Die juristische Presseschau vom 9. Mai 2025: AfD-Hoch­stu­fung aus­ge­setzt / Zurück­wei­sungen umge­setzt / EuGH zu Noten vom Ver­g­leichs­portal

09.05.2025

Im Rechtsstreit mit der AfD gab das BfV eine Stillhaltezusage ab. Die von Innenminister Dobrindt angeordneten Zurückweisungen Asylsuchender haben begonnen. Vergleichsportale wie Check24 dürfen Versicherungen mit Noten bewerten.

Thema des Tages

VG Köln – Einstufung der AfD: Im Rechtsstreit mit der AfD vor dem Verwaltungsgericht Köln hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine Stillhaltezusage abgegeben. Das BfV setzte die Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" vorläufig bis zur Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag der AfD aus und wird die AfD bis dahin nicht öffentlich entsprechend bezeichnen. Die AfD wird vom Bundesamt bis dahin aber weiter als extremistischer Verdachtsfall behandelt und überwacht. Es berichten SZ (Christoph Koopmann), Welt (Benjamin Stibi u.a.), taz.de (Christian Rath), zeit.de (Christian Parth/Tilman Steffen), tagesschau.de (Kolja Schwartz), beck-aktuell und LTO (Felix W. Zimmermann/Xenia Piperidou)

Alexander Haneke (FAZ) kommentiert, "am Ende entscheiden in einem Rechtsstaat ohnehin die Gerichte, ob die Begründung der Verfassungsschützer reicht". Bis dahin sei es richtig, dass das Amt stillhalte. 

Nun hat auch bild.de (Karl Keim u.a.) das 1108-seitige BfV-Gutachten ausgewertet und stellt die wichtigsten Aussagen mit Belegen zusammen. Wolf Wiedmann-Schmidt (spiegel.de) kritisiert, dass das BfV in der Vorwoche seine Entscheidung für eine Hochstufung der AfD nur mit einer dürren Pressemitteilung begründet hat. Das BfV oder das Bundesinnenministerium hätte die Erkenntnisse des Gutachtens "auf 20, 50 oder vielleicht sogar 100 Seiten" zusammenfassen können, bestenfalls auch auf Englisch. Indem dies unterlassen wurde, habe die Behörde die Chance verpasst, sich zu erklären, bevor ein Gericht entscheidet.

Rechtspolitik

Asyl/Zurückweisung an der Grenze: LTO (Christian Rath) erklärt, wie Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) ohne Gesetzesänderung die Zurückweisung von Asylsuchenden einführte. Dobrindt beruft sich auf § 18 Asylgesetz und die Notlagenklausel des Art 72 AEUV. Der Autor prognostiziert, dass der EuGH diese Argumentation nicht akzeptieren werde. Es werde aber schwer, Kläger:innen zu finden, da abgewiesene Flüchtlinge lieber über die grüne Grenze nach Deutschland einreisen als aus dem Ausland gegen eine Zurückweisung zu klagen. bild.de (Angelika Hellemann u.a.) schildert wie ein Regierungssprecher dementiert, dass die Bundesregierung einen nationalen Notstand ausgerufen habe. In einem Frage-Antwort-Format erläutert die SZ (Jan Bielicki/Katharina Erschov/Matthias Köpf/Henrike Roßbach) Hintergründe und mögliche Hindernisse der Zurückweisungen. In einem gesonderten Artikel fasst die SZ (Nicolas Freund/Verena Mayer/Viktoria Großmann) zusammen, wie Österreich, Polen und die Schweiz die neue deutsche Grenzpolitik ablehnen. Reaktionen auf die Grenzpolitik schildern ebenfalls FAZ (Mona Jaeger/Eckart Lohse) und Welt (Philipp Woldin). Die taz (Frederik Eikmanns) war für eine Reportage an der deutsch-polnischen Grenze und stellte fest, dass es dort schon vor Dobrindts Amtsantritt Zurückweisungen von Asylsuchenden gab.

