Die juristische Presseschau vom 28. bis 30. Dezember 2024: USA gegen den IStGH? / Neu­wahl am 23. Februar / VStGB-Ver­fahren sch­re­cken Assad-Schergen ab

30.12.2024

Die US-Republikaner planen Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshofhof. Bundespräsident Steinmeier hat den Neuwahltermin jetzt offiziell verkündet. Folterer des Assad-Regimes werden wohl eher nicht nach Deutschland flüchten.

Thema des Tages

USA - IStGH: Ein geplantes US-Gesetz droht allen Personen mit Sanktionen, die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen die USA und seine Verbündeten unterstützen. Der von den Republikanern lancierte “Illegitimate Court Counteraction Act” wurde im US-Repräsentantenhaus bereits am 4. Juni angenommen, zwei Wochen nachdem der IStGH-Chefermittler Haftbefehle u.a. gegen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beantragt hatte. Dem Gesetz fehlt noch die Zustimmung des US-Senats, die aber mit den neuen Mehrheiten ab Januar absehbar ist. Als mögliche Maßnahmen werden Einreiseverbote, die Beschlagnahme privater Vermögenswerte und Kontosperren genannt. Über die Sanktionen entscheidet ggf. der US-Präsident. Teilnehmer des jährlichen Treffens der 124 IStGH-Mitgliedstaaten, das Anfang Dezember stattfand, fragten sich: “Kann der Gerichtshof die nächsten vier Jahre überleben?” Die Sa-SZ (Ronen Steinke) berichtet.

Rechtspolitik

Neuwahl: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat, wie bereits zuvor angekündigt, am 27. Dezember den Bundestag aufgelöst und mit dem 23. Februar 2025 einen Termin für Neuwahlen festgelegt. LTO u.a. berichten. 

Zu Recht habe Steinmeier in seiner Ansprache darauf verwiesen, dass die demokratischen Institutionen auch in Zeiten des Übergangs funktionieren, kommentiert Daniel Brössler (Sa-SZ). Es sei nicht nur dem Grundgesetz geschuldet, dass die in Deutschland tief verwurzelte Sorge vor Instabilität unbegründet ist, sondern der Existenz eines Zentrums demokratischer Parteien, das bislang zusammenstehe. Der Beschluss des scheidenden Bundestages, die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegen die Feinde der Demokratie zu schützen, habe das gezeigt.

Vorratsdatenspeicherung: Nach dem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt und erneuten Forderungen aus der CDU/CSU nach einer anlasslosen Speicherung von IP-Adressen, meint Thomas Jansen in der Sa-FAZ: "Die Verkehrsdatenspeicherung ist überfällig". Die Bundesregierung dürfe nicht warten, bis der nächste Weihnachtsmarkt zur Todesfalle werde, die Verkehrsdatenspeicherung müsse erlaubt werden.

Digitalordnung: In der Mo-FAZ beschreibt Rechtsprofessor Rolf Schwartmann, was aus seiner Sicht die Digitalpolitik 2025 leisten muss und was sie aus bisherigen Fehlern lernen sollte. Wichtig sei Koordination und Augenmaß bei der Anwendung der einschlägigen Regelungen. Vielleicht wäre, so Schwartmann, das kürzlich ins Gespräch gebrachte Datengesetzbuch ein Anlass, die diversen Rechtsakte in Deutschland zu konsolidieren und zu systematisieren. Außerdem verweist er auf mögliche Gefährdungen der Demokratie durch die Digitalisierung, denen begegnet werden müsse. 

Verkehrsplanung: Ein geschlechtergerechteres Verkehrsplanungsrecht fordern im Verfassungsblog Tessa Hillermann und Lea Simmel vom Deutschen Juristinnenbund. Zahlreiche Studien belegten, dass die aktuelle Aufteilung des öffentlichen Raums zu Lasten von Klima- und Umweltgerechtigkeit gehe sowie Geschlechter-Ungleichheiten schaffe und verschärfe. Die Stadtplanung orientiere sich immer noch stark an überholten Vorstellungen von Funktionstrennung zwischen Erwerbs- und Care-Arbeit, kritisieren die Autorinnen.

Justiz

Syrische Verbrechen vor Gericht: Die Menschenrechtsorganisation Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) geht davon aus, dass die deutschen Strafverfahren gegen syrische Folterer dazu führen, dass Anhänger des Assad-Regimes eher nach Russland, Iran und Libanon als nach Deutschland flüchten werden. Der Spiegel (Katrin Elger) schildert die entsprechenden Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch. 

Die Mo-taz (Christian Rath) erläutert, dass das Milizenbündnis Hai'at Tahrir asch-Scham (HTS, Komitee zur Befreiung der Levante), das die Assad-Diktatur überwand und jetzt selbst die Macht übernommen hat, in Deutschland noch als terroristische Vereinigung gilt. Der aktuelle Justizminister Volker Wissing (parteilos) hat die Verfolgungsermächtigung gem. § 129b StGB noch nicht zurückgenommen. So müsste etwa der HTS-Anführer Abu Mohammad al-Jolani, wenn er nach Deutschland käme, sofort festgenommen werden. Aus dem Bundesministerium der Justiz heißt es derzeit dazu, man überprüfe erteilte Verfolgungsermächtigungen "fortlaufend".

BSG 2024: LTO (Tanja Podolski) stellt sieben wichtige BSG-Entscheidungen aus dem Jahr 2024 vor. So hat das Kasseler Gericht u.a. festgestellt, dass Männer nicht diskriminiert werden, wenn Erziehungszeiten für Kinder in der gesetzlichen Rentenversicherung im Zweifel bei der Mutter anerkannt werden. Ein Sozialhilfeträger darf erst dann Auskunft über das Vermögen eines gegenüber seinen Eltern unterhaltspflichtigen erwachsenen Angehörigen verlangen, wenn feststeht, dass die 100 000 Euro-Einkommensgrenze überschritten wird. Ein betriebsinternes Fußballspiel ist kein Betriebssport, keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung und auch keine Werbeveranstaltung, so dass eine Verletzung nicht als Arbeitsunfall gilt. Außerdem brachte das vergangene Jahr einen Wechsel an der Spitze des BSG: Christine Fuchsloch hat die Präsidentschaft von Rainer Schlegel übernommen.

KZ-Beschäftigte vor Gericht: Nachdem das Oberlandesgericht Frankfurt/M. Anfang Dezember entschieden hat, dass das Landgericht Hanau erneut die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen einen früheren Wachmann des KZ Sachsenhausen prüfen muss, fasst die Sa-taz (Klaus Hillenbrand) die Prozesse gegen KZ-Beschäftigte der letzten Jahre zusammen: So erhielt eine frühere Sekretärin des KZ Stutthof eine Jugendstrafe von zwei Jahren zur Bewährung und bereits 2011 wurde Iwan Demjanjuk zu fünf Jahren Haft verurteilt. Eine bedeutende Rolle hat dabei der heute 81-jährige Rechtsanwalt Thomas Walter gespielt, der beispielsweise im Prozess gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning als Nebenklagevertreter auftrat. Für seine Arbeit hat Walter das Bundesverdienstkreuz erhalten. 

Recht in der Welt

Israel – Krieg in Gaza: Die Soziologin Eva Illouz argumentiert im Feuilleton der Mo-SZ, warum aus ihrer Sicht der Vorwurf des Genozids und des Aushungerns gegen Israel "historisch falsch, unehrlich und antisemitisch ist". Sie verweist auf andere historische Beispiele – Ruanda, Darfur u.a. – und meint dazu: "Manche Kriege und Massaker werden als ‘Genozid’ bezeichnet, während in anderen, offensichtlicheren Fällen eine erstaunliche Scheu davor herrscht, dieses Wort zu benutzen." Kritik übt die Autorin auch an der vom IStGH-Chefankläger Karim Khans erhobenen Anklage gegen Netanjahu und Gallant. Netanjahu sei ein "extrem unehrenhafter Mensch und ein grauenvoller Staatschef, aber es sollte uns stutzig machen, dass hier zum ersten Mal ein demokratisch gewählter Regierungschef und ein Verteidigungsminister angeklagt werden, die einen Krieg führen, um ihre Bevölkerung zu schützen", so Illouz. 

Italien – Asylverfahren in Albanien: Der Kassationsgerichtshof in Rom entschied, dass sich italienische Gerichte zwar in begründeten Einzelfällen über die von der Regierung vorgenommene Einstufung eines Staates als "sicheres Herkunftsland" hinwegsetzen könnten, wenn diese offenkundig nationalem und europäischem Recht widerspreche, dabei dürfe aber ein Richter ein ministerielles Dekret nicht vollständig annullieren und damit "keinen Außenminister ersetzen". Mehrere Gerichte hatten die Durchführung von Schnellverfahren in Albanien für Flüchtlinge aus Ägypten und Bangladesch beanstandet, weil dort nicht das gesamte Territorium für alle Teile der Bevölkerung verfolgungsfrei sei. Die Mo-FAZ (Thomas Jansen) berichtet. 

Sonstiges

Gewinner und Verlierer 2024: beck-aktuell (Denise Dahmen) stellt die Schweizer Klimaseniorinnen wegen des von ihnen erreichten EGMR-Urteils als Gewinner:innen des Jahres vor. Auf dem Podium wurde auch Ex-Staatsanwältin Anne Brorhilker gesehen, die zur NGO Finanzwende wechselte. Verlierer des Jahres sei der Weimarer “Maskenrichter” Christian Dettmar, dessen Verurteilung wegen Rechtsbeugung der BGH bestätigte. In der engeren Wahl zum Verlierer des Jahres waren auch die Justizprüfungsämter, insbesondere aufgrund ihrer Prüfungspannen. 

Verfassungsjubiläen: Im zu Ende gehenden 75. Jubiläumsjahr des Grundgesetzes lässt Rechtsprofessor Christian Waldhoff in der Mo-FAZ frühere Jahrestage Revue passieren und stellt dabei die Frage, wie das Konzept einer Verfassungsdidaktik aussehen könnte. Bürgerfeste reichten jedenfalls nicht, konstatiert Waldhoff. Auf staatsrechtlicher Seite bestehe hier weitgehend eine Leerstelle, die sich erst in jüngerer Zeit zu schließen beginne, so der Autor. Didaktiker:innen verstehen üblicherweise wenig von Verfassungen, und Verfassungsrechtler:innen interessieren sich jenseits des Hörsaals wenig für Didaktik. Es sei unbestritten, dass das Grundgesetz mehr sei als ein Rechtstext. Seine "außernormativen Funktionen" müssten die Basis für jede Verfassungsdidaktik sein, denn die Vermittlung einer Verfassung könne sich nicht darin erschöpfen, den Text als solchen bekannt zu machen.

Asyl: Mehr als 15.000 Menschen, die aus Deutschland nach den Dublin-Regeln in ein anderes EU-Land überstellt wurden, sind mittlerweile wieder nach Deutschland zurückgekehrt, jede/r Dritte von ihnen ist ausreisepflichtig. Das geht laut LTO aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Gruppe Die Linke hervor. 

Anwaltsmarkt: Die WamS (Cornelius Weln) beleuchtet den deutschen Markt der Wirtschaftskanzleien, der stark von anglo-amerikanischen Einflüssen geprägt ist. Vor allem US-Kanzleien wollten ihre Präsenz unbeirrt von der aktuellen Wirtschaftsflaute ausbauen und lockten Personal mit astronomisch anmutenden Spitzengehältern. In der Konsequenz wachse der Abstand zu den Gehältern im Staatsdienst und auch Unternehmen könnten Stellen wegen der sich immer schneller drehenden Gehaltsspirale oft nur noch schwer besetzen.

Regierungsrätin: LTO-Karriere (Vanessa M. Rolke) hat sich mit der Volljuristin Ann-Kathrin Langanke, die bei der hessischen Steuerverwaltung tätig ist, über ihren Arbeitsalltag und ihre Tätigkeit als "Amtfluencerin" auf LinkedIn unterhalten. 

 

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LTO/pf/chr

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. bis 30. Dezember 2024: . In: Legal Tribune Online, 30.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56231 (abgerufen am: 14.01.2025 )

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