Die juristische Presseschau vom 17. September 2024: Grenz­kon­trollen an allen Grenzen / VG Frank­furt zu Rüs­tungs­ex­porten nach Israel / TikTok-Verbot vor Gericht

17.09.2024

Ab jetzt kontrolliert die Bundespolizei stichprobenartig an allen deutschen Grenzen. VG Frankfurt/M. lehnte Eilantrag gegen Rüstungsexporte nach Israel als unzulässig ab. US-Gericht verhandelt über gesetzlichen Druck auf TikTok-Mutterkonzern.

Thema des Tages

Asyl/Grenzkontrollen: Seit dem gestrigen Montag gibt es auf Anordnung von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) an allen deutschen Grenzen Kontrollen durch die Bundespolizei, die "stichpunktartig, punktuell wechselnd und temporär" sein sollen. Nach dem Schengener Grenzkodex können "Migrationsströme" die Einführung von Grenzkontrollen rechtfertigen. Voraussetzung ist allerdings "eine außergewöhnliche Situation, in der plötzlich eine sehr hohe Zahl unerlaubter Migrationsbewegungen von Drittstaatsangehörigen zwischen den Mitgliedstaaten stattfindet". Temporäre Grenzkontrollen sind auf sechs Monate, längstens zwei Jahre, begrenzt. An der deutsch-österreichischen Grenze gibt es bereits seit 2015 Kontrollen, seit Oktober 2023 auch an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz und seit Olympia 2024 ebenfalls an der Grenze zu Frankreich. Es berichten FAZ (Marlene Grunert u.a.) und LTO. Hbl (Dietmar Neuerer/Henri Schlund), Welt, zdf.de (Alexandra Tadey/Daniel Heymann) und zeit.de (Ruth Fend/Martin Hogger) fassen die Neuregelungen im Frage-Antwort-Format zusammen.

Ronen Steinke (SZ) kritisiert die Grenzkontrollen, mit denen Deutschland "nicht mehr als eine Illusion von Kontrolle erreicht", als "großen Schritt zurück in die schlechte alte Zeit". Steinke moniert, dass die "Grundidee Europas, die nie nur eine volkswirtschaftliche gewesen ist, mit diesem Tag Schaden nimmt".

Rechtspolitik

Eizellspende: Rechtsprofessorin Marina Wellenhofer befasst sich auf beck-aktuell mit der diskutierten Legalisierung der Eizellspende, die für sie ein “großer Fortschritt” wäre. Zwar möchte die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Katrin Helling-Plahr, gemeinsam mit den anderen Fraktionen an einem Gruppenantrag arbeiten, allerdings ist unklar, ob die Vorschläge noch vor dem Ende der Legislaturperiode konkretisiert werden.

Schwangerschaftsabbruch: Ein Bündnis aus feministischen und gesundheitspolitischen Initiativen startete die Kampagne "Abtreibungen legalisieren – jetzt!", um Druck auf die Ampel-Koalition auszuüben, damit § 218 StGB gestrichen wird. Grüne und SPD begrüßen die Kampagne und werfen der FDP und der Union eine Blockade vor, obwohl Umfragen zufolge ein Großteil der Menschen eine Legalisierung befürwortet. Die taz (Marie Sophie Hübner) berichtet über die Kampagne und die politischen Reaktionen.

Cannabis: LTO (Hasso Suliak) ergründet, warum das Gesetz für die 2. Säule der Cannabis-Legalisierung, das regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten für Cannabis ermöglichen soll, noch nicht auf den Weg gebracht wurde. Federführend sei das Bundesgesundheitsministerium, das noch keinen Entwurf vorgelegt habe, obwohl es dies bereits für Sommer 2023 angekündigt hatte. Immerhin habe das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft bereits einen Entwurf für eine Konsumcannabis-Wissenschafts-Zuständigkeitsverordnung ausgearbeitet. 

Parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit: Rechtsanwalt Nicolas Harding stellt im FAZ-Einspruch den gemeinsamen Gesetzentwurf der Ampel-Fraktionen und der CDU/CSU-Fraktion zur parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit vor, den der Bundestagsausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung demnächst beraten wird. Der Entwurf nimmt die Kritik des Bundesrechnungshofs auf, dass Fraktionsmitarbeitende staatliche finanzielle Mittel für den Wahlkampf nutzen, ohne dass es einen ausreichenden Fraktionsbezug gebe. Es soll klargestellt werden, dass die Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit auch in sozialen Netzwerken gelten. Harding begrüßt zwar den aktuellen Gesetzentwurf, findet es aber "wünschenswert, auch die Öffentlichkeitsarbeit staatlicher Funktionsträger in Regierungsverantwortung zu regulieren".

