LG Frankfurt/M. muss Steuerhinterziehungsverfahren gegen DFB-Funktionäre doch eröffnen. Ist die "Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung einzustufen? Irlands Datenschutzbehörde verhängte Geldbuße in Höhe von 1,2 Milliarden Euro.
Thema des Tages
OLG Frankfurt/M. – Sommermärchen und Steuerhinterziehung: Die drei ehemaligen DFB-Funktionäre Wolfgang Niersbach, Theo Zwanziger und Horst R. Schmidt müssen sich doch wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der Fußball-WM 2006 vor dem Landgericht Frankfurt/M. verantworten. Mit nun veröffentlichtem Beschluss von Ende April hob das Oberlandesgericht Frankfurt/M. auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens auf. Das Landgericht Frankfurt/M. hatte die Verfahren wegen des Doppelbestrafungsverbots unter Verweis auf ein in der Schweiz laufendes Strafverfahren im Oktober 2022 eingestellt. Das OLG Frankfurt/M. entschied nun aber, dass es sich bei den in der Schweiz verhandelten – und mittlerweile verjährten – Taten gerade nicht um dieselbe prozessuale Tat handle, sondern nur um ein Vortatgeschehen zur späteren in Deutschland angeklagten Steuerhinterziehung. Das LG Frankfurt/M. hatte bereits 2018 die Hauptverhandlung mangels Tatverdacht nicht eröffnen wollen, wogegen die Staatsanwaltschaft 2019 ebenfalls erfolgreich vor dem OLG Frankfurt/M. vorging. Es berichten SZ (Johannes Aumüller), FAZ (Christoph Becker), Hbl, spiegel.de und LTO.
Rechtspolitik
EU-Notfallgesetzgebung: Die SZ (Thomas Kirchner) thematisiert, dass die Europäische Union in letzter Zeit umfassend von dem Kriseninstrument des Art. 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) Gebrauch gemacht hat. Demnach kann der Rat auf Vorschlag der Kommission "insbesondere bei gravierenden Schwierigkeiten in der Versorgung angemessene Maßnahmen" beschließen - ohne Zustimmung des Europäischen Parlaments. Dieses Vorgehen sei zwar effizient, reduziere aber die Legitimation. Das sonst klagefreudige Europäische Parlament verzichte auf den Gang zum EuGH, weil es mit den beschlossenen Maßnahmen und der aktiven Rolle der EU einverstanden sei.
Hasskriminalität im Internet: Die taz (Christian Rath) stellt nun auch vertieft den Entwurf der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) für ein "digitales Gewaltschutzgesetz" vor. Die GFF überhole damit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der im April erst Eckpunkte für ein derartiges Gesetz präsentierte. Der Vorschlag der GFF sieht vor, dass Betroffene von Hasskriminalität und Persönlichkeitsverletzungen von sozialen Netzwerken die Sperrung der Hetz-Accounts verlangen können, auch bei Volksverhetzung und ohne Wiederholungsgefahr. Anders als das BMJ-Eckpunkte-Papier will die GFF den Betroffener keinen Auskunftsanspruch auf die IP-Adressen der Hetzer:innen geben. So möchte die GFF neue Argumente für einer anlasslose Vorratsdatenspeicherung verhindern.
Arbeitszeiterfassung/Richter:innen: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) äußerte sich gegenüber der FAZ (Katja Gelinsky) ablehnend zur Arbeitszeiterfassung für Richter:innen: "Richterinnen und Richter sind unabhängig und arbeiten nicht nach Stechuhr. Das kann auch niemand wollen." Dennoch wolle das Justizministerium prüfen, ob angesichts der europarechtlichen Vorgaben eine gesetzliche Klarstellung erforderlich ist.
Pornografie/Jugendschutz: Constantin van Lijnden (Welt) kritisiert das staatliche Ziel, dass Internet-Pornoseiten nur für Erwachsene zugänglich sein sollen, als "völlig unrealistisch". Wenn bei den derzeit größten Anbieter-Seiten ein Scan des Personalausweises zur Pflicht gemacht würde, würden diese Seiten sehr schnell am Markt von Anbietern verdrängt, die keine Altersverifikation (und damit keine möglicherweise kompromittierende Datenverarbeitung) vorsehen.
Justiz
"Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung: Nun berichten auch SZ, LTO und spiegel.de ausführlich über den Prüfauftrag der Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) an die Strafrechtsabteilung ihrer Senatsverwaltung, ob es sich bei der "Letzten Generation" um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Strafgesetzbuch (StGB) handelt. Aufgrund der Weisungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaft könnte sich die Berliner Justizsenatorin gegen die bisher ablehnende Haltung der Berliner Staatsanwaltschaft durchsetzen. Oppositionsführerin Bettina Jarasch (Grüne) kritisiert, dass eine "politisch motivierte Strafverfolgung dem Rechtsstaat schadet". Juristisch ist umstritten, ob die Strafbarkeit nach § 129 StGB eine Erheblichkeitsschwelle voraussetzt. Dagegen wird angeführt, dass § 129 StGB seit 2017 einen gewissen Schweregrad definiere, indem er nur Straftaten mit der Mindeststrafandrohung von zwei Jahren erfasse, sodass eine zusätzliche ungeschriebene Erheblichkeitsschwelle als Tatbestandsmerkmal entfalle.
Ex-Bundesrichter Thomas Fischer erläutert auf LTO den Hintergrund und Tatbestand der "kriminellen Vereinigung" gemäß § 129 StGB und spricht sich für eine differenzierte Betrachtung aus. Auch wenn es sich bei der "Letzten Generation" als "Gesamt-Zusammenschluss von 'Aktivisten' vermutlich nicht" um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB handelt, liegt eine gegenteilige Beurteilung bei Teilgruppierungen, deren Mitglieder bereit sind, Straftaten zu begehen, nahe.
Wolfgang Janisch (SZ) hält eine Einstufung der "Letzten Generation" als kriminelle Vereinigung für "völlig überzogen, schon weil die Gefahr, die von ihr ausgeht, überschaubar ist."
OLG Oldenburg zur elterlichen Aufsichtspflicht: Eine Mutter, die ihr zweieinhalbjähriges Kind unangeschnallt auf den Beifahrersitz ihres Autos setzt, ist wegen Verletzung ihrer Aufsichtspflicht schadensersatzpflichtig, wenn das Kind den auf dem Armaturenbrett liegenden Autoschlüssel greift, den Motor startet und seine Großmutter verletzt. Je gefahrträchtiger eine Situation ist, desto größer ist auch der Umfang der elterlichen Aufsichtspflicht, so das Oberlandesgericht Oldenburg laut LTO.
OLG Koblenz – Anschlag auf Asylheim Saarlouis: Im Strafprozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz um die tödliche Brandstiftung in einer Saarlouiser Unterbringung für Geflüchtete 1991 machte der ehemalige Anführer der rechten Szene in Saarlouis von seinem Zeugnisverweigerungsrecht wegen möglicher Selbstbelastung Gebrauch. bild.de (Ralph Stanger) berichtet.
OLG Düsseldorf zu Werbung für Eierlikör: Nun berichtet auch das Hbl (Christian Pelke) über die Ende April ergangene Entscheidung des Oberlandesgericht Düsseldorf, dass die Bewerbung von Eierlikörflaschen mit dem Zusatz "Ei, Ei, Ei, Ei, Ei" nicht die seit 1979 beim Deutschen Patent- und Markenamt geschützte Wortmarke "Eieiei" des Herstellers Verpoorten verletzt.
VG Minden zu Notrufsystem im Bordell: Eine Bordellbetreiberin muss ein schnelles und erfolgversprechendes Notrufsystem einrichten, so das Verwaltungsgericht Minden, das den Eilantrag der Bordellbetreiberin gegen eine entsprechende behördliche Auflage ablehnte. Es stehe im Einklang mit dem Zweck des Prostituiertenschutzgesetzes, wenn von der Betreiberin verlangt wird, dass im Fall eines Notrufs gut ausgebildetes Personal sofort reagieren kann. Die Reaktion dürfe nicht auf die anderen Prostituierten abgewälzt werden, berichtet LTO.
SG Speyer zu Coronainfektion/Arbeitsunfall: Der bloße Verdacht einer Coronainfektion am Arbeitsplatz reicht nicht aus, um die Infektion als versicherten Arbeitsunfall zu klassifizieren, so das Sozialgericht Speyer Anfang Mai. Erforderlich ist vielmehr der nachgewiesene intensive Kontakt mit einer infizierten Person, wie beck-community (Markus Stoffels) das Urteil zusammenfasst.
LG München I – Export von Staatstrojanern: Die Staatsanwaltschaft München I hat gegen vier ehemalige Manager der mittlerweile insolventen FinFisher-Gruppe Anklage wegen Verletzung von Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes erhoben. Trotz Genehmigungspflichtigkeit der Ausfuhr der Spähsoftware FinSpy soll die FinFisher-Gruppe die Software dem türkischen Geheimdienst zur Verfügung gestellt haben, der damit mutmaßlich türkische Oppositionelle überwachte. spiegel.de (Matthias Kremp), zeit.de (Dominik Lenze) und netzpolitik.org (Andre Meister) berichten.
LG Itzehoe – Messerangriff im Zug: Nach der Anklageerhebung im April diesen Jahres kündigt die schleswig-holsteinische Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) an, dass das gerichtliche Verfahren gegen den Messerangreifer voraussichtlich noch vor dem Herbst 2023 eröffnet wird, wie bild.de (Dino Schröder) schreibt.
GBA – Umsturzpläne/Reuß: Nach Informationen von tagesschau.de (Frank Bräutigam u.a.) und spiegel.de hat die Bundesanwaltschaft drei weitere Personen festnehmen lassen, die an der Ausarbeitung der Umsturzpläne durch eine Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß beteiligt gewesen sein sollen. Im Laufe des heutigen Dienstags werden die drei Beschuldigten dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vorgeführt, der über die Untersuchungshaft entscheiden wird.
Recht in der Welt
Irland – Facebook/Datenschutz: Die irische Datenschutzbehörde hat gegen den Facebook-Konzern Meta wegen Verstoßes gegen die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ein Bußgeld in Höhe von 1,2 Milliarden Euro verhängt, unter anderem weil Facebook sich an der Massenüberwachung durch angloamerikanische Geheimdienste beteiligte. Damit kommt die irische Datenschutzbehörde nach langer Blockadehaltung einer durch den Europäischen Datenschutzausschuss auferlegten Verpflichtung zur Durchsetzung der DSGVO nach. Beschwerde eingelegt hatte der österreichische Datenschutzaktivist Max Schrems. Meta kündigte an, in Berufung zu gehen und sofortigen Aufschub der Entscheidung zu beantragen. Beobachter:innen zufolge wird der Verhängung der Geldbuße ein jahrelanger Gerichtsprozess folgen. Es berichten SZ (Alexander Mühlauer), FAZ (Hendrik Kafsack), taz (Svenja Bergt), Hbl (Nadine Schimroszik/Carsten Volkery), Welt, spiegel.de (Torsten Kleinz), LTO, netzpolitik.org (Alexander Fanta) und bild.de (Robert Becker).
Jakob von Lindern (zeit.de) begrüßt die Milliardensanktion. Seiner Ansicht nach "sendet das verhängte Bußgeld mindestens ein Signal: Europa hat durchaus Möglichkeiten, seine Regeln auch durchzusetzen."
Belarus – Roman Protassewitsch: Zwei Jahre nach der Verhaftung des belarussischen Bloggers Roman Protassewitsch mittels erzwungener Landung eines Linienfluges und anschließender Verurteilung zu acht Jahren Haft wurde Protassewitsch nun begnadigt. Es berichten SZ, spiegel.de und zeit.de (Dominik Lenze/Alexander Eydlin).
Ungarn – Schlepper: Ungarn lässt wegen Menschenschmuggels verurteilte ausländische Häftlinge frei, weil die Inhaftierung dem Land zu teuer und die Gefängnisse überfüllt seien. Einzige Bedingung der Freilassung ist, dass die verurteilten Straftäter:innen Ungarn innerhalb von 72 Stunden verlassen, wie die FAZ (Stephan Löwenstein) schreibt.
Sonstiges
Sprache des Grundgesetzes: Anlässlich des nun 74-jährigen Bestehens des Grundgesetzes setzt sich die SZ (Ronen Steinke) mit der Entwicklung der Sprache des Verfassungstextes auseinander. Während früher prägnante Formulierungen wie "Eigentum verpflichtet" oder "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" benutzt wurden, finden sich heute oftmals "bürokratisch detailliert" formulierte Artikel. Dieses Bedürfnis der Politiker:innen, Verhandlungsergebnisse "haarklein in der Verfassung zu verankern", zeuge von einem "gegenseitigen Misstrauen", so Verfassungsrechtler Alexander Thiele.
Wagner-Gruppe: Im FAZ-Einspruch fordert Katja Leikert (CDU), Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, dass die russische Söldnergruppe Wagner auf der EU-Terrorliste geführt werden soll. Gewalt und Brutalität habe bei der Wagner-Gruppe System, um "Furcht zu verbreiten". Eine Listung wäre ihrer Ansicht nach deutlich "nachhaltiger als die bisherigen Sanktionen" und habe auch symbolische Aussagekraft.
Elternzeit: Die Welt (Johanna Stein) gibt einen Überblick über die Rechte von Personen, die in Elternzeit gehen. Beispielsweise dürfen sich Eltern bei akuter Krankheit des Kindes bis zu zehn Tage im Jahr freistellen lassen.
Kanzleifusion: Allen & Overy fusioniert mit Shearman & Sterling. Durch den Zusammenschluss, künftig unter dem Namen A&O Shearman auftretend, wird die Wirtschaftskanzlei global zu den fünf umsatzstärksten Kanzleien gehören. Die FAZ (Marcus Jung) und LTO (Stefan Schmidbauer) berichten.
Das Letzte zum Schluss
Topknöllchensammler BMI: Laut einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion, die spiegel.de vorliegt, ist das Bundesinnenministerium (und seine nachgeordneten Behörden) Spitzenreiter der Verkehrsverstöße bei dienstlichen Fahrten. Bis Ende April diesen Jahres gingen bereits fast 1.800 Abfragen nach den konkreten Fahrer:innen beim Bundesinnenministerium ein – beim Bundesjustizministerium gab es beispielsweise im selben Zeitraum nur eine einzige Abfrage.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 23. Mai 2023: . In: Legal Tribune Online, 23.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51829 (abgerufen am: 08.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag