Vor dem LG Stuttgart begann Prozess wegen Insolvenzverschleppung bei Alno. Bis zu 24 Jahre Haft drohen der non-binären Antifaschist:in Maja T. in Ungarn. Die Kölner Aktivistin Nahid Taghavi ist nach jahrelanger Inhaftierung im Iran frei.
Thema des Tages
LG Stuttgart – Ex-Alno-Vorstandsmitglieder: Vor dem Landgericht Stuttgart müssen sich der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Küchenherstellers Alno, Max Müller, und die ehemalige Finanzvorständin Ipek Demirtas wegen Insolvenzverschleppung, Kreditbetrug und Untreue verantworten. Laut Anklage war Alno spätestens Ende 2013 zahlungsunfähig, der Insolvenzantrag wurde jedoch erst 2017 gestellt. In der Zwischenzeit hätten die Angeklagten noch Sonderzahlungen zu eigenen Gunsten veranlasst. Den Angeklagten wird außerdem vorgeworfen, einen Investor nicht korrekt über die finanzielle Lage des Unternehmens informiert zu haben. Die Verteidiger:innen kritisieren, die Staatsanwaltschaft zeichne ein falsches negatives Bild der Angeklagten und habe kein Sachverständigengutachten vorlegen können, das den Zeitpunkt der Insolvenz zweifelsfrei klärt. Das Gericht hat Termine bis in den September festgesetzt. FAZ (Benjamin Wagener) und LTO berichten.
Rechtspolitik
Schwangerschaftsabbruch/embryopathische Indikation: Auf dem Verfassungsblog plädieren Theresia Degener und Vanessa Bliecke, emeritierte Rechtsprofessorin und Doktorandin, dagegen, wieder einen gesonderten Erlaubnistatbestand für Schwangerschaftsabbrüche bei embryopathischer Indikation einzuführen. Bis 1995 war der Abbruch bei Behinderung des Embryos unter gewissen Voraussetzungen straflos. Der Ausschuss der UN-Behindertenrechtskonvention hatte die embryopathische Indikation mehrfach kritisiert und darauf hingewiesen, dass dem ein veraltetes Verständnis von Behinderung zugrunde liege, das Behinderung als "individuelles Phänomen" statt als "durch gesellschaftliche Barrieren" konstruiert verstehe.
Ausbürgerung: Auf dem Verfassungsblog skizziert der Doktorand Ole Aldag die völkerrechtlichen Grenzen von Ausbürgerungen. Zu beachten seien insbesondere das völkerrechtliche Willkürverbot, das erfordert, dass die Gründe für die Aberkennung "objektiv und in Bezug auf die damit verfolgten Interessen des Staates nachvollziehbar sein" müssen, und das völkerrechtliche Diskriminierungsverbot, das auch mittelbare Diskriminierungen erfasst.
Die Juristin und Soziologin Farnaz Nasiriamini erinnert in der taz daran, dass Artikel 16 GG, wonach die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden darf, "das Echo eines Versprechens ist, das nie wieder gebrochen werden darf". Sie appelliert: "Ein Land, das seine Bürger in Kategorien teilt, verliert mehr als die Menschen, die es ausstößt. Es verliert das, was es stark macht: das Wissen, dass Gleichheit vor dem Gesetz kein Privileg, sondern ein Recht ist."
Kinderrechte ins Grundgesetz: Die FAZ (Finn Hohenschwert) rezensiert die Dissertation von Miriam Lemmert, die die Hintergründe und Auswirkungen einer entsprechenden Verfassungsänderung untersucht und letztlich für die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz plädiert.
Bürokratieabbau: Reinhard Müller (FAZ) findet, dass "unverständliche, einander widersprechende Vorschriften" im föderalen Gefüge der Bundesrepublik "das Land lähmen". Die Verwaltung müsse "den Bürger erst einmal machen lassen". Die Digitalisierung könne mehr "Vereinfachung, Beschleunigung und Wirksamkeit" bringen.
Drogen: Die Welt (Maximilian Heimerzheim) beschreibt die in den Wahlprogrammen der Parteien beschriebene Drogenpolitik. Während die Union und die AfD die Cannabislegalisierung wieder rückgängig machen möchten, setzen Grüne und FDP auf Eigenverantwortlichkeit statt Kriminalisierung.
Waffen / Datenaustausch: Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck fordert eine Verschärfung von Sicherheitsgesetzen. So soll der Zugang zu Waffen für psychologisch instabile Menschen dadurch erschwert werden, dass der Erwerb von Waffen nur unter Vorlage eines psychologischen Attests möglich sein dürfe. Außerdem bedürfe es einer gesetzlichen Grundlage für den Austausch zu Bedrohungslagen zwischen Polizei und Nachrichtendiensten. LTO berichtet.
Justiz
BVerfG – Polizeikosten bei Fußballspielen: Anlässlich der für den heutigen Dienstag terminierten Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage, ob es verfassungswidrig ist, dass das Land Bremen der DFL Kosten für Polizeieinsätze bei Hochrisikospielen der Fußball-Bundesliga in Rechnung stellt, erläutern nun auch spiegel.de (Benjamin Knaack) und beck-aktuell im Frage-Antwort-Format die Hintergründe und mögliche Auswirkungen des Verfahrens. Die DFL verlor 2018 bereits vor dem Oberverwaltungsgericht Bremen und 2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht.
BVerwG zu OB im Aufsichtsrat: Ein Oberbürgermeister, der auch Teil des Aufsichtsrats eines Unternehmens ist, an dem die Stadt mittelbar beteiligt ist, kann sich gegenüber dem Auskunftsbegehren der Fraktionen nicht auf seine gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheit berufen, so das Bundesverwaltungsgericht. Die in § 394 Aktiengesetz statuierte Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht für Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt wurden, hinsichtlich der Berichte, die die gewählten oder entsandten Aufsichtsratsmitglieder der Gebietskörperschaft zu erstatten haben, gelte auch im vorliegenden Fall. beck-aktuell berichtet.
LVerfG HH – Ordnungsrufe für AfD-Politiker: Am vergangenen Freitag fand vor dem Landesverfassungsgericht Hamburg die mündliche Verhandlung zu einem Organstreitverfahren statt, das der AfD-Abgeordneten Krzysztof Walczak wegen zwei Ordnungsrufen eingeleitet hat, die ihm in der Hamburgischen Bürgerschaft erteilt worden waren. Es ging um die Aussage Walczaks, die CDU sei "mit ihrer Migrationspolitik für den Einlass Hunderttausender Antisemiten nach Deutschland verantwortlich". Das LVerfG Hamburg überprüft nur, ob das Parlamentspräsidium um Carola Veit (SPD) und André Trepoll (CDU) mit den Ordnungsrufen die Grenzen ihres Entscheidungsspielraums wahrten. Trepoll hielt die Aussagen Walczaks für eine "niederträchtige Pauschalisierung von Geflüchteten". Walczak wiederum warf Trepoll vor, Kritik an der CDU unterbinden zu wollen, wie die taz-nord (Marie Dürr) die Positionen wiedergibt.
OLG München zu Aitava vs. Artana: Im Markenrechtsstreit zweier Kanzleien um eine Namensähnlichkeit nahm die klagende Aitava ihren Verfügungsantrag gegen die Kanzlei Artana zurück, nachdem das Oberlandesgericht München darauf hinwies, dass es wohl zu keiner anderen Auffassung kommen werde als das erstinstanzliche Landgericht München I. Das LG München I hatte den Antrag Aitavas auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bereits im November 2024 abgewiesen. LTO liegt die Begründung des LG München I vor, wonach eine Verwechslungsgefahr auch deshalb nicht gegeben sei, weil Rechtssuchende gesteigert aufmerksam seien und die Bezeichnungen sich weder klanglich noch schriftbildlich ähnelten.
AG Berlin-Tiergarten zu Klimaprotest: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten sprach zwei Klimaaktivistinnen vom Vorwurf der Sachbeschädigung frei, weil die von ihnen auf das Brandenburger Tor aufgetragene Farbe aufgrund eines Graffiti-Schutzes innerhalb von 30 Sekunden entfernt werden konnte. Die Aktivistinnen wussten um den Schutz und handelten somit ohne Vorsatz der dauerhaften Beschädigung, wie focus.de und bild.de (Anne Losensky) die Begründung des Gerichts wiedergeben.
AG München zu klopfender Nachbarin: Das Amtsgericht München verurteilte eine Frau zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 300 Euro an ihre Nachbarin, weil sie seit August 2022 bis April 2023 in mindestens 500 Fällen an die Decke klopfte. Die Frau habe nicht klopfen dürfen, sondern hätte – unterstellt, dass der von ihr behauptete Nähmaschinen-Lärm der Nachbarin tatsächlich vorlag, was sie jedoch nicht nachweisen konnte – selbst vor Gericht ziehen müssen. spiegel.de und bild.de (Thomas Reichel) berichten.
Strafanzeige gegen Weidel - "Hitler war Kommunist": Der Stuttgarter Stadtrat Luigi Pantisano (Linke) hat die AfD-Vorsitzende Alice Weidel wegen Volksverhetzung angezeigt, weil sie Adolf Hitler als Kommunisten bezeichnete. Nach Analyse der StZ (Christian Gottschalk) sei dies zwar "geschichtsvergessener Blödsinn", aber wohl nicht strafbar.
Armut vor Gericht: Jochen Zenthöfer (FAZ) kritisiert einen Tweet von SZ-Journalist Ronen Steinke zum Strafurteil gegen einen Rentner, der wegen des Diebstahls von Lebensmitteln im Wert von 11,98 Euro zu 50 Tagessätzen verurteilt worden war, was Steinke als "Armutsbestrafung" bezeichnete. Steinke habe in seinem Tweet nicht mitgeteilt, dass der Rentner bereits acht Mal vorbestraft war, insbesondere wegen Diebstahls. Die Strafhöhe habe sich also daraus ergeben, dass es sich bei dem Rentner um einen "Serientäter" gehandelt habe.
Recht in der Welt
Ungarn – Maja T.: Die ungarische Staatsanwaltschaft erhob nun Anklage gegen die 24-jährige non-binäre deutsche Person Maja T. wegen schwerer Körperverletzungen gegen Teilnehmende des rechtsextremen Aufmarschs "Tag der Ehre" in Budapest im Februar 2023. Bei einem Geständnis habe die ungarische Staatsanwaltschaft Maja T. 14 Jahre Haft angeboten, ansonsten drohten ihr bis zu 24 Jahre Haft, wie die taz (Konrad Litschko) schreibt. Der Prozess wird voraussichtlich im Februar starten.
Iran – Nahid Taghavi: Die deutsch-iranische Frauenrechtlerin Nahid Taghavi ist seit Sonntag nach über vierjähriger diplomatischer Geiselhaft im Iran wieder sicher in Deutschland angekommen. Sie war im Oktober 2020 in Teheran inhaftiert und dort physisch und psychisch gefoltert worden. Irans Justiz hatte sie unter anderem wegen der "Leitung einer illegalen Gruppe" zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt. Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal betont, dass die Freilassung der Erfolg von "stiller Diplomatie und lautem Aktivismus" ist. SZ, FAZ (Friederike Böge), LTO, beck-aktuell und zeit.de berichten. In einem Portrait erinnert die taz (Daniela Sepehri) an die Hintergründe des iranischen Schauprozesses gegen Taghavi und zeichnet ihren Aktivismus nach.
Indonesien – göttliche Verfassung: Der Postdoktorand Ignatius Yordan Nugraha beschäftigt sich auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) mit einem am 3. Januar 2025 ergangenen Urteil des indonesischen Verfassungsgerichtshofs, in dem dieser entschied, dass die "Göttliche Verfassung" Indonesiens keinen "Raum für die Freiheit, nicht religiös zu sein", lasse. Für Nugraha ist die Entscheidung Ausdruck einer "konstitutionellen Theokratie". Er warnt, dass möglicherweise zukünftig Gesetze einer "Prüfung der Ablehnung göttlicher Werte" unterzogen werden könnten. Er weist auch darauf hin, dass die Entscheidung gerade keine Islamisierung bezwecke, sondern Ausdruck einer "nationalistischen Vision" sei, die "verschiedene Götter als Erscheinungsformen derselben Realität" begreife.
USA – TikTok: In einem Pro-Contra-Format setzen sich Simon Book und Patrick Beuth (spiegel.de) mit dem möglichen TikTok-Verbot in den USA auseinander. Book befürwortet das mögliche Verbot. Zwar können Verbote in einer Demokratie "immer nur das letzte Mittel sein", allerdings sei es "richtig, TikTok in seiner jetzigen Eigentümerstruktur und Form für durchaus gefährlich zu halten und zu regulieren". Hingegen findet Beuth den "Verweis auf die angebliche Gefahr für die nationale Sicherheit heuchlerisch". In Wahrheit ginge es "um die Vormachtstellung amerikanischer Konzerne im Internet. TikTok ist zu erfolgreich."
USA - Influencerin verklagt Influencerin: Die Influencerin Sydney Gifford hat die Influencerin Alyssa Sheil wegen Urheberrechtsverletzungen verklagt. Sheil habe Giffords minimalistischen Clean-Girl-Look kopiert, teilweise für die gleiche Kleidung geworben, die gleichen Posen benutzt und ihren "Vibe" gestohlen. Die SZ (Christian Lutz) berichtet im Feuilleton und zitiert Expertinnen, die der Klage wenig Erfolgschancen attestieren.
Juristische Ausbildung
Digitale Klausuren: Tobias Freudenberg listet auf beck-aktuell die verschiedensten Pannen der letzten Monate beim E-Examen auf – von mangelhaften Serververbindungen über unzureichende Laptop-Akkus bis zu unerwartet langen Fahrzeiten in eine andere Stadt, weil der ursprüngliche Prüfungsraum aufgrund eines Wasserschadens nicht genutzt werden konnte. "Trotz der technischen Pannen", so resümiert er, "möchte niemand, der das E-Examen absolviert hat, wieder zum analogen Format zurück".
Sonstiges
Rückkehr von Syrer:innen: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) befürwortet Reisen anerkannter syrischer Geflüchteter nach Syrien ohne Verlust des Schutzstatus. Zwar gilt gemäß § 73 Abs. 7 S. 1 Asylgesetz eine gesetzliche Vermutung, dass der Schutzbedarf bei Rückkehr in das Herkunftsland nicht mehr besteht. Hiervon möchte das Bundesinnenministerium jedoch eine Ausnahme machen, damit Syrer:innen sich ein Bild von der Lage vor Ort machen können, und prüft gemeinsam mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge "pragmatische Wege", um gegebenenfalls eine freiwillige Rückkehr zu ermöglichen. LTO berichtet.
Digitalisierung: Richterin Sina Dörr setzt sich auf beck-aktuell mit einer Studie aus Schweden auseinander, wonach die Umsetzung der Digitalisierung in der Praxis an der "vorsätzlichen Ignoranz" von Personen im öffentlichen Dienst scheitert, die "notwendige Erkenntnisse wissentlich ignorieren". Dies könne auch eine Verteidigungsstrategie sein: Wer die "digitale Transformation vernachlässigt, vermeidet gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit sich selbst".
Haftentschädigung Genditzki: Nachdem der Hausmeister Manfred Genditzki in der Wiederaufnahme vom Vorwurf des Mordes an einer Rentnerin freigesprochen wurde, erhielt er insgesamt 820.276 Euro Haftentschädigung für 13,5 Jahre Haft, berichtet die Welt (Christoph Lemmer) Dabei entfallen 368.700 Euro auf die Entschädigung von 75 Euro pro Hafttag und 451.576 Euro auf entgangenen Arbeitslohn. Davon abgezogen wurden 50.442 Euro für Kost und Logis sowie 48.979 Euro für den in der Haft erhaltenen Lohn.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 14. Januar 2025: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56322 (abgerufen am: 09.02.2025 )
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