Das KG Berlin wertete das Festkleben von Klima-Aktivisten als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Die Zahl neuer Zivilverfahren ging weiter zurück. Der Bundesgerichtshof erschwerte den Widerruf von Baustellen-Verträgen.
Thema des Tages
KG Berlin zu Klimaprotest: Wenn sich Klima-Aktivist:innen auf Straßen festkleben, kann dies grundsätzlich als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt:innen bestraft werden, entschied das Kammergericht Berlin. Das Festkleben mit Sekundenkleber sei mit dem Sich-Anketten vergleichbar. Dass die Polizeibeamt:innen rund eine Minute pro Aktivist:in für das Ablösen des Klebers bräuchten, sei "ein gewichtiges Indiz für einen gewaltsamen Widerstand". Beim zweiten in Betracht kommenden Delikt, der Nötigung, forderte das KG eine Einzelfallprüfung zur Begründung der Verwerflichkeit. Darin müsse es um folgende Aspekte gehen: die Ankündigung der Blockade durch die Organisation, die Dauer der Blockade, Art und Ausmaß der Blockade, die Motive der Angeklagten sowie Zweck und Zielrichtung der Aktion. Es berichten LTO und spiegel.de.
Rechtspolitik
Unterhalt: Nun berichten auch FAZ (Matthias Wyssuwa) und beck-aktuell über die von Justizminister Marco Buschmann (FDP) geplante Neuregelung des Kindesunterhalts im asymetrischen Wechselmodell. Die SZ berichtet vor allem über die Reaktionen. Die taz (Christian Rath) stellt die bisherige Rechtslage in den Mittelpunkt. Laut BGH bleibt die volle Pflicht zur Zahlung von Bar-Unterhalt sogar dann bestehen, wenn der Vater sich zu 43 Prozent an der Kinderbetreung beteiligt. Entscheidend sei die Hauptverantwortung der Mutter.
Constanze von Bouillon (SZ) hält es für richtig, dass Justizminister Buschmann das "ungerechte" Unterhaltsrecht ändern will. Sie kritisiert jedoch, der Minister verschleiere wortreich, dass seine Reform vor allem die ohnehin benachteiligten Trennungsmütter treffe.
Wohnungskauf: Klaus Ott (SZ) kritisiert im Wirtschafts-Leitartikel die Untätigkeit des Justizministeriums beim Schutz von Wohnungskäufern gegen das Insolvenzrisiko von Bauträgern. Dabei habe eine Arbeitsgruppe des Ministeriums schon vor zehn Jahren vor den existrenzbedrohenden Risiken gewarnt.
Digitale Beweismittel: Die E-Evidence-Verordnung der EU ist am 18. August 2023 in Kraft getreten. Nach einer dreijährigen Übergangszeit können Ermittlungsbehörden ab August 2026 digitale Beweismittel grenzüberschreitend per Anordnung von Kommunikationsdiensten aus anderen EU-Staaten herausverlangen. Es geht dabei um Daten von Cloud-Diensten, Onlinemarktplätzen, Anbietern von Festnetz- und Mobil-Telefonie, Email- und Messengerdiensten. Dies meldet das Hbl (Eren Basar).
Personengesellschaften: Rechtsanwältin Barbara Meyer stellt im Hbl das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) vor, das am 1. Januar 2024 in Kraft tritt. Es bringt zahlreiche Änderungen für alle Typen von Personengesellschaften mit sich. U.a. wird erstmals gesetzlich zwischen rechtsfähiger und nicht rechtsfähiger GbR unterschieden.
Justiz
Zivilverfahren: Im Jahr 2022 ist die Zahl der neuen Zivilverfahren gegenüber dem Vorjahr um 13,3 Prozent zurückgegangen, berichtet der ZPO-Blog (Peter Bert). Das "Strohfeuer" der Diesel-Verfahren sei damit zu Ende. Im 20-Jahres-Vergleich sei die Zahl der Eingänge sogar um 30,7 Prozent zurückgegangen. An Amtsgerichten gingen die neuen Zivilverfahren gegenüber dem Vorjahr um 5,1 Prozent zurück, im Vergleich zu 2021 um 50,4 Prozent. Gleichzeitig stieg die Verfahrensdauer im Vorjahr an Amtsgerichten um 3,5 Prozent auf 8,7 Monate und an Landgerichten um 9,9 Prozent auf 14,4 Monate.
BGH zu Widerruf von Handwerker-Auftrag: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, es bestehe kein Widerrufsrecht gem § 312g BGB (für Verträge, die Verbraucher:innen außerhalb der Geschäftsräume schließen), wenn ein Handwerker zwar ein Angebot für einen Zusatzauftrag auf der Baustelle gibt, die Annahme durch den Kunden aber erst am nächsten Tag telefonisch stattfindet. Das Widerrufsrecht setze beim Vertragsschluss die gleichzeitige körperliche Anwesenheit beider Parteien außerhalb der Geschäftsräume voraus. beck-aktuell berichtet.
BVerwG zu Ansaar International: Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte das 2021 vom Bundesinnenministerium ausgesprochene Vereinsverbot gegen die salafistische Vereinigung Ansaar International. Sie habe rund 30 Millionen Euro eingenommene Spendengelder nicht nur für humanitäre Zwecke verwendet, sondern auch terroristische Vereinigungen in in Syrien, Somalia und im Gazastreifen unterstützt. LTO berichtet.
BAG zu Minijobber:innen: Nun schildert auch die Anwältin Vanessa Talayman im Expertenforum Arbeitsrecht ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Januar. Danach dürfen geringfügig Beschäftigte (Minijobber) grundsätzlich für die gleiche Arbeit nicht schlechter bezahlt werden als Vollzeit-Beschäftigte. Konkret ging es um einen nebenberuflichen Rettungsassistenten.
OLG Düsseldorf zu Fahrverbot für Busfahrer: Eine lebenslange Beschäftigungssperre für einen Busfahrer wegen verbotener Handynutzung am Steuer ist unverhältnismäßig, entschied der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Die Rhein-Erft-Verkehrsgesellschaft, die fast den gesamten Nahverkehr im Rhein-Erft-Kreis organisiert, habe ihre Marktmacht missbraucht, indem sie gegen einen Busfahrer, der einmal beim Nutzen eines Smartphones am Steuer erwischt wurde, ein lebenslanges Beschäftigungsverbot aussprach. Als Maßstab für die Verhältnismäßigkeit verwies das OLG auf das öffentlich-rechtliche Verkehrsrecht. Danach drohe dem Fahrer nur ein Bußgeld und ein maximal dreimonatiges Fahrverbot. Es berichten LTO und spiegel.de.
OLG Jena – "Knockout 51": Die SZ (Iris Mayer) und spiegel.de (Wiebke Ramm) schildern den Prozessauftakt gegen vier Mitglieder der rechtsextremen Eisenacher Kampfsportgruppe "Knockout 51". Ideologischer und organisatorischer Rädelsführer sei der Kneipenwirt Leon R. gewesen. Die Gruppe habe ab April 2021 gezielt auch Auseinandersetzungen mit Linksradikalen gesucht, um diese unter Berufung auf das Notwehrrecht zu töten. Einer der Angeklagten äußerte Interesse an einer Verständigung, doch die Bundesanwaltschaft lehnte ab.
OLG München – IS-Rückkehrerin Jennifer W.: Die Bundesanwaltschaft hat im Wiederholungsprozes gegen Jennifer W. eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten gefordert, meldet die SZ. W. hatte zugesehen, wie ein in der prallen Mittagssonne angekettetes versklavtes jesidisches Mädchen starb. Der BGH hatte das erste Urteil, in dem W. zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden war, aufgehoben.
LG Mainz zu Corona-Impfschaden: Das Landgericht Mainz hat die Klage einer Zahnärztin abgewiesen, die von Astra Zeneca 150 000 Euro Schmerzensgeld verlangte. Sie war Anfang März 2021 mit dem Covid-Impstoff von AstaZeneca geimpft worden, erlitt dann aber infolge einer Thrombose einen Hörschaden. Eine Begründung liegt noch nicht vor. Die FAZ (Katja Gelinsky) und die taz berichten.
LG Dortmund – Spielerberater:innen: Das Landgericht Dortmund hat dem Fußball-Weltverband FIFA 150 000 Euro Ordnungsgeld auferlegt, weil sich die FIFA nicht an eine Entscheidung des LG vom Mai gehalten habe. Darin hatte das LG die Anwendung des neuen restriktiven FIFA-Regelwerks für Spielerberater:innen als Verstoß gegen das Kartellrecht vorläufig verboten. Über das Rechtsmittel der FIFA verhandelt das OLG Düsseldorf im Januar. Die SZ (Thomas Kistner) berichtet.
LG Oldenburg zu Steinhoff-Managern: Zwei Ex-Manager des internationalen Möbelkonzerns Steinhoff wurden wegen unrichtiger Darstellung in Bilanzen verurteilt. Der eine erhielt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, der andere eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Wegen überlanger Verfahrensdauer gilt jeweils ein Jahr als bereits verbüßt. Der Drahtzieher des Bilanzskandals, der Südafrikaner Markus Jooste, war nicht zum Prozess erschienen und wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Es berichten FAZ (Marcus Jung) und spiegel.de.
LG Erfurt – Weimarer Familienrichter: Am morgigen Mittwoch will das Landgericht Erfurt sein Urteil über einen wegen Rechtsbeugung angeklagten Weimarer Familienrichter verkünden. Jener hatte 2021 unter Berufung auf den Kinderschutz die Corona-Maskenpflicht und andere Schutzmaßnahmen an zwei Weimarer Schulen aufgehoben, obwohl für die Kontrolle solcher staatlicher Maßnahmen die Verwaltungsgerichte zuständig waren. LTO (Tanja Podolski) fasst das Verfahren zusammen.
LG Osnabrück zu alkoholisierter E-Scooter-Fahrt: Wer betrunken mit einem E-Scooter fährt und dabei nur eine Strecke von 150 Meter zurücklegen will, verliert deshalb nicht die Fahrerlaubnis, entschied das Landgericht Osnabrück. Es genüge hier eine Geldstrafe und ein Fahrverbot von drei Monaten. Es berichtet LTO.
VG Berlin – Wechselkröten: Ein Amphibienschutzzaun kann am entstehenden Clean Tech Business Center in Berlin-Marzahn bis zur Entscheidung in der Hauptsache stehen bleiben. Mit dem Zaun will der Bauentwickler verhindern, dass geschützte Wechselkröten auf das wertvolle Grundstück gelangen können. Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf verfügte die Beseitigung des Zauns, weil es sich bei dem Grundstück um potenziellen Lebensraum der Wechselkröten handele. Das Verwaltungsgericht Berlin lässt den Zaun nun aber zunächst stehen. Aufgrund seiner Konstruktion könnten Wechselkröten, die sich bereits auf dem Gelände befinden, jederzeit das Gelände verlassen; sie seien also nicht eingesperrt. LTO berichtet.
VG Gelsenkirchen – Bahar Aslan: Jost Müller-Neuhof (Tsp) gibt der Klage der Pädagogin Bahar Aslan gegen den Wideruf ihres Lehrauftrags an der Polizeihochschule von NRW gute Chancen. Allerdings habe sie unklar kommuniziert. Es sei nicht eindeutig, wen sie mit "braunem Dreck" in der Polizei meine. Sollte sie ihren Lehrauftrag für interkulturelle Kompetenz zurückerhalten, "könnte sie am eigenen Fall darlegen, wie man es falsch macht", so der Autor.
Recht in der Welt
USA – Trump vor Gericht: Die FAZ (Andreas Ross) gibt einen Überblick über die vier Anklagen gegen Ex-US-Präsident Donald Trump, die beteiligten Jurist:innen, die Erfolgsaussichten und die Verteidigungstrategien von Trump.
Niederlande – PFAS-Belastung: Die taz (Tobias Müller) bringt ein Dossier über eine Sammelklage von Bürger:innen des Städtchens Zwijndrecht gegen den Konzern 3M, der dort Leim, Gummi und Kühlmittel herstellt. Da es in den Böden Zwijndrechts sehr hohe Konzentrationen der schwer abbaubaren PFAS-Chemikalien gibt, sind auch 59 Prozent der Fabriknachbar:innen mit Werten in gesundheitsschädlicher Höhe belastet. Eine Pilotklage war bereits erfolgreich.
Großbritannien – Baby-Morde: Die Krankenschwester Lucy Letby wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, weil sie sieben neugeborene Babys getötet hat und dies bei sechs weiteren Babys versuchte. Ihr Motiv blieb unklar. beck-aktuell berichtet.
Schweden - Koran-Verbrennungen: Die Rechtsprofessorin Ester Herlin-Karnell argumentiert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache), dass Koran-Verbrennungen durchaus schon jetzt verboten werden können, die Meinungsfreiheit werde nicht absolut gewährt. Eingriffe seien bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit möglich. Diese Ausnahmeklausel müsse weiter ausgelegt werden, als dies die schwedischen Gerichte bisher tun, die Sicherheitsklausel dürfe nicht auf Gefahren durch die Demonstration selbst beschränkt werden. Die Autorin begrüßt aber auch eine von der Regierung geplante neue Ausnahmeregelung. Die Autorin schlägt vor, die Ausnahme auf das öffentliche Verbrennen von Büchern zu beschränken.
Juristische Ausbildung
Elektronisches Staatsexamen: In Mainz und Trier wurden erstmals in Deutschland Klausuren im Ersten Staatsexamen am Laptop geschrieben. Rund 70 Prozent der Prüflinge machten von dieser Option Gebrauch. LTO-Karriere berichtet.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 22. August 2023: . In: Legal Tribune Online, 22.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52534 (abgerufen am: 07.12.2024 )
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