive Unfähigkeit des Betroffenen, seine Angelegenheiten selbst zu regeln, sondern ein konkreter Unterstützungsbedarf entscheidend ist, kann die Betreuung auch dann angeordnet werden, wenn der Aufenthaltsort des Betreuten unbekannt ist. Dies entschied der Bundesgerichtshof Anfang April und bestätigte damit die Bestellung eines Berufsbetreuers für einen demenzkranken Mann, der Heiligabend aus seiner Wohneinrichtung verschwand und seitdem vermisst wird, wie beck-aktuell schreibt.
BGH zu Fingerauflegen als Zwangsmaßnahme: Nun erläutert auch tagesschau.de (Philip Raillon) die BGH-Entscheidung, wonach die Polizei das Handy eines Beschuldigten entsperren darf, indem dessen Finger zwangweise auf den Sensor des Telefons gepresst wird. Rechtsprofessor Mohamad El-Ghazi kritisiert, dass der BGH sich angesichts des "Datengoldschatzes" eines Handys stärker mit dem Grundrechtseingriff hätte auseinandersetzen müssen.
OLG Hamm zu Kosten für Rechtsmittel-Rücknahme: Ein Strafgefangener muss grundsätzlich auch dann die Kosten für die Rücknahme eines Rechtsmittels zahlen, wenn sein Pflichtverteidiger das Rechtsmittel ohne dessen Zustimmung und Wissen eingelegt hatte, und der Strafgefangene später einen Rechtsmittelverzicht erklärte. Dies entschied das OLG Hamm. Gemäß § 297 StPO sei dem Strafgefangenen das Einlegen eines Rechtsmittels durch die Verteidigung grundsätzlich zuzurechnen, sofern die Verteidigung nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Gefangenen handelt. beck-aktuell berichtet.
VG Köln - Einstufung der AfD: Nach Informationen der Welt (Benjamin Stibi) hat die AfD von ihrem Prozessvertreter Christian Conrad ein 48-seitiges Gutachten erstellen lassen, wonach die CDU/CSU aufgrund problematischer Äußerungen ihrer Politiker ebenfalls "Bestrebungen gegen die Menschenwürde aufgrund eines ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriffs, sowie rechtsstaats- und demokratiefeindliche Ansichten" verfolge, die eine Einstufung der Union als "gesichert rechtsextremistisch" begründeten. Mit dem Gutachten wolle Conrad die angeblich willkürlichen Maßstäbe des Verfassungsschutzes offenlegen. Die Verfassungsrechtler Alexander Thiele und Markus Ogorek sind davon nicht überzeugt: Zur Einstufung einer Partei sei entscheidend, dass die ganze Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolge.
LG Köln zu Entrümpelung/Finderlohn: Der Inhaberin eines beauftragten Entrümpelungsunternehmens, dessen Mitarbeitende im Keller der ehemaligen Bewohnerin 600.000 Euro Bargeld und Schmuck im Wert von 30.000 Euro fanden, stehen nach einem Urteil des Landgerichts Köln keinerlei Ansprüche zu. Die entsprechende AGB-Klausel, wonach mit Beginn der Tätigkeit alle Gegenstände in das Eigentum der Auftragnehmerin übergehen sollten, sei wegen Verstoßes gegen § 308 Nr. 5 BGB unwirksam. Ein Anspruch auf Finderlohn nach § 971 BGB bestehe ebenfalls nicht, weil sich der generelle Besitzwille der Wohnungseigentümerin auf alle in ihrer Wohnung befindlichen Gegenstände erstrecke, sodass die gefundenen Sachen nicht besitzlos gewesen seien. LTO berichtet.
LG Mühlhausen zu Tötung der kranken Ehefrau: Das Landgericht Mühlhausen verurteilte einen 85-Jährigen wegen Totschlags zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe, weil er seine 82-jährige chronisch kranke Frau mit einem Kissen erstickte, um sie nach eigener Aussage von ihren Schmerzen zu befreien. Aufgrund der besonderen Umstände nahm das LG Mühlhausen keine Heimtücke an. Weil sich der 85-Jährige in einem psychischen Ausnahmezustand befunden habe und wegen der nächtlichen Pflege seiner Ehefrau kaum noch habe schlafen können, sei er vermindert schuldfähig gewesen. Es berichten LTO und spiegel.de.
LG Frankfurt/M. – Werbung mit Klimaneutralität/Apple: Am heutigen Dienstag verhandelt das Landgericht Frankfurt/M. über die Unterlassungsklage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen Apple wegen verbrauchertäuschender Werbung. Die Bewerbung von drei Smart-Watches als CO2-neutral sei "schlichtweg dreistes Greenwashing", so die DUH. Apple hingegen wirft der DUH vor, "grob unrichtige Angaben" zu machen, wie die FAZ (Katja Gelinsky) weiß, die vorab Einblick in den Schriftverkehr der Parteien nehmen konnte.
