Die juristische Presseschau vom 31. Dezember 2024: Innen­aus­schuss debat­tierte nach Mag­de­burg-Anschlag / Eini­gung auf Mut­ter­schutz bei Fehl­ge­burten / Haft­be­fehl gegen Yoon Suk-yeol

31.12.2024

Die Innenpolitiker:innen diskutieren rechtspolitische Konsequenzen aus dem Magdeburg-Anschlag. Union, SPD, Grüne und FDP einigten sich auf einen Mutterschutz bei Fehlgeburten. Gegen Südkoreas Präsidenten Yoon wurde ein Haftbefehl beantragt.

Thema des Tages

Sicherheitsgesetze: Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt berieten die Innenpolitiker:innen zunächst im Parlamentarischen Kontrollgremium, dann im Innenausschuss des Bundestags über mögliche Versäumnisse der Sicherheitsbehörden und die Frage, ob und wie die Todesfahrt des Tatverdächtigen hätte verhindert werden können. Einig war man sich nicht. So sprachen sich etwa Vertreter:innen von CDU/CSU und SPD für eine Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen aus, wohingegen Parlamentarier:innen von Grünen und FDP anführten, die Speicherung der IP-Adresse hätte im konkreten Fall keinen Effekt gehabt. Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte zudem eine Ausweisung aller Ausländer:innen, die vorsätzlich zwei Straftaten begangen haben, unabhängig von der Schwere der Taten. Es berichten SZ (Michael Bauchmüller/Daniel Brössler/Lena Kampf), FAZ (Mona Jaeger), taz (Gareth Joswig/Jasmin Kalarickal), Welt (Martin Lutz) und spiegel.de (Maik Baumgärtner/Christoph Schult/Wolf Wiedmann-Schmidt)

LTO (Max Kolter) weist darauf hin, dass die Forderungen zum Ausweisungsrecht gegen Vorgaben des EuGH verstoßen dürften. Ob Gefährderansprachen im Fall von Terrordrohungen etwas nutzen, sei nicht gesichert. Helfen könne ein Unterbringungsgewahrsam, der allerdings nur in Bayern bis zu zwei Monaten möglich ist. In anderen Bundesländern ist er teilweise auf wenige Tage beschränkt.

Lena Kampf (SZ) kommentiert, bei Taleb al-Abdulmohsen sei nicht die mangelnde Information das Problem gewesen, sondern die Analyse dessen, was die Behörden wussten: "Einen Ex-Muslim, der vehement vor der Islamisierung Europas warnt, einen Querulanten, der wahnhafte Züge zeigt, konnten die Behörden in keine Kategorie stecken". Daniel Deckers (FAZ) meint, neben den Vollzugsdefiziten im Hinblick auf das Sicherheitskonzept des Magdeburger Weihnachtsmarktes stehe die Frage im Raum, was sicherheitspolitisch "in der Vergangenheit womöglich versäumt wurde". In dem Zusammenhang kritisiert er, dass sich FDP und Teile der Grünen "bis heute jeder europarechtskonformen Verkehrsdatenspeicherung widersetzen", aber auch die vielen "Ankündigungen, endlich mit Abschiebungen Ernst zu machen". In Bezug auf die Forderungen der Union zum Ausweisungsrecht kommentiert Marcel Leubecher (Welt), die Sicherheitslage könne dadurch besser werden

Rechtspolitik

Mutterschutz bei Fehlgeburt: Union, SPD, Grüne und FDP haben sich darauf geeinigt, den gesetzlichen Mutterschutz auf Frauen auszuweiten, die ab der 13. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erleiden. Damit erhalten betroffene Frauen Ansprüche auf eine Freistellung sowie Mutterschutzgeld. Bislang greift der Mutterschutz nur bei einer Totgeburt, die in der Regel erst nach der 24. Schwangerschaftswoche vorliegt. Das Gesetz soll noch vor der Neuwahl des Bundestags beschlossen werden. Die Ausweitung des Mutterschutzes war schon im Koalitionsvertrag vorgesehen, kam aber nicht zustande, weil in der Koalition zu viele Themen miteinander verknüpft wurden. Jetzt stimmen SPD, Grüne und FDP einem weitergehenden Gesetzentwurf der CDU/CSU zu, der Mutterschutz bereits ab der 13. Woche (statt ab der 15. Woche) vorsieht. Es berichtet spiegel.de (Milena Hassenkamp).

Informationsfreiheit: Vivian Kube, Hannah Vos und Arne Semsrott befassen sich auf LTO in der FragDenStaat-Gastkolumne mit der Frage, was der Bruch der Ampel-Koalition für die Informationsfreiheit bedeutet. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Fortentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes zu einem Bundestransparenzgesetz sei – zumindest in dieser Legislaturperiode – gescheitert. Im Zusammenhang mit der Informationsfreiheit stelle sich auch die Frage, welche Informationen möglicherweise mit den ehemaligen Regierungsmitgliedern verschwinden könnten. So sei das "Verschwinden" von Akten keine Seltenheit. Noch schlechter sehe es für SMS und Chatnachrichten aus. Eine gute Nachricht gebe es aber dennoch: Das Ende der Legislatur sei der perfekte Zeitraum für Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz.

Werbung mit Umweltaussagen: Die Rechtsanwältin Lara Grünberg analysiert auf LTO, wie die EU irreführende umweltbezogene Werbung eindämmen will. So sollen die Anforderungen an Umweltaussagen in Textform oder auf Umweltsiegeln mit der geplanten Green-Claims-Richtlinie weiter verschärft werden. Eine der größten Überraschungen der geplanten Reform sei die Einführung der Ex-ante-Zertifizierung, die gewährleisten soll, dass fragwürdige Aussagen gar nicht erst auf den Markt gelangen bzw. bei fehlender Zertifizierung allein aufgrund dessen untersagt werden können. Über den Entwurf verhandeln Parlament, Rat und Kommission voraussichtlich im Januar 2025.

Neuregelungen 2025: Die FAZ (Katja Gelinsky/Manfred Schäfers) fasst zusammen, welche Neuerungen es im neuen Jahr geben wird und was nicht mehr beschlossen wurde. U.a. sollen Kindergeld und der Grundfreibetrag in der Einkommenssteuer steigen. Asylsuchende sollen weniger Leistungen bekommen. Eine Verlängerung der Mietpreisbremse gelang noch nicht.

Social Media Thü: Thüringens neuer Bildungsminister Christian Tischner (CDU) sprach sich für ein Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige nach dem Vorbild des kürzlich in Australien in Kraft getretenen Gesetzes aus. In Grundschulen soll darüber hinaus laut dem Koalitionsvertrag von CDU, BSW und SPD ein Handyverbot gelten, wie spiegel.de berichtet.

Justiz

VerfGH BaWü – Volksbegehren zum Wahlrecht BaWü: Die baden-württembergische FDP will mit einer Klage beim Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg erreichen, dass ein von ihr initiiertes Volksbegehren gegen das neue Wahlrecht des Landes doch noch zugelassen wird. Die FDP befürchtet, das neue Zwei-Stimmen-Wahlrecht, das bei der Landtagswahl 2026 erstmals angewandt werden soll, führe zu einer "Aufblähung" des Landtags mit 20 Millionen Euro Mehrausgaben. Parallel unterstützt die FDP auch das Volksbegehren eines pensionierten Chemikers, der aber noch Hundertausende Unterschriften sammeln muss. Es berichtet die taz (Benno Stieber).

OLG München – Versklavung jesidischer Mädchen: Die Bundesanwaltschaft hat beim Oberlandesgericht München Anklage gegen ein Ehepaar aus dem Irak erhoben. Dem Ehepaar wird unter anderem Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Die Beschuldigten Twana H. S. und Asia R.A. sollen in den Jahren 2015 und 2017 zwei jesidische Mädchen, fünf und zwölf Jahre alt, auf einem Basar im Irak gekauft und diese sexuell schwer missbraucht und als Sklavinnen gehalten haben. Zudem sei das Ehepaar der Mitgliedschaft in der Terrormiliz "Islamischer Staat" dringend verdächtig, wie zeit.de schreibt.

OLG München  – Spionage für Russland: Weil sie im Auftrag Russlands Militäranlagen und Rüstungsbetriebe ausgespäht und Anschläge auf Bahngleise vorbereitet haben sollen, hat die Bundesanwaltschaft laut spiegel.de (Sven Röbel) vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München Anklage gegen drei Deutschrussen erhoben.

AG München zu Vergewaltigung einer Kollegin: Valérie Catil (taz) kritisiert eine Entscheidung des Amtsgerichts München, wonach ein Feuerwehrmann, der eine Kollegin vergewaltigt hatte, lediglich eine elfmonatige Bewährungsstrafe erhielt mit der Begründung, der Täter sei "noch jung gewesen" und verlöre zudem bei einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr seinen Beamtenstatus, was laut der Richterin "eine sehr große Härte" darstelle. Dass dies "überhaupt ein Faktor im Entscheidungsprozess war", sei "rape culture".

AG Berlin-Tiergarten – Bagatelldelikte: Die Zeit (Arno Makowsky) berichtet in der Reihe "Verbrechen" über Bagatelldelikte, die vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten im 15-Minuten-Takt abgeurteilt werden und die meistens aus einer Not heraus begangen werden. In dem Zusammenhang wirft der Autor die Frage auf, welchen anderen Umgang mit Armutskriminalität es geben könnte.

Commercial Court Frankfurt/M.: Wie LTO schreibt, soll am Oberlandesgericht Frankfurt/M. im Juli 2025 ein Commercial Court seine Arbeit aufnehmen. Die Umsetzung am Standort Frankfurt/M. durch die hessische Landesregierung ist Folge der Verabschiedung des Justizstandort-Stärkungsgesetzes auf Bundesebene, durch das sich das Bundesjustizministerium verspricht, Deutschland als Gerichtsstandort für internationale Streitigkeiten attraktiver zu machen. An Commercial Courts sollen vor allem Rechtsstreitigkeiten von Unternehmen auch auf Englisch geführt werden können.

Kuriose Urteile: beck-aktuell (Pia Lorenz) hat skurille Urteile und Vorgänge in der Justiz zusammengestellt. 

Recht in der Welt

Südkorea – Kriegsrecht: Als Konsequenz aus der kurzzeitigen Verhängung des Kriegsrechts durch den mittlerweile suspendierten Präsidenten Yoon Suk Yeol haben die Ermittlungsbehörden in Südkorea einen Haftbefehl gegen Yoon wegen Machtmissbrauchs und Aufruhrs beantragt, nachdem dieser drei Vorladungen der Behörde für Korruptionsermittlung ignoriert hatte. Yoon ist damit der erste Präsident, dem während seiner Amtszeit eine Festnahme droht. Ein Gericht muss den Antrag nun prüfen, wie die FAZ (Sara Wagener) schreibt.

Frankreich – Vergewaltigungen von Gisèle Pelicot: Laut spiegel.de verzichtete der zu einer 20-jährigen Freiheitsstrafe verurteilte Dominique Pelicot, der seine Ex-Frau Gisèle Pelicot über Jahre betäubte, missbrauchte und anderen Männern im Internet zur Vergewaltigung anbot, auf die Einlegung von Rechtsmitteln. 15 der Mitangeklagten, die wegen der Vergewaltigung von Gisèle Pelicot verurteilt wurden, haben dagegen bereits Rechtsmittel eingelegt.

USA – Trump/E. Jean Carroll: Ein Berufungsgericht in den USA hat das Urteil gegen den früheren und künftigen Präsidenten Donald Trump wegen Verleumdung der Autorin E. Jean Carroll erneut bestätigt, so spiegel.de. Das Urteil geht auf einen Vorfall aus dem Jahr 1996 zurück: Carroll gab an, damals von Trump vergewaltigt worden zu sein. Wegen zweier Aussagen, in denen dieser die Autorin deshalb verspottete, wurde Trump zu Geldstrafen in Millionenhöhe verurteilt.

USA – Präsidentschaft Trump: Die Zeit (Anna Sauerbrey) fragt sich, wie sich die USA unter einer erneuten Präsidentschaft Donald Trumps entwickeln wird. Dabei geht sie auch ausführlich auf die Strafverfahren gegen Trump, das infolge des Immunitätsurteils immunisierte Präsidentenamt und Trumps Macht über die Strafverfolgungsbehörden ein. Zusammenfassend befürchtet sie, dass am Ende von der konstitutionellen Demokratie der Vereinigten Staaten nicht mehr viel übrigbleiben werde.

USA – Tötung eines Häftlings: Nach dem Tod eines schwarzen Häftlings im Bundesstaat New York veröffentlichte die Generalstaatsanwältin des Bundesstaates, Letitia James, mehrere Bodycam-Aufnahmen, die zeigen, wie der Mann über rund zwanzig Minuten gewürgt und ins Gesicht, auf den Oberkörper und in die Leistengegend geschlagen wird, während seine Hände hinter dem Rücken gefesselt sind. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass mehreren Beamten, die an der vorangegangenen Misshandlung beteiligt waren, bereits zuvor Angriffe vorgeworfen worden waren. Die Bundespolizei FBI ermittelt. Es berichtet die FAZ (Sofia Dreisbach).

USA – Massenabschiebungen: Bereits im Wahlkampf hatte Donald Trump angekündigt, Massenabschiebungen durchführen zu wollen. Für diese Aufgabe ernannte er Tom Homan, der während der Trump-Administration für die – vielfach kritisierte – Trennung von Eltern und Kindern in Migrationszentren verantwortlich war. Für die Durchführung der nun geplanten Massenabschiebungen ist die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern in Lateinamerika erforderlich; und diese stellen sich teilweise quer. Die Welt (Tobias Käufer) berichtet.

Sonstiges

Gewaltschutz in Sorgerechtsverfahren: Nun berichtet auch die SZ (Ronen Steinke) über die Studie "Macht und Kontrolle in familienrechtlichen Verfahren" des Soziologen Wolfgang Hammer, der behauptet, dass Jugendämter und Familiengerichte im Streit um das Sorgerecht systematisch unfair gegenüber Frauen urteilen, die Gefahren für das Kind durch ihre Ex-Partner aufzeigen. Die Ergebnisse basieren allerdings nur auf einer kleinen Auswahl an Fällen, über die Medien berichtet hatten. Andreas Frank, Vorsitzender des Deutschen Familiengerichtstags, hält die Studie auch inhaltlich für falsch. Dass die Angaben von Frauen überprüft werden, stelle keine Vorverurteilung der Frauen als Lügnerinnen dar.

Terroristin Magdalena Kopp: Die SZ (Annette Ramelsberger) veröffentlicht in der Reihe "Akteneinsicht" eine bereits im Jahr 2004 erschienene Reportage, die die Terroristin Magdalena Kopp und ihre Komplizen sowie das gegen Kopps Ehemann Johannes Weinrich geführte Strafverfahren vor dem Landgericht Berlin vorstellt. Kopp lernte Weinrich mit 24 Jahren kennen. Sie ließ ihre Tochter zurück und ging mit ihm in den Untergrund. Gemeinsam verübten sie Anschläge und lebten in einer Dreiecksbeziehung mit dem venezolanischen Terroristen Illich Ramirez Sanches alias "Carlos". In einem ergänzenden Update-Artikel weist die SZ (Annette Ramelsberger) darauf hin, dass Kopp 2015 gestorben ist, Weinrich und Sanchez immer noch Haftstrafen verbüßen. 

Das Letzte zum Schluss

Wer zu früh böllert …: Der Einsatz von Feuerwerkskörpern ist erst ab dem 31. Dezember erlaubt. Da sich vier Jugendliche nicht an diese Vorschrift hielten, erstattete die Polizei Anzeige wegen einer Ordnungswidrigkeit. Doch auch das Leben bestrafte die jungen Männer. Diese setzten in ihrem Böllerwahn aus Versehen ihr eigenes Auto in Brand und bemerkten das Feuer erst, als es sich nicht mehr löschen ließ, weshalb sie schließlich die Polizei riefen. bild.de berichtet.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Am Donnerstag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/sf/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 31. Dezember 2024: . In: Legal Tribune Online, 31.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56239 (abgerufen am: 14.01.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen