Die juristische Presseschau vom 22. September 2022: Lage­bild Orga­ni­sierte Kri­mi­na­lität / BVerwG zu Wett­bür­o­steuer / Durch­su­chungen beim Olig­ar­ch

22.09.2022

Innenministerin Faeser stellt Bericht zur Organisierten Kriminalität 2021 vor. BVerwG verbietet kommunale Steuer für Wettbüros. Dem Putin-Unterstützer Alischer Usmanov werden Steuerhinterziehung und Verstöße gegen EU-Sanktionen vorgeworfen.

Thema des Tages

Organisierte Kriminalität: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, haben das Lagebild zur Organisierten Kriminalität (OK) 2021 vorgestellt. Wie die FAZ (Helene Bubrowski) und der Tsp (Karin Christmann) erläutern, ist die Zahl der Ermittlungsverfahren um 17,2 Prozent und die Anzahl der Tatverdächtigen um 14,9 Prozent gestiegen. Das ist vor allem eine Folge der Entschlüsselung des von Kriminellen genutzten Kommunikationsdienstes EncroChat. Ein Viertel aller eingeleiteten OK-Verfahren lassen sich auf die dort erlangten Daten zurückführen. Wichtigster Kriminalitätsbereich der OK ist der Drogenhandel und -schmuggel, worauf grundsätzlich knapp die Hälfte der Ermittlungsverfahren entfallen. Bezüglich der gerade vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für rechtswidrig erklärten Vorratsdatenspeicherung, plädieren Faeser und Münch für die anlasslose Speicherung zumindest von IP-Adressen, was das Urteil auch für möglich halte.

Die Ermittlungszahlen klingen zwar nach maximalem Durchgriff des Staates, kommentiert Constanze von Bullion (SZ)allerdings "nur, wenn man sich das Kleingedruckte" erspare. Denn die jüngsten Ermittlungserfolge, wie etwa bei den EncroChat-Daten, gingen zu einem Drittel "gar nicht aufs Konto deutscher Ermittler", sondern auf das von Europol und anderen EU-Mitgliedstaaten. Der deutsche Beitrag sei hier eher gering. Zudem sei die Zahl der deutschen Ermittlungserfolge im Bereich Geldwäsche in letzter Zeit sogar gesunken, trotz großer Versprechen, diese entschlossener zu bekämpfen.

Rechtspolitik

DJT - Besetzung von Richterpositionen: Die FAZ (Reinhard Müller) befasst sich mit dem aktuellen Stand der Diskussion um die Wahl von hohen nationalen und europäischen Richter:innen, die Thema auf dem Deutschen Juristentag ist und es auch beim Eröffnungskolloquium der Akademie für europäischen Menschenrechtsschutz in Köln war. Dort hatte Andreas Voßkuhle, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, gesagt, dass die Personalauswahl grundsätzlich die "Achillesferse" der Gerichtsbarkeit sei, sowohl auf europäischer als auch auf staatlicher Ebene. Das sieht auch der Deutsche Anwaltverein so und fordert unabhängige Expertengremien für die Auswahl von Richter:innen sowie die gesetzliche Verankerung eines "Anforderungskatalogs" zur Besetzung von Richterpositionen.

AKW-Laufzeiten: Rechtsprofessor Kyrill-Alexander Schwarz stellt in der FAZ-Rubrik Staat und Recht fest, dass der Gesetzgeber bei einem Ausstieg aus dem Atomausstieg großen Gestaltungsspielraum hat. Schließlich sei der Atomausstieg nicht im Grundgesetz verankert worden. 

Justiz

BVerwG zu Wettbürosteuer: Gemeinden dürfen keine Wettbürosteuer erheben, da diese mit der bereits vom Bund nach dem Rennwett- und Lotteriegesetz erhobenen Steuer gleichartig ist. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht und gab damit den klagenden Wettbürobetreibern Recht. Dabei beriefen sich die Leipziger Richter:innen auch auf den Bettensteuer-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von März diesen Jahres. Dort ging es ebenfalls um Artikel 105 Abs. 2a S. 1 Grundgesetz, wonach die Länder örtliche Aufwandssteuern nur erheben können, soweit sie nicht mit Bundessteuern gleichartig sind. Es berichtet LTO.

StA München II – Oligarch Usmanow: 250 Polizist:innen und Steuerfahnder:innen durchsuchten im Auftrag der Staatsanwaltschaft München II und der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft bundesweit mehr als 20 Objekte des sanktionierten russischen Oligarchen und Putin-Unterstützers Alischer Usmanow. Dabei ging es um den Verdacht der Steuerhinterziehung und um mögliche Geldwäsche in Millionenhöhe. Zudem geht es bei den Ermittlungen um mutmaßliche Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz, da der Milliardär eingefrorene Gelder ausgegeben haben soll, um seine Immobilien in Oberbayern zu bewachen. Hierbei wird auch gegen vier weitere Beschuldigte wegen Beihilfe ermittelt. SZ (Georg Mascolo ua.), FAZ (Timo Frasch) und LTO berichten.

EuGH zu Vorratsdatenspeicherung: Im Interview mit der Welt (Constantin van Lijnden) erläutert der Staatsanwalt Benjamin Krause von der hessischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität (ZIT) die potentiellen Auswirkungen des ablehnenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs zur deutschen Vorratsspeicherung. So sei es ohne die Speicherung der IP-Adressen schwerer, die Identität von Personen herauszufinden, die Missbrauchsdarstellungen in sozialen Netzwerken posten. Bei Verbreitung von Kinderpornografie werde in der Regel weder das Darknet genutzt noch die IP-Adresse verschleiert. Bei der von Justizminister Buschmann vorgeschlagenen Quick Freeze-Lösung wäre eine Verpflichtung der Provider hilfreich, IP-Adressen zumindest für sieben Tage zu speichern, damit auch etwas zum Einfrieren vorhanden ist.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter Maximilian Gerhold stellt auf dem Verfassungsblog nun auch das EuGH-Urteil vor. Es enthalte nichts Neues und sei deshalb auch nicht historisch. 

EuGH – Bezahlung von Teilzeitpilot:innen: Vor dem Europäischen Gerichtshof fand die mündliche Verhandlung im Streit um die Bezahlung von Teilzeitpilot:innen der Lufthansa statt. Nach dem Tarifvertrag bekommen Pilot:innen bei der Lufthansa zusätzlich zum Lohn eine "Mehrflugstundenvergütung", sobald sie eine bestimmte Zahl von Stunden im Monat geflogen sind. Pilot:innen in Teilzeit erreichen diese Schwelle jedoch nicht und erhalten entsprechend keine zusätzliche Vergütung, was der klagende Pilot für diskriminierend hält. Das Bundesarbeitsgericht hatte die Sache dem EuGH vorgelegt. LTO berichtet.

KG Berlin zu Bild-TV und ARD-Material: Die zeitgleiche Übertragung von Teilen der ARD-Wahlsendung im September 2021 bei Bild TV war urheberrechtswidrig. Das entschied das Kammergericht Berlin in seinem Berufungsurteil, wie nun auch FAZ und LTO berichten. 

LG Berlin zu einem Obdachlosenmord: Die Zeit (Ursula März) berichtet in der Rubrik Verbrechen über einen Mordprozess am Landgericht Berlin. Im Oktober 2021 hatte ein betrunkener pakistanischer Obdachloser am Alexanderplatz einen vietnamesischen Obdachlosen brutal erschlagen, weil jener seine Mutter beleidigt hatte. Das Gericht verurteilt ihn zu sieben Jahre Freiheitsstrafe und anschließendem "Maßregelvollzug". Die Gerichtsgutachterin ging davon aus, dass der Täter resozialisierbar ist, wenn er lesen und schreiben lerne. Die Reportage dreht sich nicht zuletzt um den Alexanderplatz als Ort und Kriminalitätsschwerpunkt.

LG München I – Wirecard/Markus Braun: Das Landgericht München I hat die Anklage gegen Markus Braun, den früheren Vorstandschef von Wirecard, den ehemaligen Wirecard-Manager Oliver Bellenhaus und den einstigen Leiter der Konzernbuchhaltung Stephan E. unverändert zugelassen. Wie die FAZ (Henning Peitsmeier), SZ (Jan Diesteldorf), das Hbl (R. Bender ua.) und LTO schreiben, wird den Angeklagten unter anderem Marktmanipulation, Untreue und gewerbsmäßiger Bandenbetrug vorgeworfen. Es wird mit einem Beginn der Hauptverhandlung Anfang 2023 gerechnet.

LG Leipzig – Gil Ofarim: Das Landgericht Leipzig hat die Anklage gegen den Sänger Gil Ofarim wegen falscher Verdächtigung zugelassen, berichten SZ (Ulrike Nimz), spiegel.de und LTO. Es sind sieben Verhandlungstage angesetzt. Wegen der besonderen Bedeutung des Falls, sieht sich das LG zuständig, was die Anwälte Ofarims bereits als "Schauprozess" kritisierten. Die Anwälte haben gegen einen der Richter einen Befangenheitsantrag gestellt, weil er in einem Vorgespräch gesagt hatte, dass es in Leipzig kein erhebliches Antisemitismusproblem gebe. 

VG Köln zu Freizeitfischerei-Verbot: In dem Naturschutzgebiet Fehmarnbelt in der Ostsee darf Freizeitfischerei verboten werden. Das Verbot sei zum Schutz der sich dort in einem schlechten Erhaltungszustand befindlichen Dorschpopulation geeignet und erforderlich und diene dem Zweck des verfassungsrechtlich verankerten Umweltschutzes, begründet das Verwaltungsgericht Köln seine nun veröffentlichten Entscheidung. Die klagenden Angelfahrt-Unternehmen hätten zudem nicht dargelegt, weshalb das Ausweichen auf andere Fanggründe zu einer Existenzgefahr für ihre Betriebe führe. Es berichtet LTO.

StA Köln - Cum-Ex/KPMG: Im Zusammenhang mit den Verfahren im Cum-Ex-Steuerbetrugsskandal ließ die Staatsanwaltschaft Köln Büros der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG in Frankfurt/M. und Privatwohnungen von fünf ehemals dort beschäftigten Rechtsanwälten und Steuerberatern durchsuchen. Gegen sie wird wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermittelt, schreiben die FAZ, das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) und LTO.

Recht in der Welt

Russland/Volksrepubliken Donezk und Luhansk - Referenden über Annektion: Der Postdoc Gleb Bogush schreibt im Verfassungsblog (in englischer Sprache) über Putins Ankündigung einer Teilmobilmachung und von Referenden in den Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Diese Referenden und die Annektionen seien juristisch irrelevant. Die Staaten der Welt seien völkerrechtlich verpflichtet, die Annektionen nicht anzuerkennen. 

Russland – Krimtataren: Ein Gericht in Simferopol, der Hauptstadt der Krim, hat laut FAZ (Friedrich Schmidt) den letzten Sprecher der Krimtataren, Nariman Dscheljal, wegen "Sabotage" zu 17 Jahren Haft verurteilt und seine beiden mitangeklagten Cousins Assan und Asis Achtjemow zu 15 und 13 Jahren Haft sowie hohen Geldstrafen. In den vergangenen Jahren sind Dutzende Krimtataren festgenommen, systematisch gefoltert und misshandelt und wegen verschiedenster Vorwürfe zu schweren Haftstrafen verurteilt worden, wie Anwält:innen und Menschenrechtsschützer:innen berichten.

USA – Klage gegen "Trump Organization": Die Generalstaatsanwältin des Bundesstaats New York, Letitia James, hat nach mehr als dreijährigen Ermittlungen gegen den früheren US-Präsidenten Donald Trump und drei seiner Kinder, Donald Junior, Eric und Ivanka, Zivilklage erhoben. Sie sollen über Jahre die Zahlen ihres Immobilienkonzerns "Trump Organization" manipuliert und Banken, Versicherungen und Steuerbehörden systematisch betrogen haben. Zudem läuft an einem Gericht im New Yorker Stadtteil Manhattan ein strafrechtliches Verfahren gegen den Konzern, seine Eigentümer und Entscheidungsträger. SZ (Claus Hulverscheidt), FAZ (Oliver Kühn), zeit.de (Johanna Roth) und LTO berichten.

 

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LTO/ali

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 22. September 2022: . In: Legal Tribune Online, 22.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49701 (abgerufen am: 08.11.2024 )

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