Die juristische Presseschau vom 12. Juli 2024: EuGH zu Ver­bands­klage für Daten­schutz / EuGH zum Abschuss von Wölfen / Ver­fas­sungs­be­schwerde eines Schwarz­fah­rers

12.07.2024

Das Verbandsklagerecht im Datenschutz gilt auch für Informationspflichten. Der EuGH präzisierte die hohen Hürden zum Abschuss von Wölfen. Das BVerfG soll die Verhältnismäßigkeit der Strafen für Leistungserschleichung klären.


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Thema des Tages

EuGH zu Verbandsklage und Datenschutz: Das Verbandsklagerecht gilt im Datenschutz auch dann, wenn lediglich die Verletzung von Informationsrechten der Nutzer:innen geltend gemacht wird. Dies hat der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Bundesgerichtshofs entschieden. Bereits 2022 legte der EuGH auf Vorlage des BGH die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verbraucherfreundlich aus, indem er klarstellte, dass Verbände auch ohne konkreten Auftrag gegen Datenschutzverstöße klagen können. In dem zu entscheidenden Fall ging es aber nicht nur um Probleme bei der "Verarbeitung" von Daten, auf die die Befugnisse der Verbände aus der DSGVO beschränkt sein könnten, sondern um die Verletzung von Informationspflichten durch Facebook. Der BGH legte den Fall daher erneut dem EuGH vor; und dieser entschied wiederum zugunsten der Verbraucher:innen. Die Verbände können auch die Verletzung von Informationspflichten rügen, wenn diese sich auf die Verarbeitung von Daten beziehen. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky) und taz (Christian Rath)

Rechtspolitik

Cybermobbing: Der Rechtsprofessor Kai Cornelius erneuert auf dem Verfassungsblog sein Plädoyer für die Einführung eines eigenen Cybermobbing-Straftatbestandes. Zwar sei Cybermobbing bereits durch bestehende Regelungen überwiegend strafbar, diese berücksichtigten jedoch nicht den das Cybermobbing auszeichnenden besonderen Aspekt der "dynamischen Beteiligung zuvor Außenstehender". 

KapMuG: Der Richter Gregor Vollkommer befasst sich auf beck-aktuell mit der Reform des Kapitalanlegermusterverfahrensgesetzes, die der Bundestag im Juni beschlossen hat. Rechtspolitisch am wichtigsten sei die Ausweitung des KapMuG auf Schadensersatzansprüche gegen Wirtschaftsprüfer. Diese Änderung hatte der Bundestag erst in den Ausschussberatungen vorgenommen. Es sei aber fraglich, so der Autor, ob dies bereits auf das Wirecard-Verfahren durchschlägt, das im November am Bayerischen Obersten Landesgericht beginnt, da die KapMuG-Änderungen nicht für Sachverhalte in der Vergangenheit gelten sollen. Die Änderung zu den Wirtschaftsprüfern hatte der Bundestag allerdings als "Klarstellung" bezeichnet.

Migration: Im Interview mit dem Hbl (Sven Prange) spricht der Migrationsexperte Ruud Koopmans über die aktuell diskutierten Vorschläge, mit denen die Zuwanderung nach Europa begrenzt werden soll; und über bestehende rechtliche Hürden. 

Justiz

EuGH – Abschuss von Wölfen: Auf Vorlage des Tiroler Landesverwaltungsgerichts stellte der EuGH fest, dass das strenge EU-Wolfsjagdverbot aus der EU-Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie auch in Österreich gilt. Ausnahmen seien nur dann möglich, wenn sich die Wolfspopulation in einem günstigen Erhaltungszustand befinde. Vor einem Abschuss von Problemwölfen seien zudem andere Maßnahmen wie etwa der Schutz von Nutztieren durch Zäune oder Wachhunde zu prüfen. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky), LTO, tagesschau.de (Max Bauer) und beck-aktuell

BVerfG – Schwarzfahren: Der drogenabhängige Peter K. hat Verfassungsbeschwerde gegen seine strafrechtliche Verurteilung wegen Leistungserschleichung erhoben. K. hatte mehrmals ohne gültigen Fahrschein die öffentlichen Verkehrsmittel genutzt und war deshalb zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Die Anwält:innen Sebastian Sobota und Jessica Hamed haben Peter K.s Fall nun pro bono übernommen. Sie sind der Überzeugung: Eine solch hohe Strafe verstößt gegen das "Übermaßverbot". Ein Erfolg in Karlsruhe dürfte Auswirkungen auf sehr viele Strafprozesse haben. Es berichtet die SZ (Ronen Steinke)

LVerfG SH – Haushalt SH: Wie die FAZ (Julian Staib) berichtet, wollen die Fraktionen von SPD und FDP im Landtag von Schleswig-Holstein vor dem Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein gegen den Haushalt der schwarz-grünen Landesregierung klagen, da sie den Etat für das laufende Jahr für verfassungswidrig halten. So seien die festgestellten Notlagen zweifelhaft, und auch die Verwendung der Mittel sei fragwürdig. Ein Gutachten bestätige laut SPD und FDP die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haushaltsgesetzes.  

BGH zu Mietkaution und Verjährung: Nun berichtet auch LTO-Karriere (Kevin Japalak) über das Urteil des Bundesgerichtshofs von Mittwoch, wonach Vermieter:innen die Kaution auch dann einbehalten dürfen, wenn ihr Schadensersatzanspruch gegen die Mieter:innen bereits verjährt ist. Der Autor legt dar, warum die Grundsatzentscheidung sowohl praxis- als auch examensrelevant ist. 

BGH zu Eigenbedarfskündigung: Wenn der Cousin in eine Wohnung einziehen will, rechtfertigt das keine Kündigung des Mietvertrags wegen Eigenbedarfs. Dies hat der Bundesgerichtshof laut beck-aktuell (Maximilian Amos) entschieden. Denn zu den nahen Angehörigen, deren Eigenbedarf eine Kündigung rechtfertige, zählten nur Menschen, denen auch ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen zustehe. Entferntere Verwandte wie Cousins zählten dagegen nicht zum privilegierten Personenkreis. Dies gilt auch für die Sonderregelung des § 577a Abs. 1a BGB, wonach eine Personengesellschaft, die eine Wohnung erwirbt, drei bis zehn Jahre lang keinen Eigenbedarf geltend machen kann, es sei denn dass Familienangehörige der Verkäufer zum Gesellschafterkreis gehören.

OLG Karlsruhe zu Preis von frisch gepresstem Orangensaft: Ein Supermarkt, der Orangensaft zum Selbstpressen anbietet, muss dabei den Preis pro Liter oder Milliliter angegeben; ein pauschaler Preis für Flaschen unterschiedlicher Größen, auf denen sich keine Angaben zur Füllmenge befinden, verstößt gegen die Preisangabenverordnung. Dies hat das Oberlandesgericht Karlsruhe entschieden. Die fehlende Füllmengenangabe auf den Flaschen erschwere es Verbraucher:innen, sowohl die Preise verschiedener Flaschengrößen als auch die Preise verschiedener Säfte untereinander zu vergleichen. Das Urteil betrifft auch andere Frischware, die nicht eindeutig ausgepreist wird. Daher hat das OLG die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Es berichtet LTO

OLG Koblenz zu Impfschaden: Das Oberlandesgericht Koblenz hat die Berufung einer Frau zurückgewiesen, die wegen behaupteter Schmerzen und Schwindelgefühle infolge einer Corona-Impfung Schadensersatz von dem Impfstoffhersteller Biontech verlangt hatte, so LTO. Die Frau habe nicht ausreichend dargelegt, dass der Impfstoff eine negative Nutzen-Risiko-Bilanz aufweise und dass der Hersteller unzutreffende Angaben machte. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache ließ das OLG die Revision zu. 

OVG NRW zu Verdachtsfall AfD: Endstation Rechts (Thomas Witzgall) analysiert ausführlich die jetzt vorgelegten Gründe der im Mai verkündeten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster über die Einstufung der AfD-Bundespartei als rechtsextremistischen Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Der Verfassungsordnung zuwiderlaufende Bestrebungen ergäben sich bei der AfD vor allem aus dem starken Verdacht, sie wolle den Menschenwürdeschutz für Ausländer, Deutsche mit Migrationshintergrund und Muslime außer Kraft setzen. Die Belege reichten dabei bis in die Parteispitze.

VG Berlin zu Umzäunung Görlitzer Park: Wie LTO berichtet, hat das Verwaltungsgericht Berlin den Eilantrag des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, mit dem dieser die Pläne des Berliner Senats zur Umzäunung des Görlitzer Parks ausbremsen wollte, als unzulässig abgelehnt. Der Bezirk habe weder eigene Rechte noch eine schutzfähige Rechtsposition, die durch die Ausübung des Eingriffsrechts verletzt sein könnte. Auch könne er sich nicht auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie berufen. Im Übrigen habe der Bezirk nicht glaubhaft gemacht, dass durch die Umzäunung irreversible Folgen entstünden.

LG Frankfurt/M. zu Mord nach Verspottung: Das Landgericht Frankfurt am Main verurteilte einen 17-Jährigen wegen Mordes zu einer neunjährigen Jugendstrafe. Der junge Mann lernte das spätere Opfer, eine 28-jährige Frau, in einer Bar kennen und erwürgte sie wenig später, weil sie ihn – wie er sagte – beim Sex wegen seiner Erektionsprobleme ausgelacht haben soll. Die Tat filmte er. Die Staatsanwaltschaft hatte zehn Jahre Gefängnis sowie Sicherungsverwahrung gefordert. Es berichtet spiegel.de

LG Hamburg zu Entführung und Vergewaltigung von Ex-Freundin: Das Landgericht Hamburg verurteilte einen mehrfach vorbestraften 31-jährigen Mann, der eine Ex-Freundin entführt, vergewaltigt, misshandelt und zwangstätowiert hat, unter anderem wegen Vergewaltigung, Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer neunjährigen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung, so spiegel.de

StA Düsseldorf – Schleuseraffäre/Dürener Landrat: Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ermittelt laut spiegel.de gegen den Dürener Landrat Wolfgang Spelthahn (CDU) wegen des Verdachts der Bestechlichkeit. Konkret wird ihm vorgeworfen, gemeinsam mit anderen Beschuldigten reichen ausländischen Menschen die Erteilung eines Aufenthaltstitels gegen Geld versprochen bzw. deren Erteilung angewiesen zu haben. Ermittler:innen haben nun die Privat- und Büroräume des Landrats durchsucht, der jedoch weiterhin seine Unschuld beteuert.  

Recht in der Welt

USA – Baldwin-Schüsse: Am Dienstag begann im US-Bundesstaat New Mexico der Prozess gegen den Schauspieler Alec Baldwin, der 2021 bei Dreharbeiten mit einer geladenen Pistole eine Kamerafrau erschossen hat. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, am Set "die grundlegendsten Sicherheitsregeln für den Waffengebrauch gebrochen" zu haben. Baldwins Anwalt wies die Vorwürfe zurück. Sollte es zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung kommen, drohen dem 66-Jährigen bis zu 18 Monate Haft. spiegel.de berichtet über den ersten Prozesstag. 

USA – Supreme-Court-Richter/Amtsenthebung: Eine Gruppe von neun demokratischen Abgeordneten unter Federführung von Alexandria Ocasio-Cortez hat gegen die konservativen Supreme Court-Richter Clarence Thomas und Samuel Alito ein Amtsenthebungsverfahren beantragt. Sie seien bestechlich und nähmen auch an Verfahren teil, bei denen sie befangen sind. Die Erfolgsaussichten, dass es zu einem Impeachment kommt, dürften jedoch aufgrund der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus gering sein. Die taz (Hansjürgen Mai) berichtet.

Russland – Menschenrechtler Orlow: Ein Moskauer Gericht hat laut spiegel.de die Berufung des Menschenrechtsaktivisten Oleg Orlow gegen seine Verurteilung zu zweieinhalbjähriger Lagerhaft zurückgewiesen. Der 71-jährige frühere Mitarbeiter der mittlerweile verbotenen Organisation Memorial hatte einen kriegskritischen Text veröffentlicht. Im Rahmen seiner Anhörung verglich er das russische Justizsystem mit den Zuständen in Nazideutschland.

Frankreich – Taizé-Gemeinschaft: Die taz (Stefan Hunglinger) nimmt das erste Urteil gegen einen Bruder der Gemeinschaft von Taizé zum Anlass, ausführlich über die Ordensgemeinschaft und die gegen sie gerichteten Vergewaltigungs- und Missbrauchsvorwürfe zu berichten. Emmanuel C., der nun von einem Gericht im französischen Tours wegen des Erwerbs von Missbrauchsdarstellungen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung schuldig gesprochen wurde, hatte massenhaft Videos und Bilder aus dem Internet heruntergeladen, die die Vergewaltigung von Kindern zeigten. 

Juristische Ausbildung

Jurastudium nach Berufsausbildung: Im Interview mit LTO-Karriere (Franziska Kring) spricht Fabian Kraupe über seinen Weg vom Einzelhandelskaufmann ohne Abitur zum Rechtsanwalt in einer Großkanzlei. 

Sonstiges

Wissenschaftsfreiheit: Reinhard Müller (FAZ) nimmt die Fördergeldaffäre um Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zum Anlass, sich mit der Freiheit der Wissenschaft zu beschäftigen und darzulegen, dass "(partei-)politische Vorgaben, Erwartungen oder Nützlichkeitserwägungen" unvereinbar mit der Wissenschaftsfreiheit seien. Es dürfe "nie, niemals" nach Gesinnung gehen. 

Gedenkstätte Hoheneck: Im ehemaligen DDR-Frauengefängnis Hoheneck wurde nun die Gedenkstätte Hoheneck eröffnet, die an die Leiden der Frauen erinnern soll, die dort zwischen 1950 und 1989 aus politischen Gründen inhaftiert worden waren. Auch die damals 19-jährige Margitta Wesselhöft verbrachte zwei Jahre ihres Lebens in Hoheneck, weil sie versucht hatte, aus der DDR zu fliehen. Nun spricht sie mit zeit.de (Benedikt Herber) über ihre traumatischen Erfahrungen und ihren Wunsch nach Aufarbeitung.  

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/bo/chr

(Hinweis für Journalist:innen)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 12. Juli 2024: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54987 (abgerufen am: 06.12.2024 )

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