Die juristische Presseschau vom 30. September 2022: BFH zur Prü­fung von Arbeits­zim­mern / Coca-Cola gewinnt gegen Edeka / Wirt­schafts­kanz­leien wachsen

30.09.2022

Das Finanzamt darf keine unangekündigten Wohnungsbesichtigungen durchführen, wenn Steuerpflichtige mitwirken. Coca-Cola darf Lieferungen stoppen, um Preiserhöhungen durchzusetzen. Wirtschaftskanzleien sind 2021 um 6,5 Prozent gewachsen.

Thema des Tages

BFH zu unangekündigtem Besuch: Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass das Finanzamt nicht durch eine unangekündigte Wohnungsbesichtigung überprüfen darf, ob das häusliche Arbeitszimmer tatsächlich zum Arbeiten genutzt wird, wenn die:der betroffene Steuerpflichtige bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt. Das Finanzamt muss vielmehr darlegen, warum der Kontrollzweck durch eine vorherige Benachrichtigung gefährdet und vereitelt werden könnte und dazu Anhaltspunkte im konkreten Einzelfall aufzeigen. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky) und LTO.

Rechtspolitik

Corona-Regeln in Unternehmen: Ab dem 1. Oktober gilt die neue Corona-Arbeitsschutzverordnung, die Arbeitgebenden nunmehr lediglich eine Prüfpflicht für einzelne Maßnahmen auferlegt, aber keine direkten Pflichten zur Umsetzung bestimmter Maßnahmen mehr beinhaltet. Die neugefasste Verordnung stellt die Anwältin Nora Nauta im Expertenforum Arbeitsrecht vor.

Justiz

LG Hamburg zu Edeka vs. Coca-Cola: Das Landgericht Hamburg hat die Forderung des Lebensmittelhändlers Edeka nach einem Lieferstopp-Verbot für Coca Cola zurückgewiesen. Der Getränkehersteller darf demnach Lieferungen stoppen, wenn Edeka eine eingeforderte Preiserhöhung ablehnt. Laut LG hat Edeka nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass die von Coca-Cola geforderten Preise erheblich von denjenigen abweichen, die sich bei einem wirksamen Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden. Das LG hob dabei eine eigene einstweilige Anordnung aus dem September auf, in der es noch den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Coca Cola angenommen hatte. Es berichten FAZ, Hbl (Katrin Terpitz) und LTO.

VerfGH Berlin – Wahlen in Berlin: Die FAZ (Markus Wehner) beschäftigt sich mit den politischen Folgen der angekündigten Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs, dass die Abgeordnetenhaus-Wahlen vom September 2021 in ganz Berlin wiederholt werden müssen. Bei einer Neuwahl könnte angesichts aktueller Umfragewerte fraglich sein, ob Franziska Giffey (SPD) erneut Regierende Bürgermeisterin wird.

Wie die SZ (Jan Heidtmann) schreibt, hat auch der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags angekündigt, sich mit der Einschätzung des Berliner Verfassungsgerichtshofs auseinanderzusetzen. Zwar kann der Berliner Verfassungsgerichtshof nicht über die Gültigkeit der Wahl zum Bundestag entscheiden, die gleichzeitig zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus stattgefunden hatte. Der Wahlprüfungsausschuss hält die Argumentation der Berliner Richter:innen jedoch für so grundsätzlich, dass er sich näher damit auseinandersetzen möchte.

Jost Müller-Neuhof (Tsp) weist darauf hin, dass es ein Wert in einer Demokratie sei, dass Wahlen Bestand haben, auch wenn nicht alles nach Goldstandard klappt. Es sei nun zu hoffen, dass sich die Berliner:innen bei einem neuen Durchgang nicht vom letzten Wahl-Chaos abschrecken ließen.

BGH – Verbandsklage und Datenschutz: Bei der Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof zeichnete sich ab, dass Verbraucherschutzverbände wegen Datenschutzverstößen von Unternehmen ein Verbandsklagerecht nutzen können - wenn mutmaßlich geschädigte Betroffene zumindest identifizierbar sind, wie LTO schreibt. Im konkreten Fall geht es um das "App-Zentrum" von Facebook, wo kostenlose Spiele von Drittanbietern präsentiert wurden, bei denen Nutzende per Klick auf "Sofort spielen" der Übermittlung verschiedener Daten an den Spielebetreiber zugestimmt hätten. Auf Vorlage des BGH hatte der Europäischen Gerichtshof bereits im April entschieden, dass es nicht gegen die Datenschutzgrundverordnung verstößt, wenn nach nationalem Recht berechtigte Verbände bei Datenschutzverstößen von Unternehmen vor Gericht ziehen könnten – auch ohne von Betroffenen beauftragt worden zu sein.

BGH zu Ebay-Bewertungen: Nun berichtet auch taz.de (Christian Rath) über die Interpretation der Ebay-AGB durch den Bundesgerichtshof. Danach muss eine Kauf-Bewertung bei Ebay nicht sachlich bleiben, solange auf Schmähkritik verzichtet wird, die nur auf die Herabsetzung von Verkäufer:in oder Hersteller:in abzielt. In den Ebay-AGB war eine "sachliche" Bewertung gefordert worden, laut BGH ist dies aber nur ein unverbindlicher Appell.

OLG Celle zu Panne bei Videoverhandlung: Es darf nicht sofort zu einem Versäumnisurteil führen, wenn es bei einer Partei während einer Video-Verhandlung zu technischen Problemen kommt, die eine weitere Teilnahme an der Verhandlung unmöglich macht. Dies hat das Oberlandesgericht Celle laut LTO per Beschluss über eine sofortige Beschwerde entschieden. Da § 128a Zivilprozessordnung die Nutzung technischer Kommunikationsmedien in der Verhandlung vorsehe, dürften die technischen Risiken nicht auf die Nutzenden abgewälzt werden.

OLG Frankfurt/M. zu Urheberbenennungsrecht: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat entschieden, dass ein Fotograf, der Bilder auf dem Microstock-Portal Fotolia anbietet, keinen Anspruch darauf hat, von Verwender:innen der Bilder als Urheber genannt zu werden, wie LTO schreibt. Der in den AGB der Plattform zu findende Verzicht auf die Urheberbenennung ist demnach wirksam. Das Gericht hat aber die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. 

LG Frankenthal zu störender Solaranlage: Das Landgericht Frankenthal hat entschieden, dass ein Nachbar einen Anspruch auf Beseitigung der Störung hat, wenn von einer Photovoltaikanlage eine derartige Blendwirkung auf das benachbarte Wohnhausgrundstück ausgeht, dass dessen Nutzung wesentlich beeinträchtigt ist. Die Kläger:innen müssten ein solches Hindernis für die normale und beschwerdefreie Nutzung der Wohnung, zugehörigen Terrasse und des Garten nicht hinnehmen. Es berichtet LTO.

LG München I – Alfons Schuhbeck: Am 5. Oktober beginnt vor dem Landgericht München I der Prozess gegen den Fernsehkoch Alfons Schuhbeck. Die SZ (Annette Ramelsberger/Klaus Ott u.a.) nimmt dies zum Anlass für ein Porträt auf ihrer Seite Drei. Schuhbeck ist angeklagt, mehr als zwei Millionen Euro Steuern nicht gezahlt und Steuervorteile in Höhe von mehr als einer Million Euro unrechtmäßig erlangt zu haben. Das sei genug, um ins Gefängnis zu kommen.

Hessen – mehr Stellen in der Justiz: Wie LTO berichtet, will das Land Hessen in den kommen zwei Jahren 477 zusätzliche Stellen in allen Laufbahnen der Landesjustiz schaffen. Außerdem soll die Justiz als Arbeitgeberin attraktiver werden – unter anderem durch eine bessere Bezahlung von Richter:innen und Staatsanwält:innen.

Recht in der Welt

Griechenland – Siemens-Schmiergeldprozess: Nun berichtet auch die SZ (Klaus Ott) über das Ende der Korruptionsprozesse gegen Siemens-Mitarbeiter in Griechenland. Hervorgehoben wird, dass auch der ehemalige Siemens-Vorstandsvorsitzende Heinrich von Pierer freigesprochen wurde. Taten bis 2002 seien verjährt, angebliche Taten von 2002 bis 2005 habe es nicht gegeben. Keine Rolle habe gespielt, dass das Korruptionssystem von Siemens bereits in Deutschland Gegenstand von Ermittlungen war. Die Staatsanwaltschaft München I hatte 2006 schwarze Kassen und weltweite Schmiergeldzahlungen bei Siemens enthüllt, Pierer musste damals 250.000 Euro Bußgeld wegen Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht zahlen. 

EuGH/Malta – Goldene Pässe: Die Europäische Kommission verklagt Malta laut spiegel.de vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der Vergabe sogenannter "Goldener Pässe". Malta stellt als letztes EU-Mitgliedsland noch Pässe für Personen aus, die Investitionen in einer bestimmten Höhe in dem Inselstaat tätigen. Die Klage der Kommission ist ein weiterer Schritt in dem bereits 2020 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land.

Südkorea – staatliche Prostitutionsbeihilfe: Südkoreas Oberster Gerichtshof hat 95 ehemaligen Sexarbeiterinnen, die in den Jahren nach dem Koreakrieg in Prostitutionscamps neben US-Militärlagern arbeiteten, jeweils Entschädigungen von umgerechnet knapp 5000 Euro zuerkannt. Die damalige Militärregierung Südkoreas habe als Zuhälterin für das US-Militär fungiert, indem es die Camps einrichtete und Frauen dorthin lotste. Die taz (Fabian Kretschmer) berichtet.

IRMCT/Ruanda – Félicien Kabuga: Der Prozess gegen Félicien Kabuga, einen Drahtzieher des Völkermordes an den Tutsi in Ruanda 1994, hat begonnen, wie die taz (Dominic Johnson) berichtet. Er ist vor dem "Nachfolgemechanismus" (IRMCT) der UN-Völkermordtribunale für Ruanda und Ex-Jugoslawien wegen Völkermord und zahlreicher weiteren Verbrechen angeklagt. Kabuga gründete einen radikalen Radiosender, der ab 1993 Ruandas Hutu zur Jagd auf Tutsi aufwiegelte und finanzierte die Aufstellung und Aufrüstung radikaler Hutu-Milizen. Er wurde erst 2020 in Frankreich gefasst.

Simbabwe – Tsitsi Dangarembga: In Simbabwe wurde die vielfach preisgekrönte Autorin Tsitsi Dangarembga von einem Gericht zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet etwa 200 Euro wegen öffentlichem Aufruf zur Gewalt, Friedensbruch und Bigotterie verurteilt, wie spiegel.de schreibt. Zusammen mit der Jounalistin Julie Barnes hatte Dangarembga 2021 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Gegen Barnes fällte das Gericht ein gleich lautendes Urteil.

Frankreich – Brandstiftung durch Feuerwehrmann: Ein Gericht in Béziers hat einen ehemaligen freiwilligen Feuerwehrmann zu zwei Jahren Freiheitsstrafe wegen Brandstiftung verurteilt. Der Mann hatte betrunken einen Brand gelegt, bei dem rund 500 Quadratmeter Wald abbrannten, wie spiegel.de schreibt.

Juristische Ausbildung

YoungLawyersCamp: Im Interview mit LTO-Karriere (Franziska Kring) erklären die Veranstalter Şölen İzmirli und Maximilian Krämer die Idee hinter dem "YoungLawyersCamp", das im Oktober das erste Mal in Berlin stattfinden soll. Es sollen Themen wie Finanz- und Liquiditätsplanung, Kanzlei- und Zeitmanagement oder die Nutzung von Social Media zu Marketingzwecken angesprochen werden. Das Camp wird organisiert vom Forum Junge Anwaltschaft (JFA).

Sonstiges

Wirtschaftskanzleien: Der Umsatz der großen deutschen Wirtschaftskanzleien ist 2021 um 6,5 Prozent gewachsen. Der Markt der 100 umsatzstärksten Kanzleien wuchs in Deutschland auf 8,3 Milliarden Euro. Diese und weitere Fakten etwa zu Mitarbeitendenzahlen und Umsätze der einzelnen Kanzleien hat die FAZ (Marcus Jung) zusammengetragen.

In einem getrennten Kommentar stellt Marcus Jung (FAZ) fest, dass das Umsatzwachstum überwiegend durch den Zukauf von Quereinsteiger:innen oder mithilfe neuer Mitarbeitenden generiert wurde. Die Kanzleien müssten daher jedes verfügbare Nachwuchstalent an sich binden, sonst nähmen sie sehenden Auges Umsatzeinbußen in Kauf.

Polizei auf Twitter: In einem Gastbeitrag für LTO schreibt der Doktorand Carsten Schier über die rechtlichen Probleme, die entstehen, wenn die Polizei in sozialen Medien über Versammlungen informieren möchte. Es sei bemerkenswert, dass es keine gesetzliche Grundlage für Verlautbarungen der Polizei über dynamisches Versammlungsgeschehen gebe, das sich häufig im Nachhinein nicht mehr klar nachvollziehen lasse. Anlass des Beitrags ist die Berichterstattung der Polizei während der Klimaproteste in Hamburg im August dieses Jahres.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/ls

(Hinweis für Journalist:innen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. September 2022: BFH zur Prüfung von Arbeitszimmern / Coca-Cola gewinnt gegen Edeka / Wirtschaftskanzleien wachsen . In: Legal Tribune Online, 30.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49775/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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