Justiz

VG Frankfurt/M. zu Rüstungsexporten nach Israel: Das Verwaltungsgericht Frankfurt/M. lehnte einen Eilantrag gegen die Genehmigung von Rüstungsexporte nach Israel durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) als "unzulässig und auch offensichtlich unbegründet" ab. Den Antrag hatten fünf Palästinenser:innen aus dem Gaza-Streifen gestellt, die u.a. vom European Center for Constitutional and Human Rights unterstützt wurden. Den Palästinenser:innen fehle laut Gericht mangels Verletzung subjektiver Rechte bereits die Antragsbefugnis. Zudem komme der Bundesregierung bei der Genehmigung von Rüstungsexporten ein außenpolitisches Ermessen zu, sodass die Entscheidungen nur auf mögliche Willkür überprüft werden können. LTO (Max Kolter) berichtet.

BVerfG – AfD-Ausschussvorsitze: Am morgigen Mittwoch wird das Bundesverfassungsgericht sein Urteil in einem Organstreitverfahren der AfD-Fraktion verkünden, das sich gegen die Nicht-Wahl von AfD-Politiker:innen als Vorsitzende von Bundestagsausschüssen wendet. Das BVerfG wird auch über die Abwahl des AfD-Politikers Stephan Brandner als Vorsitzender des Rechtsausschusses entscheiden. Die FR (Ursula Knapp) ruft die Verfahren und die rechtlichen Hintergründe in Erinnerung. 

BVerfG – Klimaschutz/KSG: Nun berichten auch SZ (Wolfgang Janisch), Hbl (Silke Kersting), zeit.de und beck-aktuell über die von Greenpeace und Germanwatch gemeinsam mit mehr als 50.000 Kläger:innen eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen die Verwässerung des Klimaschutzgesetzes. Neu ist, dass Greenpeace auch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots beanstandet, weil Menschen mit niedrigem Einkommen künftig bei stark steigenden Kosten für das Autofahren von einer Mobilitätsarmut betroffen sein können.

EGMR – Christian Olearius/Tagebücher: Am heutigen Dienstag wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sein Urteil zur Beschwerde des Bankiers Christian Olearius fällen, so die FAZ (Marcus Jung). Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde von Olearius nicht zuließ, machte er vor dem EGMR eine Verletzung seines Grundrechts auf ein faires Verfahren sowie auf Achtung seines Privatlebens geltend, weil Kopien seiner beschlagnahmten Tagebücher an Journalist:innen gelangten.

OVG NRW zu Verdachtsfall AfD/Befangenheit: Das Oberverwaltungsgericht Münster half der gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde der AfD im Verfahren um ihre Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall nicht ab. Nun wird das Bundesverwaltungsgericht über die Nichtzulassungsbeschwerden entscheiden. Es berichten LTO (Markus Sehl) und spiegel.de.

OVG Berlin-BB zu Wahl-Debatte im TV: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigte den Eilbeschluss der Vorinstanz, dass der Sender rbb den FDP-Spitzenkandidaten nicht in den "Kandidatencheck" zur anstehenden Landtagswahl einladen muss. Das redaktionelle Konzept der Sendung, dass nur Spitzenkandidat:innen von Parteien eingeladen werden, die entweder laut Umfragen mehr als fünf Prozent der Stimmen bekommen werden oder bereits im Landtag sitzen, verletzt aufgrund der geringen landespolitischen Bedeutung der FDP nicht die Chancengleichheit der Parteien. SZ und LTO berichten.

OLG Oldenburg zu Eigentum an einem Fohlen: Der ehemalige Eigentümer einer Stute, die im Zeitpunkt ihres Verkaufs trächtig war, obwohl der Alteigentümer davon ausging, dass sie den eingesetzten Embryo verloren hatte, kann das Fohlen nach der Geburt nicht von dem Neueigentümer herausfordern. Das entschied das Oberlandesgericht Oldenburg. Da das Muttertier wesentlich für das werdende Leben des Fohlens ist, verliere das befruchtete Ei mit der Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut seine Eigenständigkeit, und kann deshalb gemäß § 93 BGB nicht Träger eigener Rechte sein. Mit der Nidation komme es zu einer Verbindung im Sinne des § 947 Abs. 2 BGB, sodass der Neueigentümer des Pferdes auch Eigentümer des Embryos wird. beck-aktuell berichtet.

OLG München – islamistisches Massaker in Syrien: Vor dem Oberlandesgericht München hat ein Prozess gegen drei Syrer begonnen, denen die Beteiligung an einem islamistischen Massaker in einem syrischen Dorf 2013 vorgeworfen wird. Angeklagt sind der Anführer der islamistischen Terrororganisation "Liwa Jund al-Rahman", die später dem IS beitrat, sowie zwei Mitstreiter. Die in Syrien begangenen Taten können in Deutschland aufgrund des für Völkerstraftaten geltenden Weltrechtsprinzips verfolgt werden. Zum Auftakt des auf 28 Verhandlungstage angesetzten Prozesses schildern SZ (Christoph Koopmann) und zdf.de (Christoph Schneider) die Hintergründe des Falls.

LG Nürnberg-Fürth zu Adidas-Streifen: Adidas unterlag vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth in einem Markenrechtsstreit um eine Kapuzenjacke der Luxusmarke Thom Browne mit vier Streifen am Oberarm. Das Gericht nahm keine Verwechslungsgefahr mit den typischen Adidas-Streifen an, weil es sich um vier Streifen handelt, die breiter sind. Außerdem befand es, dass potenzielle Käufer:innen der 1.400 Euro teuren Kapuzenjacke besonders aufmerksam seien. LTO berichtet.

Verfahrensdauer am BVerfG: Der Steuerberater Stefan Köhler bemängelt im Hbl, dass "der Rechtsschutz zumindest im steuerlichen Bereich aufgrund sehr langer Verfahrensdauern in manchen wichtigen Fragen zu lange auf sich warten lässt". Er befürchtet, dass zu lange Verfahrensdauern "gegenüber der Politik womöglich als Einladung wirken, Steuergesetze zu erlassen, die vielleicht nicht verfassungskonform sind".

Recht in der Welt

USA – TikTok: Vor dem US-Bundesgericht in Washington startete nun die Anhörung über die Beschwerde des TikTok-Mutterkonzern ByteDance gegen ein im April verabschiedetes Gesetz, das den Verkauf des US-TikTok-Geschäfts unter Androhung eines andernfalls eintretenden Verbots erzwingen will. Der Konzern sieht das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung der 170 Millionen US-Nutzer:innen verletzt und trägt vor, dass eine Abtrennung des US-Geschäfts technisch nicht möglich sei. Die Parteien baten das Gericht darum, bis zum 6. Dezember ein Urteil zu fällen, damit der US-Supreme Court u.U. vor Ablauf des gesetzlichen Ultimatums am 19. Januar 2025 entscheiden kann. Welt, spiegel.de und zeit.de berichten.

Mexiko – Justizreform: Nach Informationen von Welt und zeit.de ist die umstrittene Justizreform, nach der alle 1.600 Bundesrichter:innen künftig direkt gewählt werden, nun in Kraft getreten. Kritiker:innen befürchten eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit. 

Auf dem Verfassungsblog weisen Mariana Velasco Rivera, Irene Parra Prieto und Jaime Olaiz-Gonzalez, Rechtsprofessor:innen und Rechtsredakteurin, (in englischer Sprache) darauf hin, dass die Reform nur der "Anfang eines sehr schwierigen Kapitels für Mexikos verfassungsmäßige Demokratie" ist. Gemeinsam mit anderen Jurist:innen hatten sie einen offenen Brief verfasst.

Juristische Ausbildung

Referendariatskommission: beck-aktuell (Jannina Schäffer) stellt die Funktionsweise und Aufgaben der im letzten Jahr gegründeten Referendariatskommission (RefKo) beim Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften vor. Die RefKo, bestehend aus sechs gewählten Mitgliedern und zehn Referent:innen, möchte sich u.a. mit dem psychischen Druck im Referendariat, einer Erhöhung der Unterhaltsbeihilfe und einer Verbesserung der Qualität der Arbeitsgemeinschaften auseinandersetzen.

Ausbildungsreform: Die Lüneburger Rechtsprofessor:innen Johanna Croon-Gestefeld und Till Patrik Holterhus sprechen sich auf dem Verfassungsblog für das "Lüneburger Modell" als Reformansatz für das Jurastudium vor. Studierende in Lüneburg erwerben im Laufe ihres zehnsemestrigen Studiums sowohl einen Bachelor als auch einen Master, was den "psychischen Druck erheblich reduzieren dürfte". Außerdem ist die Ausbildung insofern interdisziplinärer gestaltet, als die Studierenden ein Nebenfach und ein Komplementärstudium wählen können.

Sonstiges

Datenschutz: Im Interview mit dem Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuerer) fordert die Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider u.a. mehr Rechtssicherheit in Hinblick auf die auslegungsbedürftigen Tatbestände der Datenschutzgrundverordnung und ein konsequentes Vorgehen gegen Plattformen, die sich nicht an europäische Vorgaben halten.

AfD-Verbot: Jan Heidtmann (SZ) lehnt im Zusammenhang mit den Landtagswahlen in Ostdeutschland den Begriff der "Schicksalswahl" ab, weil dieser eine "höhere Macht, eine Fügung" suggeriert. Indes beschreibe der “schöne Begriff der 'wehrhaften Demokratie' das genaue Gegenteil von Fügung”. Dieser Verantwortung, aktiv zu werden, sollten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung nachkommen und ein AfD-Verbotsverfahren initiieren.

 

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LTO/lh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. September 2024: . In: Legal Tribune Online, 17.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55425 (abgerufen am: 04.12.2024 )

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