AG Hamburg zu Klimaprotest: Das Amtsgericht Hamburg verurteilte einen Klimaaktivisten der Letzten Generation wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen à 30 Euro. Der Aktivist hatte das Hamburger Rathaus mit orangener Farbe besprüht und ein Transparent ausgerollt, auf dem "Artikel 20a Grundgesetz = Leben schützen" stand, so die taz-nord (Friederike Gräff).
Recht in der Welt
Polen – Präsidentschaftswahl: Die Wahl des rechtskonservativen PiS-Kandidaten Karol Nawrocki zum polnischen Präsidenten wird weitreichende Konsequenzen für den polnischen Rechtsstaat haben. Der amtierende Präsident Andrzej Duda hatte bislang Gesetzentwürfe zum Rückbau rechtsstaatlicher Hindernisse blockiert, Nawrocki will diese Blockade fortführen. taz (Gabriele Lesser/Eric Bonse), LTO und beck-aktuell berichten.
Mexiko – Richterwahl: Bei der am Wochenende erstmals durchgeführten Wahl aller mexikanischer Richter:innen nahmen nur 13 Prozent der Stimmberechtigten teil. Beobachter:innen befürchten, dass überwiegend Kandidat:innen gewählt wurden, die der regierenden Morena-Partei nahestehen und so die Justiz als Institution der Checks and Balances ausgeschaltet wurde. Es berichten und analysieren die FAZ (Tjerk Brühwiller) sowie der mexikanische Jurist Jorge Gaxiola Lappe auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache).
Spanien - Katalonien-Konflikt: Das spanische Verfassungsgericht hat das Amnestiegesetz für katalanische Separatist:innen im Wesentlichen für verfassungskonform erklärt und hob daher eine anderslautende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Spaniens auf. beck-aktuell berichtet.
Juristische Ausbildung
Durchfallquote im Staatsexamen/Geschlecht: Laut LTO-Karriere hat das Justizministerium Nordrhein-Westfalens ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das der Frage nach der Ursache der Geschlechterunterschiede bei den Ergebnissen der staatlichen Pflichtfachprüfung nachgehen soll. Während Frauen im Abitur und in anderen Studiengängen deutlich bessere Ergebnisse erzielen als Männer, ergibt sich bei der staatlichen juristischen Pflichtfachprüfung ein gegenteiliges Bild.
Reform der juristischen Ausbildung: Auf LTO-Karriere plädiert Carl-Wendelin Neubert von der Lernplattform Jurafuchs für Reformen der Ausbildungsbedingungen im Studium und Referendariat. Als konkrete Maßnahmen benennt er u.a. verdeckte Zweitkorrekturen bei den Staatsexamina, eigens eingerichtete Lehrprofessuren für die Examensvorbereitung und einheitliche Ausbildungsmaterialien im Referendariat.
Sonstiges
Demokratie und Menschenrechte: Dem "Atlas der Zivilgesellschaft" des evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt zufolge, der jährlich den weltweiten Zustand von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten untersucht, leben nur etwa 3,5 Prozent der Weltbevölkerung in Staaten, die ihren Bürger:innen alle Freiheiten garantieren. Wegen des harten Vorgehens gegen Klimaaktivist:innen und zunehmender Gewalt gegen Journalist:innen erfolgte bereits im letzten Jahresbericht eine Herabstufung Deutschlands in die zweitbeste Kategorie, so LTO.
Delivery Hero: Die EU-Kommission verhängte eine Strafe in Höhe von 223 Millionen Euro gegen den in Berlin ansässigen Essenslieferdienst Delivery Hero, weil das Unternehmen sich wettbewerbswidrig mit dem spanischen Unternehmen Glovo abgesprochen hatte. Die Lieferdienste hatten sich unter anderem mittels Kommunikation über WhatsApp und Email die Märkte örtlich aufgeteilt und Informationen zu Preisen ausgetauscht, bevor Delivery Hero sich 2018 bei Glovo einkaufte. Es berichten SZ, FAZ, Hbl (Lara Dehari), LTO und spiegel.de.
Rechtsgeschichte – NSDAP-Gutachten: Auf beck-aktuell erinnern Ex-BAG-Richter Franz Josef Düwell und Sebastian Felz, Vorstandsmitglied des "Forum Justizgeschichte", an ein Gutachten der Innenministerien Preußens und des Deutschen Reichs, das bereits 1930 zu dem Schluss kam, dass die NSDAP "eine staatsfeindliche Verbindung" sei, die "die gewaltsame Änderung der Verfassung" anstrebe. Oberreichsanwalt Karl August Werner, selbst NS-Sympathisant, stellte später jedoch Ermittlungen gegen Hitler ergebnislos ein.
Das Letzte zum Schluss
Abhängen im ICE: Ein 57-jähriger DB-Fahrgast, der seine Hängematte zwischen der Gepäckablage in einem ICE aufgespannt hatte, musste letztlich von der Bundespolizei in Handschellen aus dem Zug geführt werden, weil er den Bitten der Zugbegleiterin, seine Hängematte aus Sicherheitsgründen abzuspannen, nicht nachkam. spiegel.de und bild.de berichten.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 3. Juni 2025: . In: Legal Tribune Online, 03.06.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57328 (abgerufen am: 18.06.2025 )
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