Die juristische Presseschau vom 26. November 2024: Revi­sion von Hanno Berger abge­lehnt / Haft­strafe für Reichs­bürger / Straf­ver­fahren gegen Trump ein­ge­s­tellt

26.11.2024

Der BGH bestätigte erneut ein Strafurteil gegen den Cum-Ex-Berater. Das OLG Frankfurt verurteilte ein Mitglied der Vereinten Patrioten. US-Sonderermittler Jack Smith stellte die Verfahren wegen Wahlmanipulation und geheimen Dokumenten ein.

Thema des Tages

BGH zu Cum-Ex/Hanno Berger: Der Bundesgerichtshof verwarf auch die zweite Revision des Cum-Ex-Beraters Hanno Berger gegen ein Strafurteil wegen schwerer Steuerhinterziehung. Nachdem der BGH bereits im Oktober letzten Jahres ein Urteil des Landgerichts Bonn bestätigte, das Berger zu acht Jahren Haft verurteilt hatte, wurde jetzt auch das Urteil des Landgerichts Wiesbaden, das eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verhängte, rechtskräftig. Das LG Wiesbaden wird nun durch Beschluss eine nachträgliche Gesamtstrafe bilden. FAZ (Marcus Jung), LTO und tagesschau.de (Philip Raillon) berichten.

Rechtspolitik

Gewalt gegen Frauen: Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) wirbt dafür, noch in dieser Legislaturperiode das Gewalthilfegesetz zu verabschieden. Diesen Mittwoch soll der Entwurf im Kabinett beschlossen werden. Der Gesetzentwurf sieht einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung von betroffenen Frauen und eine Beteiligung des Bundes an den Kosten für Frauenhäuser vor. zeit.de und bild.de (Tania Winterstein) berichten. 

Laut FAZ (Timo Steppat) beschloss die hessische Landesregierung aus CDU und SPD ein Paket für Frauensicherheit. Es sieht unter anderem mehr Unterstützung für Frauenhäuser vor sowie eine Bundesratsinitiative zur Einführung von elektronischen Fußfesseln für Männer, die ihre Partnerinnen schlugen.

Johanna Dürrholz (FAZ) appelliert, dass "wir alle dazu beitragen können, Frauen vor Gewalt zu bewahren", indem wir hinschauen und potenziell Betroffene ansprechen. Simone Schmollack (taz) findet, dass aus der Kodifizierung des Femizids als eigenem, Straftatbestand – wie bereits in Italien, Spanien und Belgien geschehen – eine "klare politische Botschaft" folgen würde.

Demokratieförderung: Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) drängt insbesondere die SPD und die Grünen, das seit langem geplante Demokratiefördergesetz noch in dieser Legislaturperiode zur Abstimmung zu stellen. Gegenüber der taz (Dinah Riese) mahnt die Geschäftsführerin des VBRG, dass es "mit Blick auf die Intensität rechtsextremer Angriffe auf die Demokratie" die "Aufgabe aller demokratischen Parteien" ist, Demokratieprojekte langfristig zu fördern und nicht nur für kurze Förderperioden.

Jumiko – Schutz von Senior:innen: LTO (Hasso Suliak) stellt eine Beschlussvorlage der Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) für die Justizministerkonferenz vor, die am Donnerstag beginnt. Badenberg will eine Studie zur Viktimisierungsanfälligkeit ältere Menschen initiieren. Sie sollen stärker vor Trickbetrüger:innen sowie vor Gewaltdelikten in der Pflege geschützt werden, Badenberg möchte "derartige Taten wissenschaftlich auswerten, um dann gezielt Strafvorschriften anpassen zu können". 

Verteidigungskosten: Auf LTO plädieren Samuel Strauß und Patrick Scheerer, Habilitand und Rechtsreferendar, dafür, dass die Staatskasse die Kosten der Strafverteidigung nicht nur im Fall eines gerichtlichen Freispruchs tragen soll, sondern auch bei staatsanwaltschaftlicher Einstellung des Ermittlungsverfahrens. Sie begründen dies unter anderem damit, dass "die Konfrontation mit einem staatlichen Ermittlungsverfahren nicht zum allgemeinen Lebensrisiko gehört, sondern dem Betroffenen ein Sonderopfer abverlangt".

Justiz

OLG Frankfurt/M. zu Umsturzpläne/Vereinte Patrioten: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. verurteilte den 62-jährigen Wilhelm P., der mit einer Reichsbürger-Gruppe den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entführen und die Macht in Deutschland ergreifen wollte, wegen der Beteiligung an der Vorbereitung von Hochverrat und wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren. Zugunsten des Angeklagten berücksichtigte das OLG Frankfurt/M., dass er geständig war, Reue zeigte, in dem Plan eher eine passive Aufgabe  – die Lagerung von Waffen – übernahm, die Aktion wenig erfolgversprechend war, und dass P. bislang nicht vorbestraft war. Es berichten SZ, FAZ (Elena Zompi), spiegel.de, LTO, beck-aktuell, endstation-rechts.de (Joachim Tornau) und bild.de (Claudia Detsch) .

BGH zu Schwere der Schuld: Nun stellt auch LTO (Luisa Berger) ausführlich die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vor, wonach die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld in einem Mord-Urteil keines vorherigen gerichtlichen Hinweises in der Verhandlung bedurfte. Der BGH stellte klar, dass die Feststellung nicht Teil der Strafzumessung ist, sondern der Vorbereitung einer Entscheidung über die mögliche Aussetzung der weiteren Vollstreckung dient, und daher weder vom Wortlaut noch systematisch von der Hinweispflicht des § 265 StPO umfasst ist.

BGH zu Wiedereinsetzung/Zahnschmerzen: Einem Anwalt, der aufgrund starker Zahnschmerzen zum Arzt muss und daher den Gerichtstermin verpasst, ist es zuzumuten, dass er beim Landgericht anruft und Bescheid gibt, dass er den Termin nicht wahrnehmen kann. Dem Vortrag des Anwalts, er sei von den Schmerztabletten so benebelt gewesen, dass er den Termin verdrängt hatte, folgte der Bundesgerichtshof nicht und gewährte keine Wiedereinsetzung. Da der Anwalt noch in der Lage war, ein Taxi für die Fahrt zur Arztpraxis zu rufen, hätte er auch das Gericht anrufen können. beck-aktuell berichtet.

KG Berlin – Hamas-Mitglieder: Die Bundesanwaltschaft hat vor dem Kammergericht Berlin Anklage gegen vier mutmaßliche Hamas-Mitglieder erhoben, denen die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Sie sollen unter anderem von der Hamas angelegte Erddepots mit Waffen für mögliche Anschläge gesucht haben. Als mögliche Anschlagsziele wählten sie die israelische Botschaft in Berlin oder die US-Air Base in Ramstein aus. FAZ (Marlene Grunert), spiegel.de und zeit.de berichten.

VG Berlin zu Polizeieinsatz bei Demonstration: Das Verwaltungsgericht Berlin stellte vergangenen Donnerstag fest, dass ein Polizeieinsatz gegen Demonstrierende teilweise rechtswidrig war, die ursprünglich gegen die AfD protestierten und später den SPD-Politiker Tom Schreiber beleidigten, der als Hospitant der Polizei vor Ort war. Die Polizei habe, da keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorlag, weder Videoaufzeichnungen der Kundgebung fertigen noch das Versammlungsgelände betreten dürfen. Dort schubste und schlug die Polizei unbeteiligte Versammlungsteilnehmende, wie die taz (Peter Nowak) schreibt.

LG Erfurt – Vergewaltigung mittels K.O.-Tropfen: Nun berichtet auch die SZ (Marcel Laskus) über einen Strafprozess vor dem Landgericht Erfurt, in dem der Angeklagte sich wegen Vergewaltigung von mindestens 17 Frauen verantworten muss. Der Täter gestand, dass er die Frauen – unter ihnen auch Minderjährige – jeweils mit K.O.-Tropfen, die er aus Felgenreiniger herstellte, handlungsunfähig machte. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plane zwar ein Verbot von zwei Sorten von K.O.-Tropfen, es gebe allerdings rund 200 derartige Substanzen. 

AG Stuttgart – Varta-Insolvenz: Die Gläubiger:innen des Batterieherstellers Varta stimmten Ende Oktober einem nun vorgestellten Restrukturierungsplan für eine Sanierung außerhalb des Insolvenzverfahrens zu. Noch dieses Jahr soll ein entsprechender gerichtlicher Planbestätigungsbeschluss ergehen, der die Umsetzung ermöglicht. Laut Unternehmenschef Michael Ostermann kann das Verfahren schon im Januar 2025 abgeschlossen sein, wie LTO (Stefan Schmidbauer) schreibt.

Strafanzeigen von Habeck: Dem Tsp (Jost Müller-Neuhof) liegen Zahlen der Berliner Staatsanwaltschaft zu Strafverfahren vor, die nach Strafanzeigen des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) eingeleitet wurden. Im Jahr 2024 liefen in dem Zusammenhang 586 Verfahren bei der Staatsanwaltschaft, von denen etwa zwei Drittel gegen Unbekannt geführt wurden. Bei den Verfahren gegen Beschuldigte, deren Identität bekannt ist, endeten vier mit einem Strafbefehl und 25 mit einer Einstellung.

Recht in der Welt

USA – Trump/Dokumente und Wahlmanipulation: Der US-Sonderermittler Jack Smith wird zwei Strafverfahren gegen den nun wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump nicht fortführen, weil das Justizministerium nicht gegen amtierende Präsidenten vorgeht. Im Strafverfahren wegen der Dokumentenaffäre zog Smith seinen Berufungsantrag gegen die Verfahrenseinstellung zurück. Kurz zuvor beantragte Smith die Einstellung des Strafverfahrens wegen des versuchten Wahlbetrugs. Die US-Staatsanwaltschaft betonte, dass sich "die Position der Regierung zur Begründetheit der Strafverfolgung des Angeklagten nicht geändert hat, aber die Umstände sich geändert haben". Es berichten SZ, faz.net (Sofia Dreisbach), zeit.de und bild.de.

IStGH – Krieg in Gaza/Haftbefehle: Die Rechtsprofessor:innen Aziz Epik und Julia Geneuss analysieren auf LTO die vom Internationalen Strafgerichtshof erlassenen Haftbefehle gegen den Hamas-Militärchef Mohammed Deif sowie gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen israelischen Verteidigungsminister Joav Gallant. Schon "mit Blick auf das äußerst brutale und grausame Vorgehen der Hamas am und nach dem 7. Oktober 2023 ist es nicht überraschend", dass der Haftbefehl gegen Deif antragsgemäß erlassen wurde. Netanjahu und Gallant wird unter anderem das Kriegsverbrechen des vorsätzlichen Aushungerns von Zivilpersonen vorgeworfen und das Menschlichkeitsverbrechen der unmenschlichen Behandlung, weil sie medizinische Güter vorenthielten, sodass unter anderem Amputationen ohne Narkose durchgeführt werden mussten. Epik und Geneuss erinnern weiterhin daran, dass der IStGH bereits in einer früheren Entscheidung klarstellte, dass weder die personelle noch die funktionale Immunität von Staatsoberhäuptern vor dem IStGH Geltung entfaltet. Sie appellieren: "Ist man von der Idee des Völkerrechts überzeugt, dann gilt es, sich auch in komplexen und politisch und diplomatisch herausfordernden Situationen widerspruchsfrei dazu zu bekennen".

Frankreich - Gisèle Pelicot: Im Strafverfahren um die jahrelangen Vergewaltigungen von Gisèle Pelicot forderte die französische Staatsanwaltschaft nun mit 20 Jahren Haft die Höchststrafe für den Hauptangeklagten Dominique Pelicot. Die Staatsanwältin bezweifelt die Aufrichtigkeit des Schuldeingeständnisses des Hauptangeklagten und stellte klar, dass "20 Jahre einerseits viel sind", und andererseits "zu wenig angesichts der begangenen und wiederholt begangenen schweren Verbrechen". Es berichten taz (Rudolf Balmer), spiegel.de, zeit.de, focus.de und bild.de.

Georgien – Wahl: Trotz anhängigem Verfahren beim georgischen Verfassungsgericht wegen der mutmaßlichen Verletzung des Wahlgeheimnisses und der Stimmgleichheit versammelte sich das georgische Parlament unter Protesten der Opposition erstmals. Georgische Wahlbeobachtungsorganisationen hatten systematische Fälle von Einschüchterung von Wähler:innen und von Mehrfachabstimmungen zugunsten der Regierungspartei dokumentiert. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass das Verfassungsgericht die Wahl annullieren wird, weil die Mehrheit der Richter:innen Gefolgsleute der Regierungspartei sind, wie die FAZ (Friedrich Schmidt) prognostiziert.

Großbritannien – russische Spionage: Vor einem Gericht in London beginnt am heutigen Dienstag ein Verfahren gegen eine Gruppe von Bulgar:innen, die unter Anleitung des flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstandsmitglieds Jan Marsalek für Russland spioniert haben sollen. Das Hbl (René Bender u.a.) berichtet ausführlich.

Sonstiges

Einstufung der AfD/Neutralitätsgebot: Rechtsprofessor Till Patrik Holterhus und Doktorand Janosch Wiesenthal argumentieren auf dem Verfassungsblog, es sei Pflicht des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), "noch vor der Bundestagswahl über die verfassungsschutzrechtliche Neubewertung (der AfD) zu informieren". Das Neutralitätsgebot sei für das BfV schon gar nicht anwendbar, weil die Tätigkeit des BfV gerade kein "partei-)politisches Regierungshandeln ist, sondern eine tatsachenbasierte behördliche Aufgabenwahrnehmung". Sie plädieren abschließend, dass die "Information der Bürgerinnen und Bürger über die (mögliche) Verfassungsfeindlichkeit einer Partei keine Beeinträchtigung des demokratischen Wettbewerbs ist, sondern die Gewährleistung seiner Voraussetzungen".

Die SZ (Ronen Steinke) stellt fest, dass Bundestagsabgeordnete wie Saskia Esken (SPD) und Serap Güler (CDU) den AfD-Verbotsantrag eher unterstützen würden, wenn das BfV die AfD als "gesichert rechtsextrem" einstufen würde. Erinnert wird aber auch daran, dass das Verwaltungsgericht Köln vor der letzten Bundestagswahl Gerichtsentscheidungen zur Einstufungen der AfD "aus Respekt vor der Bundestagswahl" auf die Zeit nach dem Wahlgang verschob.  

Datenschutz: Im Gespräch mit der FAZ (Corinna Budras) äußert die Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider Sorge um die "datenschutzrechtliche Lethargie", wodurch die "eigentliche Rolle des Datenschutzes verkannt werde". Sie warnt angesichts des kürzlich verabschiedeten sogenannten Sicherheitspakets vor einem Gefühl der potentiellen Überwachbarkeit, das zu "angepasstem Verhalten führt, und das ist für eine Demokratie nicht gut".

Europäische Aktiengesellschaft: Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Societas Europaea (SE) stellt die Rechtsanwältin Barbara Mayer im Hbl diese Rechtsform vor, die viel Flexibilität ermögliche. In einer SE haben Arbeitnehmer:innen, verglichen mit der deutschen AG oder der GmbH, wenig Einflussmöglichkeiten. Außerdem sind Vorstand und Aufsichtsrat im Verwaltungsrat der SE gebündelt, was den Unternehmen mehr Gestaltungsfreiheit gibt.

Das Letzte zum Schluss

Cannabis im Supermarkt: Ausgerechnet in Supermärkten in Bayern – dem Land, das die bundesweite Cannabis-Teillegalisierung "extremst restriktiv" umsetzen möchte – wurden laut SZ Cannabispflanzen zum Verkauf angeboten. In Kaufbeuren stellte die Polizei 39 Pflanzen im Lager eines Supermarktes sicher, ein weiterer Supermarkt in Füssen bot die Cannabispflanzen in der Garten- und Pflanzenabteilung zum Verkauf an.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/lh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. November 2024: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55951 (abgerufen am: 05.12.2024 )

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