Die StA Augsburg ermittelt wegen Körperverletzung im Amt gegen JVA-Bedienstete. Auch gut integrierte Geflüchtete müssen vier Jahre auf den Nachzug der Ehepartnerin warten. Grönländerinnen erheben Schadensersatzklage wegen Zwangsverhütung.
Thema des Tages
StA Augsburg – JVA Gablingen: Die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt wegen des Vorwurfs der Körperverletzung im Amt gegen Mitarbeitende der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen, darunter auch die stellvertretende Anstaltsleiterin. Insassen sollen teilweise über Wochen in sogenannten besonders gesicherten Hafträumen (bgH), die nur über eine Matratze und eine Toilette in Form eines Lochs im Boden verfügen, teils auch nackt, ohne Licht und ohne Waschmöglichkeit eingesperrt worden sein. Eine ehemalige Anstaltsärztin sowie die Anwältin eines Insassen hatten wegen der Zustände Anzeige erstattet. Am Donnerstag hatte die Polizei in der JVA Unterlagen beschlagnahmt. Das bayerische Justizministerium hat zudem Disziplinarverfahren eingeleitet und den Beschuldigten das Betreten der JVA verboten. Die Unterbringung der Insassen in einem bgH ist zwar möglich, aber nur als ultima ratio und muss nach drei Tagen dem Ministerium gemeldet werden. Es berichten SZ (Florian Fuchs), FAZ (Timo Frasch), spiegel.de und zeit.de.
Rechtspolitik
Elektronische Aktenübermittlung: Das Bundesjustizministerium hat einen Verordnungsentwurf veröffentlicht, mit dem bundeseinheitliche technische Standards für die elektronische Aktenübermittlung festgelegt werden sollen, um den Aktenaustausch zwischen Behörden und Gerichten und über Ländergrenzen hinweg zu vereinfachen. Den PDF-Akten soll künftig ein strukturierter maschinenlesbarer Datensatz beigefügt werden, wie LTO schreibt. Länder und Verbände haben bis zum 6. Dezember Zeit für eine Stellungnahme.
Digitale Beweismittel: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat außerdem den Vorschlag für ein E-Evidence-Gesetz vorgelegt, mit dem Deutschland die EU-Richtlinie zur grenzüberschreitenden Sicherung und Herausgabe elektronischer Beweismittel durch Diensteanbieter umsetzen würde. Die EU-Richtlinie ermöglicht den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten einen direkten Zugriff auf Daten, die etwa bei Telekommunikationsanbietern, Messengerdiensten, Plattformbetreibern oder Betreibern von Gaming-Plattformen in anderen Staaten der Europäischen Union anfallen. Buschmann sieht dabei hohe Hürden vor, weil er die Richtlinie möglichst grundrechtsschonend umsetzen will. beck-aktuell berichtet.
Cannabis-Amnestie: LTO (Hasso Suliak) stellt dar, wieviele Verfahren in jedem Bundesland im Zuge der Cannabis-Amnestie mit welchem Personalaufwand und welchem Ergebnis überprüft wurden. Dabei kritisieren die Landesjustizverwaltungen den Aufwand der Amnestie. Zudem fordern sie, bestimmte Ermittlungsmaßnahmen bei Verdacht des Handeltreibens mit nicht geringen Mengen von Cannabis wieder zu ermöglichen. Letzteres könnte bei der am 28. November 2024 stattfindenden Justizministerkonferenz diskutiert werden.
Justiz
BVerwG zu Nachfluchtehen: Das Bundesverwaltungsgericht versagte einer Klägerin den Anspruch auf Visumserteilung zwecks Familiennachzug zu ihrem mittlerweile in Deutschland lebenden Ehemann, weil die Ehe erst nach der gemeinsamen Flucht aus Syrien in den Libanon geschlossen wurde und kein Ausnahmefall vorliegt, der eine Verkürzung der gesetzlich vorgesehenen Frist von vier Jahren nach Eheschließung begründet. Ausnahmen sind nur unter besonderen Umständen möglich, etwa wenn es die Gesundheit einer Ehepartner:in gebietet. Die Tatsache, dass der in Deutschland lebende Ehemann gute Sprachkenntnisse hat, zwei Jobs nachgeht, eine eigene Wohnung hat und seinen Lebensunterhalt selbstständig bestreiten kann, ist nach Ansicht des BVerwG ein migrationstypischer Sachverhalt, der keine Abweichung von der Regelfrist ermöglicht. LTO berichtet.
BVerwG zu Weingutsabfüllung: Winzer:innen, die zur Mostgewinnung im Rahmen der Weinherstellung eine fremde Kelteranlage anmieten, müssen durchgängig die Leitung, Überwachung und Verantwortung für die Herstellung des Weins übernehmen, damit sie den Wein als Produkt des eigenen Weinguts bezeichnen dürfen. Damit entschied das Bundesverwaltungsgericht einen jahrelangen Rechtsstreit, der auch dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt worden war, zulasten einer Winzerin, die diese strengen Voraussetzungen nicht erfüllte, so LTO.
BGH zu vorsorglicher Flugannullierung: In einem für Fluggesellschaften günstigen Urteil entschied der Bundesgerichtshof, dass Airlines Flüge auch dann vorsorglich annullieren dürfen, wenn das Extremwetter zwar abgeklungen ist, aber durch die Annullierung Verspätungen und Ausfälle am nächsten Tag vermieden werden. Voraussetzung dafür ist, dass es einen unmittelbar ursächlichen Zusammenhang zwischen den außergewöhnlichen Umständen – im zugrundeliegenden Fall ein Schneegestöber – und der Annullierung des späteren Fluges gibt. In diesen Fällen steht den Fluggesellschaften ein Beurteilungsspielraum zu, der einen Ausgleichszahlungsanspruch der Fluggäst:innen grundsätzlich ausschließt. LTO berichtet.
OLG Frankfurt/M. zu Aufwendungsersatz einer Maklerin: Die AGB-Klausel einer Maklerin, mit der sie sich einen Aufwendungsersatz für den Fall sichern wollte, dass eine potenzielle Immobilienverkäufer:in doch nicht mehr verkaufen möchte, ist nichtig, wenn der Aufwendungsersatz über den Ersatz von konkretem Aufwand hinausgeht. Andernfalls könnte sich die Maklerin "im Gewand des Aufwendungsersatzes in Wahrheit eine erfolgsunabhängige Provision" sichern, was laut Oberlandesgericht Frankfurt/M. dem gesetzlichen Leitbild widerspreche. beck-aktuell berichtet.
LG Regensburg zu Mord durch Krankenpflegerin: Wegen Mordes an einer 65-jährigen Patientin und Mordversuchs an drei weiteren Patient:innen verurteilte das Landgericht Regensburg eine Krankenpflegerin zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. In dem Indizienprozess sah es das Gericht als erwiesen an, dass die Pflegerin die Patient:innen bewusstlos machte, um sie auszurauben. SZ, spiegel.de und bild.de berichten.
LG Fulda zu Kindesmissbrauch durch Pfarrer: Das Landgericht Fulda sprach einen ehemaligen Pfarrer wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern, ohne dass es zu Körperkontakt kam, in allen 68 Anklagepunkten schuldig und verurteilte ihn zu vier Jahren Haft. Der 43-Jährige hatte Kindern über Videochatplattformen "hartes kinderpornografisches" Material vorgespielt, die Kinder selbst zu sexuellen Handlungen aufgefordert und das Videomaterial abgespeichert. Die Verteidigung kündigte bereits an, in Revision zu gehen. Es berichten FAZ, spiegel.de, beck-aktuell, zeit.de und bild.de.
LG Erfurt zu Dieselskandal/Rechte der Natur: Nun bespricht auch der Rechtswissenschaftler Andreas Gutmann auf dem Verfassungsblog die Mitte Oktober ergangenen erneute Entscheidung des Landgerichts Erfurt, die Rechte der Natur (RdN) anerkannte und ihnen eine "schutzverstärkende Wirkung" "im Rahmen menschlicher Ansprüche" zusprach. Gutmann erläutert, dass die Anerkennung von RdN kein obiter dictum darstellt, weil "sie in die Bestimmung der konkreten Schadensersatzhöhe einfließen", um so die "manipulierenden Unternehmen zu sanktionieren". Er begrüßt das rechtliche Transplantat der RdN als "Rechtsirritation", die "durchaus fruchtbar" sein könne.
AG Berlin-Tiergarten – Linksunten-Archiv/Detlef Georgia Schulze: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat nach Informationen von nd-aktuell (Peter Nowak) einen Strafbefehl gegen die Berliner Publizistin Detlef Georgia Schulze erlassen, weil sie Anfang 2020 das Archiv der 2017 infolge eines Verbots abgeschalteten linksextremistischen Online-Plattform linksunten.indymedia spiegelte. Schulze zufolge ist die im Strafbefehl genannte Internetadresse falsch. Sie legte auch deshalb Einspruch gegen den Strafbefehl ein, sodass es nun zu einer mündlichen Verhandlung kommt.
Recht in der Welt
Dänemark – Zwangsverhütung: Eine Gruppe von 143 Frauen aus Grönland, denen während ihrer Kindheit zwangsweise eine Spirale eingesetzt wurde und die teilweise infolge dessen unfruchtbar wurden, fordert nun vom dänischen Staat Schadensersatz in Höhe von umgerechnet 40.000 Euro pro Person. Bis in die 1980er Jahre hinein setzten dänische Ärzt:innen den grönländischen Mädchen, die teilweise erst zwölf Jahre alt waren, Spiralen ein, weil die dänische Regierung ein zu schnelles Bevölkerungswachstum der Grönländer:innen befürchtete. Die SZ (Alex Rühle) portraitiert die Kläger:innen und schildert ihren Kampf um Gerechtigkeit.
Großbritannien – KI-Missbrauchsfotos: Ein Gericht bei Manchester verurteilte einen 27-Jährigen zu einer 18-jährigen Haftstrafe, weil er aus echten Kinderfotos auf Anfrage KI-generierte Missbrauchsszenen schuf und zum Verkauf anbot. Das Gericht stufte die Bildnisse als Fotografien ein, sodass ein höherer Strafrahmen einschlägig war. Außerdem soll er Auftraggeber zu sexuellem Mißbrauch aufgefordert haben. spiegel.de berichtet.
IGH/Israel – Krieg in Gaza: Im Verfahren um den Völkermordvorwurf gegen Israel hat Südafrika nun dem Internationalen Gerichtshof einen 5.000 Seiten umfassenden Schriftsatz vorgelegt. Mit dem Dokument wolle Südafrika die genozidale Absicht Israels beweisen, so zeit.de.
EU – Rechtsstaatlichkeit: Die Rechtswissenschaftlerinnen Joelle Grogan und Barbara Grabowska-Moroz tragen auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) ihre Untersuchungen zur Rechtsstaatlichkeit der EU, die im EU-eigenen jährlich veröffentlichten Rechtsstaatsreport nicht behandelt wird, vor. Sie fordern, dass die "EU sich mit ihrer eigenen Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit" befassen muss, um möglichen Vorwürfen von Doppelstandards vorzubeugen und die Integrität der Rechtsstaatlichkeit zu stärken.
Israel – UNRWA: Die israelische Knesset billigte zwei Gesetzesvorhaben, die die Arbeit des Palästinenser-Hilfswerks UNRWA ab 2025 in Israel verbieten. Da Israel die Grenzen zu den besetzten Gebieten kontrolliert, wird UNRWA auch dort voraussichtlich keine Hilfe mehr leisten können, so spiegel.de und zeit.de. Die taz (Felix Wellisch) stellt zudem weitere Gesetzesvorschläge vor – etwa dass die Palästinensische Autonomiebehörde keine Petitionen an den Obersten Gerichtshof mehr stellen darf.
Sonstiges
Waffenexporte nach Israel: Im Interview mit der taz (Baha Kirlidokme) spricht Andreas Schüller (ECCHR) über Klagen gegen Waffenexporte nach Israel, weil das "Risiko besteht, dass diese Waffen völkerrechtswidrig eingesetzt werden". Zusicherungen Israels sieht Schüller insbesondere vor dem Hintergrund der Berichte von UN-Ermittlungskommissionen und der vom IStGH-Chefankläger beantragten Haftbefehle als "Nebelkerze". Schüller betont, dass "das Selbstverteidigungsrecht Israels nicht unbegrenzt gilt" und weist darauf hin, dass Israel bislang "wenig konkrete Beweise" dafür liefert, dass angegriffene Schulen und Krankenhäuser tatsächlich - wie behauptet - militärisch genutzt würden.
Sicherheit in Europa: Zum Start des Verfassungsblog-Symposiums "Das geopolitische Erwachsenwerden Europas: Anpassung von Recht und Governance an harte internationale Realitäten" führen die Rechtswissenschaftlerinnen Kerttuli Lingenfelter, Carolyn Moser und Sofia Vandenbosch auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) in die Thematik ein. Mit der russischen Invasion in die Ukraine wandelte sich das Sicherheitsgefühl und -gefüge Europas – diese Veränderung möchten die Wissenschaftlerinnen mit dem Symposium sichtbar machen. Konkret werden die Themen Verantwortlichkeit im Krieg, gerichtliche Kontrolle und der Einfluss der Medien behandelt.
Anwält:innen und KI: Die Rechtsanwält:innen Volker Römermann und Iris-Synthia Lolou beschreiben auf beck-aktuell, wie Anwält:innen Künstliche Intelligenz ohne Verletzung berufsrechtlicher Vorschriften nutzen können. Aufgrund der "enormen Effizienz-, Geschwindigkeits- und nicht zuletzt Qualitätsgewinne" von KI-Systemen wäre es "sorgfaltswidrig", KI nicht zu nutzen. Allerdings sollte KI als "unterstützendes Werkzeug betrachtet werden", das die Verantwortung von Anwält:innen nicht ersetzt.
VDStRL/Ulrich Vosgerau: Nun berichtet auch beck-aktuell (Maximilian Amos), dass die Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer auf ihrer Mitgliederversammlung am 9. Oktober beschlossen hat, sich von dem AfD-nahen Privatdozenten Ulrich Vosgerau, der Mitglied der Vereinigung ist, zu distanzieren. Selbst die Initiator:innen des Antrags wollen darüber aber nicht öffentlich sprechen.
Das Letzte zum Schluss
Drogen über Kaufland-Aushang: Ein etwas ungewöhnlicher Angebotsaushang am Schwarzen Brett eines Kaufland-Supermarkts überführte einen Drogendealer: Er bot dort mithilfe einer detaillierten Preisliste verschiedene Drogen zum Verkauf an, unter anderem Kokain, LSD, Ketamin und Speed. Die Vermieterin seines Kellerabteils bezahlte er ebenfalls in Drogen – sie bekam für das Mietobjekt 30 Gramm Amphetamin. bild.de berichtet über den heranwachsenden Drogendealer, der sich selbst das Alias "DaWirtshausfranz" gab.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 29. Oktober 2024: . In: Legal Tribune Online, 29.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55731 (abgerufen am: 08.12.2024 )
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