Die AfD hat eine Sperrminorität im brandenburgischen Landtag erzielt. Das Sicherheitspaket wurde bei der Anhörung im Innenausschuss kritisiert. Das Landgericht München I verhandelte über die Klage von Ex-BSI-Chef Schönbohm gegen das ZDF.
Thema des Tages
Sperrminorität Brandenburg: Bei der Landtagswahl in Brandenburg hat die AfD mit 30 von 88 Sitzen mehr als ein Drittel der Sitze errungen und muss somit künftig an Entscheidungen beteiligt werden, für die eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist. Das betrifft unter anderem die Wahl der Landesverfassungsrichter:innen sowie Verfassungsänderungen. Auch die Auflösung des Landtags, die Abberufung eines Präsidiumsmitglieds und ein Ausschluss der Öffentlichkeit von Landtagssitzungen setzen ein Zwei-Drittel-Quorum voraus. In dieser Legislaturperiode läuft die reguläre Amtszeit von sechs Verfassungsrichter:innen ab. Das brandenburgische Verfassungsgerichtsgesetz sieht allerdings vor, dass Richter:innen, die wegen Ablaufs der Amtszeit ausscheiden, im Amt verbleiben, bis eine Nachfolger:in ernannt wurde. Ferner sind zentrale Vorschriften über die Arbeitsweise des Verfassungsgerichts bereits in Artikel 112 der Landesverfassung normiert. Es berichten taz (Gareth Joswig), spiegel.de (Anna Reimann) und LTO (Luisa Berger/Max Kolter).
Rechtspolitik
Sicherheitspaket: Der Innenausschuss des Bundestages hörte Sachverständige zum "Sicherheitspaket" der Ampel-Fraktionen, das den Sicherheits- und Asylbehörden viele neue und weite Befugnisse einräumen soll. Unter anderem wollen die Regierungsfraktionen der Polizei biometrische Gesichtserkennung im Internet erlauben. beck-aktuell und netzpolitik.org (Chris Köver u.a.) stellen die zentralen Kritikpunkte vor. In einem weiteren Text geht netzpolitik.org (Markus Reuter) darauf ein, dass die Befugnis der Polizei zu anlasslosen Personenkontrollen infolge der vorgesehenen Messerverbote erheblich ausgeweitet würde.
Der Rechtsanwalt Eren Basar spricht im Hbl von einem massiven Eingriff in die Grundrechte. "In der Vergangenheit haben Attentate oft zur schnellen Ausweitung staatlicher Befugnisse geführt – hier einen zurückhaltenden Weg einzuschlagen, wäre ein Zeichen von Mut." Auf netzpolitik.org kommentiert Matthias Spielkamp, Geschäftsführer der NGO AlgorithmWatch, dass die Mehrheit annehme, sie sei von neuen Überwachungs- und Eingriffsmöglichkeiten nicht betroffen. "Es muss uns daher gelingen zu vermitteln, dass unser aller Freiheit beschnitten wird, wenn wir zulassen, dass zum einen Angehörige von Minderheiten schikaniert werden, zum anderen Menschen, die sich bei Demonstrationen und anderen Gelegenheiten für politische Veränderungen einsetzen."
Gerichtsvollzieher:innen: Künftig sollen Gerichtsvollzieher:innen auch für die Pfändung von Forderungen zuständig sein und damit ihre Rolle als zentrales Vollstreckungsorgan zurückgewinnen. Dies sieht ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vor, der sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet. Die Vollstreckungsgerichte, die derzeit für die Geldforderungsvollstreckung zuständig sind, sollen bei Vollstreckungen in Herausgabeansprüche und in andere Vermögensrechte aufgrund "der erhöhten rechtlichen Schwierigkeit" zuständig bleiben. LTO berichtet.
Bürokratieabbau: Nun berichtet auch die SZ (Markus Zydra) über die Kritik von Ex-Staatsanwältin Anne Brorhilker (Finanzwende) am Entwurf des Bürokratieentlastungsgesetzes IV, das mit seinen verkürzten Aufbewahrungsfristen die Verfolgung von Cum-Ex- und Cum-Cum-Straftaten erschweren könnte.
DJT - Klimaschutz im Gesellschaftsrecht: Auf FAZ-Einspruch spricht sich die Rechtsanwältin Birgit Spießhofer gegen den Vorschlag aus, mehr Klimaschutz im Gesellschaftsrecht zu verankern, indem u.a. der Rechtsformzusatz "klimaneutral" eingeführt und eine Pflicht zur Erstellung eines Klimatransformationsplans aufgestellt werden soll. Anstatt "großflächig ansetzende marktmächtige Instrumente wie Emissionshandel und CO₂-Bepreisung" einzusetzen, leiste man mit den Vorschlägen einem "regulatory overdrive" Vorschub.
Tierschutz: Die Justiziarin der Tierrechtsorganisation PETA, Vera Christopeit, kritisiert auf LTO den Entwurf des neuen Tierschutzgesetzes. Es beinhalte kein klares Verbot der "Anbindehaltung", bei der Rinder und andere Tiere dauerhaft am Hals fixiert werden. Auch benenne und verbiete es keine einzelnen Rassen, die mit einer Qualzucht einhergehen, sondern nenne nur bestimmte Merkmale, die typischerweise Qualen verursachten. Am 26. September erfolgt die erste Lesung des Gesetzes im Bundestag.
Kündigungsschutz: Rechtsprofessor Gregor Thüsing kritisiert auf beck-aktuell die Forderung des Vorstandsvorsitzenden der Münchener Rück, den Arbeitnehmerschutz zu lockern. Dieser klagte, der Kündigungsschutz zwinge ein Unternehmen de facto, "Mitarbeiter weiterzubeschäftigen, mit denen es nicht weiterarbeiten möchte." Genau dies, so Thüsing, sei der Zweck des Kündigungsschutzes, der in Deutschland zu Recht verfassungsrechtlich verankert sei. Möglich und sinnvoll sei aber, den Kündigungsschutz für Bezieher sehr hoher Einkommen im Finanzsektor zu lockern, um hier wettbewerbsfähig zu bleiben.
Landtagspräsident:in Thüringen: Für die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags am Donnerstag haben CDU und BSW einen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung eingereicht, in dem das Vorschlagsrecht der stärksten Fraktion (jetzt AfD) für die Wahl der Landtagspräsident:in gestrichen werden soll. Auf dem Verfassungsblog stellt Rechtsprofessor Fabian Michl dar, dass die bisherige Geschäftsordnung nach dem demokratischen Grundsatz der Diskontinuität mit Zusammentritt des neuen Landtags ohnehin nicht mehr gelte und die "Änderung" eigentlich eine implizite Übernahme der alten Geschäftsordnung in geänderter Fassung darstellen würde. Dass das Thüringer Geschäftsordnungsgesetz eine Fortgeltung der alten GO anordne, sei unerheblich, weil eine derartige Regel nur als Verfassungsrecht verbindlich wäre.
Justiz
LG München I – Schönbohm vs. Böhmermann: In der mündlichen Verhandlung der Klage von Arne Schönbohm, Ex-Chef des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), gegen das ZDF gab das Landgericht München I zu erkennen, dass es den geltend gemachten Unterlassungsanspruch als gerechtfertigt ansieht. Ob es auch einen Anspruch Schönbohms auf eine Geldentschädigung von 100.000 Euro anerkennt, erscheint dagegen noch offen. Schönbohm hatte geklagt, nachdem Jan Böhmermann ihm in seiner ZDF-Sendung indirekt eine Nähe zu russischen Geheimdiensten unterstellt hatte. Die FAZ (Ole Kaiser) berichtet.
Anna Schneider (Welt) kommentiert, mit dem kommenden Urteil bahne sich "eine ordentliche Watschn für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk" an. Sie erinnert daran, dass Nancy Faeser (SDP) Schönbohm infolge des Beitrags suspendiert habe, "dieselbe Bundesinnenministerin, die in Sachen Desinformation momentan ganz alert ist".
EuGH zu Naturschutzgebiet Düte: Die taz-nord (Harff-Peter Schönherr) berichtet über den Fluss Düte nahe Osnabrück, der bis heute nicht als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist, obwohl der Europäische Gerichtshof in einem Vertragsverletzungsverfahren Deutschland schon 2023 wegen der Nicht-Ausweisung verurteilte. Derzeit sei der Fluss nur durch eine "Einstweilige Sicherstellung" geschützt, die Ende 2025 auslaufe.
BVerfG zu Wahlergebnissen im TV: Jochen Zenthöfer (FAZ) kritisiert den öffentlichen Umgang des RBB mit der BVerfG-Eilentscheidung, wonach die Tierschutzpartei am Wahlabend doch unter "Andere" zusammengefasst werden durfte, als "recht unwürdig". Die Berichterstattung müsse durch Gerichtsentscheidungen eingehegt werden können. Formale Vorgaben durch die Gerichte (wie hier durch das OVG Berlin-BB) seien Folge der richterlichen Abwägung von Rundfunkfreiheit und Parteiengleichheit. Die Justiziarin des RBB hatte sich mit den Worten geäußert: "Die Wahlberichterstattung kann sich jetzt an den konkreten Ergebnissen orientieren und nicht an formalen Vorgaben."
LVerfG Sachsen zu Rundfunkrat: Wie der Sächsische Verfassungsgerichtshof entschied, hat die AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag keinen Anspruch darauf, dass ihr Kandidat in den Rundfunkrat des MDR gewählt wird. Die Verfassung gebiete nicht, die Kandidaten nach Fraktionsstärke zu bestimmen, da die Aufgaben des Rundfunkrates nicht spezifisch parlamentarischer Natur seien. Die drei Vertreter:innen im Rundfunkrat ernennt der Landtag mit Zweidrittelmehrheit. spiegel.de berichtet.
BGH – Vereinnahmung politischer Gegner: Der Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann (Linke) klagt inzwischen vor dem Bundesgerichtshof auf Schadensersatz wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts, nachdem die rechtsextremen Freien Sachsen ihn 2022 in einem Demoaufruf fälschlicherweise als Redner angekündigt hatten. In der Vorinstanz lehnte das OLG Dresden den Schadensersatzanspruch ab, weil keine "schwerwiegende" Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte vorliege. Die taz (Christian Rath) berichtet.
BGH zu Vergütungsvereinbarung: Wenn Rechtsanwält:innen mit Verbrauchern eine Stundensatzvereinbarung in Form einer Allgemeinen Geschäftsbedingung abschließen, müssen die Gesamtzeit und -vergütung vorab nicht geschätzt werden. Dies entschied der BGH. Auch Zwischenrechnungen sind nach dem Urteil nicht zwingend erforderlich. Allerdings kann die Kombination von Stundensätzen mit zusätzlichen gesetzlichen Vergütungsregeln nach dem RVG intransparent und damit unwirksam sein. LTO berichtet. Auf beck-aktuell kommt der Rechtsanwalt Martin W. Huff zu dem Schluss, das Urteil sei in seiner Klarheit in Bezug auf die Unwirksamkeit zusätzlicher Klauseln zu begrüßen.
OLG Karlsruhe – Vergabeverfahren Bezahlkarte: Die 14 Bundesländer, die sich im Vergabeverfahren zur technischen Durchführung der Bezahlkarte auf die Secupay AG festgelegt hatten, können dieser nun den Zuschlag erteilen. Ein unterlegener Bieter hatte gegen die Entscheidung vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe geklagt. Das Gericht lehnte nun den Antrag auf aufschiebende Wirkung der Beschwerde ab. Über die Beschwerde selbst hat das Gericht noch nicht entschieden. LTO berichtet.
LG Braunschweig – Ex-VW-Chef Winterkorn: Der Strafprozess gegen den früheren VW-Konzernchef Martin Winterkorn vor dem Landgericht Braunschweig wird verschoben, weil der Angeklagte sich nach einem "Unfall im häuslichen Umfeld" im Krankenhaus befindet. Ob und wann der Prozess fortgesetzt wird, ließ das Gericht in seiner Mitteilung offen. Die SZ berichtet.
LG Berlin I – Überfall durch Polizeibeamte: spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet über den Fortgang des Strafprozesses gegen zwei Polizisten, die im vergangenen Jahr in Berlin eine Fahrzeugkontrolle vorgetäuscht und einem Autofahrer mindestens 55.000 Euro geraubt haben sollen. Als Zeuge sagte der ehemalige Dienststellenleiter der beiden Beamten aus. Einer der Polizisten sei wohl spielsüchtig gewesen und habe Geldprobleme gehabt.
DIS – DAZN vs. DFL: Am heutigen Dienstag wird der Schiedsspruch der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) erwartet, die das Unternehmen DAZN im Rahmen der Vergabe der Bundesliga-Übertragungsrechte für die Spielzeiten 2025/26 bis 2029/30 angerufen hatte. DAZN klagte, nachdem die Deutsche Fußball-Liga (DFL) das begehrte "Rechtepaket B" an Sky vergab, obwohl DAZN ein besseres Angebot vorgelegt hatte (aber eine Bankbürgschaft zu spät vorlegte). Die FAZ (Daniel Theweleit) berichtet.
Zivilrechtliche Klimaklagen: Rechtsprofessor Gerhard Wagner warnt in der FAZ vor Versuchen, Klimaschutz auf dem Wege zivilrechtlicher Klagen zu betreiben. Mit den Klagen auf "Klimahaftung" würden mutig Instrumente ausprobiert, "die den Praxistest bisher nicht bestanden haben". Er beobachtet, dass die "Filterleistung der Rechtsdogmatik gegenüber politischen Wertungen" spürbar schwächer werde. Das Privatrecht werde intensiver und dringlicher als früher politischen Zielen dienstbar gemacht.
Recht in der Welt
IStGH – Wladimir Putin: Auf dem Verfassungsblog zeigt der Doktorand Tjorben Studt auf, dass die Mongolei Anfang September ihre Kooperationspflicht verletzt hat, die aus dem IStGH-Statut erwächst, als sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin bei einem Staatsbesuch nicht verhaftete. Die Entscheidung sei nicht durch eine etwaige völkerrechtliche Immunität Putins zu rechtfertigen. Der Mongolei drohe dennoch keine effektive Sanktionierung.
Frankreich – Pawel Durow: Telegram-Chef Pawel Durow, der gegen eine Kaution aus der Haft entlassen wurde, Frankreich aber weiterhin nicht verlassen darf, hat auf Telegram eine Kooperation mit den Behörden angekündigt. Das Unternehmen werde künftig Telefonnummern und IP-Adressen der Nutzer:innen auf Anfrage an die Behörden weitergeben. Nutzungsbedingungen und Datenschutzrichtlinien seien entsprechend aktualisiert worden. Es berichten spiegel.de und zeit.de.
Juristische Ausbildung
AGH NRW zu Frist für Stationszeugnis: Nun berichtet auch LTO-Karriere über eine Entscheidung des nordrhein-westfälischen Anwaltsgerichtshofs gegen eine Anwältin, die sich mehr als vier Monate Zeit ließ, um ihrer Referendarin das Zeugnis für die Anwaltsstation auszustellen. Weil die Anwältin eine Entscheidung des AGH beantragt hatte und es später versäumte, eine Antragsrücknahme zu erklären, muss sie nun die Kosten für das Verfahren tragen.
Sonstiges
Gehaltsaffäre Staatskanzlei Nds: Im niedersächsischen Untersuchungsausschuss zur sogenannten Gehaltsaffäre um Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ist ein interner Mailwechsel bekannt geworden, der darauf hindeutet, dass in seinem Umfeld Regierungs- und Parteiangelegenheiten vermischt wurden. Ein früherer Büroleiter des Ministerpräsidenten gab etwa an, an Parteitagsreden mitgearbeitet haben. Der Chef der Staatskanzlei bestritt dies nun. Es berichten FAZ (Reinhard Bingener), taz (Nadine Conti) und spiegel.de.
Abschiebelied: Auf der brandenburgischen Wahlparty der AfD wurde ein Lied mitgesungen, in dem dazu aufgerufen wird, "sie alle" abzuschieben. Der Grünenpolitiker Volker Beck hat Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet. spiegel.de und zeit.de berichten. Die Atzen, deren Lied "Das geht ab" für den "Abschiebesong" gesampelt wurde, könnten nach Einschätzung des Tsp (Nadine Lange) eine Urheberrechtsverletzung geltend machen. Die Band äußerte sich bislang nur kurz: "Die Einzigen, die unseren Song umdichten dürfen, sind die Hertha BSC Ostkurve und Spongebob".
Fabian von Schlabrendorff: Auf beck-aktuell stellt Sebastian Felz, Vorstandsmitglied des "Forums Justizgeschichte", das Buch "Fabian von Schlabrendorff - Ein Leben im Widerstand gegen Hitler und für Gerechtigkeit in Deutschland" von Mario H. Müller vor. Von Schlabrendorff, der 1967 bis 1975 Richter am Bundesverfassungsgericht war, wirkte als Militär an zwei Attentatsversuchen auf Adolf Hitler mit und sollte 1945 vor dem Volksgerichtshof verurteilt werden.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/pna/chr
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Die juristische Presseschau vom 24. September 2024: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55482 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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