Bundesjustizminister Buschmann legte Eckpunktepapier zur Verantwortungsgemeinschaft vor. LG Berlin I sprach Arafat Abou-Chaker von nahezu allen Anklagepunkten frei. Autor Akif Pirincci erhielt Freiheitsstrafe wegen Volksverhetzung.
Thema des Tages
Verantwortungsgemeinschaft: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat ein Eckpunktepapier zur Einführung einer "Verantwortungsgemeinschaft" vorgelegt. Danach sollen bis zu sechs Menschen, die dauerhaft Verantwortung füreinander übernehmen, eine Verantwortungsgemeinschaft gründen können. Welche Rechte damit einhergehen, sollen die Beteiligten selbst bestimmen dürfen, indem sie aus verschiedenen Modulen, die Bereiche wie Wohnen, Pflege oder Finanzielles umfassen, wählen können. Der Vertrag über eine Verantwortungsgemeinschaft muss notariell beglaubigt werden und kann jederzeit geändert oder aufgelöst oder auch einseitig gekündigt werden. Steuererleichterungen oder Unterhaltspflichten sind nicht vorgesehen. Auch soll die Verantwortungsgemeinschaft weder aufenthaltsrechtliche Vorteile noch ein Sorgerecht für Kinder verschaffen. Die CDU befürchtet, dass durch das Gesetz Vielehen anerkannt werden könnten. Im Herbst will Buschmann einen entsprechenden Gesetzentwurf ins Kabinett einbringen. SZ (Constanze von Bullion), FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath), LTO und spiegel.de (Sophie Garbe) berichten.
Reinhard Müller (FAZ) hält zwar die Sorge der Union, das Gesetz könnte die Gefahr von Vielehen mit sich bringen, für überzogen, kritisiert das Vorhaben aber als überflüssig und wenig "freiheitlich". Der FDP wirft er vor, sie wolle "den offenbar darbenden Notaren" ein "neues Geschäft besorgen". Christian Rath (LTO) ist der Ansicht, das Vorhaben verdiene grundsätzlich Unterstützung. An einigen Stellen sei es aber "noch etwas schwachbrüstig". Auch gebe es "echte Lücken in den Eckpunkten". So fehle etwa ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Mitglieder der Verantwortungsgemeinschaft. Im Hinblick auf die seitens der Union vorgebrachte Kritik stellt Rath klar, dass die Verantwortungsgemeinschaft nicht wie eine Ehe wirke und auch nicht "Ehe" heiße, also werde "mit ihr auch keine "Vielehe" eingeführt, legitimiert oder gefördert." Jan Alexander Casper (Welt) hält die geplante Einführung der Verantwortungsgemeinschaft für richtig, bemängelt aber das "zurückhaltende" Vorgehen. Nehme "man die neue Realität ernst, sollte es auch dafür Steuererleichterungen geben".
Rechtspolitik
Resilienz des BVerfG: Im Interview mit LTO (Markus Sehl) spricht sich die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) für einen wirksamen Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor Aushebelung und Blockaden aus. "Alles, was für die Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichts relevant ist", müsse nun abgesichert werden. Zusätzlich zu einer Grundgesetzänderung, die etwa die Begrenzung der Amtszeit auf zwölf Jahre, den Ausschluss der Wiederwählbarkeit und die Struktur mit zwei Senaten festschreiben sollte, schlägt die Rechtspolitikerin einen Bundesrichter-Pool vor, aus dem in Blockadefällen nach einem System, das Regelhaftigkeit und Unabsehbarkeit kombiniert, eine Verfassungsrichter:in gezogen werden könnte.
Kartellrecht und Nachhaltigkeit: Rechtsanwalt Jonas Brueckner legt auf LTO dar, warum Unternehmen, die zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen den Austausch mit Wettbewerbern suchen, einen Verstoß gegen das Kartellrecht riskieren und wie die EU-Kommission dieses Risiko minimieren möchte. Die Pläne der Kommission seien zwar zu begrüßen, da sie aber weder klare tatbestandliche Ausnahmen für Nachhaltigkeitsmaßnahmen noch eine Erleichterung der Beweislast für Unternehmen vorsehen, könnten die entsprechenden Leitlinien lediglich eine grobe Richtung weisen. Der Autor schlägt daher vor, sich an den Gesetzgebern und Kartellbehörden anderer Länder zu orientieren.
Lieferketten und Menschenrechte: Nun berichtet auch die taz (Leila van Rinsum) über den Widerstand der FDP gegen die ausverhandelte EU-Lieferkettenrichtlinie. Eine Enthaltung Deutschlands könnte die erforderliche Mehrheit im EU-Ministerrat gefährden.
Zeit als Grundrecht: Die Rechtsanwältin Alice Bertram befasst sich auf dem Verfassungsblog – vor dem Hintergrund des sowohl in der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie als auch den im Koalitionsvertrag vorgesehenen Anspruchs auf mindestens zehntägigen bezahlten Vaterschaftsurlaub, der bis heute nicht umgesetzt wurde – mit der Frage nach dem verfassungsrechtlichen Schutz von Zeit. Es gebe zwar kein "Recht auf Zeit", aber ein "zeitliches Existenzminimum".
V-Leute: Rechtsanwalt Eren Basar befasst sich im Hbl mit dem kürzlich vorgestellten Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zum Einsatz sogenannter Vertrauenspersonen (V-Leute) bei der Strafverfolgung, der bislang nicht gesetzlich geregelt ist. Neben Straftaten von erheblicher Bedeutung sollen auch Straftaten im Bereich der mittleren Kriminalität mit V-Personen verfolgt werden dürfen, was von Strafverteidigern teilweise als zu weitgehend kritisiert wird. Darüber hinaus soll auch die sogenannte Tatprovokation erstmals gesetzlich geregelt werden. Das Gesetzesvorhaben ist derzeit Gegenstand der Verbändeanhörung.
Justiz
LG Berlin I zu Abou Chaker/Bushido: Nach 114 Hauptverhandlungstagen hat das Landgericht Berlin I Arafat Abou Chaker von den Vorwürfen freigesprochen, seinen früheren Geschäftspartner, den Musiker Bushido, körperlich attackiert und versucht zu haben, Millionenbeträge von ihm zu erpressen. Auch drei mitangeklagte Brüder von Abou-Chaker wurden insoweit freigesprochen. Wegen unerlaubter Tonbandaufnahmen in 13 Fällen wurde Abou Chaker allerdings zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 900 Euro verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte für den 47-Jährigen eine Gesamtfreiheitsstrafe von über vier Jahren beantragt. Ein Großteil der Vorwürfe gegen den Angeklagten basierten auf den Aussagen des Rappers. Das Gericht sah die Vorwürfe nicht als erwiesen an. SZ (Verena Mayer), FAZ (Sebastian Eder), LTO, zeit.de (Fritz Zimmermann) und spiegel.de (Wiebke Ramm) berichten.
AG Bonn zu Akif Pirinçci: Der Schriftsteller Akif Pirinçci ist vom Amtsgericht Bonn wegen Volksverhetzung zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden, weil er sich in einem Blogeintrag in abwertender und feindseliger Weise über Zugewanderte geäußert hatte. Sein Anwalt gab an, gegen das Urteil Berufung eingelegt zu haben. Pirinçci wurde wegen seiner Äußerungen bereits mehrfach verurteilt. zeit.de und spiegel.de berichten.
VerfGH Ba-Wü zu AfD in Kuratorium: Der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg hat eine Klage der AfD-Fraktion gegen die wiederholte Nichtwahl eines AfD-Kandidaten für das Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung abgewiesen. Die Nichtwahl verletze nicht das Recht auf Gleichbehandlung der Fraktionen. Denn die Landeszentrale sei kein Unterausschuss des Landtags, sondern eine nichtrechtsfähige Anstalt, die keine originären parlamentarischen Aufgaben wahrnehme. FAZ (Rüdiger Soldt) und spiegel.de berichten.
OVG Berlin-BB zu Henryk Broder vs BMI: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass das Bundesinnenministerium (BMI) Textpassagen über den Publizisten Henryk Broder innerhalb einer Studie des "Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit" von seiner Homepage nehmen muss. Die zitierte Einschätzung sei zwar erlaubt, das Ministerium müsse jedoch deutlich machen, dass es sich dabei nicht um eine "amtliche" Position handele. Das BMI habe eine Pflicht zur Sachlichkeit. Damit hob das OVG eine Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts auf. Welt (Benjamin Stibi) und spiegel.de berichten.
OLG Düsseldorf zu Fake-Bewertungen für Anwalt: Wer als Anwalt positive Bewertungen der eigenen Kanzlei mit Kommentaren und Likes versieht, macht sie sich zu eigen und hat dann die sekundäre Darlegungslast, dass es dieses Mandatsverhältnis tatsächlich gab. Demgegenüber kann sich ein Anwalt nicht auf das Mandatsgeheimnis berufen, entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf und stellte einen Unterlassungsanspruch für Fake-Bewertungen auf der Homepage des Anwalts fest. beck-aktuell (Michael Dollmann) berichtet.
LG Mönchengladbach – Diabetes-Tod auf Studienfahrt: Im Prozess gegen zwei Lehrerinnen, in deren Obhut ein 13-jähriges Mädchen mit Diabetes auf einer Studienfahrt verstorben war, räumten die angeklagten Frauen nun vor dem Landgericht Mönchengladbach ein, Vorerkrankungen der Schüler:innen vor der Fahrt nicht abgefragt zu haben. Mitschüler:innen des verstorbenen Mädchens hatten angegeben, ihre Lehrerinnen mehrfach auf Emilys schlechten gesundheitlichen Zustand hingewiesen zu haben. Der Vorsitzende Richter Martin Alberring hält nach der bisherigen Beweisaufnahme eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung für möglich. Am nächsten Verhandlungstag, dem 15. Februar, könnte das Urteil verkündet werden. spiegel.de berichtet.
LG Bonn – Cum-Ex/Varengold Bank: Wie die FAZ (Marcus Jung) schreibt, beginnt am heutigen Dienstag vor dem Landgericht Bonn der Strafprozess gegen Yasin Sebastian Qureshi, den Mitgründer der Hamburger Varengold Bank. Ihm wird schwere Steuerhinterziehung in vier Fällen vorgeworfen. Konkret soll Qureshi in den Jahren 2009 bis 2011 als Vorstand der Varengold Bank sowie der eigens gegründeten Varengold Investment AG an Cum-Ex-Manipulationen beteiligt gewesen sein. Im Fall einer Verurteilung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.
VG Köln zum Drachenfels in Königswinter: Wie LTO schreibt, hat das Verwaltungsgericht Köln entschieden, dass die neue Eigentümerin des Burghofs am Königswinter Drachenfels diesen noch immer nicht nutzen darf. Die ihr erteilte Baugenehmigung für die "Wiederaufnahme der historischen Nutzung, Wanderherberge, Ferienwohnungen, Gastronomie" sei nicht sofort vollziehbar, da das Vorhaben den Naturschutz beeinträchtige. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland und die Stadt Königswinter streiten schon länger über eine Baugenehmigung, die die Stadt der neuen Eigentümerin des Burghofs erteilt hatte.
VG Schleswig zu Schulpflicht: Das Verwaltungsgericht Schleswig hat gegen zwei Mütter, die ihre Söhne nicht zur Schule angemeldet hatten, jeweils drei Tage Ersatzhaft angeordnet, nachdem die vorherige Festsetzung eines Zwangsgelds keine Wirkung gezeigt hatte, berichtet nun auch beck-aktuell.
AG Duderstadt zu falschen Maskenattesten: Eine Ärztin, die während der Coronapandemie ua. falsche Maskenatteste ausgestellt und bei einer Kundgebung gesagt hatte, die Coronamaßnahmen seien schlimmer als der Holocaust, wurde vom Amtsgericht Duderstadt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Carola J. gilt als bekanntes Gesicht in der Coronaleugnerszene. spiegel.de berichtet.
StA Frankfurt/M. – NSU 2.0-Drohschreiben: Nun berichtet auch spiegel.de über die Einstellung der Ermittlungen gegen zwei Frankfurter Polizist:innen, die im Verdacht standen, an der "NSU 2.0"-Drohserie beteiligt gewesen zu sein.
Überlastung der Justiz/Fluggastrechte: Angesichts der immer größer werdenden Zahl von Fluggasterechteverfahren droht eine Überlastung der Justiz. Dabei geht es in der Regel um Entschädigungen für ausgefallene oder verspätete Flüge. Dass die Zahl der Verfahren ihren bisherigen Höchststand erreicht hat, liegt vor allem an Verbraucherportalen, mit denen Fluggäste ihre Ansprüche durchsetzen können, ohne das Prozessrisiko zu tragen. Versuche, der Überlastung der Amtsgerichts durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz entgegenzusteuern, haben bislang nicht zum Erfolg geführt, da es bislang noch an einer Standardsoftware fehle. FAZ (Marcus Jung) und LTO berichten.
Recht in der Welt
China – australischer Blogger: Ein chinesisches Gericht hat den australischen Schriftsteller und Blogger Yang Hengjun zu einer Todesstrafe "auf Bewährung" wegen Spionage verurteilt. Yang, der sich in der Vergangenheit kritisch über die Kommunistische Partei und die chinesische Politik geäußert hatte, wies die Vorwürfe zurück. Die australische Regierung zeigte sich entsetzt über die Entscheidung des Gerichts, geht allerdings davon aus, dass das Urteil nach einer zweijährigen Bewährungsfrist in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt werden kann. FAZ (Till Fähnders/Jochen Stahnke), taz (Urs Wälterlin) und spiegel.de berichten.
Spanien – Dani Alves: spiegel.de (Florian Haupt) berichtet ausführlich über den Beginn des Strafprozesses gegen den brasilianischen Fußballprofi Daniel Alves. Ihm wird vorgeworfen, am 30. Dezember 2022 eine damals 23-jährige Frau vergewaltigt zu haben. Seit Januar 2023 sitzt er in Untersuchungshaft. Während er im Laufe des Ermittlungsverfahrens fünfmal seine Darstellungen geändert hat, vertrat die junge Frau stets eine stringente Version des Geschehens. Das Urteil soll noch in diesem Monat verkündet werden.
Schweiz – Bischof Mixa: Die Staatsanwaltschaft St. Gallen hat laut FAZ (Johannes Ritter) und spiegel.de (Sara Wess) ein Ermittlungsverfahren gegen den früheren Augsburger Bischof Walter Mixa eröffnet. Ihm wird vorgeworfen, im Jahr 2012 am Rande einer Veranstaltung im Kanton St. Gallen einen heute 39-jährigen Deutschen umklammert, auf den Mund geküsst und später auf sein Zimmer eingeladen zu haben. Mixa hatte im Jahr 2010 seinen Rücktritt angeboten, nachdem ihm vorgeworfen worden war, in seiner Zeit als Stadtpfarrer unter anderem Waisenkinder geschlagen zu haben. Ermittlungen wegen des Vorwurfs sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wurden später eingestellt.
Südkorea – Samsung-Chef: In einem Betrugsprozess hat ein Gericht in Seoul den Chef des südkoreanischen Elektronikkonzerns Samsung freigesprochen. Die Ankläger hatten Jay Y. Lee vorgeworfen, bei der Fusion zweier Samsung-Töchter im Jahr 2015 die Rechte von Minderheitsaktionären missachtet zu haben, und eine fünfjährige Haftstrafe gefordert. Lee hatte die Anschuldigungen zurückgewiesen. Hbl (Martin Kölling) und spiegel.de berichten.
Sonstiges
Parteiverbote: Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um ein AfD-Verbot schildert die FAZ (Thomas Jansen), wie das Bundesverfassungsgericht in den Jahren 1952 und 1956 die Sozialistische Reichspartei Deutschlands (SRP) sowie die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) für verfassungswidrig erklärt hat.
E-Scooter: Rechtsreferendarin Mirjam Kaiser befasst sich auf FAZ-Einspruch mit rechtlichen Fragestellungen rund um die Benutzung von E-Scootern.
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LTO/bo/chr
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Die juristische Presseschau vom 6. Februar 2024: . In: Legal Tribune Online, 06.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53806 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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