Die juristische Presseschau vom 17. Oktober 2024: Quick-Freeze soll kommen / SPD uneins über Sicher­heits­paket / Brief aus Israel zu Waf­fen­lie­fe­rungen

17.10.2024

Das Quick-Freeze-Verfahren soll als Ersatz für die Vorratsdatenspeicherung eingeführt werden. Drohte Kanzler Scholz seiner Fraktion beim Sicherheitspaket mit der Vertrauensfrage? Israel sichert Deutschland Einhaltung des Völkerrechts zu.

Thema des Tages

Quick Freeze: Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung gegeben, mit dem das Quick-Freeze-Verfahren in § 100g der Strafprozessordnung eingeführt werden soll. Danach müssen Provider künftig auf richterliche "Sicherungsanordnung" alle noch gespeicherten Kommunikationsdaten einfrieren, die "für die Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsorts eines Beschuldigten von Bedeutung sein können". Voraussetzung ist ein Verdacht auf bestimmte schwere Straftaten, etwa Raub, Bandendiebstahl oder sexueller Kindesmissbrauch. Nach der ersten Anordnung, in der die konkrete Person noch nicht bezeichnet werden muss, sollen die Strafverfolgungsbehörden einen bis maximal drei Monate Zeit haben, um mit einem weiteren Richterbeschluss die eingefrorenen Daten von den Providern zur Auswertung zu erhalten. Mit dem Entwurf setzt sich Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) durch, die sich für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen einsetzte. Wie bereits im April vereinbart, legt im Gegenzug nun Justizminister Buschmann einen Gesetzentwurf zur Verlängerung der Mietpreisbremse vor. SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert/Julia Löhr) und LTO (Markus Sehl) berichten.

Mietpreisbremse: Die Mietpreisbremse, die derzeit nur bis Ende 2025 gilt, soll nach einem Referentenentwurf, der in die Ressortabstimmung gegeben wurde, bis Ende 2028 verlängert werden. Nach dem Entwurf sollen die Ländern künftig genauere Begründungen liefern müssen, wenn sie die Mietpreisbremse wiederholt zur Anwendung bringen. zeit.de berichtet.

Rechtspolitik

Sicherheitspaket: In der SPD-Bundestagsfraktion und in der SPD-Parteibasis besteht weiterhin Kritik am Sicherheitspaket, das diese Woche im Bundestag verabschiedet werden soll. Bei einer Fraktionssitzung am Dienstagabend drohte Bundeskanzler Olaf Scholz, dass die Gesetze eine eigene Mehrheit der Ampel-Fraktionen benötige, "sonst muss ich von meinen Möglichkeiten Gebrauch machen". Dies wurde von einem Teil der Fraktionsmitglieder als Androhung der Vertrauensfrage verstanden. Die Koalitionsmehrheit scheint jedoch zustandezukommen. taz (Baha Kirlidokme), Welt (Hannah Bethke/Claus Christian Malzahn) und netzpolitik.org (Constanze Kurz) berichten.

Alan Posener (zeit.de) gibt den Kritikern des Sicherheitspakets Recht: Man erhöhe nicht die Sicherheit der Bürgerinnen, wenn man die Asylgesetze verschärfe. Allerdings müsse die Regierung nun ihre Handlungsfähigkeit beweisen, um der Delegitimierung des Staates entgegenzuwirken. Daher sollte das Sicherheitspaket beschlossen werden. Jasper von Altenbockum (FAZ) kommt dagegen zu dem Schluss, dass "die Koalition der Mut verlassen hat, den sie nach dem Attentat von Solingen gefasst hatte". Der "kleine migrationspolitische Teil des Sicherheitspakets" sei aufgeweicht worden "mit dem Argument, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun" habe.

Asyl/Zurückweisungen an der Grenze: Die FAZ (Jonas Wagner) schlüsselt anhand der Statistiken zu Asylanträgen auf, in welchen Fällen eine Zurückweisung an der Grenze "funktionieren" würde. Etwa ein Viertel der Anträge stamme von in Deutschland geborenen Kindern sowie mit Visum oder visafrei eingereisten Asylbewerbern, die an einer Grenze folglich nicht zurückgewiesen werden könnten.

Asyl/GEAS: Jan Lutz (Hbl) warnt anlässlich des EU-Gipfels zur Migration am heutigen Donnerstag, Europa sei dabei, die Menschenrechte auszulagern. Abkommen mit Drittstaaten, die derzeit wieder im Gespräch sind, hätten "de facto" wenig gebracht, gingen aber mit Menschenrechtsverletzungen einher. Ulrich Ladurner (Zeit) stellt im Leitartikel angesichts der nationalen Alleingänge im Asylrecht fest, das Recht erscheine "dieser Tage biegsam, um nicht zu sagen: wirkungslos". Eine härtere Asylpolitik müsse europäisch sein, "sonst riskiert Europa die Renationalisierung".

StGB: LTO (Hasso Suliak) gibt einen ausführlichen Überblick über den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums, wonach bestimmte Straftatbestände aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden sollen. Anwaltsverbände haben inzwischen Kritik daran geäußert, dass Schwarzfahren nicht vollständig entkriminalisiert, sondern als Ordnungswidrigkeit weiterhin geahndet werden soll.

Beschäftigtendatenschutz: Ein Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will den Einsatz von KI und die Auswertung von Daten im Arbeitsalltag begrenzen. Danach soll etwa die Überwachung von Beschäftigten nur kurzzeitig, stichprobenhaft oder wegen eines Anlasses zulässig sein. Ortungsdaten dürften nicht zur Leistungskontrolle verwendet werden. Die SZ (Roland Preuß) berichtet.

Verbraucherstreitbeilegung: Die Streitbeilegung zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor der Universalschlichtungsstelle (USS) des Bundes soll Unternehmen künftig kein Geld kosten, wenn vollständig in ihrem Sinne entschieden wird. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der einen entsprechenden Referentenentwurf zur Stellungnahme versandt hat, will auf diese Weise die Bereitschaft von Unternehmen erhöhen, an der Verbraucherstreitbeilegung teilzunehmen. Dies berichten FAZ (Katja Gelinsky) und beck-aktuell.

Justiz

EuGH zu Asyl für afghanische Frauen: Wie die FAZ (Stephan Klenner) meldet, widerspricht der neue Vizepräsident des Europäischen Gerichtshofs, Thomas von Danwitz, der Rechtsauffassung, dass die EU-Mitgliedstaaten künftig alle afghanischen Staatsbürgerinnen aufnehmen müssten. Auch nach dem Anfang Oktober ergangenen Urteil zur Verfolgteneigenschaft von Afghaninnen verlange das Flüchtlingsrecht eine individuelle Einzelfallprüfung.

EuG zu Marke Schloss Neuschwanstein: Die Unionsmarke "Neuschwanstein", die der deutsche Bundesverband "Souvenir Geschenke Ehrenpreise" 2019 beim Amt der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) eintragen ließ, wurde vom Europäischen Gericht für rechtmäßig befunden. Der Freistaat Bayern, der gegen die Marke geklagt hatte, konnte nicht nachweisen, dass er an der Geschäftsbezeichnung "Neuschwanstein" ältere Rechte hat. Es berichten SZ (Florian Fuchs), spiegel.de, beck-aktuell und LTO.

BAG – Gleichstellungsbeauftragte: Das Bundesarbeitsgericht muss entscheiden, ob ein intergeschlechtlicher Mensch, der sich in einem schleswig-holsteinischen Kreis erfolglos auf die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten beworben hatte, diskriminiert wurde. Als Indiz für eine Diskriminierung führt der Kläger an, dass der Kreis die Stellenausschreibung ausschließlich an Frauen adressiert hatte. Das BAG könnte die Frage dem EuGH vorlegen. LTO (Tanja Podolski) berichtet.

OLG Köln zu Wagenknecht und Putins Krieg: Sarah Wagenknecht (BSW) muss es hinnehmen, öffentlich als Person bezeichnet zu werden, die den Krieg Putins gegen die Ukraine akzeptiert. Das Oberlandesgericht Köln wies ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ab. Eine entsprechende Meinungsäußerung des CDU-Politikers Frank Sarfeld gegenüber der britischen Zeitung "The Times" basiere auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage, entschied das Gericht. LTO berichtet.

OLG Hamburg zu Schöffen-Enthebung: Wie die taz (Andreas Speit) berichtet, hat das Hanseatische OLG einen Schöffen seines Amtes enthoben, weil er in Texten "tiefste Abneigung gegen gläubige Muslime und bestimmte afrikanische Gruppen" geäußert habe. Im rechtsextremen Milieu werde seit einiger Zeit vermehrt dazu aufgerufen, sich als Schöffe zu engagieren.

LG Berlin I - § 353d StGB/Arne Semsrott: Zu Beginn der Verhandlung gegen den FragDenStaat-Gründer Arne Semsrott vor dem Landgericht Berlin I bestätigte dieser, strafrechtliche Gerichtsdokumente vor der Urteilsverkündung im Wortlaut veröffentlicht zu haben. Auch habe er die Norm § 353d des Strafgesetzbuches gekannt. Die vom Richter angebotene Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld lehnte er ab. Sein Verteidiger beantragte stattdessen, das Verfahren auszusetzen und die Strafnorm dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Das LG will jedoch eine gesetzlich nicht vorgesehene Abwägung mit der Pressefreiheit vornehmen und wird Semsrott am Freitag voraussichtlich verurteilen. Es berichten SZ (Sebastian Erb), FAZ, spiegel.de (Wiebke Ramm) und LTO (Max Kolter).

ArbG – Kündigung Tesla-Betriebsrat: Die SZ (Alexander Hagelüken) berichtet über die Klage eines Tesla-Betriebsrates und IG-Metall-Mitglieds vor einem nicht näher benannten Gericht gegen seine Kündigung. Tesla wertet eine Äußerung von ihm während einer Betriebsratssitzung als Androhung "körperlicher Gewalt". Die Gewerkschaft sieht in der Kündigung dagegen einen weiteren Einschüchterungsversuch gegen Betriebsratsmitglieder.

StA München I – Alfons Schuhbeck: Die Staatsanwaltschaft München I hat gegen den Fernsehkoch Alfons Schuhbeck, der seit 2023 unter anderem wegen Steuerhinterziehung in Haft sitzt, erneut Anklage vor dem LG München I erhoben. Dem 75-Jährigen wird unter anderem Insolvenzverschleppung, vollendeter und versuchter Betrug sowie das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in insgesamt über 400 Fällen vorgeworfen. FAZ (Henning Peitsmeier), spiegel.de, zeit.de und LTO berichten.

Sozial- und Arbeitsgerichte SH: Die schleswig-holsteinische Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) hält an ihrem Plan fest, die vier Sozialgerichte und fünf Arbeitsgerichte des Landes zu schließen und in einem Fachzentrum zu konzentrieren. Sie begründete dies mit einer geschätzten Einsparsumme von 63 Millionen Euro bis 2040. Ein Bündnis, das sich im September nach Bekanntgabe der Reformpläne gegründet hatte, will heute am Rande der Landtagssitzung gegen diese Pläne demonstrieren. LTO und beck-aktuell berichten.

Recht in der Welt

Schweden – Koranverbrennungen: Im schwedischen Malmö steht der Rechtsextremist Rasmus Paludan, der 2022 mehrfach Koran-Ausgaben öffentlich verbrannte, wegen Hetze gegen eine Bevölkerungsgruppe vor Gericht. Zudem wird ihm Beleidigung in einem Fall vorgeworfen. Die Verteidigung argumentierte, dass die Verbrennungen im Rahmen genehmigter Auftritte stattfanden und von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Die Urteilsverkündung folgt am 5. November. Die taz (Anne Diekhoff) berichtet.

Frankreich – Marine Le Pen: Nun berichtet auch die Zeit (Matthias Krupa) über die erste Vernehmung Marine Le Pens im Prozess um die Veruntreuung von Geldern des Europäischen Parlaments. Die Chefin des Rassemblement National argumentierte, dass die Parlamentsarbeit nicht von Parteiarbeit zu trennen sei und daher auch keine Veruntreuung stattfand. Der Prozess soll bis Ende November dauern.

USA – Social Media: Eine US-Bundesrichterin in Kalifornien wies mehrere Anträge ab, verschiedene Klagen gegen Social-Media-Konzerne abzuweisen. Unter anderem ging es um die Klage von mehreren US-Bundesstaaten gegen Meta wegen der potentiellen Suchtgefahr durch Facebook und Instagram. Gegen die Konzerne Meta, Bytedance (Tiktok), Alphabet und Snapchat sind zudem Klagen von Einzelpersonen wegen Körperverletzung durch die Suchtgefahr anhängig. Es geht um finanzielle Entschädigung und Verfügungen gegen die Unternehmenspraktiken. Die FAZ (Lilli Ann Vorbeck) berichtet.

USA – Lufthansa: Nun berichten auch SZ (Kathrin Werner), zeit.de und LTO über das Bußgeld, das das US-amerikanische Verkehrsministerium der Lufthansa auferlegte. Diese hatte im Mai 2022 einer Gruppe von 128 jüdisch-orthodoxen Passagier:innen die Weiterreise von Frankfurt nach Budapest pauschal verweigert, nachdem einzelne Fluggäste gegen die Maskenpflicht verstoßen hatten.

Russland – Verfassungsentwürfe: Die Rechtsprofessorin und ehemalige Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Angelika Nußberger, diskutiert in der FAZ zwei Vorschläge für eine neue russische Verfassung, die im Juni von im Ausland lebenden Russen vorgestellt wurden. Auch wenn die Macht Putins vermeintlich gefestigt sei, sei es "nicht abwegig, im Jahr 2024 eine neue Verfassung für Russland zu entwerfen".

Sonstiges

Waffenexporte nach Israel: Die SZ (Ronen Steinke) berichtet über einen von der Bundesregierung eingeforderten Brief des israelischen Verteidigungsministers Joav Gallant, in dem er versichert, deutsche Waffen völkerrechtskonform einzusetzen. Wenn Deutschland nun wieder Kriegswaffen an Israel liefern will, sei mit neuen verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu rechnen, in denen der Brief relevant werden könnte. Es stelle sich daher "wirklich die Frage, ob Deutschland sich von einer Mitverantwortung für etwaige israelische Rechtsverstöße freizeichnen kann, bloß weil man in Berlin jetzt ein Papier mit der Unterschrift Joav Gallants in Händen hält".

Burnout: LTO-Karriere (Franziska Kring) sprach mit der Juristin und Business-Coachin Felicitas Kapp, die nach dem zweiten Examen zwei Jahre in einer Großkanzlei arbeitete, wo sie unter starkem Druck stand und einen Burnout erlitt. Heute coacht sie Anwält:innen zu mentaler Gesundheit.

Das Letzte zum Schluss

"Die Maus": Am Dienstag verschwand in Köln vor dem WDR "die Maus", am Mittwoch tauchte sie in Mainz wieder auf. Die Organisation "Campact" hatte sie entführt, um mit ihr gegen die "Kürzungen bei ARD und ZDF" demonstrieren. Der WDR äußerte sich als Eigentümer, er sehe noch keinen Anlass, einen Strafantrag zu stellen. Die Polizei ermittelt jedoch schon – wegen des Verdachts auf Diebstahl. Auf Tiere sind bekanntlich die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. spiegel.de berichtet.

 

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LTO/pna/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. Oktober 2024: . In: Legal Tribune Online, 17.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55647 (abgerufen am: 06.12.2024 )

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