Der Bundestag beriet erstmals über die Gesetzentwürfe zur Stärkung des BVerfG. Rechtsextremisten darf laut BVerwG die Zulassung zum Referendariat verwehrt werden. Desinfektionsmittel darf laut BGH nicht als “hautfreundlich” beworben werden.
Thema des Tages
Resilienz des BVerfG: In erster Lesung debattierte der Bundestag über zwei gemeinsame Gesetzentwürfe von Koalition und CDU/CSU zur Sicherung der Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts. Im Grundgesetz sollen wesentliche Strukturmerkmale des Bundesverfassungsgerichts festgeschrieben werden, unter anderem die zwölfjährige Amtszeit der Richter:innen, den Ausschluss einer Wiederwahl, die Altersgrenze von 68 Jahren, die Zahl von 16 Richter:innen und zwei Senaten. Der zweite Gesetzentwurf sieht die Einführung eines Ersatzwahlmechanismus im Bundesverfassungsgerichtsgesetz vor. Wenn nach einigen Monaten im Bundestag bzw. Bundesrat die Wahl einer neuen Verfassungsrichter:in nicht gelingt, kann auch das jeweils andere Wahlorgan die Wahl vornehmen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nannte die Gespräche zur Vorbereitung der Gesetzentwürfe "Parlamentarismus in seiner besten Form". In der Debatte kritisierte nur die AfD die Pläne; der Ersatzwahlmechanismus diene dazu, Oppositionsrechte zu beschneiden. Es berichten FAZ (Marlene Grunert) und LTO.
Im Interview mit spiegel.de (Anne Eberhard/Anna Ehlebracht) lobt der Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins Ulrich Karpenstein die Vorschläge als "sehr zielführend". Es gehe nicht um die Abwehr akuter Bedrohungsszenarien, sondern um rechtsstaatliche Vorsorge für die nächsten Jahrzehnte. Ergänzend müsse im Grundgesetz noch festgeschrieben werden, dass Änderungen beim Wahlverfahren der Richter:innen im Bundesverfassungsgerichtsgesetz stets eine Zustimmung des Bundesrats benötigen.
Christian Rath (LTO) warnt davor, dass der Ersatzwahlmechanismus die Legitimation des Gerichts gefährden könnte, wenn davon regelmäßig Gebrauch gemacht werde, um eine Sperrminorität der AfD im Bundestag auszuhebeln. Der Ersatzwahlmechanismus könne aber sinnvoll sein, wenn die AfD inakzeptable Personalvorschläge mache.
Rechtspolitik
AfD-Verbot: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) warnt "als Abgeordneter" vor den Gefahren eines möglichen Verbotsverfahrens gegen die AfD. Dieses könne scheitern – und der AfD damit in die Karten spielen. "Deshalb meine ich, solche Verfahren darf man nur einleiten, wenn man sich hundertprozentig sicher ist", so Buschmann laut LTO.
Wolf Wiedemann-Schmidt (spiegel.de) meint im Leitartikel, im Erfolgsfall berge ein AfD-Verbot u.a. die Gefahr, dass sich zumindest ein Teil der AfD-Wähler:innen weiter radikalisiere. Bevor zu dieser "schärfsten Waffe" gegriffen werde, sollten daher alle anderen Mittel der wehrhaften Demokratie ausgereizt werden; so könne etwa geprüft werden, ob die "Junge Alternative" oder klar rechtsextreme AfD-Landesverbände eigenständig verboten werden könnten. Auch ein Antrag, die AfD von der staatlichen Parteienfinanzierung abzuschneiden, sei vorstellbar.
Asyl: Wie SZ (Josef Kelnberger) und FAZ (Thomas Gutschker) schreiben, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Italien und Griechenland beim Treffen der EU-Innenminister:innen in Luxemburg dafür gerügt, dass sie Asylsuchende nicht zurücknähmen und dadurch das Dublin-System unterliefen. Weiter kündigte sie an, alles daranzusetzen, dass die im April beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems "schnellstmöglich" umgesetzt werde. Für die Idee, abgelehnte Asylsuchende in "Abschiebelagern" außerhalb Europas festzuhalten, bis sie von ihren Herkunftsländern aufgenommen werden, zeigte sie sich offen.
Josef Kelnberger (SZ) kommentiert, die Ampelregierung sei "lange Zeit eher Hindernis als Teil der Lösung von europäischen Asylfragen" gewesen. "Umso erratischer wirkt der Kurswechsel nach dem Messeranschlag von Solingen, und die EU-Partner fragen sich: Was wollen die Deutschen jetzt eigentlich?"
NS-Raubkunst: Bund, Länder und kommunale Spitzenvertreter haben sich auf eine Reform der Regeln für die Rückgabe von NS-Raubkunst geeinigt. Die vom früheren BVerfG-Präsidenten Hans-Jürgen Papier geleitete Beratende Kommission soll durch ein Schiedsgericht abgelöst werden, das von den Opferfamilien einseitig angerufen werden kann. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) zeigte sich erfreut. Die Neuregelung erlaube eine stärkere "Einbindung der Opfer und ihrer Nachfahren" und vereinfache die Rückgabe von NS-Raubgut. SZ (Jörg Häntzschel) und taz (Klaus Hillenbrand) berichten.
Klaus Hillenbrand (taz) nennt die Einigung einen "gewaltigen Fortschritt", stellt aber auch klar, dass die neue Regelung nur bei Werken im Besitz der öffentlichen Hand greife. Gestohlene Kunst im Privateigentum gelte dagegen in der Regel als ehrlich erworben. Auch für diese Fälle müsse daher dringend eine Rechtsgrundlage geschaffen werden.
Betriebspraktikum für Arbeitsrichter:innen: Der baden-württembergische Unternehmensverband (UBW) und der Deutsche Gewerkschaftsbund haben mit dem Land Baden-Württemberg eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach Arbeitsrichter:innen dreimonatige Praktika in großen Unternehmen absolvieren können, um auf diese Weise bessere Einblicke in die Belange der Betriebsparteien zu bekommen, so LTO (Tanja Podolski). Bereits 2006 wurde in BaWü ein ähnliches Projekt umgesetzt. Auch Nordrhein-Westfalen sieht ein Betriebspraktikum für Arbeitsrichter:innen vor.
Justiz
BVerwG zu rechtsextremem Referendariatsbewerber: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass der rechtsextreme Bewerber Matthias B., der u.a. in hervorgehobener Funktion für die Partei "Der III. Weg" tätig gewesen war, nicht zum Referendariat zugelassen werden musste. Mindestanforderungen im Hinblick auf die Verfassungstreuepflicht müssten auch Bewerber:innen für den juristischen Vorbereitungsdienst erfüllen, auch wenn dieser nicht als Beamtenverhältnis ausgestaltet sei. Im konkreten Verfahren ging es um B.s Nichtzulassung zum Referendariat in Bayern. In der Zwischenzeit hatte B. nach einer Entscheidung des sächsischen Verfassungsgerichtshofs das Referendariat in Sachsen absolviert und arbeitet jetzt als Rechtsanwalt in Bayern. Es berichten beck-aktuell (Maximilian Amos), tagesschau.de (Alena Lagmöller) und der Doktorand Roman Fiedler auf LTO.
BGH zu Werbung für Desinfektionsmittel: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Drogeriekette dm ein Desinfektionsmittel nicht als "hautfreundlich" bewerben darf. Die Bezeichnung sei irreführend, da sie außer Acht lasse, dass solche Mittel erhebliche Risiken bergen. Vor seiner Entscheidung hatte der BGH das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Der EuGH entschied, dass die Regelung in der EU-Biozidverordnung, die u.a. vorsieht, dass nicht mit Bezeichnungen wie "ungiftig" oder "unschädlich" geworben werden darf und auch "ähnliche Hinweise" nicht enthalten sein dürfen, auch für den positiv konnotierten Begriff "hautfreundlich" gelten könne. FAZ (Katja Gelinsky), LTO, beck-aktuell und zdf.de (Christoph Schneider) berichten.
EuGH zu Asyl für afghanische Frauen: spiegel.de (Dietmar Hipp) analysiert in einem Frage-Antwort-Format Hintergründe und Auswirkungen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom vergangenen Freitag, in dem dieser feststellte, dass die diskriminierenden Maßnahmen und Gesetze des Taliban-Regimes gegen Frauen bereits für sich als Verfolgungshandlungen gelten, die eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigen.
BGH zu vorgetäuschtem Tod: Der Bundesgerichtshof hat die Revision eines Ehepaares gegen ein Urteil des Landgerichts Kiel verworfen, mit dem das Paar wegen versuchten Versicherungsbetrugs zu Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren und zwei Monaten verurteilt worden war. Die Eheleute hatten im Jahr 2019 ein Bootsunglück fingiert und versucht, durch den vorgetäuschten Tod des Mannes an rund 4 Millionen Euro aus mehreren Lebens- und Unfallversicherungen zu gelangen. Es schreibt spiegel.de.
LAG Nds zu VW-Betriebsratsvergütung: Laut LTO hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen die Berufung von VW gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover verworfen, mit dem dem hannoverschen VW-Betriebsratschef Stavros Christidis statt der von VW geplanten Kürzung sogar eine Gehaltserhöhung zugesprochen worden war. Hintergrund der Gehaltskürzung war ein Urteil des Bundesgerichtshofs von Anfang 2023, in dem dieser die Rechtmäßigkeit hoher Betriebsratsvergütungen bezweifelte. VW hatte daraufhin mehreren Betriebsräten die Gehälter gekürzt.
OLG Bamberg zu Rauchen vor Kindern: Ein Gericht darf einem Elternteil grundsätzlich nicht verbieten, in Gegenwart der Kinder zu rauchen. Dies hat das Oberlandesgericht Bamberg laut spiegel.de in einem Familienstreit entschieden und damit die Grenzen richterlicher Einflussnahme auf elterliches Verhalten konkretisiert.
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Die SZ (Stepan Radomsky) berichtet über den Fortgang des Wirecard-Prozesses vor dem Landgericht München I, bei dem nun die Videovernehmung eines ehemaligen Mitarbeiters von "Pay Easy", einem der Drittpartner, mit denen Wirecard später vermeintlich Milliarden Euro verdiente, stattfand. Die Aussage habe keine neuen Erkenntnisse gebracht.
AG Rendsburg – Export von Schrottschiff: Vor dem Amtsgericht Rendsburg müssen sich zwei Reeder verantworten, weil sie ein schrottreifes Schiff illegal nach Südasien gebracht haben sollen, so die SZ (Nils Heck). Dass dort europäische Schiffe zerlegt werden, könne illegal sein, denn nach EU-Recht gilt ein solches Schrottschiff als Müll. Sofern Reeder in EU-Gewässern entscheiden, ein Schrottschiff an einen Strand in Indien zu fahren, handele es sich dabei um illegalen Müllexport.
Recht in der Welt
Schweiz – Toilettengänge am Arbeitsplatz: Das Kantonsgericht Neuenburg hat laut spiegel.de entschieden, dass Angestellten die Zeit für Toilettengänge von der Arbeitszeit abgezogen werden darf. Im konkreten Fall hatte eine Firma ihre Mitarbeitenden aufgefordert, sich vor jeder Toilettenpause auszustempeln. Dies sei laut Gericht grundsätzlich rechtmäßig. Da die Stempelpflicht jedoch für Frauen während ihrer Menstruation diskriminierend sei, wurde das Unternehmen aufgefordert, Maßnahmen zu treffen, "um diese Ungleichheit zu verringern".
Italien – Regeln in Schulen: Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni will laut SZ (Marc Beise) stärker gegen Gewalt und Disziplinlosigkeit in Schulen vorgehen. Bereits im Juli war die Benutzung von Handys vor allem in unteren Klassen im Unterricht verboten worden. Nun sollen versetzungsrelevante Verhaltensnoten in den Mittel- und Oberschulen eingeführt werden. Ferner sind Geldstrafen von bis zu 10.000 Euro für tätliche Angriffe von Schüler:innen auf Lehrkräfte vorgesehen. Die Opposition spricht von "Autoritarismus" – und auch aus den eigenen Reihen gibt es Kritik.
Italien – Arbeitskräfte aus dem Ausland: Die taz (Stefanie Ludwig/Augustin Campos) schreibt ausführlich über ein Geschäftsmodell Italiens, mit dem ausländische Arbeitskräfte ausgebeutet werden. So zahlen etwa tunesische Arbeitskräfte Tausende Euro, um auf Sizilien unter schlechtesten Bedingungen zu arbeiten. Das Modell sei rechtswidrig, so Giuseppe Scifo, Leiter der Gewerkschaft CGIL.
Polen – Reform des Verfassungsgerichts: Nachdem das polnische Parlament ein Gesetz zur Reform des noch immer von der nationalistischen PiS-Partei dominierten Verfassungsgerichts verabschiedet hat, um die Rechtsstaatlichkeit in Polen wiederherzustellen, legte Präsident Andrzej Duda, der der PiS nahesteht, das Gesetz dem Verfassungsgericht vor mit der Bitte um eine Vorabprüfung. Damit das Gesetz in Kraft treten kann, muss es von Duda unterzeichnet werden. Es berichtet die FAZ (Reinhard Veser).
Niederlande – Asyl: Die SZ (Thomas Kirchner) berichtet über die Pläne der niederländischen Regierung, das Asylrecht zu verschärfen. Da die rechte Regierungskoalition in der Ersten Kammer, dem Oberhaus, keine Mehrheit hat, will sie das Vorhaben unter Umgehung des Parlaments durchsetzen. Dies ist aber nur möglich, wenn eine sogenannte "Asylkrise" ausgerufen wird. Die niederländische Opposition ist – ebenso wie viele Expert:innen – davon überzeugt, dass die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.
USA – Bayer/PCB: Nachdem der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer in den USA zuletzt einen juristischen Sieg in der Auseinandersetzung über die Chemikalie polychloriertes Biphenylen (PCB) errungen hatte, hat der oberste Gerichtshof im Bundesstaat Washington nun laut der Welt (Anja Ettel) entschieden, den sogenannten Erickson-Fall zu überprüfen. Ob Bayer tatsächlich einen großen Teil der PCB-Rechtsstreitigkeiten beilegen kann, ist vor diesem Hintergrund unklar. Der Fall Erickson ist der erste von mehr als einem Dutzend Verfahren, die nun bei dem Berufungsgericht liegen.
USA – Sean Combs: In einem Frage-Antwort-Format fasst spiegel.de (Andreas Borcholte/Elisa Schwarze/Nadine Wolter) die Vorwürfe gegen den Musiker Sean Combs alias P. Diddy zusammen, dem in der Anklage unter anderem Menschenhandel und Vergewaltigung vorgeworfen wird, und geht dabei auf den aktuellen Stand der Verfahren und deren Hintergründe ein. Seit mindestens 2008 soll Combs eine kriminelle Organisation geleitet haben, in deren Mittelpunkt der Missbrauch von Frauen gestanden habe.
Sonstiges
BKartA vs. Meta: Das Bundeskartellamt und der Facebook-Mutterkonzern Meta haben ihren jahrelangen Rechtsstreit bezüglich des Umgangs mit Nutzerdaten beigelegt, nachdem Meta seine Beschwerde gegen eine Entscheidung der Behörde aus dem Jahr 2019 zurückgenommen hat. Damals hatte das BKartA Meta untersagt, Nutzerdaten verschiedener Dienste wie Facebook, WhatsApp und Instagram zusammenzuführen. Es sei nicht zulässig, von den Nutzer:innen zu verlangen, entweder der unbegrenzten Datensammlung zuzustimmen oder das soziale Netzwerk überhaupt nicht nutzen zu können. Nachdem der EuGH voriges Jahr gegen Meta entschied, änderte der Konzern seine Geschäftspraktiken und räumt den Nutzer:innen nun mehr Kontrolle bei der Zusammenführung ihrer Daten ein. Es berichtet LTO.
Das Letzte zum Schluss
Undankbare Waschbären: Nachdem eine Frau im US-Bundesstaat Washington 35 Jahre lang eine Waschbärenfamilie gefüttert hatte, eskalierte die Situation: Die Zahl der Waschbären nahm zu, die Tiere wurden immer aufdringlicher und verfolgten die Frau, die daraufhin keine andere Möglichkeit sah, als aus ihrem Haus zu flüchten und die Polizei zu rufen. Diese bat das Ministerium für Fische und Wildtiere um Hilfe, welches der Frau riet, die Fütterungen einzustellen. Mittlerweile haben die Bedrohungen durch die rund 100 Waschbären nachgelassen. Das Ministerium zeigte sich erfreut "über den positiven Ausgang dieses Falles", so spiegel.de.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/bo/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 11. Oktober 2024: . In: Legal Tribune Online, 11.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55607 (abgerufen am: 02.12.2024 )
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