Reinhard Müller (FAZ) meint, es sei ein "langer Weg gewesen von Angela Merkels Einladungspolitik bis zu Merzens und Dobrindts Stoppschild". Und dieser Weg sei noch nicht zu Ende. Obwohl man zwar erst noch abwarten müsse, "was sich wirklich an den Grenzen ändert", müsse die Regierung ihre "neue Migrationspolitik offensiv vertreten". Denn Regieren bedeute nicht, "auf Gerichtsentscheidungen zu warten". Gereon Asmuth (taz) mahnt an, dass der 8. Mai 1945 nicht nur für das Ende des Nationalsozialismus stehe, sondern auch für die "Lehren, die aus der Zeit des Krieges und der Schoah gezogen wurden". Dazu zähle auch das Recht auf Asyl. "Der scharfe Start der kleinen Groko aber" lasse sich "mit Geschichtsvergessenheit nicht mehr erklären". Rainer Haubrich (Welt) dagegen meint, Merz müsse trotz der Kritik an seinem Vorhaben bei seinem Kurs bleiben – um nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren und weil eine härtere Migrationspolitik nach Auffassung des Autors "der entscheidende Schlüssel" sei, um Wähler:innen von der AfD zurückzugewinnen.

AfD-Verbot: Rechtsprofessor Foroud Shirvani analysiert auf dem Verfassungblog, in welchen Punkten die Voraussetzungen für ein Parteiverbot weitreichender sind als die Voraussetzungen für die Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" durch das BfV. Insbesondere müsse in einem etwaigen Verbotsantrag nachgewiesen werden, dass die AfD ein strategisches Konzept hat, mit dem sie als Gesamtpartei die Idee der "ethnisch-kulturellen" Volkszugehörigkeit umsetzen und die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes aushöhlen will, und dass eine entsprechende zielorientierte qualifizierte Vorbereitungshandlung vorliegt. Dies sollte nach Auffassung des Autors bestenfalls vor der Einleitung eines Verbotsverfahrens untersucht werden. Bis dahin seien die Erfolgsaussichten eines Parteiverbotsverfahrens ungewiss.

Rechtsprofessor Winfried Kluth geht im FAZ-Einspruch davon aus, dass sich beim Vorliegen eindeutiger Indizien für eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine Antragspflicht für ein Parteiverbot ergeben könne. "Je deutlicher die von der AfD ausgehende Gefahr belegt wird, desto schwieriger wird es für die zuständigen Verfassungsorgane, sich auf die rein politische Auseinandersetzung zu beschränken"

Heribert Prantl (SZ) spricht sich in seiner Kolumne dafür aus, dass das Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz zur Einstufung der AfD "umgehend veröffentlicht" wird. Das politische Ermessen, ob ein AfD-Verbotsantrag gestellt werden solle, sei mit der Hochstufung der AfD geschrumpft. Ob es gar auf null geschrumpft sei, müsse nach Publikation des Gutachtens geprüft werden. Was allerdings feststehe: "Wenn die AfD Hunderttausende Menschen aus dem Land treiben will, wenn sie der Gesellschaft und der Politik die Achtung der Menschenwürde austreiben will, dann muss sie mit den Mitteln des Grundgesetzes aus den Parlamenten und aus der Politik vertrieben werden".

Abschuss von Wölfen: Wölfe dürfen künftig in der Europäischen Union wieder geschossen werden. Das Europäische Parlament stimmte für eine Herabstufung des Schutzstatus von "streng geschützt" auf "geschützt", und damit für eine Änderung der Habitatrichtlinie, nach deren Inkrafttreten die Mitgliedstaaten maximal 18 Monate Zeit haben, um sie in nationales Recht umzusetzen. Die neue Bundesregierung hat sich darauf verständigt, dies schnellstmöglich zu tun. Es berichtet die FAZ (Thomas Gutschker).

Justiz

EuGH zu Tarifnoten durch Vergleichsportal: Vergleichsportale wie Check24 dürfen Versicherungen mit Noten bewerten, solange sie keine eigenen Versicherungen anbieten und damit keine Mitbewerber sind. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Geklagt hatte die Versicherungsgruppe HUK-Coburg, weil sie der Ansicht war, die auf der Plattform vergebenen Tarifnoten stellten unzulässige vergleichende Werbung dar. Solange der Online-Vergleichsdienst jedoch selbst kein "Mitbewerber" des benoteten Unternehmens sei, liegt laut EuGH kein Fall einer unzulässigen vergleichenden Werbung vor. Abschließend müsse die Frage jedoch vom Landgericht München I geklärt werden, das die Frage vorgelegt hatte. FAZ (Marcus Jung), beck-aktuell und LTO berichten.

BGH zu Richterwechsel nach mündlicher Verhandlung: Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass es gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstößt, wenn nach erfolgter mündlicher Verhandlung eine andere Richterin ohne erneute mündliche Verhandlung das Urteil fällt. Zuvor hatte das Oberlandesgericht München die gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegte Berufung trotz Verstoßes gegen § 309 ZPO als unbegründet zurückgewiesen; die rechtliche Würdigung könne auch allein aufgrund des schriftlichen Verfahrens angemessen vorgenommen werden. Außerdem habe das LG zu Recht angenommen, etwaige Ansprüche der Klägerin seien verjährt. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde hatte die Klägerin schließlich jedoch Erfolg. Das OLG habe gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, so der BGH. beck-aktuell und LTO berichten.

BAG zu DSGVO-Verletzung nach Betriebsvereinbarung: Sofern ein Unternehmen Echtdaten nutzt, um eine neue Software zu testen, und dabei deutlich mehr Informationen übermittelt, als im Rahmen einer Betriebsvereinbarung vereinbart, macht es sich schadensersatzpflichtig. Dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, nachdem es zuvor die Frage dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hatte. Im zugrundeliegenden Fall hatte der Arbeitgeber beim Testen des cloudbasierten Personalverwaltungssystems "Workday" mehr personenbezogene Daten an die Konzernobergesellschaft übermittelt, als es die Betriebsvereinbarung zuließ. Diese Übertragung sei nicht erforderlich gewesen und habe somit gegen die DSGVO verstoßen, so das BAG. Es berichtet LTO.

Recht in der Welt

USA – Abschiebung von Venezolanern: Wie taz-blogs (Detlef Georgia Schulze) schreibt, ordnete Richter James Boasberg vom District Court für den District of Columbia Beweisermittlungen zu der Frage an, ob die unter Berufung auf den Alien Enemies Act nach El Salvador Abgeschobenen dort im rechtlichen Sinne von den USA gefangen gehalten werden.

USA - Abschiebung von Kilmar Abrego Garcia: Über den Fortgang des Verfahrens des Salvdorianers Kilmar Abrego Garcia, der – entgegen einem bestehenden Verbot – aus den USA nach El Salvador abgeschoben wurde, berichtet ebenfalls taz-blogs (Detlef Georgia Schulze).

Sonstiges

8. Mai 1945: Das Vorstandsmitglied des "Vereins Forum Justizgeschichte e.V." Sebastian Felz gibt auf LTO in einem Gastbeitrag einen Überblick über die Diskussion zur Bedeutung des 8. Mai 1945 in der deutschen Staatsrechtslehre der Nachkriegszeit und erinnert insbesondere an die Positionen von Hans Kelsen und Günter Dürig.

Der Richter Martin Borowsky erläutert auf LTO, warum der 8. Mai – noch – kein bundesweiter Feiertag werden sollte. Dies könne erst in Betracht kommen, wenn die Aufarbeitung der NS-Zeit abgeschlossen sei. Es sei an der Zeit, "das Schweigen zu brechen" und "die immer noch vorherrschende Amnesie zu beenden, zur Wahrheitssuche und zur symbolischen Gerechtigkeit für die Opfer". Solange diese Erinnerungsarbeit nicht stattfinde oder gar unterbunden werde, spiele dies "den Feinden der Demokratie in die Hände".

AfD-Mitglieder im Staatsdienst: Nach der Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" forderten Lehrerverbände und Gewerkschaften Konsequenzen für AfD-Mitglieder, die Beamt:innen sind, wollen aber einen neuen Radikalen-Erlass mit Regelanfrage an den Verfassungsschutz vermeiden. Die taz (Ralf Pauli) berichtet und erläutert, warum eine Entfernung aus dem Staatsdienst selbst bei prominenten Fällen wie Geschichtslehrer Björn Höcke (AfD) kompliziert sein dürfte. So gehe Höckes einstiger Arbeitgeber, das Land Hessen, davon aus, dass Höckes Aussagen als Abgeordneter nicht beamtenrechtlich gegen ihn verwendet werden dürfen.

Abschiebehaft: Die FAZ (Timo Steppat) schreibt über die "Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige des Landes Rheinland-Pfalz" in Ingelheim, in der Menschen festgehalten werden, um deren reibungslose Abschiebung sicherzustellen.

Juristendeutsch: Der Rechtsprofessor Georg Bitter beschäftigt sich auf beck-aktuell mit einem juristischen Unwort, das in den letzten 50 Jahren eine besonders steile Karriere gemacht hat: mit dem Wort "vorliegend" als Adverb, das – wie der Autor anhand zahlreicher Beispiele darlegt – nicht nur in Klausuren, sondern auch in Urteilen in verschiedensten Zusammenhängen eingestreut werde.
 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/sf/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. Mai 2025: . In: Legal Tribune Online, 09.05.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57162 (abgerufen am: 24.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen