Die juristische Presseschau vom 23. August 2022: Sch­le­singer fristlos gekün­digt / Eng­li­sche Bar­rister vor Streik / Frei­burger Jura-Haus­ar­beit zurück­ge­zogen

23.08.2022

Der Verwaltungsrat des rbb beschloss die fristlose Kündigung der Ex-Intendantin. Englische Prozessanwälte wollen mit einem Streik höhere Gebühren erzwingen. Die Uni Freiburg brach eine Hausarbeit ab, weil eine Lösungskizze kursierte.

Thema des Tages

Ex-rbb-Intendantin: Der Verwaltungsrat des Rundfunks Berlin Brandenburg (rbb) hat die abberufene Intendantin Patricia Schlesinger nun auch fristlos entlassen. Schlesinger hat damit keinen Anspruch auf eine Abfindung und auf nachvertragliches Ruhegeld. Der Ex-Intendantin wurden zahlreiche Vorwürfe der Vetternwirtschaft gemacht. Es berichten SZ (Anna Ernst), FAZ (Michael Hanfeld), LTO und spiegel.de.

Rechtsprofessor Christoph Degenhardt (FAZ) sieht in der Affäre um Schlesinger kein "Fehlverhalten einzelner Funktionsträger in Intendanz und Anstaltsgremien", sondern ein "Systemversagen". Das Bundesverfassungsgericht habe dem leichtfertigen Umgang mit Geldern von Beitragspflichtigen durch die moralische Überhöhung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks den Weg bereitet, auch wenn dies nicht die "Intention" war, die das Gericht mit seiner Entscheidung zum Rundfunkbeitrag verfolgt hat. 

In einem Interview mit der FAZ (Helmut Hartung) erläutert Rechtsprofessor Hubertus Gersdorf die Kontrollstrukturen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In erster Linie ist die Kontrolle Sache der hierfür zuständigen Aufsichtsgremien des rbb (Rundfunk- und Verwaltungsrat). Nur dann, wenn diese ihren Pflichten offensichtlich nicht nachkommen, ist ein Einschreiten der Rechtsaufsicht - der Staatskanzlei des Landes Brandenburg - zulässig.

Rechtspolitik

Gasumlage: Laut spiegel.de (Isabell Hülsen/Benedikt Müller-Arnold) hält die Berliner Kanzlei Raue die Verordnung, die ab dem 1. Oktober eine Gasumlage vorsieht, in ihrer jetzigen Ausgestaltung für verfassungswidrig. Die von Privathaushalten und Unternehmen zu zahlende Gasumlage sei nicht geeignet, massive Preissteigerungen zu verhindern, die durch einen mögliche Insolvenz von Importeuren wie Uniper entstehen könnten, sondern fördere Preissteigerungen sogar. Die Umlage belaste Endverbraucher unverhältnismäßig und verstoße gegen Beihilferegeln des Europarechts.

Chatkontrolle: Simon Hurtz (SZ) verweist auf zwei Einzelfälle aus den USA, um den Vorschlag der EU-Kommission für die Ermöglichung anlassloser Massenüberwachung von Internet-Chats zu kritisieren. In den USA wurde unabhängig voneinander gegen zwei Väter ermittelt und ihnen der Zugriff auf ihre Google-Konten verwehrt, nachdem sie auf ärztlichen Wunsch hin Fotos des Genitalbereichs ihrer kranken Kinder verschickt und gespeichert hatten. KI-Programme hatten die Fotos als vermeintliche Kinderpornografie aufgespürt. Auch spiegel.de (Markus Böhm) berichtet über die Fälle.

Fluggastrechte: Das Bundes-Verbraucherschutzministerium unterstützt laut spiegel.de den Vorschlag des Landes Niedersachsen, bei Flugreisen das Vorkasse-Prinzip abzuschaffen. Die Airlines und ihre Verbände sind dagegen.

Justiz

BVerfG zu Masern-Impfpflicht: Nun befasst sich auch die Habilitandin Anna-Lena Hollo auf dem Verfassungsblog mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Masern-Impfpflicht und beschreibt sie als "Lehrstück einer Grundrechtsprüfung", die "wissenschaftsbasiert, realistisch und abgewogen" sei. Ihrer Meinung nach sei der Vorwurf unberechtigt, es handele sich um eine "Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Leerlauf". Schließlich habe sich der Senat ausführlich mit den widerstreitenden Grundrechten befasst.

BGH zur Form von Strafanträgen: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Formvorschriften für Strafanträge auch für Behörden gelten. Ein Strafantrag, der per einfacher E-Mail ohne qualifizierte Signatur , übermittelt wird, erfülle die gesetzlichen Voraussetzungen nicht und führe insoweit zur Einstellung des betroffenen Strafverfahrens. Es berichtet LTO.

OLG Frankfurt/a.M. zu Hoodie-Schriftzug: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass das Bekleidungsunternehmen "Puma" keine Markenrechte verletzt, indem es einen Hoodie mit dem Schriftzug "Blessed" auf der Vorderseite vertreibt. Es handele sich um ein dekoratives Element, das vom Verkehr nicht als Herkunftshinweis verstanden werde. Das Wort sei eine Aussage des brasilianischen Fußballers Neymar, die nicht markenmäßig benutzt werde. Zudem sei der Markenname "Puma" an mehreren Stellen des Kleidungsstückes zu erkennen, so das Gericht. Geklagt hatte ein Gastronom, der Inhaber der Wort-Bildmarke "#Blessed" für Bekleidungsstücke ist. Dies berichtet LTO.

LSG NRW zu Rentenversicherungspflicht: Eine Anwältin, die befristet als angestellte wissenschaftliche Mitarbeiter:innen an der Universität arbeitet, hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Dies entschied das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen. Da für eine selbstständige Tätigkeit als Anwältin keine Befreiung vorgesehen ist, könne diese auch nicht auf eine nicht-selbständige Tätigkeit erstreckt werden, so das Gericht. LTO berichtet.

LG München I – Alfons Schuhbeck: Nun berichten auch spiegel.de und faz.net über den am 5. Oktober beginnenden Prozess gegen den Starkoch Alfons Schuhbeck vor dem Landgericht München I wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung.

LG Leipzig – Gil Ofarim: Das Landgericht Leipzig hat noch nicht über die Zulassung der Anklage gegen den Musiker Gil Ofarim wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung entschieden. Zunächst müsse über einen Befangenheitsantrag von Ofarims Anwälten befunden werden. LTO berichtet.

LG Bad Kreuznach – Tötung wegen Maskenpflicht: Der Strafprozess gegen Mario N., der nach einem Streit um die Maskenpflicht einen Tankwart in Idar-Oberstein erschossen hat, verlängert sich wegen Zweifeln der Verteidigung an einem Gutachten, das die Schuldfähigkeit N.s trotz fast zwei Promille Alkohol im Blut feststellte. Nachdem das Gericht einen Befangenheits-Antrag der Verteidigung gegen den Gutachter abwies, beantragte die Verteidigung ein zweites Gutachten wegen "mangelnder Sachkunde" des ersten Gutachters. Die Plädoyers werden voraussichtlich auf September verschoben, so die taz (Christoph Schmidt-Lunau).

LG Berlin - Abou-Chaker/Bushido: Der Bushido-Prozess wird in diesem Jahr wohl nicht mehr beendet. Das Berliner Landgericht gab gestern zehn weitere Verhandlungstermine bis zum 23. Januar 2023 bekannt, wie Bild  (Anne Losensky) berichtet.

AG Stuttgart – Michael Ballweg: Die Anwälte des "Querdenken"-Initiators Michael Ballweg wollen vor dem Landgericht Stuttgart Haftbeschwerde einlegen, nachdem das Amtsgericht Stuttgart entschieden hatte, dass Ballweg weiterhin in Untersuchungshaft bleiben muss. Die Entscheidung verletze "verfassungsrechtliche Grundsätze", so Alexander Christ, der Sprecher von Ballwegs Anwälten. Ballweg sitzt seit Ende Juni wegen des Verdachts auf Betrug und Geldwäsche in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, 640 000 Euro Spendengelder zweckwidrig verwendet zu haben. Es berichtet die FAZ (Rüdiger Soldt).

StA Potsdam – Olaf Scholz: Die Staatsanwaltschaft Potsdam wird nicht gegen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seine Ehefrau, die brandenburgische Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen nach § 353b StGB ermitteln. Ihnen wurde vorgeworfen, leichtfertig vertrauliche Dokumente im Hausmüll entsorgt zu haben. Ein Anfangsverdacht konnte sich jedoch nicht erhärten, da die gefundenen Informationen auch durch eine Internetrecherche auffindbar gewesen wären und somit keine Geheimnisse darstellen. Dies schreibt spiegel.de.

Recht in der Welt

Großbritannien – Streik der Anwaltschaft: Vom 5. September an werden die Prozessanwälte (Barrister) in Großbritannien auf unbestimmte Zeit streiken. Ihr Ziel ist es, 25 Prozent höhere Vergütungen und bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen. LTO gegenüber bestätigt Rechtsprofessor Matthias Kilian, dass die derzeitige Vergütung nicht mehr angemessen sei, da sie seit 1996 nicht mehr erhöht und im Jahr 2014 sogar gekürzt wurde. Anwälte bekämen inflationsbereinigt für dieselbe Tätigkeit nun 50 Prozent weniger Gebühren als vor 25 Jahren.

Großbritannien – Bernie Eccelstone: Einem Bericht der FAZ (Philip Plickert) zufolge muss der ehemalige Formel-1-Chef Bernie Eccelstone sich vor einem Gericht in Großbritannien dem Vorwurf des Steuerbetrugs stellen. Er soll gegenüber der Steuerbehörde HMRC einen Trustfonds in Singapur in Höhe von 650 Millionen US-Dollar verschwiegen haben.

USA – Ford: Ein Gericht hat den Autohersteller Ford zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1,7 Milliarden US-Dollar verurteilt, nachdem ein Ehepaar im Jahr 2014 bei einem Autounfall tödlich verunglückte. Ford habe das Dach des Pick-up-Truck-Modells F-250 nicht ausreichend verstärkt, sodass die Insassen bei einem Überschlagsunfall nicht hinreichend geschützt gewesen seien. Dies berichten faz.net und spiegel.de.

Schweden – Estonia-Doku: Wie spiegel.de (Alexander Preker) berichtet, müssen sich die Filmemacher einer Dokumentation rund um den Untergang der Fähre "Estonia" im Jahr 1994 wegen des Vorwurfs der Störung der Totenruhe erneut vor Gericht verantworten. Das Berufungsgericht in Göteborg hatte das Urteil, in dem beide zuvor freigesprochen worden waren, im Februar aufgehoben. Der Fall könne doch nach schwedischem Recht bewertet werden, so die Richter im Februar, auch wenn die Journalisten während der Dreharbeiten an Bord eines Schiffs waren, das unter deutscher Flagge in internationalen Gewässern fuhr. Dem schwedischen "Estonia-Gesetz" zufolge ist das Wrack als Grabstätte geschützt. Das Urteil soll am 5. September verkündet werden.

Kenia – Wahlanfechtung: Der kenianische Präsidentschaftkandidat Raila Odinga hat nach seiner Wahlniederlage vor zwei Wochen nun eine Beschwerde gegen das Wahlergebnis vor dem Obersten Gericht eingereicht. Das Wahlergebnis sei manipuliert. Dies berichtet die taz.

Singapur – Homosexualität: Nun berichten auch FAZ (Till Fähnders) und SZ darüber, dass der Premierminister Singapurs Lee Hsien Loong angekündigt hat, das gesetzliche Verbot sexueller Beziehungen unter Männern abschaffen zu wollen. Gleichzeitig sei jedoch eine Norm geplant, die die Ehe als Institution nur von Mann und Frau festsetze, um in Singapur "drastische Verschiebungen gesellschaftlicher Normen" zu verhindern. David Pfeifer (SZ) befürwortet die Entscheidung § 377a abzuschaffen. Die gleichgeschlechtliche Liebe werde schließlich in vielen Ländern leider immer noch wie eine "gefährliche Seuche" gesehen, sodass eine Legalisierung ein "Symbol" für alle "Nachbarn" sei.

Juristische Ausbildung

Jurahausarbeit zurückgezogen: Wie LTO-Karriere (Pauline Dietrich) berichtet, hat die Universität Freiburg eine Zivilrechtshausarbeit nach dreiwöchiger Bearbeitungszeit zurückgezogen, nachdem Teile der Lösung im Internet kursierten. Der Sachverhalt der Hausarbeit habe sich an eine frühere Examensklausur einer anderen Fakultät angelehnt und sei nicht ausreichend abgewandelt worden. Die öffentlich zugängliche Lösung der Examensklausur führe zu großen "Gerechtigkeitsproblemen", so ein Universitätssprecher.

Sonstiges

Gasengpass und Mietminderung: Auf LTO erläutern die Rechtsanwält:innen Stefanie Minzenmay und Caner Ertasoglu, wann Mieter eine Mietminderung verlangen können, falls gewerblich gemietete und genutzte Mieträume wegen Gasknappheit nicht mehr im erforderlichen Maß beheizt werden können und mit welchen Vereinbarungen sich betroffene Vermieter entlasten können. So müssen Vermieter grundsätzlich eine gewisse Mindestraumtemperatur in vermieteten Räumen gewährleisten, wenn ein beheizbares Objekt vermietet wird. Ist dies nicht möglich, handelt es sich regelmäßig um einen Mietmangel, der eine Mietminderung begründet. Ausschlaggebend für ein Minderungsrecht sei jedoch auch, ob die Versorgungs- bzw. Lieferverträge für Gas durch den Vermieter oder den Mieter abgeschlossen wurden. In letzterem Fall bestehe kein Recht zur Mietminderung, da ein Lieferausfall lediglich das Vertragsverhältnis zwischen Mieter und Gaslieferant betreffe.

Kommentarautor Maaßen: Wie LTO (Hasso Suliak) und spiegel.de berichten, kündigen neben Rechtsprofessor Stefan Huster nun weitere Anwälte, Autoren und Richter an, auf eine Zusammenarbeit mit dem Verlag C.H.Beck zu verzichten, falls dieser weiterhin an dem früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen als Grundgesetz-Kommentarautor festhalten sollte. Maaßen soll in der anstehenden Auflage des Grundgesetz-Kommentars "Epping/Hillgruber" die Art. 16 und 16a GG kommentieren. Eine Abgabe sei für kommenden Montag angesetzt. Der Verlag betont, man stehe für eine "pluralistische und freie wissenschaftliche Diskussionskultur", solange diese sich im "verfassungsrechtlichen Rahmen" bewege. Ob Maaßen sämtliche "Werte der Verfassung" teilt, bezweifelt hingegen der Deutsche Anwaltverein (DAV) in einer Stellungnahme und fordert den Verlag auf, die Zusammenarbeit mit Maaßen nochmals zu überdenken.

Das Letzte zum Schluss

Gefälschte FDP-Plakate: Wie LTO und focus.de berichten, wurden in Düsseldorf gefälschte FDP-Plakate entdeckt, mit angeblichen Zitaten von Finanzminister Christian Lindner zum 9-Euro-Ticket: "Kein Geld für ÖPNV? Sollen sie doch Porsche fahren". Hinter der Tat soll die Gruppe "Dies Irae" stecken, die schon öfter mit verfälschten Werbebotschaften arbeitete. Der Staatsschutz ermittele, so ein Sprecher der Polizei.

 

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LTO/ok

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. August 2022: Schlesinger fristlos gekündigt / Englische Barrister vor Streik / Freiburger Jura-Hausarbeit zurückgezogen . In: Legal Tribune Online, 23.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49393/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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