Die juristische Presseschau vom 30. August 2024: Ampel besch­ließt Sicher­heits­paket / BVerfG zu Prä­si­den­ten­posten am OVG NRW / Ermitt­lungen gegen Tele­gram-Chef

30.08.2024

Die Ampel-Koalition hat sich auf migrations- und sicherheitsrechtliche Maßnahmen geeinigt. Das BVerfG ordnete eine neue Untersuchung zu Vorwürfen gegen NRW-Justizminister Limbach an. Die französische Justiz ermittelt gegen Pawel Durow.

Thema des Tages

Sicherheitspaket: Die Ampelkoalition hat sich auf ein sogenanntes Sicherheitspaket geeinigt, das u.a. folgende migrations- bzw. sicherheitsrechtlichen Maßnahmen umfasst: Wer nach den Dublin-Regeln in einen anderen Staat überstellt werden kann, soll in Deutschland keine Sozialleistungen mehr erhalten. Wer in Deutschland einen Schutzstatus hat, soll diesen verlieren, wenn er ohne triftigen Grund in sein Herkunftsland reist. Bei Personen, die Straftaten mit Waffen (insbesondere Messern) begehen, soll schon ab einer Strafe von mindestens sechs Monaten ein besonderes Ausweisungsinteresse bestehen. Auf Volksfesten und ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen soll ein generelles Messerverbot gelten. Die Bundespolizei soll mehr Möglichkeiten für verdachtsunabhängige Kontrollen erhalten. Nächste Woche will die Bundesregierung mit der CDU/CSU und den Bundesländern in einer Arbeitsgruppe über sicherheitspolitische Reaktionen auf die islamistischen Messermorde von Solingen sprechen. Es berichten u.a. zdf.de (Daniel Heymann), beck-aktuell und LTO.

Die Reaktionen fasst spiegel.de zusammen.

Reinhard Müller (FAZ) kritisiert, dass die Koalition keine Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze vorsehe und keine Notlage ausrufen will. Hugo Müller-Vogg (focus.de) sieht Schritte in die richtige Richtung, aber "too little, too late". Rasmus Buchsteiner (spiegel.de) stellt fest, dass sich die Ampel vergleichsweise rasch und überraschend geräuschlos geeinigt hat. Gereon Asmuth (taz) kritisiert, dass die Ampel AfD-Politik betreibe, die am Ende auch vor allem der AfD nutze. 

Rechtspolitik

Messer: Die taz (Marie-Sophie Hübner) sprach mit dem Kriminologieprofessor Martin Thüne über Messerkriminalität. Das Risiko, zufällig im öffentlichen Raum Opfer eines Messerangriffs durch einen unbekannten Täter zu werden, sei gering. Viel wahrscheinlicher seien Messerangriffe im sozialen Nahraum etwa durch den eigenen Partner.

Justiz

BVerfG zu Präsidentenposten am OVG NRW: In der Auseinandersetzung um die Besetzung des Präsidentenpostens am Oberverwaltungsgericht Münster durch Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) hatte ein unterlegener Bewerber (ein Bundesverwaltungsrichter) mit seiner Verfassungsbeschwerde teilweise Erfolg. Das OVG Münster muss eine Klage des Richters gegen das Auswahlverfahren erneut und nun gründlicher prüfen, entschied das Bundesverfassungsgericht. Der Richter hatte eidesstattlich versichert, Limbach habe ihm zum Rückzug seiner Bewerbung geraten, weil die später von Limbach ausgewählte Bewerberin ihm gegenüber einen "Vorsprung" habe. Dies zeige, so der Richter, Limbachs Voreingenommenheit, weil zu diesem Zeitpunkt die dienstliche Beurteilung der Bewerberin noch gar nicht vorlag. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Stephan Klenner), wdr.de (Philip Raillon) und LTO (Hasso Suliak)

KG Berlin zu Boateng-Äußerungen über Lenhart: Der Fußballprofi Jérôme Boateng könnte fünf Äußerungen über seine Ex-Freundin Kasia Lenhart wiederholen, weil das Kammergericht eine entsprechende Unterlassungsklage von Lenharts Mutter ablehnte. Boateng hatte die Äußerungen 2021 in einem Interview mit Bild gemacht, unter der Überschrift "Meine Ex wollte mich zerstören", eine Woche später nahm sich Lenhart das Leben. Das KG räumte ein, dass die Äußerungen Boatengs verletzend waren, aber sie beeinträchtigten nicht den postmortalen Achtungsanspruch Lenharts, für den eine Menschenwürde-Verletzung erforderlich gewesen wäre. Es berichten SZ (Verena Mayer/Jana Stegemann), spiegel.de (Wiebke Ramm) und LTO

