Die juristische Presseschau vom 22. August 2024: Busch­mann für elek­tro­ni­sche Fuß­f­essel / Trö­delei des BGH / Ukraine rati­fi­ziert IStGH-Statut

22.08.2024

Justizminister ist offen für bundesweite Fußfessel-Regelung im Gewaltschutzgesetz. Das OLG Frankfurt/M. lässt U-Häftling wegen Verfahrensverzögerung durch den BGH frei. Ukraine tritt IStGH bei - mit Ausnahmen.

Thema des Tages

Elektronische Fußfessel: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zeigte sich erstmals offen für eine bundeseinheitliche Regelung der elektronischen Fußfessel zum Schutz vor häuslicher Gewalt. Bisher hatte er eine vom Land Hessen eingebrachte Bundesratsinitiative abgelehnt, weil für das Polizeirecht die Länder zuständig seien. Nun sagte Buschmann: "Auch Regelungen im Gewaltschutzgesetz kann ich mir grundsätzlich vorstellen." Für eine längerfristige Anordnung könne es Sinn machen, auch Familiengerichte einzubeziehen. Er lasse prüfen, ob es hierbei Spielraum für eine bundesgesetzliche Regelung gebe. Mit der Fußfessel sollen Kontaktverbote und Verbote zum Betreten von Wohnungen besser umgesetzt werden. LTO berichtet.

Rechtspolitik

Vorratsdatenspeicherung: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) forderte erneut die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung für IP-Adressen. Sie beruft sich nun auf ein neues Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, das ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom April erläutert. Der EuGH hatte darin erstmals die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen auch bei allgemeiner Kriminalität (und nicht nur bei schwerer Kriminalität) zugelassen. FDP und Grüne bleiben dagegen bei ihrer Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung, weil dies so im Koalitionsvertrag vereinbart sei. Der EuGH verpflichte nicht zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung. Die FAZ (Marlene Grunert) berichtet.

Arbeitszeit: Im Interview mit beck-aktuell (Monika Spiekermann) spricht Rechtsprofessor Daniel Ulber über die Mitte Juli verabschiedete Wachstumsinitiative der Bundesregierung, die unter anderem eine Flexibilisierung der Tageshöchstarbeitszeit vorschlägt. Er kommt zu dem Schluss, dass eine Abkehr von einer täglichen Höchstarbeitszeit nur möglich sei, wenn gleichzeitig auch den Vorgaben der EU-Richtlinie zur täglichen Mindestruhezeit Rechnung getragen werde. Die Lösung könne nicht "in einem Abbau, sondern nur in einem schonenden Umbau des Gesetzes liegen".

Cannabis im Straßenverkehr: Nun stellt auch LTO die am heutigen Donnerstag in Kraft tretenden Regelungen zum Cannabiskonsum im Straßenverkehr vor. So gilt etwa für den Wirkstoff THC ein Grenzwert von 3,5 Nanogramm je Milliliter Blut. Der Mischkonsum von Cannabis und Alkohol im Straßenverkehr ist dagegen gänzlich untersagt.

Justiz

OLG Frankfurt/M. zu Haftbefehl/Verfahrensdauer: Weil der Bundesgerichtshof (BGH) zu langsam gearbeitet habe und die Aufrechterhaltung des Haftbefehls daher nicht mehr verhältnismäßig sei, ließ das Oberlandesgericht Frankfurt/M. laut beck-aktuell (Joachim Jahn) einen Untersuchungshäftling frei. Der Mann ist bereits rechtskräftig wegen mehrere Sexualstraftaten verurteilt. Lediglich den konkreten Schuldspruch hatte der BGH in einigen Punkten aufgehoben. In ihrem Beschluss kritisieren die Frankfurter Richter:innen nun das langsame Vorgehen des BGH und kommen zu dem Schluss, dass eine Abwägung zwischen dem Grundrecht des Angeklagten auf Wahrung seiner persönlichen Freiheit und dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung und -vollstreckung "angesichts der erheblichen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung und der Dauer der bislang vollzogenen Untersuchungshaft von mehr als sechs Jahren" die Aufrechterhaltung des Haftbefehls nicht mehr rechtfertige.

BGH zu KZ-Sekretärin Stutthof: Im Leitartikel lobt Wolfgang Janisch (SZ) die (späte) Selbst-Korrektur des Bundesgerichtshofs bei der Bestrafung von Beihilfe in Konzentrationslagern. "Ohne diese überfällige Korrektur hätte die deutsche Justiz künftigen Generationen die Botschaft hinterlassen, dass es strafrechtlich schon in Ordnung war, in einem Betrieb mitzuarbeiten, dessen einziger Zweck in der massenhaften Tötung von Menschen bestand."

BGH zum Handel mit Autokennzeichen: Der Bundesgerichtshof hat laut LTO zwei ehemalige Mitarbeiterinnen einer Kfz-Zulassungsstelle und einen Unternehmer, der mit Kfz-Kennzeichen handelte, vom Verdacht der Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt freigesprochen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts Mannheim sei das Datum der Erstzulassung eines Kraftfahrzeuges keine Tatsache, die im Fahrzeugbrief "mit der besonderen Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde" im Sinne des § 348 StGB beurkundet werde. Die Verurteilung des Unternehmers wegen Anstiftung zur unbefugten Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten hielt der Überprüfung des BGH dagegen stand.

BVerwG zu Compact-Verbot: Ausführlich analysieren nun auch die taz (Christian Rath) und LTO (Felix W. Zimmermann) die inzwischen veröffentlichten Gründe, warum das Bundesverwaltungsgericht vorige Woche in einem Eilbeschluss das Verbot des Compact-Verlags aussetzte. Zwar greife das Magazin "fortwährend" mit demütigenden Äußerungen die Menschenwürde von eingebürgerten Deutschen und Ausländer:innen an, es bestünden allerdings Zweifel daran, ob die entsprechenden Passagen derart prägend seien, dass sie ein Vereinsverbot rechtfertigen können. Dies wird erst im Hauptsacheverfahren am 12. Februar geklärt. Bis dahin kann das Bundesinnenministerium seine Argumentation noch nachbessern.

BAG zu Entgeltumwandlung bei Betriebsrenten: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass auch Tarifverträge, die vor Inkrafttreten des Ersten Betriebsrentenstärkungsgesetzes aus dem Jahr 2018 geschlossen wurden, von den gesetzlichen Regelungen zum Arbeitgeberzuschuss bei der Entgeltumwandlung abweichen dürfen. Ob Arbeitgeber allerdings ganz um den Zuschuss herumkommen, wenn ein Alttarif keinerlei Bestimmung zur Beteiligung des Arbeitgebers bei der Entgeltumwandlung enthält, blieb nach der Entscheidung offen. Entsprechende Fälle sind anhängig. Es berichtet die FAZ (Marcus Jung).  

OLG Frankfurt/M. zu Pflichtverteidigergebühren: Der Rechtsanwalt Wolfgang Ewer kritisiert auf beck-aktuell einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt/M., mit dem eine höhere Pauschgebühr für einen Pflichtverteidiger im "Lübcke-Verfahren" abgelehnt wurde. Dies sei angesichts des hohen Arbeitsaufwands und der Komplexität des Verfahrens unverhältnismäßig. Es sei zu befürchten, dass Pflichtverteidiger:innen vor dem Hintergrund solcher Entscheidungen ihren Beruf nicht mehr gewissenhaft ausüben könnten; und Beschuldigten, die auf eine Pflichtverteidigung angewiesen sind, damit die Möglichkeit einer effektiven Verteidigung vorenthalten werde.

OLG Frankfurt/M. - Umsturzpläne/Reuß: Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. setzte die Angeklagte Birgit Malsack-Winkemann ihre Aussage fort. Die frühere Richterin und AfD-Bundestagsabgeordnete habe sich dabei laut taz (Joachim F. Tornau) mehrfach widersprüchlich geäußert. Mit der von ihr aufgeworfenen Frage, inwiefern sich von einer "terroristischen Vereinigung" sprechen lasse, wenn sich die Mitglieder der Gruppe in Teilen gar nicht kannten, werde sich das Gericht aber tatsächlich beschäftigen müssen.

LG Duisburg zu Anschlag auf Linken-Büro: Weil sie im Juli 2022 einen Sprengstoffanschlag auf das damalige Büro der Partei "Die Linke" in der Innenstadt von Oberhausen begangen und dieses dabei komplett zerstört hatten, wurde ein rechtsextremes Paar nun vom Landgericht Duisburg zu Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren und vier Monaten verurteilt, so die taz (David Bieber).

LG Erfurt – Zugang zur AfD-Wahlparty: Spiegel, Bild, Welt und taz haben beim Landgericht Erfurt Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die AfD Thüringen gestellt, um am Tag der Landtagswahl in Thüringen Zugang zur AfD-Wahlparty zu erhalten. Die AfD hatte den Zugang abgelehnt, weil der Veranstaltungsort lediglich Platz für 200 Personen biete und sie bereits 50 vor allem landespolitisch orientierte Journalist:innen eingeladen habe. LTO berichtet.

LG Verden – vierfacher Rachemord: Vor dem Landgericht Verden hat der Mordprozess gegen den Bundeswehrsoldaten Florian G. begonnen, so die FAZ (Reinhard Bingener). Der 32-Jährige soll vier Personen erschossen haben, die seiner Ehefrau nahestanden, u.a. deren neuen Freund. Es wird vermutet, dass es sich bei den Taten um einen Stellvertreter-Femizid handelt, bei dem der Täter nicht die Frau selbst tötete, sie aber unter den Morden leiden solle.

Recht in der Welt

Ukraine – IStGH: Wie LTO berichtet, hat die Ukraine - mehr als 24 Jahre nach der Unterzeichnung - das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert. Dabei beansprucht sie aber eine vorübergehende Ausnahme von der Gerichtsbarkeit für ihr Militär. So ist nun festgelegt, dass die Ukraine die Zuständigkeit des IStGH für Kriegsverbrechen sieben Jahre lang nicht anerkennen wird, wenn es um ukrainische Bürger:innen geht. Hintergrund sind Befürchtungen der Armee, dass ihr Vorgehen im Kampf gegen russische Kräfte in einigen Fällen als Kriegsverbrechen angeklagt werden könnte.

Großbritannien – Hass im Netz: In Großbritannien geht die Justiz strenger gegen Gewaltbefürwortung im Netz vor, nachdem infolge der Messerattacke von Southport auf Online-Plattformen verstärkt Hasskommentare gepostet und zur Hetzjagd auf Immigrant:innen aufgerufen wurde. So wurde etwa ein 28-Jähriger wegen eines Kommentars auf Facebook zu einer 20-monatigen Haftstrafe verurteilt. Michael Neudecker (SZ) begrüßt das Vorgehen und konstatiert: "Wenn die Betreiber von sozialen Netzwerken sich ihrer Verantwortung entziehen, bleibt dem Staat nichts anderes übrig, als diese Lücke zu füllen."

Polen – Korruption der PiS-Regierung: Die FAZ (Viktoria Großmann) berichtet über die Korruptionsermittlungen gegen den früheren stellvertretenden Justizminister Polens, Marcin Romanowski, und andere Mitglieder der nationalkonservativen PiS, und erläutert, warum diese trotz guter Beweislage schwer zu fassen seien. So sei Romanowski etwa derzeit durch seinen Sitz in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats geschützt und das Verfassungsgericht noch immer in der Hand der PiS.

Ungarn – Maja T.: Die Linkenpolitiker:innen Martin Schirdewan und Martina Renner haben die antifaschistische nonbinäre Person Maja T. in Budapest besucht. Sie berichten von katastrophalen Haftbedingungen und fordern Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) daher auf, tätig zu werden, um T. nach Deutschland zurückzuholen. Es berichtet die taz (Muri Darida).

IstGH/Israel – Krieg in Gaza/Haftbefehle: Der emeritierte Politikprofessor Gerald M. Steinberg kritisiert in der FAZ, dass der Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, Haftbefehle gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant beantragt hat. Damit habe er nach Auffassung des Autors "neue Möglichkeiten der Terrorrelativierung" eröffnet und einmal mehr bestätigt, "wie scheinheilig und einseitig das Heranziehen des Völkerrechts" im Hinblick auf den Krieg in Gaza betrieben werde.

Juristische Ausbildung

Studienabbruch: LTO-Karriere (Sabine Olschner) fasst die Möglichkeiten zusammen, die Abbrecher:innen eines Jurastudiums haben und welche beruflichen Optionen das erste Staatsexamen bietet.

Sonstiges

Sexueller Missbrauch/Kirche: Der emeritierte Rechtsprofessor Norbert Lüdecke und der Rechtsprofessor Stephan Rixen behandeln auf dem Verfassungsblog die rechtlichen Herausforderungen bei Amtshaftungsklagen gegen die römisch-katholische Kirche in Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt durch Kleriker. Sie schildern die Klage einer Frau, die als 12-Jährige einem Priester in Pflegschaft gegeben wurde, der sie dann jahrelang missbrauchte. Die Kirche lehnt einen Schadensersatzanspruch ab, da der Priester hier als Privatmann, nicht im Auftrag der Kirche gehandelt habe.

Resilienz des Datenschutzes: Der Jurist Paul Friedl und der Referent Louis Rolfes schildern auf dem Verfassungsblog, welche Gefahren von der Datenmacht des Staates ausgehen und gehen dabei vor allem der Frage nach, ob und wie autoritäre Kräfte, etwa eine rechtsautoritäre Regierung in Thüringen, die Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht unterminieren könnten. Die Autoren halten es für essenziell, dass "der Gesetzgeber" den Bestand und die Arbeits- und Durchsetzungsfähigkeit der Datenschutzaufsicht institutionell besser absichert.

Autonome Waffensysteme: Die Rechtsanwälte Thomas Klindt und Lennart Laude gehen in der FAZ der Frage nach, welche völkerrechtlichen Regelungen für den Einsatz und die Entwicklung autonomer Waffensysteme gelten.

Cicero: Die Zeit (Sabine Rückert) schildert Leben und Aufstieg des Juristen, Philosophen und Staatsmannes Marcus Tullius Cicero und erzählt insbesondere, wie dieser – als noch junger Strafverteidiger – durch einen Mordprozess zum Volkshelden wurde.

 

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LTO/bo/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 22. August 2024: . In: Legal Tribune Online, 22.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55251 (abgerufen am: 20.01.2025 )

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