Die juristische Presseschau vom 13. März 2025: Hand­lung­s­un­fähiger Staat? / DAV-For­de­rungen zum Straf­recht / Jah­res­be­richt des BAG

13.03.2025

Die "Initiative für einen handlungsfähigen Staat" legte einen Zwischenbericht vor. Der Deutsche Anwaltverein forderte Verbesserungen im Straf- und Strafprozessrecht. BAG-Präsidentin Inken Gallner stellte den BAG-Jahresbericht vor.

 

Thema des Tages

Staat: Die "Initiative für einen handlungsfähigen Staat" hat einen Zwischenbericht für eine umfassende Staatsreform vorgelegt. Die Initiative war gegründet worden vom Ex-Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle, den Ex-Ministern Peer Steinbrück (SPD) und Thomas de Maizière (CDU) sowie der Medienmanagerin Julia Jäkel; Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte die Schirmherrschaft übernommen. Die Initiative schlägt u.a. vor, die Zahl der Ministerien zu senken und Zuständigkeiten zu bündeln. Leistungen sollten möglichst pauschaliert werden. Die Verantwortung für Abschiebungen sollte künftig zentral bei der Bundesregierung liegen. Durch die vorgeschlagenen Maßnahmen solle der Staat handlungsfähiger werden und das Vertrauen der Bürger:innen in den Staat erhöht werden. Im Interview mit der FAZ (Reinhard Müller) spricht Andreas Voßkuhle über das Reformkonzept. Die SZ (Dominik Fürst) stellt die Initiative in einem Frage-Antwort-Format vor. Außerdem berichten u.a. taz (Anna Lehmann) und Hbl (Daniel Delhaes/Martin Greive/Anna Lena Jakobs u.a.)

Nils Minkmar (SZ) analysiert den Zwischenbericht im Feuilleton und nennt das Konzept einen Text "von schockierender Brisanz, eine Mischung aus Politkrimi und Luther’schen Thesen, und in dieser Kombination dazu geeignet, zum deutschen Manifest dieses Frühjahrs zu werden". Das Land, das der Zwischenbericht beschreibt, gleiche dagegen "dem Alten Reich, das mit Napoleon unterging".

Rechtspolitik

Straf- und Strafprozessrecht: Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat laut beck-aktuell 12 Forderungen zum Straf- und Strafprozessrecht vorgelegt, die Eingang in den Koalitionsvertrag finden sollen. So solle etwa die Dokumentation der Hauptverhandlung Gesetz werden, Mandatsgeheimnisse besser geschützt und der Einsatz von V-Personen einheitlich geregelt werden. Auch solle künftig sichergestellt werden, dass Beschuldigten in Fällen der notwendigen Verteidigung schon vor ihrer ersten Vernehmung von Amts wegen eine Anwält:in beigeordnet wird. Dagegen warnt der DAV vor einer Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters sowie vor einer neuen Vorratsdatenspeicherung.

Schuldenbremse / Sondervermögen: An diesem Donnerstag findet im Bundestag die erste Lesung der Gesetzentwürfe zur Aufweichung der Schuldenbremse statt. Zuvor haben die Ministerpräsident:innen der Länder den gemeinsamen Vorschlag von CDU/CSU und SPD unterstützt, drei Grundgesetzänderungen auf einmal vorzunehmen. So sollen Verteidigungsausgaben jenseits von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts von der Schuldenbremse ausgenommen werden, für Investitionen in die Infrastruktur soll ein schuldenfinanziertes Sondervermögen über 500 Milliarden Euro eingerichtet werden und die Länder sollen wie bereits der Bund jährlich Schulden in Höhe von 0,35 % des BIP machen dürfen. Die Ministerpräsident:innen lehnten damit den Vorschlag der Grünen ab, zunächst nur Verteidigungsausgaben freizustellen und die Schuldenbremse erst in der nächsten Wahlperiode grundsätzlich zu reformieren. Es berichtet die SZ (Stephan Radomsky/Henrike Rossbach). Die FAZ (Marlene Grunert/Eckart Lohse/Matthias Wyssuwa) geht außerdem auf die Sorge ein, das Bundesverfassungsgericht könne wie schon 2023 beim Heizungsgesetz eine Verlängerung des Gesetzgebungsverfahrens verlangen, um den Parlamentarier:innen genügend Zeit zur Befassung mit den geplanten Reformen zu gewähren. Als problematisch gilt, wenn sich CDU/CSU, SPD und Grüne erst am Montag, also einen Tag vor der Abstimmung am 18. März, auf Änderungen einigen.

Marc Beise (SZ) meint, dass es richtig wäre, die Abstimmung im Bundestag abzusagen. Die geplante zusätzliche Verschuldung sei nicht alternativlos, sie führe zu Inflation und gefährde die Stabilität der EU. Dass "CDU/CSU unmittelbar nach der Bundestagswahl genau das Gegenteil dessen vorgeschlagen haben, was sie vorher monate- und jahrelang glasklar versprochen hatten", gefährde das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Politik. 

Asyl: Im Interview mit der taz (Frederik Eikmanns) spricht Karl Kopp von Pro Asyl u.a. über die Pläne von CDU/CSU und SPD in ihrem Sondierungspapier, Asylsuchende an der Grenze zurückzuweisen. Dies sei "eindeutig europarechtswidrig". Kopp kritisiert auch die Abschaffung des erst jüngst eingeführten Rechtsbeistands bei der Anordnung von Abschiebehaft, die "in fast 50 Prozent der Fälle rechtswidrig verhängt" werde. Da sei es "geboten, dass man Betroffenen, die ihrer Freiheit beraubt werden, Anwält*innen zur Seite stellt."

Karoline Meta Beisel (SZ) kritisiert den Vorschlag der EU-Kommission zur Einführung von Abschiebezentren in Drittstaaten. Statt immer mehr auf Abschreckung zu setzen, sei es hilfreicher, Abkommen mit Herkunftsländern zu schließen, um deren Rücknahmebereitschaft zu erhöhen. Dazu gehörten auch Kontingente für die legale Einwanderung, die es - mit Blick auf den Fachkräftemangel – ohnehin dringend benötige.

Familiennachzug: spiegel.de (Roger Schneider/Elisa Schwarze) schildert die Geschichte der Nigerianerin Sharon O., die ihre neun und 15 Jahre alten Kinder, die noch in Nigeria leben, vor neun Jahren zum letzten Mal gesehen hat. Sie illustriert damit die Konsequenzen einer Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten, auf die sich CDU/CSU und SPD in ihrem Sondierungspapier geeinigt haben.

Justiz

BAG-Jahres-PK: Inken Gallner, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, stellte den Jahresbericht für 2024 vor. Insgesamt sei die Zahl der Eingänge zurückgegangen. Die wichtigsten Themen waren und sind Nachtarbeitszuschläge, Überstunden- und Betriebsratsvergütung. Wenn CDU/CSU und SPD – wie in ihren Sondierungsgesprächen angekündigt – von einer täglichen auf eine wöchentliche Grenze der gesetzlichen Höchstarbeitszeit übergingen, würde sie dies begrüßen, so Gallner. LTO (Tanja Podolski) und beck-aktuell (Joachim Jahn) berichten und stellen ausgewählte Verfahren vor, über die das BAG in den kommenden Monaten zu entscheiden hat.

BVerfG – Schuldenbremse/Sondervermögen: Über die Organstreitverfahren und die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die für den 13. und 18. März geplanten Sondersitzungen des alten Bundestags berichtet nun auch LTO und stellt den Inhalt der Anträge – u.a. von Linken und AfD – vor.

BVerfG – Bundestagswahl/BSW: Nun berichtet auch die taz (Christian Rath) über die Initiative der BSW-Vorsitzenden Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali, die eine Neuauszählung der Stimmen der Bundestagswahl 2025 erreichen wollen, bei der dem BSW nur rund 13.400 Stimmen zum Überspringen der 5-Prozent-Hürde fehlten. Sie haben eine Verfassungsbeschwerde sowie einen entsprechenden Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Ziel ist auch, die für den morgigen Freitag geplante Verkündung des amtlichen Wahlergebnisses durch die Bundeswahlleiterin zu verschieben. 

BGH zu Apotheken-Lieferungen an Sonntagen: Ein Apotheker in Nordrhein-Westfalen darf seine Kund:innen an Sonntagen nicht per Lieferservice mit Medikamenten versorgen – auch dann nicht, wenn sein Geschäft selbst geschlossen bleibt. Dies hat der Bundesgerichtshof klargestellt, wie LTO berichtet. Der Lieferservice verstoße gegen die Schließungsanordnung der Apothekerkammer sowie gegen das NRW-Ladenöffnungsgesetz. Dass die Revision des Apothekers gegen die zugrundeliegende Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln dennoch erfolgreich war, lag nur daran, dass das erstinstanzliche Urteil mangels Vermerk der Verkündung im Protokoll verfahrensrechtlich gar nicht existent war.

BAG zur Probezeit im befristeten Arbeitsvertrag: Nun stellt auch der Rechtsanwalt Artur Kühnel im Expertenforum Arbeitsrecht eine Entscheidung des Bundesarbeitsgericht von Dezember 2024 vor, wonach die Vereinbarung einer Probezeit unwirksam ist, wenn sie die gesamte Dauer der vereinbarten Befristung umfasst. 

OLG München – Ex-Wirecard-Chef Braun: Wie die FAZ (Marcus Jung) schreibt, hatte der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun erneut keinen Erfolg mit einer Haftbeschwerde. Das Oberlandesgericht München bejahte weiterhin die Haftgründe der Verdunkelungs- und Fluchtgefahr. Braun sitzt seit Sommer 2020 in Untersuchungshaft. Er ist der letzte verbliebene Angeklagte in Untersuchungshaft.

OVG Schleswig zu Waffenbesitz: Nun berichtet auch LTO über die Entscheidung, des Oberverwaltungsgerichts Schleswig, dass einem Mann, der im "Schwarzen Block" der G 20-Demonstration 2017 in Hamburg mitgelaufen war, in der Folge zu Recht der kleine Waffenschein entzogen wurde. Die Teilnahme an der Demonstration berechtige zu der Annahme, dass der Mann nicht die nach dem Waffenrecht nötige Zuverlässigkeit zum Waffenbesitz innehat.

StA Berlin – Roger Waters: Tsp (Jost Müller-Neuhof) schreibt über das seit zwei Jahren laufende Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung gegen den Musiker Roger Waters. Seine Rechtsanwältin hatte angekündigt, Anfang April zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Danach entscheide sich, ob ein Anfangsverdacht vorliege oder das Verfahren eingestellt werde. Grund für die Ermittlungen ist Waters Verhalten auf der Bühne, das er selbst damit kommentierte, die Darstellung eines "gestörten faschistischen Demagogen" sei seit mehr als 40 Jahren ein Merkmal seiner Shows.

Schöffenpflichten: Wenn Schöff:innen ihre Pflichten verletzen, können sie vom Schöffendienst ausgeschlossen werden – etwa, wenn sie während der Hauptverhandlung einen Einkaufszettel schreiben, ihr Handy zücken, einschlafen oder den Staatsanwält:innen Schokolade schenken. beck-aktuell (Maximilian Amos) schildert einige dieser skurrilen Fälle.

Recht in der Welt

Georgien – Micheil Saakaschwili: Ein Gericht in Tiflis hat den früheren georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili zu neun Jahren Haft verurteilt, weil er während seiner zweiten Amtszeit als Präsident von 2009 bis 2013 umgerechnet etwa drei Millionen Euro aus dem Budget des Personenschutzes zweckentfremdet und u.a. für Aufenthalte in Luxushotels, kosmetische Behandlungen und Kleidung ausgegeben hatte. 2018 wurde Saakaschwili bereits wegen Machtmissbrauchs zu insgesamt sechs Jahren Haft verurteilt. Mit dem Urteil vom Mittwoch verlängert sich Saakaschwilis Haftzeit um drei weitere Jahre bis 2030. Es berichtet die FAZ (Reinhard Veser).

Österreich – Familiennachzug: Wie die FAZ (Stephan Löwenstein) schreibt, will Österreich den Familiennachzug für Asylsuchende stoppen. Bei dem Vorhaben handele es sich derzeit nur um eine Absichtserklärung. Eine gesetzliche Umsetzung im Einklang mit dem EU-Recht und insbesondere auch der bisherigen Rechtsprechung der europäischen Gerichte stehe nun an. Die österreichische Regierung beruft sich auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung.

Niederlande – Asyl: Die Assistenzprofessorin Lynn Hillary und die LL.M.-Studentin Sophie Adams setzen sich auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) kritisch mit den von der niederländischen Regierung geplanten Verschärfungen des Asylrechts auseinander.

Ungarn - Entzug der Staatsangehörigkeit: Die ungarische Regierung plant eine Verfassungsänderung, die es ermöglichen soll, dass Ungarn mit doppelter Staatsbürgerschaft der ungarische Pass entzogen werden kann, "eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung und nationale Sicherheit darstellen". Ausgenommen seien Bürger, deren zweiter Pass aus einem EU-Land stammt. Weiter will die Regierung Nichtregierungsorganisationen, die im Auftrag der "liberalen Netzwerke" fungieren, "von der Landkarte streichen". Vorgesehen ist außerdem ein Verbot der jährlichen Pride-Parade der LGBTQ-Community, weil diese die "Grundwerte" der ungarischen Gesellschaft bedrohe und Kinder gefährde. Es berichtet spiegel.de.

USA – Maßnahmen gegen Großkanzleien: Über die Maßnahmen von US-Präsident Donald Trump gegen eine Reihe amerikanischer Großkanzleien, die in der Vergangenheit als Berater für den Staat und Bundesbehörden tätig waren, berichtet die FAZ (Marcus Jung). In den vergangenen Wochen wurden den Anwält:innen einiger Kanzleien bestehende Sicherheitsgenehmigungen sowie die Zugänge zu Bundesgebäuden entzogen. Auch wurde die Bundesregierung aufgefordert, laufende Verträge mit Kanzleien zu beenden.

USA – "Desert Killer": Wie FAZ-Einspruch (Christiane Heil) schreibt, hat das Oberste Berufungsgericht des US-Bundesstaats Texas die für den heutigen Donnerstag geplante Hinrichtung des als "Desert Killer" bekannten amerikanischen Sexualstraftäters David Wood nach einem Antrag der Verteidigung unerwartet ausgesetzt. Wood war Ende 1992 wegen der Ermordung von mindestens sechs Mädchen und Frauen zum Tode verurteilt worden, obwohl der Abgleich von genetischem Material, das an den Leichen gefunden wurde, nicht mit Woods DNA übereinstimmte und er die Taten stets bestritten hatte.

USA – Massenentlassungen: Über die Massenentlassungen im öffentlichen Dienst durch die neue US-Regierung sowie die dagegen gerichteten Gerichtsverfahren berichtet die junge Welt (Detlef Georgia Schulze). Auch wenn bislang in erster Linie Beschäftigte in der Probezeit entlassen worden seien, zeige sich schon, dass dies nicht der einzige von der Trump-Regierung betriebene Personalabbau im öffentlichen Dienst der USA bleiben werde.

Sonstiges

Internationales Privatrecht: Im Interview mit beck-aktuell (Joachim Jahn) spricht der Rechtsprofessor Lukas Rademacher über die Anwendung ausländischen Rechts durch deutsche Gerichte nach den Vorschriften des Internationalen Privatrechts und erklärt, wann dies – etwa beim Zusammentreffen mit islamischen Jurisdiktionen – zu Konflikten führen kann.

Wissen für Inhaftierte: Im Interview mit der taz (Johanna Treblin) spricht Janko Egeling, Mitautor eines Handbuchs, das Gefangenen ihre Rechte erklärt, über die Bedeutung, die Wissen für Inhaftierte hat. Egeling vermutet, dass das Buch deshalb in vielen Gefängnissen verboten ist, weil es den Justizvollzugsanstalten die Definitionsmacht darüber nehme, was Gefangenen nach dem Gesetz zusteht und was nicht.

Unterbringung psychisch Kranker: Die Zeit (Lale Artun/Lisa Brockmeyer) berichtet über eine Hausgemeinschaft in Hameln-Pyrmont, die mehrfach versucht hat, Hilfe für eine psychisch erkrankte Mitbewohnerin zu bekommen. Dabei werden auch die Voraussetzungen der Unterbringung psychisch Erkrankter geschildert sowie die Möglichkeiten, die Angehörige haben.
  

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/sf/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. März 2025: . In: Legal Tribune Online, 13.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56784 (abgerufen am: 18.03.2025 )

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