OLG Karlsruhe – Vergabeverfahren Bezahlkarte: Das Oberlandesgericht Karlsruhe will am 18. Oktober über die Beschwerde eines unterlegenen Bieters verhandeln, der beim Vergabeverfahren über die bundesweite Einführung einer Bezahlkarte für Asylantragsteller:innen nicht zum Zuge gekommen war, meldet die SZ. Der Rechtsstreit verzögert die Einführung der Bezahlkarte. 

VGH Bayern zu Masernimpfung/Zwangsgeld: Den Eltern eines Schülers, der keine Masernimpfung nachwies, darf ein Zwangsgeld angedroht werden. Das entschied der Verwaltungsgerichtshof München. Die Behörden müssen dabei aber jeweils im Einzelfall abwägen, ob die Androhung verhältnismäßig ist, um einen hohen Impfgrad zu erreichen. beck-aktuell berichtet.

LG Hanau zu Mordversuch an dementem Ehemann: Das Landgericht Hanau verurteilte eine 63-jährige Frau zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten wegen Mordversuchs und gefährlicher Körperverletzung. Die Frau, die sich mit der Pflege des Ehemannes zunehmend überfordert fühlte, hatte eine potenziell tödliche Dosis Beruhigungsmittel in Wein gemischt, um sich und ihren Mann zu töten. Das Ehepaar wurde aber noch rechtzeitig gefunden. Das Strafmaß begründete das Gericht damit, dass die Frau bei der Tat betrunken war und das Gericht ihre Lebensleistung bei der Pflege mehrerer Angehöriger gewürdigt habe. Die FAZ (Jan Schiefenhövel) berichtet im Rhein-Main-Teil.

LG Cottbus – Schadenersatz für Klimaproteste auf Flughafen: Der Flughafen Berlin-Brandenburg klagt gegen sechs Mitglieder der Letzten Generation wegen einer Blockadeaktion im November 2022 auf Schadenersatz in Höhe von 33.000 Euro. Die FAZ (Stephan Klenner) berichtet. 

Wahlwerbung: Rechtsprofessor Matthias Friehe gibt auf beck-aktuell eine Rechtsprechungsübersicht zur Frage, wann Rundfunksender die Ausstrahlung von Wahlwerbespots politischer Parteien verweigern können. Maßgeblich sei eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1978. Danach sei die Zurückweisung nur dann möglich, "wenn der Verstoß gegen die allgemeinen Strafgesetze evident ist und nicht leicht wiegt". Die Latte für das Verbot eines Wahlwerbespots liege also deutlich höher als für eine strafrechtliche Verurteilung. 

Ex-Staatsanwältin Brorhilker: Der Leiter der Kölner Staatsanwaltschaft Stephan Neuheuser fand die Arbeit von Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker in Cum-Ex-Verfahren "inhaltlich unzulänglich", ihre Berichtsentwürfe seien "regelmäßig deutlich überarbeitungsbedürftig" gewesen. Dies wurde durch eine Antwort von Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) auf eine parlamentarische Anfrage im NRW-Landtag bekannt. Das HBl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) nimmt dies zum Anlass, sehr ausführlich die Verdienste Brorhilkers bei der Cum-Ex-Aufarbeitung und die Widerstände in der Staatsanwaltschaft und im Justizministerium darzustellen. 

Recht in der Welt

Frankreich – Pawel Durow: Die französische Justiz führt zwei Ermittlungsverfahren gegen Telegram-Chef Pawel Durow.  Zum einen wird ihm vorgeworfen, er lasse auf seiner verschlüsselten Plattform Verbrechen zu, insbesondere Kinderpornografie, Betrug, Drogenhandel, Cybermobbing, Bandenkriminalität, Geldwäsche und Verherrlichung von Terrorismus. Außerdem habe er seinen sechsjährigen Sohn mehrfach geschlagen. Die SZ (Silke Bigalke u.a.) widmet Durow eine Seite 3-Reportage. 

spiegel.de (Max Hoppenstedt u.a.) ordnet das Ermittlungsverfahren juristisch ein. Die Zuständigkeit der französischen Ermittler:innen sei unumstritten, weil Durow seit 2021 auch französischer Staatsbürger ist. Sein Fall wird verglichen mit Kim Dotcom, der mit dem Filehoster Megaupload für Urheberrechtsverletzungen verantwortlich sein soll und Ross Ulbricht, der das Darknet-Forum Silkroad aufbaute. Fraglich sei, warum die französischen Behörden bei Durow keine Fluchtgefahr annehmen.

Patrick Beuth (spiegel.de) glaubt, dass Durow sich unantastbar gefühlt habe. Dabei habe er aber übersehen, dass Provider durchaus für Inhalte auf ihrer Plattform verantwortlich sind, wenn sie auf strafbare Inhalte hingewiesen wurden und nichts unternehmen. Stephan Klenner (FAZ) kommentiert: "Am Ende wird es auf technische Details ankommen, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht seriös einzuordnen sind." 

Schweiz – Klimaschutz: Die Schweizer Bundesregierung (Bundesrat) hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem April kritisiert, wonach die Schweiz nicht genug für den Klimaschutz leiste. Das Gegenteil sei richtig, erklärte der Bundesrat und verwies auf das Klima- und Innovationsgesetz von 2023, das eine Klimaneutralität der Schweiz bis 2050 vorsehe. Die Schweizer Klimaseniorinnen, die das EGMR-Urteil erstritten hatten, kritisieren jedoch, dass die Schweiz immer noch kein nationales CO2-Budget festgelegt hat. Es berichten SZ (Nicolas Freund/Wolfgang Janisch) und taz (Anton Dieckhoff)

Südkorea – Klimaschutz: Das südkoreanische Verfassungsgericht hat die Regierung verpflichtet, für die Zeit ab 2030 Umsetzungspläne zur Frage vorzulegen, mit welchen Maßnahmen bis 2050 (wie vorgesehen) Klimaneutralität erreicht werden soll. Geklagt hatten 254 Einzelpersonen, großteils Kinder und Jugendliche. beck-aktuell berichtet. 

Spanien – Yacht-Unfall: Auf Mallorca wird gegen einen 35-jährigen deutschen Millionärssohn wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Er soll mit der väterlichen Yacht ein kleines Schiff gerammt haben, wobei ein Mensch starb. Der Skipper sagt, er habe von der Kollision nichts mitbekommen. Es berichten FAZ (Hans-Christian Rößler) und bild.de (Andreas Klinger u.a.). 

Sonstiges

Anwältin von Issa al Hasan: Die Anwaltsverbände DAV und BRAK kritisieren Medienberichte, die der Dresdner Anwältin des Solingen-Attentäters Issa al Hasan vorwerfen, sie habe ihren Mandanten beraten, wie er die Dublin-Überstellung nach Bulgarien umgehen kann. Die Kollegin habe aber nur ihre berufliche Pflicht erfüllt, so die Verbände und weitere zitierte Anwälte. beck-aktuell (Pia Lorenz) berichtet. 

Ausweisung von IZH-Leiter: Die Hamburger Innenbehörde hat den ehemaligen Leiter des im Juli verbotenen Vereins Islamisches Zentrum Hamburg, Mohammad Hadi Mofatteh, ausgewiesen. Er muss Deutschland bis zum 11. September verlassen, sonst werde er abgeschoben. LTO berichtet.

Azubis: tagesschau.de (Philip Raillon) stellt zum Start des neuen Ausbildungsjahrs dar, welche Rechte und Pflichte Auszubildende haben. 

Rechtsgeschichte – Aids-Bekämpfung: Die Rechtsreferendarin Anna-Mira Brandau erinnert auf dem Verfassungsblog an die bayerische Aids-Politik der 1980er-Jahre, die Zwangstests bei Risikogruppen, insbesondere Homosexuellen, vorsah. Bayern berief sich damals auf den Spielraum des Landes bei der Ausführung des Bundesseuchengesetzes als Bundesgesetz. Allerdings hätte der Bund Aufsichtsrechte geltend machen können, wenn sich für ihn der Eindruck verdichtet hätte, dass hier der Infektionsschutz nur benutzt wird, um unliebsame Minderheiten zu stigmatisieren. 


Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/chr

(Hinweis für Journalist:innen)   

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren
 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. August 2024: . In: Legal Tribune Online, 30.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55303 (abgerufen am: 11.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen