Klage wegen Facebook-Datenleck wird erstes BGH-Leitentscheidungsverfahren. Der Generalbundesanwalt klagt Dieter S. an, der für die "Volksrepublik Donezk" kämpfte. Die EU-Kommission eröffnete ein DSA-Verfahren gegen den Online-Händler Temu.
Thema des Tages
BGH - Facebook-Datenleck/Leitentscheidung: Der Bundesgerichtshof hat ein Verfahren um das Facebook-Datenleck zum ersten Leitentscheidungsverfahren gem. § 552b Zivilprozessordnung (ZPO) bestimmt. Die Norm ist erst am 31. Oktober in Kraft getreten und wurde vom BGH sogleich genutzt. Nach § 552b ZPO kann der BGH ein Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren erklären, wenn dieses Rechtsfragen aufwirft, deren Entscheidung für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist. Ziel ist es, eine Überlastung der Justiz durch massenhafte Einzelklagen wie im Dieselskandal zu vermeiden. Der BGH kann ein Leitentscheidungsverfahren auch dann noch entscheiden, wenn die Parteien vorher die Revision zurücknehmen oder sich das konkrete Revisionsverfahren auf andere Weise erledigt. Im konkreten Verfahren verlangt ein Facebook-Nutzer vom Mutter-Konzern Meta Schadensersatz wegen Verletzung der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Im April 2021 hatten Cyberkriminelle ein Sicherheitsleck bei Facebook genutzt und die Daten von weltweit über 500 Millionen Facebook-Nutzerinnen im Internet zugänglich gemacht. Der BGH hat nun zu klären, ob schon der bloße Verlust über die Kontrolle der gescrapten Daten einen immateriellen Schaden begründen kann und wie ggf. der Schaden zu bemessen wäre und ob schon die bloße Möglichkeit, dass ein Schaden künftig eintreten könnte, ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO begründet. In erster Instanz war dem Nutzer ein Ersatz von 250 Euro zugesprochen worden, in zweiter Instanz war seine Klage abgewiesen worden. Es berichten FAZ (Marcus Jung), spiegel.de (Dietmar Hipp/Torsten Kleinz), LTO und beck-aktuell.
Rechtspolitik
StPO: Nun berichtet auch LTO über den Referentenentwurf zur "moderneren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens", den das Bundesjustizministerium in die Ressortabstimmung der Bundesregierung gegeben hat. Der Entwurf sieht unter anderem die Ausweitung der Pflichtverteidigung auf erste polizeiliche Vernehmungen und die Zulassung von englischsprachigen Urkunden ohne Übersetzung als Beweismittel vor.
Justiz
GBA – Verbrechen in der Ukraine/Dieter S.: Die Bundesanwaltschaft hat Anklage gegen den 40-jährigen Dieter S. erhoben, der für die bewaffnete Einheit des prorussischen Separatistenstaates "Volksrepublik Donezk" gekämpft haben soll. Ihm wird wegen Kampfhandlungen in diesem Zusammenhang die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen. In einem weiteren Verfahren wird gegen Dieter S. und seinen mutmaßlichen Komplizen Alexander J. wegen des Verdachts der Spionage und geplanter Sabotageaktionen in Deutschland ermittelt, schreibt spiegel.de.
BVerwG zu Entschädigung bei überlangem Verfahren: Nun berichtet auch LTO über ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu einer überlangen Verfahrensdauer. Dauert ein durchschnittlich schwieriges Disziplinarbeschwerdeverfahren jahrelang, kann dafür eine pauschale Entschädigung verlangt werden, auch wenn diese höher ist als die verhängte Disziplinarbuße.
VG Berlin zu Akteneinsicht wg. Schmerzgriffen: Das Verwaltungsgericht Berlin hat eine Klage gegen die Berliner Polizei auf Herausgabe von Schulungsmaterial zu den umstrittenen und teils rechtswidrigen Schmerzgriffen abgelehnt. Wie die taz (Caspar Shaller) berichtet, hatte eine Mitarbeiterin des Transparenzportals FragDenStaat geklagt, weil ihr die Unterlagen auf eine Anfrage nach dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz nicht zur Verfügung gestellt worden waren. Diese seien Verschlusssachen und als solche vom Recht auf Akteneinsicht gem. § 9 und 11 des Berliner IFG ausgeschlossen.
AG Hanau zu Vater von Hanau-Attentäter: Das Amtsgericht Hanau hat Hans Gerd R., den Vater des rechtsextremen Hanau-Attentäters, zu einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen, insgesamt 21.600 Euro, verurteilt. Damit blieb das Gericht unter den Forderungen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage, wie die taz (Yağmur Ekim Çay) berichtet. Der vorbestrafte Hans Gerd R. war wegen der Beleidigung von Opferangehörigen, Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz, Hausfriedensbruch in einer Kita, Störung des öffentlichen Friedens und Beleidigung von SEK-Polizisten angeklagt. Trotz Kontakt- und Näherungsverbot hatte er das Haus der Mutter des getöteten Ferhat Unvar wiederholt aufgesucht und ihr Briefe geschrieben.
StA Augsburg – JVA Gablingen: Nach den Berichten über Misshandlungen von Häftlingen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Augsburg-Gablingen hat das bayerische Justizministerium nun bestätigt, davon schon seit rund einem Jahr gewusst zu haben. Justizminister Georg Eisenreich (CSU) selbst war nach eigenen Angaben aber nicht informiert. Das Justizministerium ist als Rechts- und Fachaufsicht über die Justizvollzugsanstalten und damit im Rahmen der Dienstaufsicht für die Prüfung der Vorwürfe zuständig. Die Anwälte der stellvertretenden Anstaltsleiterin fordern aufgrund der Versäumnisse der Behörde den Entzug dieser Befugnis. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit gegen zehn verdächtige Justizvollzugsbedienstete, darunter auch die stellvertretende Anstaltsleiterin, die die Vorwürfe gegen sie zurückweist. taz (Dominik Baur), spiegel.de und LTO berichten.
In einem Gastbeitrag bei beck-aktuell erklärt Lorenz Bode, Staatsanwalt, dass solche vermeintlichen Einzelfälle vor allem Teil struktureller Probleme in deutschen Haftanstalten seien. So werde von der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter vor allem die menschenunwürdige Unterbringung in sog. besonders gesicherten Hafträumen (BgH) immer wieder als menschenunwürdig und schamverletzend kritisiert. Gefängnisse seien weitgehend abgeschlossene und von der Außenwelt ungehörte und ungesehene Orte, die für Gewaltdynamiken geradezu prädestiniert seien. Bode fordert deshalb mehr Transparenz, um solche (menschen-)rechtswidrigen Zustände zu verhindern.
LG Kleve – Attacke auf wohnungslose Personen: Am Donnerstag hat vor dem Landgericht Kleve der Prozess gegen drei Jugendliche im Alter von 16, 17 und 18 Jahren begonnen. Zwei von ihnen wird gemeinschaftlicher Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Die Jugendlichen sollen zwei wohnungslose Männer mit Pfefferspray besprüht und derart gegen die Köpfe geschlagen und getreten haben, dass einer von ihnen später verstarb. Der dritte Jugendliche soll den Übergriff gefilmt haben. Er ist deshalb wegen Hilfeleistung zu den Taten angeklagt. Es berichtet die FAZ (Reiner Burger), auch über weitere tödlichen Attacken durch Jugendliche auf wohnungslose Personen in jüngster Zeit.
VG Aachen zu erotischer Nebentätigkeit: Rechtsprofessor Arnd Diringer erinnert im Expertenforum Arbeitsrecht an eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen aus dem Jahr 2015. Das VG hat den Widerruf einer Nebentätigkeitsgenehmigung für rechtmäßig erachtet und damit die Klage einer Justizvollzugsbeamtin abgewiesen. Diese betrieb als Nebentätigkeit eine Erotik-Chat-Plattform und verdiente damit mehr als in ihrem Hauptberuf. Aus Sicht des Gerichts wurden dadurch dienstliche Interessen beeinträchtigt, wobei das Gericht durchaus auch eine moralische Wertung in seine Entscheidung einfließen ließ, wie der Autor ausführt.
ArbG Berlin zu Kündigung wegen bedrohlichem Meme: Die Kündigung eines Mitarbeiters der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wegen eines als bedrohlich wahrgenommenen Facebook-Beitrags ist wirksam. Das entschied das Berliner Arbeitsgericht in einem nun veröffentlichten Urteil von Anfang Oktober. Wie spiegel.de und tagesschau.de schreiben, hat das Gericht die konkrete Bedrohung von Gewerkschaftsmitgliedern durch das Meme bejaht und diese auch als "erhebliche Störung des Betriebsfriedens" gewertet. Auf der Fotomontage war zu sehen, wie eine Pistole auf den Kopf einer als Verdi-Mitglied markierten Person gerichtet wird.
StA Erfurt – Rechtsbeugung am VerfGH Thü: Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat mangels Anfangsverdachts der Rechtsbeugung kein Ermittlungsverfahren gegen zwei Richter des Thüringer Verfassungsgerichtshofs eingeleitet. Die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag hatte nach der schwierigen konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags Strafanzeige gegen Jörg Geibert und Klaus-Dieter von der Weide wegen des Verdachts der Rechtsbeugung erstattet. Denn dem Verfassungsgerichtshof, der im Verfassungsstreit um die erste Sitzung des Landtags Recht sprach, gehört auch Jörg Geibert an – Vater des CDU-Landtagsabgeordneten Lennard Geibert, womit der Vater über die Belange des Sohnes entschieden habe. Von der Weiden habe dies gewusst, aber nicht verhindert. LTO (Tanja Podolski) berichtet ausführlich.
Recht in der Welt
USA – Geld für Petition: Rechtsanwalt Theodor Shulman untersucht auf beck-aktuell, ob die Lotterie von Elon Musks Polical Action Comitee, bei der täglich eine Million Dollar unter registrierten Wähler:innen verlost wird, die seine Petition für Meinungsfreiheit unterschreiben, gegen das Verbot verstößt, Wähler:innen für die Registrierung zu bezahlen. Er kommt zum Schluss: "Am Ende dürfte es im Auge des Betrachters liegen, ob wir es hier mit einem genialen Schachzug oder einer bewussten Grenzübertretung zu tun haben." Die Höchstbuße betrage aber ohnehin nur 10.000 Dollar.
Sonstiges
DSA/Temu: Die Europäische Kommission hat ein formales Verfahren gemäß der neuen EU-Verordnung über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) gegen den chinesischen Online-Marktplatz Temu eingeleitet. Sie will damit sowohl prüfen, ob die Plattform ausreichend gegen den Verkauf illegaler Produkte vorgeht, als auch die potenziell süchtig machende Gestaltung des Dienstes untersuchen. Temu ist in Deutschland einer der größten Onlinehändler. Nach dem DSA sind große Online-Plattformen verpflichtet, strikt gegen illegale Inhalte im Netz vorzugehen. Die EU-Kommission eröffnete bereits ähnliche Verfahren gegen X, Tiktok und AliExpress. Hbl (Olga Scheer), FAZ und LTO berichten.
BfV-Hintergrundgespräche: Laut Tsp (Jost Müller-Neuhof) erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) – nach einem erfolgreichen Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Köln –, es schließe nicht aus, in vertraulichen Hintergrundgesprächen mit Medienvertreter:innen auch Erkenntnisse über das Potsdamer "Geheimtreffen" von Rechtsextremisten und AfD-Politikern weitergegeben zu haben. Diese Gespräche führt der Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang häufig auch persönlich. Die AfD kritisierte dieses Vorgehen als "verdeckte Einflussnahme auf die öffentliche Meinung".
Referendarin Victoria Fricke: LTO (Stefan Schmidbauer) setzt die Reihe "Most Wanted" mit Fragen an die Rechtsreferendarin Victoria Fricke fort, die er als "Rising Star in der Rechtsbranche" bezeichnet. Bereits im zweiten Semester stand sie im Finale des Soldan Moot Courts, im Studium arbeitete sie für Großkanzleien, in ihrem LL.M.-Jahr in Montreal beriet sie die kanadische Regierung. Sie engagiert sich bei eLegal und legally female.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/ali/chr
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Die juristische Presseschau vom 1. November 2024: . In: Legal Tribune Online, 01.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55767 (abgerufen am: 02.12.2024 )
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